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Wenn ein einziger Infizierter die gesamte Produktion bedroht

Die Produktion läuft wieder an – für die Firmen unter hohem Aufwand und mit Risiken. Trotz Abstandsregeln und Mundschutzpflicht ist der neue Alltag der Fabriken fragil.

Die Auflagen für die Betriebe, die ihre Produktion wieder aufnehmen, sind streng. Foto: dpa
Die Auflagen für die Betriebe, die ihre Produktion wieder aufnehmen, sind streng. Foto: dpa

Bei Thyssen-Krupp Steel Europe in Duisburg herrscht trotz Coronakrise und Kurzarbeit reger Betrieb. Transporter und Torpedowagen fahren über das neun Quadratkilometer große Gelände, aus dem Hochofen und der Kokerei steigen dichte Rauchwolken in den Himmel. Die Stahlproduktion läuft – auch wenn die Nachfrage in den vergangenen Wochen dramatisch eingebrochen ist.

Der Ruhrkonzern gehört zu den Industrieunternehmen, die weiterproduziert haben, als die deutschen Autohersteller als eine der ersten Branchen vor einigen Wochen ihre Fabriktore schlossen. Denn ein Hochofen lässt sich nicht einfach abschalten, wie Markus Wischermann, Leiter der Betriebseinheit Roheisen bei Thyssen-Krupp Steel, erklärt. Eine Herausnahme für längere Zeit erfordert einige Wochen der Vorbereitung, vor allem um den wirtschaftlichen Schaden gering zu halten.

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Corona stellt den Stahlkocher deshalb vor große Herausforderungen. „Wir mussten uns schon früh damit auseinandersetzen, wie wir trotz der erhöhten Infektionsgefahr durch die Corona-Pandemie unseren Betrieb aufrechterhalten können“, erzählt der Manager mit Blick auf die ersten Wochen nach dem Ausbruch des Virus in Europa. „Mittlerweile haben wir uns eingespielt und unsere Mitarbeiter mit Handreichungen und Schutzausrüstung versorgt.“

Einige der Schutzmaßnahmen sind auf den ersten Blick sichtbar. So hängt an Tor 1, sozusagen dem Aushängeschild des Betriebs, seit Wochen ein großes rotes Plakat an einem Bauzaun, das auf die Schließung der Zufahrt hinweist. „Geschlossen gegen Corona“ prangt darauf – ebenso wie ein Lageplan, der die geöffneten Zufahrtsstraßen auf das Gelände markiert.

Anlieferungen erfolgen seit der Schließung des Tors an einem anderen Werkstor kontaktlos. Wie an einer Zollstation fahren die Lkws hier durch eine Schranke. Die Fahrer weisen ihre Identität und die Ladung per Smartphone aus. Mehr als 2000 Lastwagen passieren das Tor an einem normalen Tag. Eingerichtet wurde das System schon vor Corona, um die Abwicklung der Logistik zu vereinfachen – davon kann der Stahlhersteller nun profitieren.

Abstand oder Schutzwände

So wie Thyssen-Krupp vor einigen Wochen stehen nun auch viele andere Industriebetriebe vor der Frage, wie sie trotz einer globalen Pandemie zum Alltag zurückkehren können. In einigen Fällen, wie beim Autohersteller Volkswagen oder dem Maschinenbauer DMG Mori, waren die Fabriken für mehrere Wochen geschlossen. Nach den Schließungen grassiert das Virus zwar immer noch – doch die Unternehmen haben nun Vorkehrungen getroffen, um ihre Mitarbeiter am Arbeitsplatz zu schützen.

Für die Belegschaft bedeutet das häufig: Zu den bisherigen Arbeitsschutzmaßnahmen kommen nun auch zunehmend Regeln für den Gesundheitsschutz hinzu. Bei Thyssen-Krupp Steel in Duisburg wurden die von einem Krisenstab ausgearbeitet, der sich dafür an den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) orientiert.

Dazu gehört zum Beispiel, dass die Mitarbeiter mindestens 1,5 Meter Abstand zu anderen Personen halten sollen, um die Wahrscheinlichkeit einer Infektion möglichst gering zu halten. Geht das nicht, müssen Schutzmasken getragen oder Trennwände installiert werden.

