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Argentinien macht alles richtig – und ist doch wieder pleite

Gerade noch war Argentinien der aufsteigende Star unter den Schwellenländern. Jetzt bittet das Land den IWF um Kredite. Ein Erklärungsversuch.

Es ist wieder laut geworden auf der Calle Florida im Zentrum von Buenos Aires. In der einst elegantesten Einkaufsmeile Südamerikas zischen, pfeifen und rufen Männer und Frauen jeden Alters den Passanten zu. Sie machen dabei keine unsittlichen Anträge. Es sind Geldtauscher, die harte Dollar zum Schwarzmarktkurs anbieten.

Noch vor zwei Wochen bevölkerten vor allem Geschäftsleute und brasilianische Touristen die Fußgängerzone. Jetzt kommen wieder die Einheimischen dorthin, um Dollar zu tauschen.

Auch international hat sich das Bild Argentiniens in wenigen Tagen geändert. Vor Kurzem war das Land noch der Star für die Finanzinvestoren, dank seines liberal-konservativen Präsidenten Mauricio Macri. Jetzt droht Argentinien erneut eine Schuldenkrise. Der Peso verliert seit zwei Wochen rasant an Wert. Zwar warf die Zentralbank fünf Milliarden Dollar auf den Markt. Doch die Wall Street traut dem Peso genauso wenig wie die Argentinier in der Calle Florida.

Der freie Fall des Pesos stoppte erst, als Präsident Macri verkündete, dass er den Internationalen Währungsfonds (IWF) um einen Hilfskredit bitten werde. „Bis vor zwei Wochen sagte die Regierung noch, alles sei auf bestem Wege, und jetzt ruft sie die Feuerwehr“, wundert sich Daniel Artana vom Forschungsinstitut FIEL.

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In Argentinien fürchten viele nun, dass die Lage weit schlimmer ist, als sie ahnen. „Zum IWF geht man nur, wenn man keine Alternative mehr hat“, kritisiert der Ex-Zentralbankpräsident Martín Redrado den Schritt Macris.

Denn der politische Preis ist extrem hoch. In kaum einem anderen Land ist der Fonds aus Washington so verhasst wie im Pampaland. Die meisten Argentinier halten Washington bis heute für den Auslöser der Rezession und der Schuldenkrise 2001. Danach warf Präsident Kirchner den IWF aus dem Land. Der Canossagang nach Washington ist für die zerstrittene und geschwächte Opposition der Peronisten wie ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk: Erstmals wittern sie wieder Chancen, Macri im Oktober 2019 bei den Wahlen ablösen zu können.

Doch was ist geschehen, dass Argentinien wieder so tief abstürzt? Verkürzt lässt sich sagen: Die Argentinier und Investoren weltweit haben sich von Erfolg und Geschick Macris blenden lassen – und vergessen, dass das Land und seine Wirtschaft immer noch schwer angeschlagen sind. Nur zu gern haben sie dem schwerreichen Unternehmer und ehemaligen Bürgermeister Macri nach den ersten überraschenden Anfangserfolgen zugetraut, ihr Land im Handumdrehen wieder auf den richtigen Kurs zu bringen.

Nach der schrillen und wirtschaftlich desaströsen Vorgängerin Cristina de Kirchner freuten sich die Argentinier am eleganten Ehepaar Macri. Das trat mit den Rolling Stones genauso lässig auf wie mit US-Präsident Donald Trump, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel oder Papst Franziskus.

Die G20-Präsidentschaft dieses Jahr erhielt Macri nicht zufällig: Es war die Anerkennung der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer für Macris beherzten Reformkurs.

Tatsächlich machte Macri fast alles richtig.

Die gute Nachricht: Argentinien steht nicht am Abgrund

Der Hype um Macri lässt sich mit dem um seinen Kollegen Emmanuel Macron in Paris vergleichen: Die Anhänger sehen in Macri den langersehnten Reformer, eine dynamische Integrationsfigur, die einen ganzen Kontinent voranbringen könnte. Doch ähnlich wie bei Macron klingen Macris Kritiker. Sie halten ihn für einen Blender, der von Reformen redet, sie aber noch gar nicht wirklich angepackt hat.

Denn als Macri Ende 2015 nach einem knappen Sieg das Land übernahm, war das „so einfach, wie auf einem Seil über die Wasserfälle von Iguazú zu balancieren und dabei noch ein Steak zu grillen“, so beschreibt der „Economist“ die gewaltige Herausforderung.

Doch innerhalb eines halben Jahres hatte Macri Normalität hergestellt: Er öffnete das Land für den Handel und für Kapital, einigte sich mit den Gläubigern und umwarb die Unternehmer. Da Macri bis heute keine Mehrheit im Kongress hat, muss er die Opposition einbinden. Das große Defizit im Haushalt ließ er deswegen unangetastet. Alles andere sei sozial zu schmerzlich und „politischer Selbstmord“, erklärte er regelmäßig.

Um sich zu finanzieren, nahm Macri Kredit im Ausland auf. Er hoffte, Zeit zu gewinnen. Einerseits, um die hohen Lohnkosten und Steuern zu senken, die komplizierte Bürokratie zu reduzieren und das Arbeitsrecht zu modernisieren. Er setzte darauf, dass die Unternehmer wieder investieren und Jobs schaffen würden.

Die steigenden Steuereinnahmen sollten dann das Defizit ausgleichen. Die Strategie schien aufzugehen: Das Wachstum und die Investitionen haben zugelegt – aber nicht in dem Tempo wie erhofft. Die steigenden Zinsen in den USA haben Macri jetzt einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Doch tatsächlich stockten die Reformen schon länger: Vor allem der Mittelschicht Argentiniens geht die Geduld aus. Sie bezahlt mehr für Energie, Transport und private Bildung. Sie wird nicht, wie die Armen, mit Sozialausgaben unterstützt. Die neuen gut bezahlten Jobs – die entstehen zwar schon, aber nicht genügend.

Die Flucht in den Dollar resultiert aus einem tief sitzenden Misstrauen gegenüber dem Staat. Da hilft auch die erhoffte Stütze durch den IWF nicht viel: 26-mal hat Argentinien in seiner Geschichte bereits ein Abkommen mit dem Fonds ausgehandelt – und fast immer scheitern lassen. Macri wird nun seinen Reformkurs beschleunigen müssen, trotz sicherlich wachsender Proteste. „Er muss nun zeigen, dass er den politischen Preis zahlen will für das Reformprogramm“, sagt Dante Sica, ehemaliger Industrieminister und einer der führenden Wirtschafts- und Politberater Argentiniens.

Macri hat weiterhin gute Chancen, dass ihm das gelingen könnte. Denn Argentinien steht nicht am Abgrund. „Nichts deutet darauf hin, dass Argentinien erneut auf eine Krise zusteuert“, sagt der Ex-Zentralbankchef Redrado. Die Auslandsschulden im Vergleich zum BIP seien klein. Die Banken hätten genügend Liquidität. Die Familien seien kaum verschuldet, und die Preise für Soja, das wichtigste Exportprodukt des Landes, würden steigen.

Im März noch hat Macri in einer Ansprache im Kongress gesagt: „Das Schwerste haben wir hinter uns.“ Nun scheint es umgekehrt: Das Schwerste kommt für Macri erst jetzt.