(Bloomberg) -- In dem ausgedehnten Stadtwald rund um Augsburg stapeln sich an einem Tag im August die toten Fichten. Jahrelange Trockenheit hat die Abwehrkräfte der Nadelbäume geschwächt, sie hatten dem Borkenkäfer nichts entgegenzusetzen.
Försterin Eva Ritter und ihrem Team blieb nichts anderes übrig, als die Bäume zu fällen und abzutransportieren, bevor sich die Plage weiter ausbreitet. Noch vor einer Woche trugen die Fichten dazu bei, der Atmosphäre das Treibhausgas Kohlendioxid zu entziehen. Jetzt sind sie selbst dem Klimawandel zum Opfer gefallen.
“Jedem Förster blutet das Herz, wenn man ein solches Ausmaß der Zerstörung im Wald erlebt”, sagt Ritter, die als Leiterin der Augsburger Forstverwaltung 7.700 Hektar Wald hütet — einen der holzreichsten in Europa. “In unserem Geschäft ist der Klimawandel schon Alltag.”
Im Vergleich zu den Waldbränden, die in den letzten Monaten für Schlagzeilen gesorgt haben, sind Käfer eine weniger schlagzeilenträchtige Quelle der Verwüstung für die europäischen Wälder. Doch wie die Feuersbrünste untergraben sie die Bemühungen des Kontinents zur Bekämpfung des Klimawandels.
Die Europäische Union will bis 2050 klimaneutral sein — ein Ziel, das nicht nur weniger Emissionen, sondern auch mehr Kohlendioxidabbau aus der Atmosphäre erfordert. Dafür sollen bis 2030 drei Milliarden neue Bäume gepflanzt werden — doch kämpfen muss man auch darum, die alten Bäume am Leben zu halten.
Verheerende Waldbrände in Griechenland haben in diesem Sommer eine Fläche doppelt so groß wie Berlin zerstört und mindestens 25 Menschenleben gefordert. In Deutschland haben Borkenkäfer, Dürre und Stürme im vergangenen Jahr in den Wäldern gewütet wie noch nie.
In Österreich haben sich die durch Borkenkäfer verursachten Schäden im vergangenen Jahr fast verdoppelt. In der Tschechischen Republik haben die Schädlinge seit 2018 so viele Bäume zu Fall gebracht, dass das verfaulende Holz inzwischen mit dazu beiträgt, die Wälder des Landes zu Netto-CO2-Produzenten zu machen.
“Die Brände bekommen in den Medien viel Aufmerksamkeit — aus gutem Grund — aber die verbrannten Flächen in Europa sind gar nicht so riesig”, sagt Gert-Jan Nabuurs, Professor für europäische Waldressourcen an der niederländischen Universität Wageningen. “Die Dürre in Mitteleuropa und der Borkenkäferbefall führen zu einer massiven Sterblichkeit. Das ist sicherlich das Hauptproblem.”
In Deutschland haben selbst wochenlange Regenfälle den Durst der Wälder nicht gestillt. Das liegt daran, dass der Sommerregen relativ schnell absorbiert wird oder verdunstet. Für eine anhaltende Bodenfeuchtigkeit sind vor allem nasse und schneereiche Winter wichtig — aber genau die sind seltener geworden. Seit 2018 sind weite Teile des Landes von Trockenheit geprägt, zeigen Daten des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung.
“Für einen Baum ist schon eine einzige Trockenperiode wie ein Schlaganfall”, sagt Ritter, während sie die Schäden in Augsburgs Wäldern begutachtet. “Es dauert drei bis fünf Jahre, bis sich der einzelne Baum davon erholt hat.”
Der geschwächte Zustand der Bäume erleichtert es den Borkenkäfern, ihre Löcher zu bohren und Eier unter die Rinde zu legen. Die Larven ernähren sich dann von der Rindenschicht, die für den Transport von Nährstoffen wichtig ist. Wenn ein Baum befallen ist, muss er innerhalb weniger Wochen gefällt und aus dem Wald transportiert werden, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern.
Borkenkäfer haben eine besondere Vorliebe für Fichten, die in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in großem Umfang angebaut wurden, als der Wiederaufbau große Holzressourcen erforderte. Sie machen heute ein Viertel der Wälder aus, die wiederum etwa ein Drittel des Landes bedecken. Fichten sind Flachwurzler, weswegen sie einerseits viel Wasser brauchen, andererseits anfällig für Wind- und Sturmschäden sind und überdies den Boden für andere Pflanzen austrocknen.
