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„Unser Überleben steht auf dem Spiel“: Airbus kämpft gegen existenzielle Krise

Am Donnerstag beginnen die Gespräche über den Abbau von bis zu 5.100 Jobs in Deutschland. Gesucht wird auch ein Konzept für die Zeit nach Corona. Die Lage ist dramatisch.

Das Werk in Finkenwerder hat eine moderne Linie für den Bau von A320-Flugzeugen. Foto: dpa
Das Werk in Finkenwerder hat eine moderne Linie für den Bau von A320-Flugzeugen. Foto: dpa

Für die Beschäftigten des Flugzeugbauers Airbus wird es an diesem Donnerstag ernst. In Hamburg kommen am Morgen die IG Metall und das Airbus-Management zusammen. Auf der Tagesordnung steht der Abbau von 5100 Jobs in den deutschen Werken, hinzu kommen rund 2000 Leiharbeiter sowie 900 Beschäftigte bei dem Zulieferkonzern Premium Aerotec.

Auch in Frankreich und Spanien stehen massive Einschnitte bevor – insgesamt geht es um 15.000 Jobs in Europa. Das sind rund elf Prozent aller Stellen und wäre der größte Arbeitsplatzabbau in der Geschichte von Airbus.

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Die Stimmung ist angespannt: Anders als bei Verkündung des Sparprogramms Anfang Juli spricht Airbus-Chef Guillaume Faury mittlerweile von einer „existenziellen Krise“.

„Unser Überleben als Unternehmen steht potenziell auf dem Spiel, wenn wir nicht die richtigen Maßnahmen ergreifen. Wir ergreifen sie“, sagte Faury zu Beginn der Woche in einem Radiointerview. Betriebsbedingte Kündigungen will er deshalb nicht mehr ausschließen.

Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste, hält dagegen: „In der Krise sind alle gemeinsam gefordert. Geschäftsführung, Betriebsrat und IG Metall müssen den Knoten durchschlagen und in den Verhandlungen eine Lösung finden, wie Beschäftigung und Standorte gesichert werden“, sagte er im Vorfeld der Gespräche.

Gemeinsam mit Konzernbetriebsratschef Holger Junge will er erreichen, dass 2021 nicht betriebsbedingt gekündigt wird und die Beschäftigten in Kurzarbeit bleiben. Ab 2022 wollen die Arbeitnehmer eine Viertagewoche anbieten analog zu den Überlegungen in der Autoindustrie. „Wir wollen liefern können, wenn der Markt wieder anzieht“, sagt Junge.

Coronaschock mitten in der Expansion

Die Lage ist dramatisch: Der Coronaschock traf das Unternehmen mitten in der Expansion. Zehn Jahre lang hat Airbus die Kapazitäten immer weiter hochgefahren. Auch die Zulieferer, viele davon Mittelständler, haben ihre Kapazitäten ausgebaut – oft am Limit der eigenen Fähigkeiten. Anfang des Jahres diskutierte Airbus mit den Arbeitnehmern noch darüber, die Produktion des hauptsächlich in Hamburg gebauten Bestsellers A320 von 63 auf 80 Maschinen pro Monat hochzufahren.

Doch während in der Autoindustrie die Nachfrage wieder anzieht, verdüstern sich die Aussichten in der Luftfahrt immer mehr. Die jüngsten Planungen gehen nur noch von 40 Flugzeugen des Musters A320 pro Monat aus. Die Produktion der Langstreckenmaschinen A350 und A330 in Toulouse soll ebenfalls auf die Hälfte heruntergefahren werden.

„Die aktuell abgesenkten Fertigungsraten der Hersteller sind immer noch deutlich zu hoch“, sagte kürzlich ein hochrangiger Airline-Manager: „Das weiß man bei Airbus übrigens auch sehr genau.“ Mittlerweile parkt Airbus fertige Flieger nicht nur auf dem eigenen Gelände in Hamburg, sondern auch auf den Flughäfen in Braunschweig und Rostock.

Erst Anfang der Woche hat der Lufthansa-Konzern seine Prognosen zurückgenommen und die Stilllegung von 150 statt wie bisher geplant 100 Maschinen beschlossen. Die Konkurrenten in Asien und den USA schrumpfen ebenfalls ihre Flotten. Die Airlines nehmen nicht nur weniger neue Maschinen ab, sie fluten den Markt auch mit gebrauchten Fliegern. Die britische Luftfahrtberatungsfirma IBA prognostizierte dieser Tage, dass im kommenden Jahr bis zu 1000 Jets an die Leasingfirmen zurückgegeben werden könnten.

Mangel an Finanzierungsmöglichkeiten bei Airbus-Kunden

Anders als bislang erhofft, werde sich der Luftverkehr nicht schon 2024 oder 2025 erholen, sondern erst 2028, rechnet der Fachinformationsdienst Leeham News vor. Die 2020er-Jahre könnten damit eine verlorene Dekade für die Flugzeughersteller und ihre Zulieferer sein, warnen Judson Rollins, Bjorn Fehrm und Scott Hamilton in einer in dieser Woche vorgestellten Analyse.

