Werbung
Deutsche Märkte geschlossen
  • DAX

    17.932,17
    -186,15 (-1,03%)
     
  • Euro Stoxx 50

    4.921,22
    -59,87 (-1,20%)
     
  • Dow Jones 30

    37.903,29
    +87,37 (+0,23%)
     
  • Gold

    2.330,20
    +27,30 (+1,19%)
     
  • EUR/USD

    1,0715
    +0,0042 (+0,40%)
     
  • Bitcoin EUR

    54.003,61
    -2.178,23 (-3,88%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.202,07
    -136,99 (-10,23%)
     
  • Öl (Brent)

    79,13
    -2,80 (-3,42%)
     
  • MDAX

    26.264,39
    -80,11 (-0,30%)
     
  • TecDAX

    3.274,00
    -35,23 (-1,06%)
     
  • SDAX

    14.297,43
    -166,65 (-1,15%)
     
  • Nikkei 225

    38.274,05
    -131,61 (-0,34%)
     
  • FTSE 100

    8.121,24
    -22,89 (-0,28%)
     
  • CAC 40

    7.984,93
    -80,22 (-0,99%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.605,48
    -52,34 (-0,33%)
     

Volkswagen startet in ein neues Zeitalter

Autosalon in Paris - Volkswagen startet in ein neues Zeitalter

Das Gebäude ist ziemlich imposant und passt im Moment eigentlich gar nicht zu Volkswagen. Der Bau erinnert an ein gewaltiges Schiff. Es sieht so aus, als habe US-Architekt Frank Gehry extra Segel setzen lassen. Die Fondation Louis Vuitton im Herzen von Paris ist als Kunstmuseum die Heimat von Andy Warhol und Gerhard Richter. Keine zwei Jahre gibt es dieses Museum, gegründet von Bernard Arnault, dem Haupteigentümer des französischen Luxusgüterkonzerns LVMH.

Doch am Vorabend des Pariser Automobilsalons hat hier der das Sagen. Gleich am Eingang stehen der erste Porsche 911 und der erste Audi Quattro. Damit auch wirklich jeder Besucher versteht: An diesem Abend geht es in der Fondation Louis Vuitton weniger um Kunst, sondern vielmehr um Autos.

Die „Volkswagen Group Media Night“ steht auf dem Programm. Zum Auftakt des Autosalons präsentieren sich alle Marken aus dem Konzern mit ihren neuesten Modellen, die von Donnerstag an auch auf dem Messegelände am südlichen Stadtrand von Paris zu sehen sein werden.

Solche Vorabendpräsentationen sind gängige Praxis bei den meisten Herstellern und auf den meisten großen Automessen, und damit natürlich auch in Paris. Doch ziemlich genau ein Jahr nach dem Bekanntwerden des Dieselskandals ist es eine ganz besondere Nacht für den Volkswagen-Konzern.

WERBUNG

Das Gebäude der Fondation Louis Vuitton ist zwar wirklich imposant und spricht wahrlich nicht von einer neuen Bescheidenheit. Doch im Inneren des Gebäudes unterscheidet sich dieser Volkswagen-Marken-Abend deutlich von seinen Vorgängern wie vor einem Jahr auf der IAA in Frankfurt oder eben vor zwei Jahren in Paris.

Im Verlauf des Abends ist trotzdem etwas von einer neuen Bescheidenheit bei Volkswagen zu spüren. Es muss nicht immer das Teuerste und das Beste sein wie früher bei VW. Die Dieselaffäre hat dafür gesorgt, dass der Konzern viel stärker auf sein Geld achten muss. Deshalb geht es auch auf dem Markenabend etwas bescheidener zu. Die Zahl der Gäste ist deutlich kleiner geworden, statt 1000 sind nur noch etwa 500 gekommen. Die neuen Modelle fahren nicht mehr vor, sie sind stattdessen im Hintergrund geparkt.

Teure Rockbands, die sich Volkswagen früher ebenfalls leistete, sind auf diesem Markenabend auch nicht mehr zu hören und zu sehen. Auf den Messeauftritt in Paris will Volkswagen allerdings nicht verzichten, trotz aller Belastungen aus der Dieselaffäre. So mancher Konkurrent sieht das anders: Volvo und Ford sind in Paris nicht mehr vertreten.


