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Im Wettlauf gegen Hämophilie liefern sich die Pharmakonzerne einen harten Konkurrenzkampf

Auf den ersten Blick haben die beiden Ereignisse wenig miteinander zu tun: Anfang Dezember verkündete Bayer-Chef Werner Baumann, dass man eine nagelneue Biotechfabrik in Wuppertal mangels Absatzchancen für die Bluter-Medikamente, die man dort produzieren wollte, wieder stilllegt. Zwei Monate später kauft der Baseler Roche-Konzern die US-Biotechfirma Spark für mehr als vier Milliarden Dollar.

Tatsächlich sind die Aktionen miteinander vernetzt. Beides sind Reaktionen auf den rapiden Wandel im Geschäft mit Medikamenten gegen die Bluterkrankheit Hämophilie – eine Entwicklung, die in mancher Hinsicht exemplarisch ist für das aktuelle Geschehen im Pharmasektor. Ein verschärfter Innovationswettbewerb sorgt dafür, dass sich Marktstrukturen schneller verschieben als in der Vergangenheit.

Im Bereich Hämophilie geht es um ein relativ lukratives Nischensegment im Pharmamarkt. Weltweit erzielen Arzneimittelhersteller etwa zehn bis elf Milliarden Dollar mit Hämophilie-Medikamenten, also Mitteln gegen die Bluterkrankheit. Das entspricht etwas mehr als einem Prozent des globalen Pharmageschäfts.

Hämophilie zählt zu den häufigeren Erbkrankheiten und galt lange auch als eine der gefährlichsten: Im Schnitt etwa eines von 5000 bis 10.000 Neugeborenen, ganz überwiegend Jungen, kommt heute mit einem Gendefekt zur Welt, der die Blutgerinnung beeinträchtigt und dadurch zur Bluterkrankheit führt.

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Unbehandelt laufen die Betroffenen Gefahr, schon in jungen Jahren an vergleichbar harmlosen Verletzungen zu verbluten. Weltweit wird die Zahl der Patienten auf mehr als 320.000 geschätzt. Verantwortlich für die Erkrankung ist ein Mangel an den Gerinnungsfaktoren VIII (bei der häufigeren der Hämophilie A) und IX (bei der selteneren Hämophilie B), ausgelöst durch Gendefekte auf dem X-Chromosom.

Erst nachdem es ab den 70er-Jahren gelang, die Gerinnungsfaktoren zunächst aus dem Blutplasma von gesunden Spendern zu isolieren und später auch biotechnisch herzustellen, können Bluterkranke dank regelmäßiger Behandlung ein halbwegs normales Leben führen.

Das Geschäft mit den Medikamenten teilten sich lange Zeit die Pharmahersteller Baxter, Pfizer, Bayer, Novo Nordisk und die australische CSL. Doch inzwischen ist der Markt heftig in Bewegung geraten, zum einen durch M- & -A-Aktivitäten, zum anderen durch Fortschritte in der Wissenschaft.

Vor vier Jahren spaltete Baxter sein Medikamentengeschäft in die neue Firma Baxalta ab. Diese wiederum wurde kurz darauf von der britischen Shire übernommen, die ihrerseits seit Anfang Januar Teil des japanischen Takeda-Konzerns ist.

Für Bewegung im Markt sorgte ferner der US-Biotechkonzern Biogen, der mit zwei Neuentwicklungen, den Medikamenten Eloctate und Aprolix, den etablierten Anbietern Marktanteile abjagte. Dieses inzwischen mehr als eine Milliarde Dollar starke Geschäft gliederte Biogen in die Firma Bioverativ aus, die wiederum 2018 vom französischen Pharmariesen Sanofi geschluckt wurde.

Dritter Newcomer im Hämophilie-Geschäft ist der Baseler Roche-Konzern mit seiner 2018 eingeführten Neuentwicklung Hemlibra. Dabei handelt es sich nicht um einen weiteren, künstlich hergestellten Gerinnungsfaktor, sondern um ein neuartiges Molekül, das die Wirkung von Faktor VIII in dem komplizierten Blutgerinnungsablauf nachahmt und sehr gute Resultate zeigte.