Doch was sich im Steuerstand eines Hochofens wegen der vergleichsweise geringen Mitarbeiterzahl und der ohnehin großen Abstände leicht realisieren lässt, stellt viele andere Branchen vor Probleme. Denn die eng getaktete Arbeit am Fließband, die etwa für viele Automobilhersteller typisch ist, verträgt sich schlecht mit dem Gebot der Distanzwahrung.

Um dennoch produzieren zu können, setzen die betroffenen Firmen auf Prävention. Schichten werden entzerrt, die Gemeinschaftsräume regelmäßig desinfiziert. Eine wichtige Rolle spielt der persönliche Schutz: Mundschutzmasken, Gesichtsvisiere und Desinfektionsmittel gehören mittlerweile zur Standardausrüstung wie Sicherheitsstiefel und Arbeitshandschuhe – wenn man sie denn gerade irgendwo kaufen kann.

„Gerade zu Beginn der Pandemie gab es in Europa große Engpässe bei der Lieferung von Mund- und Nasenschutz“, erklärt Martina Vosteen, Leiterin des globalen Bereichs Produktsicherheit und -verantwortung bei der Ingenieur- und Managementberatung Ramboll. Hierzulande habe sich die Lage zwar wieder normalisiert. „Doch in den USA und Spanien beispielsweise bleibt die Versorgung angespannt. Das trifft auch deutsche Firmen, die in diesen Ländern produzieren, und kann den Hochlauf verzögern.“

Vosteen berät unter anderem Industriefirmen dabei, wie sie Produktion und Lieferketten wieder anfahren können, ohne dabei die Mitarbeiter einer unnötigen Gefahr auszusetzen. Bei Ramboll arbeiten auch Virologen und Epidemiologen, die versuchen, produktionsrelevante Fragen für die Unternehmen wissenschaftlich zu klären.

Welches Infektionsrisiko birgt die betriebliche Klimaanlage? Und wie lange bleibt das Virus auf bestimmten Oberflächen ansteckend, etwa wenn Werkstücke von einer Arbeitsstation zur nächsten wandern? „Auf viele dieser Fragen kann die Forschung im Moment nur nach firmenspezifischen Tests eine genaue Antwort geben“, fasst die Beraterin zusammen.

Die produzierenden Firmen stellt das vor ein Problem. Denn wenn ein Mitarbeiter einmal infiziert zur Arbeit kommt, ist schlimmstenfalls die gesamte Produktion bedroht. Etwa, wenn eine gesamte Schicht nach einem Infektionsfall vorsorglich in Quarantäne geschickt werden muss, bis nachgewiesen ist, welche der Kontaktpersonen im Betrieb sich möglicherweise ebenfalls angesteckt haben.

Einen solchen Fall erlebte beispielsweise der Bielefelder Maschinenbauer DMG Mori vor einigen Wochen. Nachdem ein Mitarbeiter am Standort im bayerischen Pfronten Ende Februar an Covid-19 erkrankt war, musste der Konzern das komplette Werk für mehrere Tage schließen. Ähnlich ging es dem bayerischen Autozulieferer Webasto, der im Januar als erstes deutsches Unternehmen von einem internen Corona-Fall berichtet hatte. Hier war sogar die Zentrale von der Schließung betroffen.

Um solche Produktionsunterbrechungen künftig zu vermeiden, versuchen die Unternehmen, den Kontakt zwischen den Mitarbeitern weitgehend zu minimieren. So hat beispielsweise der Aluminiumhersteller Hydro in Deutschland Richtlinien für die Begrüßung und die Begegnung mit anderen Personen festgelegt und bis auf Weiteres alle internen Veranstaltungen abgesagt.

Wie Thyssen-Krupp hielt auch Hydro seine Produktion in den vergangenen Wochen weitgehend aufrecht. Die Nachfrage aus der Autoindustrie brach zwar jäh ein, dafür zog der Verbrauch von Verpackungsmaterial für Lebensmittel und Pharmaprodukte an. Die Schichten hat der Konzern entzerrt. So haben die Mitarbeiter möglichst wenig direkten Kontakt zueinander. Wer sich infiziert hat, wird so im Idealfall niemanden anstecken.