„Die Zukunft fährt elektrisch“

betritt die Bühne. Er steht dort, weil es die Dieselaffäre gegeben hat. Müller ist Vorstandschef von Volkswagen geworden, weil sein Vorgänger Martin Winterkorn das Unternehmen wegen der Dieselaffäre verlassen musste.

Müller will auf diesem Markenabend zeigen, dass unter seiner Führung etwas Neues im Konzern begonnen hat. Die Dieselaffäre bleibe zwar „ein tiefer, ein historischer Einschnitt“ für das Unternehmen. „Mindestens genauso wichtig ist mir aber, dass wir jetzt die Zukunft von gestalten“, verkündet der Vorstandschef.

Immer wieder sind Worte wie Zuversicht und Aufbruchsstimmung zu hören, ein neues Zeitalter habe begonnen. Müller verspricht „frisches Denken“ überall im Konzern. Wenn der Vorstandsvorsitzende des Volkswagen-Konzerns vom neuen Zeitalter spricht, dann meint er damit an erster Stelle den Wechsel auf den Elektroantrieb und den Wandel des gesamten Konzerns zum Mobilitätsanbieter.

„Die Zukunft fährt elektrisch“, lautet Müllers Botschaft an diese Abend. Volkswagen will bis zum Jahr 2025 mehr als 30 Elektrofahrzeuge entwickeln und bauen. Auf dem Autosalon in Paris ist der neue „I.D.“ zu sehen. Ein Prototyp dessen, was in wenigen Jahren tatsächlich auf den Straßen rollen sollte. Müller verspricht 600 Kilometer Reichweite, was den Wagen gleich auf eine Stufe mit Benzinern stellen würde. Das neue Elektrofahrzeug soll so etwas wie der Golf werden, das wirtschaftliche Fundament eines ganzen Unternehmens

Auch mit einem anderen Schritt will Müller unter Beweis stellen, dass etwas bei Volkswagen passiert. Der gesamte Bereich der Mobilitätsdienste wird zusammengefasst und bekommt den Status einer eigenen Konzernmarke. Es wäre die 13. und die erste Nicht-Auto-Marke. Den Namen wollte Müller noch nicht verraten, im November dürfte es wahrscheinlich soweit sein.

„Künftig wird längst nicht mehr jeder ein eigenes Auto besitzen. Aber jeder kann auf die eine oder andere Art Kunde von Volkswagen sein“, fasst Müller seine Erwartungen an die neue Mobilitätstochter zusammen. Außer an der Vermittlung von Fahrdiensten arbeitet Volkswagen an eigenen Shuttle-Diensten und am Carsharing für den Stadtverkehr.

Müller wollte nicht ausschließen, dass VW eines Tages auch eigene Taxiflotten betreibt. Aber das ist erst einmal noch Zukunftsmusik, auch in Paris. Dort will Volkswagen einfach nur seine neuesten Autos präsentieren und während einiger schöner Tage an der Seine die leidige Dieselaffäre daheim in Deutschland vergessen lassen.

KONTEXT

Dieselgate wird für VW immer teurer

Teure Folgen

Für Volkswagen sind die finanziellen Risiken durch die Abgasaffäre immer noch schwer zu kalkulieren. Zwar hat der Konzern nach dem 15-Milliarden-Dollar-Vergleich in den USA mehr Klarheit darüber, was ihn der Skandal um manipulierte Dieselautos dort kosten wird. Zugleich nimmt der Druck auf die Wolfsburger in Europa zu, die Kunden auch hier zu entschädigen. Europas größtem Autokonzern drohen weitere Kosten für Rückrufe, Aktionärsklagen und Strafen, die sich auf weit mehr als zehn Milliarden Euro auftürmen könnten. Analysten schätzen, dass die Aufarbeitung des Skandals den Konzern am Ende insgesamt zwischen 20 und 35 Milliarden Euro kosten wird, sogar von bis zu 50 Milliarden ist vereinzelt die Rede. Es folgt eine Übersicht der absehbaren Kosten.