Analysten trauen dem Roche-Produkt bis zu vier Milliarden Dollar Umsatz zu. Aber auch schon heute hinterlassen die Neuentwicklungen von Roche und Biogen (die inzwischen von Sanofi vermarktet werden) deutliche Spuren im Markt. Die etablierten Hersteller verbuchten 2018 fast durchweg Umsatzeinbußen und damit den Verlust von Marktanteilen gegenüber den Newcomern.

Für Bayer haben sich dadurch die Perspektiven so stark verschlechtert, dass man eine gerade erst fertiggestellte neue Produktionsanlage in Wuppertal wieder aufgeben musste. Man habe diese schmerzliche Entscheidung getroffen, musste Firmenchef Baumann vor wenigen Wochen einräumen, „weil wir schlicht nicht die Perspektive sahen, in den nächsten zehn Jahren zwei Fabriken auszulasten.“

Im vergangenen Jahr verbuchte der Konzern mit seinen Blutermedikamenten Kogenate und Kovaltry gut elf Prozent Umsatzrückgang auf 855 Millionen Euro. Ähnlich stark waren die Einbußen von Pfizer, während Roche auf Anhieb fast 200 Millionen Euro Umsatz verbuchte.

Aber selbst der Erfolg der Newcomer im Hämophilie-Geschäft ist bereits wieder in Gefahr. Denn am Horizont zeichnet sich bereits die nächste Innovationswelle ab – in Gestalt von Gentherapien. Sie bergen das Potenzial, die Bluterkrankheit sogar zu heilen und damit für Hämophilie-Patienten die regelmäßigen und relativ häufigen Injektionen mit Gerinnungsfaktoren komplett überflüssig zu machen.

Entsprechende Hoffnungen jedenfalls wecken klinische Studien der amerikanischen Biotechunternehmen Spark Therapeutics und Biomarin.

Hoffnung auf Heilung

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund entschloss sich der Pharmariese Roche vor wenigen Wochen, den potenziellen Konkurrenten Spark komplett zu übernehmen. „Insbesondere das Forschungsprogramm von Spark gegen Hämophilie A könnte Menschen, die mit dieser Krankheit leben, künftig eine neue Therapiemöglichkeit bieten“, zeigte sich Roche-Chef Severin Schwan überzeugt.

Sowohl Biomarin als auch Spark haben ihre Therapien bisher nur in kleinen Testgruppen erprobt und müssen die Wirksamkeit noch in deutlich umfangreicheren, sogenannten Phase-III-Studien bestätigen. Experten zeigten sich von den ersten Daten indessen beeindruckt.

Die angesehene Fachzeitschrift „New England Journal“ sprach von „wegweisenden Studien“ und widmete den Ergebnissen ein Editorial unter dem Titel „Eine Heilung von Hämophilie in Reichweite“. In beiden Fällen basierte die Therapie auf einem Gentransfer mithilfe spezieller Viren, die man zuvor mit korrekten Kopien der Gene für die Gerinnungsfaktoren ausgestattet hatte.

Ebenso wie Spark und Biomarin arbeiten auch etliche Hämophilie-Player wie Pfizer, Bayer und Shire/Takeda sowie weitere Biotechfirmen wie etwa Uniqure an virusbasierten Gentherapien. Aber selbst diese Verfahren könnten mittelfristig überflügelt werden von neuen Technologien des sogenannten Gen-Editings auf Basis der Crispr/Cas-Technik.

Dabei können Gene mithilfe spezieller Reagenzien sehr gezielt ausgetauscht werden. Bayer hat sich auf dem Feld mit der Firma Crispr Therapeutics verbündet und mit ihr das Joint Venture Casebia etabliert. Das erklärte Ziel: die Technologie auch für therapeutische Zwecke zu entwickeln, unter anderem auch im Bereich Hämophilie.

Ob Crispr/Cas als Medikament funktioniert, ist dabei noch völlig offen. Aber auch hier geht die Entwicklung offenbar relativ schnell voran. Im Laufe des Sommers will Crispr Therapeutics die ersten klinischen Versuche starten.