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Mit welchen Ideen Amazon die Marktmacht seiner Cloud-Sparte AWS ausbauen will

Amazon ist bekannt für große Ideen. Auch ein autonom fahrendes Auto zählt neuerdings zu den Produkten – allerdings in Spielzeuggröße. Der Deepracer, ein Rennwagen im Maßstab 1 zu 18, hat eine HD-Kamera, Sensoren und einen Computer an Bord. Mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) soll er sicher über die Strecke navigieren können. Die Technologie stellt der Konzern den Bastlern und Programmierern auf seiner eigenen Cloud-Plattform zur Verfügung.

Den Rennwagen hat Amazon diese Woche auf der Entwicklerkonferenz Re:Invent in Las Vegas vorgestellt, zur der fast 50.000 Besucher kamen. Er zeigt im Kleinformat die großen Ambitionen: AWS, die Cloud-Sparte des Konzerns, baut ihr Angebot rapide aus. Was vor zwölf Jahren mit der Vermietung von Rechenleistung und Speicherplatz übers Internet begann, ist zu einer riesigen Dienstleistungsindustrie rund um die IT herangewachsen. „Wir sind keine Cloud-Firma mehr, wir sind Problemlöser“, sagte Adrian Cockcroft, der bei AWS die Systemarchitektur verantwortet.

Es ist ein riesiges Geschäft. Im Jahr 2017 erwirtschaftete Amazon mit AWS 17,5 Milliarden Dollar Umsatz, die Wachstumsrate betrug 45 Prozent. Damit ist der Konzern mit Abstand die Nummer eins: Bei der Infrastruktur aus der Cloud beträgt der Marktanteil fast 52 Prozent. Microsoft ist mit 13,3 Prozent die Nummer zwei, wächst allerdings schneller als AWS und die Konkurrenz.

„Amazon hat früh in die Cloud investiert, diese Risikobereitschaft zahlt sich jetzt aus“, sagt Axel Oppermann, Gründer und Chef des Analysehauses Avispador. Allerdings nehme der Wettbewerb deutlich zu. „Alle Anbieter investieren massiv in diesen Zukunftsmarkt.“ Ziel sei es, den Kunden hochwertige Dienste anzubieten, die tief in die Wertschöpfung eingebunden sind, und sich so unverzichtbar zu machen. „Jetzt wird das Geschäft auf Jahre verteilt.“ Gleichzeitig finanziert Amazon mit den Gewinnen aus dem hochprofitablen Cloud-Geschäft die Expansion im Onlinehandel.

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Der Verteilungskampf erklärt die vielen Aktivitäten von Amazon. Ein Baukasten hilft beispielsweise dabei, Roboter zu steuern. Ein Dienst ermöglicht es, Satellitenbilder ohne teure Empfangsantennen herunterzuladen. Auch Blockchain-Netzwerke sollen nur ein paar Klicks entfernt sein – wenn man sie auf AWS einrichtet. „Es ist atemberaubend, wie schnell neue Services nachkommen“, sagt Arnold Vogt vom Beratungsunternehmen PAC in München. Im Wochentakt gebe es neue Listen. „Nur das nachzuhalten ist ein Vollzeitjob.“

Wie in einem riesigen Kaufhaus suchen sich die Kunden die digitalen Dienste und Anwendungen aus, die sie brauchen, um für ihre Organisation oder Unternehmen eine IT-Infrastruktur im Internet einzurichten. Datenbanken, Zugangsverwaltung, Künstliche Intelligenz, Maschinenlernen, Daten-Upload oder -Download, Bilderkennung oder Sprachausgabe, alles ist nur wenige Klicks entfernt. Was früher Monate oder gar Jahre brauchte, um es aufzubauen, ist heute in Minuten oder Tagen erledigt.

Bezahlt wird nur, was bei Amazon, Google, Microsoft, IBM oder Alibaba genutzt wird. Allerdings nehmen die meisten Firmen mit der Zeit immer mehr Dienste in Anspruch – etwa weil sie nicht nur Daten speichern wollen, sondern auch eine Archivierungslösung suchen. „Die Anbieter wissen: Ein Kunde, der heute einen Dollar Umsatz bringt, bringt in einem Jahr 1,50 oder 1,80 Dollar“, sagt Avispador-Chef Oppermann. Der Nutzungsgrad steige in allen Branchen und Unternehmen.

Das gilt selbst für die deutsche Wirtschaft, die der Cloud lange skeptisch gegenüberstand. PAC-Analyst Vogt berät mittelständische Kunden und beobachtet, dass die früheren Befürchtungen über die Sicherheit in der Cloud und ähnliche Vorbehalte längst verschwunden sind. Heute geht es um Kostenersparnisse und Schnelligkeit. „Wer kein eigenes Rechenzentrum hat, geht heute in die Cloud“, sagt er. Etwa um schnell Daten mit KI zu analysieren.