Der US-Vergleich

Die Einigung mit Hunderten Sammelklägern, Behörden und US-Bundesstaaten kostet Volkswagen bis zu 15,3 Milliarden Dollar (umgerechnet rund 13,6 Milliarden Euro). Der größte Teil entfällt auf den Rückkauf von 475.000 manipulierten Dieselwagen mit 2,0-Liter-Motoren, für den gut zehn Milliarden Dollar reserviert sind. Die tatsächlichen Kosten hängen davon ab, wie viele Dieselbesitzer ihre Wagen zurückgeben und ob die US-Behörden eine Umrüstung genehmigen.

Entschädigung für US-Händler

Seinen rund 650 US-Händlern will VW Insidern zufolge mindestens 1,2 Milliarden Dollar Entschädigung zahlen, weil sie seit fast einem Jahr keine Dieselautos mehr verkaufen durften. Eine Grundsatzvereinbarung ist getroffen, für eine endgültige Einigung gab ein Gericht den Parteien bis Ende September Zeit.

Weitere Strafen und Klagen in den USA

Mit dem US-Justizministerium laufen derzeit Verhandlungen über eine Strafzahlung wegen der Abgasmanipulation. Das "Wall Street Journal" berichtete unlängst, dem deutschen Autobauer könne eine Strafe von mehr als 1,2 Milliarden Dollar aufgebrummt werden. Analysten rechnen mit einer Summe zwischen einer und drei Milliarden Euro. Einige US-Bundesstaaten wollen zudem zivilrechtlich versuchen, einen höheren Schadensersatz durchzusetzen, weil sie mit dem Vergleich nicht zufrieden sind. Dabei geht es um Hunderte Millionen Dollar.

Lösung für Drei-Liter-Autos lässt auf sich warten

Keine Einigung gibt es weiterhin für die rund 85.000 größeren Fahrzeuge mit Drei-Liter-Dieselmotor. VW zeigt sich zuversichtlich, dass eine Reparatur gelingen kann. Bis Ende Oktober hat das Gericht in San Francisco Volkswagen Zeit gegeben, um Lösungsvorschläge einzureichen. Für den 3. November setzte Richter Charles Breyer eine weitere Anhörung an. Sollte Volkswagen gezwungen werden, auch diese teureren Wagen zurückzukaufen, würde das weitere Milliarden verschlingen. Analysten schätzten die Kosten auf bis zu 2,5 Milliarden Euro.

Rückrufe in Europa

Ein großer Brocken ist auch die Umrüstung der rund 8,5 Millionen Dieselautos in Europa. Schätzungen reichen von gut einer bis drei Milliarden Euro, die das kosten dürfte. Der Autoanalyst Arndt Ellinghorst von Evercore ISI rechnet zudem damit, dass sich schrumpfende Marktanteile von Volkswagen und geringere Preise im Ergebnis bemerkbar machen werden.

Entschädigung auch in Europa?

Bundesweit klagen Autobesitzer vor mehreren Gerichten wegen überhöhter Stickoxidwerte auf Rückabwicklung des Kaufs oder Schadensersatz. Allein vor dem Landgericht Braunschweig sind rund 70 solcher Klagen anhängig. Eine Entschädigung der Kunden in Europa lehnt VW nach wie vor ab, obwohl sich Forderungen nach einem ähnlichen Vergleich wie in den USA mehren. Sollten diese dennoch fällig werden, könnte das Volkswagen finanziell das Genick brechen, fürchten Experten. Der Autoanalyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler geht von einem Wertverlust in einer Größenordnung von 500 Euro je Fahrzeug aus. "Es ist schwierig zu sagen, ob VW am Ende doch einen symbolischen Betrag zahlen wird." Branchenexperte Ellinghorst hält es für wahrscheinlich, dass die Kunden in Europa kein Geld sehen werden.