Zwar dürfte sich der Privatreiseverkehr wahrscheinlich schneller erholen als die Nachfrage von Geschäftsreisenden. Doch für die Erholung der Nachfrage braucht man kaum neue Flieger, dafür reichen die nicht genutzten Kapazitäten.

Hinzu kommt ein Mangel an Finanzierungsmöglichkeiten. Das gilt insbesondere für die besten Kunden der Flugzeughersteller: Billigflieger und staatlich subventionierte Golf-Airlines. Beide Kundengruppen werden sich vorerst in Zurückhaltung üben und die Abnahme selbst fest bestellter Maschinen schieben oder stornieren, prophezeien Marktexperten.

„Angesichts der Ankündigung, dass ein Stellenabbau wohl nicht mehr zu vermeiden ist, geht jetzt an den Standorten verständlicherweise die Panik um. Jeder versucht nun, möglichst viel für seine Fertigung herauszuholen“, sagt Luftfahrtexperte Michael Santo von der auf Luftfahrt spezialisierten Beratung H & Z.

Er glaubt, dass Airbus seine Produktion neu strukturieren wird: „Airbus wird die Fertigung der A320 nach meiner Einschätzung auf die modernen und effizientesten Linien verteilen. Hamburg hat eine solche gerade erst aufgebaut, aber gleichzeitig auch drei ältere Linien. Für Hamburg würde das eine Schwächung bedeuten.“

Airbus-Beschäftigte haben sich eng abgestimmt

Die Airbus-Beschäftigten in Deutschland und Frankreich wollen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Deutsche und französische Gewerkschaften haben sich in den vergangenen Tagen eng abgestimmt. „Wir haben völliges Einvernehmen“, sagt Dominique Delbouis dem Handelsblatt. Er ist Koordinator von „Force ouvrière“, der größten französischen Airbus-Gewerkschaft. „Das Management muss die wirtschaftliche, soziale und politische Dimension der Krise behandeln“, fordert Delbouis.

Mit „politisch“ meint er die unterschiedliche Betroffenheit der Standorte. Wegen des überaus drastischen Nachfrageeinbruchs bei den Langstreckenflugzeugen sei Toulouse, wo die A330 und die A350 endmontiert werden, besonders betroffen.

Klar ist: Die Bedrohung für die europäischen Airbus-Standorte erwächst in Fernost. Neben den Endmontagen in Hamburg und Toulouse baut Airbus die A320 seit 2012 in bislang geringen Stückzahlen auch in Tianjin.

China ist der größte Absatzmarkt für die A320. „Wir fürchten, dass Entwicklung und Produktion nach der Krise nicht in Europa, sondern in China hochgefahren werden“, sagt IG-Metall-Funktionär Daniel Friedrich dem Handelsblatt.

Das wäre fatal für den Standort Hamburg, wenn mit dem „New Single Aisle“ (NSA) in den kommenden Jahren ein Nachfolger für die A320-Familie konzipiert wird. Wann die Entwicklung einer solchen Maschine beginnt, hängt vor allem vom Verhalten des größten Konkurrenten ab. Schon vor der Coronakrise geriet Boeing mit seiner 737 nach zwei Abstürzen massiv unter Druck und liebäugelt seitdem mit einer kompletten Neuentwicklung.

Airbus will Staatshilfe vermeiden

Verschiebt Boeing aber den 737-Nachfolger erneut, wäre das für Airbus und den Standort Hamburg ein Vorteil. Die A320 bliebe das stärkere Flugzeug im Markt. Hinzu kommt die neue gestreckte Version A321 XLR mit der Fähigkeit, bis zu 250 Passagiere auch auf Atlantikrouten fliegen zu können – eine gute Option für Fluggesellschaften, die gerade ihre Jumboflotten mangels Nachfrage ausmustern.

Sosehr die Arbeitnehmer um ihre Standorte kämpfen, in Toulouse spielen auch übergeordnete Interessen eine große Rolle. Das Airbus-Management um Faury fürchtet um die eigene Unabhängigkeit und setzt deswegen auf einen harten Kurs. „Airbus will auf jeden Fall eine Kapitalerhöhung vermeiden“, heißt es im Konzern. Die wäre nur über die Kernstaaten Deutschland und Frankreich möglich, die zwar derzeit zusammen mit 25 Prozent beteiligt sind, aber bislang keinen direkten Einfluss auf das Unternehmen ausüben.

Das könnte sich schnell ändern, wenn staatliche Milliarden an Eigenkapital nötig werden, um Airbus und seine Standorte zu retten. Das Zurückdrängen staatlicher Einflussnahme ist aber oberste Maxime des Airbus-Managements seit den 90er-Jahren. Dabei soll es bleiben.