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Produktionsstart nach der Zwangspause: So will VW die Coronakrise bewältigen

Volkswagen will zurück zur Normalität. Im Stammwerk in Wolfsburg laufen die Bänder wieder an. Der Konzern hofft auf eine Kaufprämie, damit auch die Nachfrage wieder anzieht.

Herbert Diess mit Mund- und Nasenschutz. Foto: dpa
Herbert Diess mit Mund- und Nasenschutz. Foto: dpa

Der Mann am Band kämpft mit der ungewohnten Maske im Gesicht. Die Arbeit ist schwieriger geworden, weil die Brille immer wieder beschlägt und zielgerichtete Aktionen behindert. Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess weiß Rat. Der VW-Mitarbeiter aus der Wolfsburger Golf-Fertigung in Halle 54 solle sich die Brille am besten mit Zahnpasta putzten, damit sie völlig fettfrei werde. Dann beschlage sie auch nicht so schnell, erklärt der Vorstandschef.

Der erste Arbeitstag nach mehr als einem Monat Zwangspause ist nicht ganz einfach. Der Spender mit Desinfektionsmittel am Werkstor Sandkamp funktioniert auch nicht sofort. Ein Reparaturteam muss kommen. Zwei Stunden später arbeitet der Spender mit dem in Corona-Zeiten so wichtigen Desinfektionsmittel dann doch.

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In einem vorsichtigen ersten Schritt hat Volkswagen am Montag im Wolfsburger Stammwerk wieder mit der Fahrzeugproduktion begonnen. Zunächst geht die Produktion im Ein-Schicht-Betrieb los. Außerdem wird anfangs nur der Golf gefertigt. Im weiteren Verlauf der Woche kommen Tiguan und Touran dazu. Volkswagen sieht in dem Produktionsstart ein wichtiges Zeichen nicht nur für die Automobilindustrie, sondern die gesamte deutsche Wirtschaft.

Zum Werksanlauf am frühen Montagmorgen hatte sich auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) angemeldet. Für den Politiker ist es ein bedeutender Tag, wenn das wichtigste Unternehmen seines Bundeslandes wieder die Arbeit aufnimmt. Schätzungsweise 100.000 Menschen arbeiten allein in Niedersachsen für den Wolfsburger Konzern, das Land selbst ist mit rund 12 Prozent am Konzern beteiligt.

„Wir sind gut vorbereitet“, sagte Konzernchef Diess in Halle 54. Hinter ihm bewegen sich halbfertige Golf-Modelle ganz langsam über die Produktionsstraße. Arbeiter montieren Kabel und andere Leitungen in den bereits lackierten Karossen. Am ersten Arbeitstag nach der Corona-Zwangspause sei jedermann bei Volkswagen gut motiviert.

„Auch die Mitarbeiter freuen sich, dass sie wieder ins Werk kommen können“, so Diess weiter. Gefahren durch eine Corona-Infektion müsse niemand fürchten: „Unsere Beschäftigten sind hier mindestens so sicher wie zu Hause.“ Überall wird auf Abstand geachtet. Wo es zu eng wird, besteht Maskenpflicht.

Zu Anfang werden die Produktionszahlen in Wolfsburg noch vergleichsweise klein sein. Unter normalen Umständen können in der größten Automobilfabrik der Welt etwa 3000 Autos am Tag gefertigt werden. Doch in dieser ersten Woche werden es nur etwa 10 bis 15 Prozent der üblichen Stückzahlen sein. Die Mitarbeiter sollen sich erst daran gewöhnen, wie in Corona-Zeiten unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen am Band gearbeitet wird.

Nach und nach sollen die Fertigungszahlen dann wieder aufgestockt werden. Volkswagen hofft darauf, dass etwa in drei Wochen alles wieder vergleichsweise normal laufen wird. „Das ist das übliche Muster für die gesamte Automobilindustrie“, erläutert Chris McNally, Automobilanalyst beim Investmenthaus Evercore ISI. Vorausgesetzt, es komme nicht zu neuen Corona-bedingten Rückschlägen.

Die Produktion wieder langsam hochzufahren, ist die eine Sache. Doch am Ende der Kette muss es auch wieder jemanden geben, der die Autos tatsächlich kauft. Daran hakt es derzeit gewaltig. Erst vor einer Woche haben die Autohändler in Deutschland ihre Betriebe wieder eröffnen dürfen. Die Nachfrage sei noch extrem verhalten, heißt es dazu bei Volkswagen. Wer Angst um seinen Arbeitsplatz habe, zögere beim Kauf eines neuen Autos.

Deshalb steht für Konzernchef Diess fest, dass die Autobranche eine Unterstützung durch den Staat zwingend braucht, um die Nachfrage nach neuen Pkw wieder anzukurbeln. „Wir würden uns freuen, wenn die Politik für Konsumanreize sorgen würde“, betonte der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen. „So bald wie möglich“ wünscht er sich Anreize, „um eine Stagnation zu verhindern“.

Deutschland sei ein Autoland, wo 10 bis 15 Prozent aller Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Fahrzeugbranche abhingen. 800.000 Menschen arbeiten unmittelbar bei Autoherstellern und Zulieferern, eine weitere Million mittelbar bei Spediteuren und anderen Dienstleistern. Wenn die Nachfrage nach Autos wieder anspringe, „dann kommt die gesamte Wirtschaft wieder in Gang“, so Diess. „In der Politik wird eine Prämie breit diskutiert“, sagte er dem Handelsblatt.