Die neue Cloud-Begeisterung zeigt sich auch bei Amazons Hausmesse. Viele Unternehmen zeigen im überfüllten Venetian Hotel in Präsentationen, was sie vorhaben. So will der Autohersteller BMW die „User Experience“, also das Fahrerlebnis der Kunden, mithilfe des maschinellen Lernens verbessern. Eine App lernt anhand großer Datenbestände das Verhalten der Zielgruppen. Oder sie erkennt, wenn Maschinen kaputtgehen. Auch Konkurrent Volkswagen spricht übers vernetzte Auto.

Gerade Künstliche Intelligenz spielt eine wichtige Rolle – kaum ein Thema treibt die Wirtschaft stärker um. „Ich werde oft gefragt, ob wir nicht zu viel in das maschinelle Lernen investieren“, sagt Andy Jassy, Chef von AWS und einer der Kronprinzen von Amazon-CEO Jeff Bezos. „Garantiert nicht! Das ist riesig, und wir stehen ganz am Anfang.“ Allein 13 neue Anwendungen für diese Spezialdisziplin der Künstlichen Intelligenz kündigt AWS an einem einzigen Tag an.

Künstliche Intelligenz als Klebstoff für die Kunden

Vor allem binden die neuen Technologien die Kunden so eng an den Cloud-Anbieter wie früher eine Lizenz für ein betriebswirtschaftliches System von SAP, eine Datenbank von Oracle oder ein Wartungsvertrag fürs Betriebssystem Windows. Im Prinzip ist der Sprung von einem Cloud-Anbieter zum andern zwar möglich – aber nur, wenn man lediglich die Basisdienste nutzt. Die Sprach- oder Bilderkennung von AWS läuft dagegen nicht auf der Microsoft-Plattform Azure – umgekehrt ebenso wenig.

„Es geht nicht um die reine Infrastruktur, sondern auch die Services“, sagt daher René Büst, Experte für Cloud-Computing beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Gartner. Ein Beispiel: Der neue Dienst Textract digitalisiert eingescannte oder abfotografierte Tabellen. Die Software überträgt die Inhalte mithilfe Künstlicher Intelligenz automatisch in eine Datenbank. Der Dienst zeige: „Die Innovationsgeschwindigkeit ist enorm, Amazon nimmt immer weiter an Fahrt zu.“

Microsoft, Google und jeder andere, der es sich leisten kann, entwickeln deshalb diese hochentwickelten Spezialangebote. AWS hat gerade einen Chip für Server vorgestellt – wer ihn nutzt, statt einen Chip von Intel oder AMD zu mieten, spart Geld. In Arbeit ist ein eigener Prozessor fürs Maschinenlernen. Er wird dann günstiger sein als die Chips von Nvidia oder Google, die heute in AWS-Datencentern laufen.

„Die Grenzen zwischen alten IT-Anbietern und Cloud verschwimmen immer mehr“, sagt Berater Vogt: „Jeder versucht aus der eigenen Stärke heraus, neue Leistungen zu entwickeln, die die Kunden halten.“ Microsoft hat deshalb das soziale Netzwerk für Berufstätige, LinkedIn, akquiriert – und integriert es jetzt in seine Bürosoftware und Cloud-Angebote. Google will den Vorsprung bei Künstlicher Intelligenz nutzen. Und IBM spielt die engen Beziehungen zu Großkunden aus, um nur einige Beispiele zu nennen.

Um die Kunden zu halten und neue zu gewinnen, lassen die Cloud-Anbieter sogar alte Paradigmen hinter sich. So zeigte Amazon überraschend das Angebot „Outpost“. Bei diesem Dienst handelt es sich um ein System, das sich Kunden ins eigene Rechenzentrum stellen können. Es verbindet sich mit der alten IT-Infrastruktur – der Kunde arbeitet somit autark, kann aber auf die AWS-Cloud zugreifen, wenn er sie braucht.

Microsoft hatte so eine Option als erster Anbieter vorgestellt, Mitte des Jahres kam Google dazu. „Wir kommen dem Kunden auf halbem Weg entgegen“, kommentierte die scheidende Google-Cloud-Chefin Diane Greene den Schritt. Es ist ein Eingeständnis, dass die Realität in Unternehmen nicht schwarz oder weiß ist. Manche Anwendungen laufen besser im eigenen Rechenzentrum.

Im Verteilungskampf geht es nicht nur um die Kunden, sondern auch um die Köpfe: Amazon will die Entwickler gewinnen, die bei Partnern und Kunden arbeiten. Sind sie mit der Technologie vertraut, macht sich das langfristig bezahlt. Der Konzern bietet deswegen seine Onlinekurse fürs maschinelle Lernen, die Amazon intern nutzt, nun kostenlos an. Auch der Deepracer ist ein Beispiel dafür. Die Programmierer können mit ihren Boliden an einer Liga teilnehmen, in der es um Geld und Ehre geht. Und nebenbei üben sie sich im Umgang mit der Technologie.