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Alpentunnel-Chaos bringt Europas Transportwesen durcheinander

(Bloomberg) -- Als ein Erdrutsch westlich von Turin in diesem Sommer einen Alpentunnel zwischen Italien und Frankreich blockierte, wusste Livio Ambrogio sofort, was seine Spedition das kosten würde: Zeit und Geld.

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Die Schließung des knapp 13 Kilometer langen Fréjus-Tunnels bedeutete für sein Logistikunternehmen Ambrogio Trasporti SpA, dass die Fracht über die Schweiz umgeleitet werden musste, was nicht nur lästig war, sondern auch zusätzliche Kosten von rund 10.000 Euro pro Fahrt verursachte.

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“Wenn die Gleise wegen eines Erdrutsches in Frankreich unterbrochen sind, wirkt sich das sofort auf die Straßentransportpreise aus, die in die Höhe gehen”, sagt Ambrogio. “Natürlich akzeptiert kein Kunde so eine Preiserhöhung.”

Der Fréjus-Tunnel ist Teil des Netzes von kritischen Straßen und Tunnels, durch das jedes Jahr mehr als 220 Millionen Tonnen Güter die Alpen überqueren. Doch der Erdrutsch beim Fréjus-Tunnel sowie eine Zugentgleisung in der Schweiz und Transitbeschränkungen auf anderen Strecken haben viele der wichtigen europäischen Handelswege lahmgelegt.

Angesichts nachwirkender pandemiebedingter Lieferkettenprobleme sowie höherer Kosten für Energie, Rohstoffe und Arbeitskräfte ist dies für die Unternehmen eine zusätzliche Belastung. Und das ist das Letzte, was Europa gebrauchen kann, wo das verarbeitende Gewerbe schon länger einen Abschwung durchlebt und die Wirtschaft kaum noch wächst.

Italien ist aufgrund seiner geografischen Lage besonders betroffen, und die Ereignisse dieses Jahres erinnern daran, dass die Transitrouten — Lebensadern, die das hochindustrialisierte Land mit dem Rest Europas verbinden — anfällig sind und in einigen Fällen buchstäblich kollabieren.

“Die Situation ist äußerst ernst und Italien läuft Gefahr, vom Rest Europas abgeschnitten zu werden”, sagt Silvia De Rocchi, Direktorin für regulatorische und institutionelle Angelegenheiten bei Captrain Italia, einer Tochter der staatlichen französischen Eisenbahngesellschaft SNCF. “Die Engpässe führen zu einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit des Logistiksektors und damit der gesamten italienischen Wirtschaft.”

Das 1.200 Kilometer lange Band der Alpen ist ein gewaltiges Hindernis für Verkehr und Handel, das seit Jahrhunderten die logistischen Fähigkeiten zahlreicher Zivilisationen auf die Probe gestellt hat.

Die historischen Überquerungen sind legendär, insbesondere der Zug Hannibals mit seinen Elefanten während des Zweiten Punischen Krieges zwischen Karthago und dem Römischen Reich. Im Jahre 1800 führte Napoleon im Rahmen seines Feldzuges gegen die Österreicher eine Armee über den St. Bernhard-Pass.

Via Frankreich, die Schweiz und Österreich ist Italien heute über ein Netz von 15 Tunneln und Straßen mit dem Rest Europas und dem 14,5 Billionen Euro schweren europäischen Binnenmarkt verbunden. Und obwohl moderne technische Errungenschaften wie der Gotthard-Basistunnel in der Schweiz die Länge der Fahrten drastisch verkürzt haben, geht nicht immer alles glatt.

Der 2016 eröffnete Gotthardtunnel geriet diesen Sommer in die Schlagzeilen, als im August ein mit Wein, Limonade und anderen Waren für Nordeuropa beladener Güterzug entgleiste und im längsten und tiefsten Tunnel der Welt — mit bis zu 2.300 Meter Fels über den Röhren — schwere Schäden verursachte.

Durch den Unfall musste eine der beiden Eisenbahnröhren, die zusammen 10% des gesamten alpenquerenden Güterverkehrs abwickeln, auf unbestimmte Zeit geschlossen werden. Sie wird erst im nächsten Jahr wieder normal befahrbar sein.

Einige Spediteure, wie die italienische Contship Group, haben einen Teil ihrer Güter auf Alternativrouten wie den Simplonpass verlagert, der ebenfalls die Schweiz mit Italien verbindet. Die Hupac Intermodal SA mit Sitz in Chiasso gehört zu jenen, die am Gotthard festhalten und täglich rund 100 Züge einspurig durch die unbeschädigte Röhre fahren lassen. Damit verfügt Hupac über 90%-95% der üblichen Kapazität.