„Unser oberstes Ziel ist die Gesundheit und Sicherheit aller unserer Mitarbeiter“, sagt Volker Backs, Geschäftsführer bei Hydro Deutschland. „Deshalb haben wir eine Vielzahl von Maßnahmen getroffen, um dies zu gewährleisten und damit auch unsere Produktion aufrechtzuerhalten.“

Infektionsherd Kantine

Dazu gehört auch die Schließung der Kantine. Für die Mitarbeiter gibt es nun stattdessen einen Verkaufsstand, der Gerichte zum Mitnehmen anbietet. Denn Kantinen zählen wie Großraumbüros zu den Orten, an denen sich die Belegschaft über eine längere Zeit in einem geschlossenen Raum gemeinsam aufhält. Das erhöht das Infektionsrisiko – ähnlich wie in der klassischen Gastronomie, die deswegen in den vergangenen Wochen auf Anordnung der Behörden deutschlandweit geschlossen war.

Wie die Betriebe nun langsam auch wieder zur kulinarischen Normalität zurückkehren können, zeigt der Anlagenbauer Gea: In der Düsseldorfer Zentrale des Unternehmens sind die Abstände in der Schlange vor der Essensausgabe mit Klebeband markiert. Auf einzelnen Tischen liegen Zettel, die auf das Distanzgebot hinweisen. Die Bestuhlung wurde neu angeordnet, um die Abstände zwischen den Sitzplätzen zu vergrößern.

Auch die Produktion selbst hat der Konzern an die neue Situation angepasst. „Wo es nötig war, haben wir den Abstand der Montagearbeitsplätze auf die empfohlenen 1,5 Meter erhöht“, berichtet Gea-Vorstandschef Stefan Klebert. „Zudem haben wir die Hygienestandards verschärft, wo machbar Temperaturmessungen durchgeführt, und wir halten Desinfektionsmittel und Mund-Nasen-Schutz für die Mitarbeiter bereit.“

Negative Auswirkungen auf die Produktivität erwartet Klebert weniger durch die Infektionsschutzmaßnahmen in den Fabriken als viel mehr durch die erschwerten Arbeitsbedingungen vieler Mitarbeiter, die in den vergangenen Wochen vom Büroarbeitsplatz ins Homeoffice versetzt wurden.

„Die Vorstellung, dass man die Hälfte der Mitarbeiter nach Hause schicken kann, ohne dass die Produktivität auch nur etwas leidet, ist sicher illusorisch“, so der Gea-Chef. Hinzu komme, dass die Schulen und Kindergärten zu sind und viele Mitarbeiter deshalb zu Hause unter erschwerten Bedingungen arbeiten müssen. Andererseits gebe es sogar Bereiche, die seit dem Ausbruch der Pandemie effizienter arbeiten – „etwa weil Reisen wegfallen oder durch Videokonferenzen ersetzt werden, was Zeit spart“.

Auch Beraterin Vosteen von Ramboll erwartet, dass die Produktivitätseinbußen durch die Corona-Maßnahmen für die meisten Firmen verkraftbar sein werden. „Einige Unternehmen können Produktivitätseinbußen sicher dadurch auffangen, dass die Nachfrage derzeit ohnehin auf einem niedrigeren Niveau ist“, erklärt die Expertin. „Wer weiter unter Volllast produzieren will, wird aber sicher auf Schwierigkeiten stoßen, wenn er nun etwa Schichten trennen und den Abstand zwischen Arbeitsplätzen vergrößern muss.“

Ein Problem, das die meisten Unternehmen noch vor sich haben dürften. Denn auch, wenn die Wirtschaft und der Alltag nach teilweise wochenlangen Schließungen nun langsam wieder anlaufen, rechnet kaum ein Manager damit, dass die Pandemie damit vorüber ist. „Ich glaube nicht, dass uns zeitnah ein entsprechendes Medikament zur Verfügung steht“, so Gea-Chef Stefan Klebert.

Bis dahin gehören Masken, Desinfektionsmittel und Abstandsmarkierungen nicht nur im Supermarkt, sondern auch in den Fabriken zur neuen Realität.