“Wir haben es jetzt mit diesen Wäldern zu tun und müssen sie klimafit machen”, sagt Andreas Bolte, Leiter des Forschungsbereichs Waldökosysteme beim Thünen-Institut, einer Forschungsstelle im Bereich des Landwirtschaftsministeriums. “Wälder haben so viele Schutzfunktionen — Wasserfilterung, Klimadämpfung und Erosionsschutz — das sind alles Eigenschaften, die im Zuge des Klimawandels an Bedeutung gewinnen werden und damit ändern sich auch die Anforderungen an Wälder.”
Seit zwei bis drei Jahrzehnten versucht man in Deutschland schon, mehr natürliche Mischwälder mit verschiedenen Nadel- und Laubbäumen anzulegen. Die Fortschritte sind jedoch langsam und werden unter anderem dadurch erschwert, dass knapp die Hälfte der deutschen Wälder in Privatbesitz ist.
Jedes Jahr erben etwa 65.000 Menschen in Deutschland einen Wald — und vielen von ihnen fehlen die nötigen Kenntnisse und Ressourcen und zuweilen auch schlicht das Interesse, mit dem Erbe angemessen umzugehen. Eine Umfrage des Thünen-Instituts aus dem Jahr 2018 ergab zudem, dass zwar fast alle privaten Eigentümer eine wichtige Rolle des Waldes für den Klimaschutz sehen, aber fast 40% der Befragten die forstwirtschaftliche Nutzung über Naturschutzmaßnahmen stellen.
Wälder sind seit Menschengedenken eine Rohstoffquelle, und Energie aus Biomasse — also auch aus der Verbrennung von Holz — stellt mit einem Anteil von fast 60% nach wie den Großteil der erneuerbaren Energie in der EU. Obwohl Bäume nachwachsen können, halten Kritiker das für eine Verschwendung, die zudem die Emissionen erhöht.
“Ich denke, dass wir immer noch ein gewisses Maß an Energieerzeugung aus Holz brauchen, aber es wäre wichtig, kein Holz zu verbrennen, das eigentlich für eine höherwertige Verwertung geeignet wäre”, so Bolte vom Thünen-Institut.
Es wird erwartet, dass sich die Kohlenstoffaufnahmefähigkeit der europäischen Wälder in diesem Jahrzehnt verschlechtern wird — vor allem wegen der zunehmenden Schäden und der Holzernte. Michael Köhl, Professor für Weltforstwirtschaft an der Universität Hamburg, argumentiert jedoch, dass Wälder nicht nur als “passive” Senke betrachtet werden sollten. Da Holz als Alternative zu emissionsintensiveren Materialien wie Zement verwendet werden kann, kann es dazu beitragen, die Umweltbelastung durch Substitution zu verringern.
Die Zukunftssicherung der Wälder ist keine exakte Wissenschaft, und es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, wie sie zu erreichen ist. Einige sind der Meinung, man solle den Wald in Ruhe lassen, damit sich die Artenvielfalt nach der natürlichen Zerstörung wieder entwickeln kann. Andere halten es für wichtig, die Wiederaufforstung aktiv zu unterstützen, zum Beispiel durch den Anbau von Bäumen, die besser für wärmere Klimazonen geeignet sind.
“Wir bräuchten Bäume, die sowohl im Kühlschrank als auch im Backofen gedeihen können”, sagt die Augsburger Chef-Försterin Ritter. In ihrem Augsburger Wald experimentiert sie mit Sorten aus milderen Gegenden Deutschlands, aber auch mit Bäumen, die in der Türkei und auf dem Balkan heimisch sind, wie zum Beispiel der türkischen Hasel.
“Früher war das Försterjahr relativ gut planbar”, sagt ihr Kollege Daniel Kugler, während er auf einer Lichtung in seinem Augsburger Waldabschnitt einen vom Sturm umgeknickten Baum betrachtet. “Aber das hat sich geändert. In den letzten Jahren waren wir im Dauerkrisenzustand.”
Überschrift des Artikels im Original:Wildfires Are Only One of the Threats Ravaging Europe’s Forests