“Aus betrieblicher Sicht ist es sehr komplex und fragil, aber die Kapazität ist vorhanden und wir sind vorläufig noch in Betrieb”, sagt Hupac-Sprecherin Irmtraut Tonndorf.

Erdrutsch

Zwei Wochen nach dem Zwischenfall am Gotthard blockierte ein Erdrutsch in Ostfrankreich den Straßen- und Schienenverkehr durch den Fréjus-Tunnel, durch den 6% des gesamten alpenquerenden Güterverkehrs rollen.

Der Fréjus-Straßentunnel ist wieder geöffnet, aber die Bahnstrecke bleibt gesperrt. Angesichts einer befürchteten Verkehrsüberlastung haben sich Frankreich und Italien darauf geeinigt, umfangreiche Arbeiten am Mont-Blanc-Tunnel zu verschieben, die eine mehr als dreimonatige Sperrung der Strecke zur Folge gehabt hätten. Die 58 Jahre alte Unterführung, die die Skigebiete von Courmayeur und Chamonix verbindet, wird allerdings wegen anderer Wartungsarbeiten für etwa sieben Wochen geschlossen bleiben.

In der Schweiz kam es in diesem Monat zu weiteren transalpinen Störungen. So musste der Gotthard-Straßentunnel vorübergehend für fünf Tage gesperrt werden, nachdem Betonbrocken von der Decke gefallen waren. Ironischerweise könnten Aushubarbeiten für eine zweite Röhre in der Nähe die Ursache gewesen sein. Die Arbeiten wurden eingestellt, während die Behörden den Vorfall untersuchen.

Politische Spannungen

Diese Kette von unerwarteten Ereignissen zeigt die Fragilität des alpinen Verkehrsnetzes und kommt zu den langanhaltenden politischen Spannungen hinzu, die einige Strecken betreffen.

In den Ostalpen kommt es am Brennerpass immer wieder zu Staus und Behinderungen, weil sich Österreich und Italien nicht einig sind, wie der Lkw-Verkehr beschränkt und die CO2-Emissionen reduziert werden können. In den letzten Jahren sind die Warteschlangen von Lastern auf der vierspurigen Strecke auf bis zu 70 Kilometer angewachsen.

Der Streit entbrannte im österreichischen Bundesland Tirol, durch das jedes Jahr rund 14 Millionen Lkw und Pkw fahren.

Die Lösung — ein 10,5 Milliarden Euro teurer Eisenbahntunnel — ist bereits im Bau, wird aber selbst bei optimistischer Schätzung und wenn große Verzögerungen ausbleiben nicht vor 2032 fertiggestellt. In der Zwischenzeit lastet auf den Anwohnern entlang der 30 Kilometer langen Strecke weiterhin die Begleiterscheinungen von fast einem Viertel des gesamten alpenquerenden Güterverkehrs.

Mit der Eskalation des Streits zwischen Tirol und Italien hat sich auch die Rhetorik verschärft. Der italienische Verkehrsminister Matteo Salvini sagte diesen Monat, dass Österreichs Verkehrsbeschränkungen gegen die Regeln der Europäischen Union verstoßen und einen “eklatanten Missbrauch darstellen, der behoben werden muss”.

Österreich hat seine Maßnahmen verteidigt und sich dabei unter anderem auf Umweltschäden berufen.

“Warum gibt diese Notmaßnahmen in Tirol? Weil die Menschen vor Ort unter Lärm, unter Stau, unter der Luftqualität leiden”, sagte die Wiener Energieministerin Leonore Gewessler dem Sender Puls24. “Auf diesem Pass, auf dem Brenner, gehen Jahr für Jahr mehr LKW durch als auf allen anderen Alpenquerungen zusammen. Dort rollt der Verkehr und es ist eine Belastung für die Menschen.”

Unterdessen machen sich die Unternehmen Sorgen darüber, wie sie ihre Produkte transportieren, ihre Kunden beliefern und die Arbeitsplätze ihrer Mitarbeiter erhalten können. Im meerumspülten und von den Alpen eingeschlossenen Italien sind die Sorgen besonders groß.

“Europa ist unser Leben”, sagt Ambrogio. “Unsere Kunden sind in Europa.”

Überschrift des Artikels im Original:Alpine Tunnel Chaos Puts Crucial European Network Under Strain

--Mit Hilfe von Marton Eder, Alberto Brambilla und Demetrios Pogkas.

©2023 Bloomberg L.P.