Zumindest bei einem Politiker fand der Volkswagen-Chef damit schon einmal Gehör: bei seinem Gast Stephan Weil. „Allen ist klar, dass wir eine schnelle Entscheidung brauchen“, sagte der niedersächsische Ministerpräsident. Am Mittwoch werde er mit seinen Kollegen aus den Autoländern Bayern und Baden-Württemberg über das weitere Vorgehen beraten. Es gehe nicht darum, mit einem Förderprogramm speziell nur Volkswagen zu helfen. Auch viele kleine und mittelständische Zulieferer würden davon profitieren.

In der ersten Phase der Coronakrise hat der Staat nach den Worten Weils vor allem Programme zur kurzfristigen Nothilfe aufgelegt. Jetzt beginne eine zweite Phase, in der die Wirtschaft wieder angekurbelt werden müsste – etwa mit einer Kaufprämie für neue Autos, die es vor gut zehn Jahren schon einmal in der Zeit der Finanzkrise gegeben hatte.

Ein neues Förderprogramm müsse auch eine Umweltkomponente enthalten, darin sind sich Volkswagen und das Land Niedersachsen einig. „Es liegt nahe, beides miteinander zu verbinden – die Förderung der Wirtschaft und den Schutz der Umwelt“, betonte Stephan Weil.

Weil die Autohändler über Wochen geschlossen hatten, ruhte auch das Gebrauchtwagengeschäft in dieser Zeit fast komplett. Auch für diese Autos müssen in den nächsten Wochen wieder Käufer gefunden werden. Volkswagen will jetzt selbst dafür sorgen, dass der Gebrauchtwagenmarkt nicht noch mit weiteren Fahrzeugen überschwemmt wird.

VW-Mitarbeiter müssen ihre persönlichen Dienstwagen statt der üblichen sechs bis acht Monate jetzt etwa doppelt so lange behalten und fahren. In Deutschland macht dieser VW-interne Fuhrpark etwa 30.000 Fahrzeuge aus, die den Markt für Gebrauchte nach der Entscheidung von Volkswagen nun nicht zusätzlich belasten können.

Grundsätzlich trägt auch der mächtige Betriebsrat von Volkswagen alle Entscheidungen des Konzerns mit, die Produktion in Wolfsburg wieder anlaufen zu lassen. „Wir alle zusammen fahren ab heute unser ganzes Unternehmen wieder hoch und stellen uns den Herausforderungen“, sagte Betriebsratschef Bernd Osterloh.

Schichtumstellung wird zum Streitpunkt

Doch im Vorfeld hatte es hinter den Kulissen sehr wohl die eine oder andere Unstimmigkeit gegeben. Das Management wollte an den Werkstoren automatische Scanner zum Messen der Körpertemperatur aufstellen lassen – wie das Volkswagen auch in seinen Werken in China macht. Doch der Betriebsrat lehnte ab und setzte sich damit auch durch. „Aus Gründen des Datenschutzes“, so Osterlohs Stellvertreterin Daniela Cavallo. VW-Mitarbeiter sollen die Körpertemperatur jetzt vor Schichtbeginn zu Hause selbst messen.

Auch beim Thema Homeoffice waren sich Unternehmen und Arbeiter nicht einig. Zum Wiederanlauf der Produktion wollte das Management durchsetzen, dass mindestens 50 Prozent aller Beschäftigten aus den Verwaltungsbereichen wieder regulär an ihren Schreibtischen im Büro sitzen. Daraus ist zunächst nichts geworden: Jetzt wird bei Volkswagen allein nach Dringlichkeit entschieden. Um die Infektionsrisiken möglichst klein zu halten, darf weiterhin grundsätzlich von zu Hause aus gearbeitet werden.

Das größte Konfliktpotenzial hatte allerdings eine mögliche Umstellung des Schichtmodells in Wolfsburg. Grundsätzlich wird im Stammwerk von Volkswagen in drei Schichten produziert. Im Unternehmen gab es die Überlegung, auf ein Zwei-Schicht-Modell umzusteigen.

Für die Mitarbeiter hätte das etwa den Verlust der lukrativen Nachtschicht-Zuschläge bedeutet. „Das ist jetzt kein Thema mehr“, betonte Daniela Cavallo. Der Betriebsrat hatte die Überlegungen zur Umstellung des Schichtmodells verworfen, es bleibt bei drei Schichten.

Eine dauerhafte Garantie für den Drei-Schicht-Betrieb dürfte das allerdings nicht sein. Damit wieder wie gewohnt mehr als 700.000 Autos pro Jahr in Wolfsburg produziert werden können, muss auch die Nachfrage zurückkehren. Das gilt gleichermaßen für die anderen deutschen Werke von Volkswagen in Hannover und Emden, wo die Produktion am Montag ebenfalls wieder angelaufen ist.

Doch vielleicht geht die Rechnung auf. „Mit dem Wiederbeginn der Fertigung machen wir immerhin anderen Mut, dass es wieder aufwärts geh“, sagte VW-Markenchef Ralf Brandstätter, „schrittweise kehren wir zu stabilen Verhältnissen zurück.“

Stephan Weil bei einer Kaffeepause. Foto: dpa
Stephan Weil bei einer Kaffeepause. Foto: dpa