Ärger rund um den Globus

Weltweit droht Volkswagen in mehreren Ländern Ungemach. "Wir haben die ganze Welt am Hals", sagte Konzernchef Matthias Müller unlängst. Südkorea, zweitgrößter Markt für Dieselfahrzeuge in Asien, zog die Zulassungen für VW- und Audi-Modelle zurück und verhängte eine Strafe von 14,3 Millionen Euro. In Australien fordern Besitzer von VW-Dieseln Entschädigung von umgerechnet 6700 Euro pro Fahrzeug, die Verbraucherschutzbehörde klagt ebenfalls gegen VW. In Italien brummte die Wettbewerbsbehörde VW eine Strafe von bis zu fünf Millionen Euro auf, in Großbritannien forderte der Umweltausschuss vom Parlament eine härtere Gangart gegen VW. Auch in Kanada ringt der Konzern noch um die Beilegung des Abgasskandals. Würde das US-Entschädigungsmodell auf den nördlichen Nachbarn übertragen, müsste der Konzern womöglich mit einer weiteren Belastung in Milliardenhöhe rechnen.

Aktionärsklagen

Weltweit sieht sich Volkswagen zudem mit milliardenschweren Schadensersatzklagen von Investoren und Kleinaktionären konfrontiert. Die Inhaber von Aktien und Anleihen werfen Volkswagen vor, zu spät über das Ausmaß des Abgasskandals informiert zu haben und wollen einen Ausgleich für Kursverluste durchsetzen. Zu den Klägern gehören große US-Pensionsfonds, der Norwegische Staatsfonds, aber auch der Versicherungskonzern Allianz und die Dekabank. Das Land Bayern hat ebenfalls angekündigt, wegen Kursverlusten seines Pensionsfonds für die Landesbeschäftigten vor Gericht zu ziehen. Hessen und Baden-Württemberg prüfen einen solchen Schritt. Beim Landgericht Braunschweig liegen 290 Schadensersatzklagen mit Forderungen von zusammen rund vier Milliarden Euro.

Die Krise als Einnahmequelle für Anwälte

Die Scharen an Anwälten, die Volkswagen weltweit wegen des Dieselskandals beschäftigt, verschlingen ebenfalls Geld. Der Autoexperte Pieper geht von bis zu einer Milliarde Euro aus, sein Kollege Ellinghorst schätzt die Anwaltskosten auf mehrere hundert Millionen.

Quelle: Reuters

KONTEXT

Weltweite Untersuchungen von Behörden im Abgas-Skandal

Untersuchungen

...bei der Abgasbehandlung zogen weltweit Untersuchungen von Behörden nach sich. Ähnlich wie das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gingen die Behörden in Frankreich und Großbritannien vor. Die Regierung in Paris stellte bei eigenen Nachmessungen an 86 Modellen deutliche Abweichungen und Normverstöße fest.

Weitere Betrugssoftware...

...konnte die eingerichtete Kommission allerdings nicht nachweisen - auch wenn sie mangels ausreichender Informationen mancher Anbieter nicht ausschließen wollte, dass es sie gibt. Die französischen Autohersteller legten daraufhin ähnlich wie in Deutschland Pläne vor, um die Emissionswerte zu verbessern.

Auch das britische Verkehrsministerium...

...fand bei der Nachmessung von knapp 40 verschiedenen Automodellen keine Hinweise auf betrügerische Manipulationen wie bei VW. Jedoch lagen die Stickoxid-Werte im realen Straßenbetrieb um ein Vielfaches über den Prüfstandswerten.

In den Vereinigten Staaten...

...durchleuchtete die Umweltbehörde EPA die Branche, konnte aber nach eigenen Angaben bislang nur bei Volkswagen Fehlverhalten feststellen. Neben den Wolfsburgern nahmen die Aufseher bislang nur Daimler besonders unter die Lupe. Im April forderte das Justizministerium nach Klagen von US-Anwälten die Stuttgarter auf, das Zustandekommen der offiziellen Abgaswerte in den USA intern und unter Einbeziehung der Behörden zu untersuchen - noch ohne Ergebnis.

Südkorea...

...hatte im November nach dem Bekanntwerden der Abgas-Affäre bei VW ebenfalls verschärfte Untersuchungen an Diesel-Modellen von weiteren Unternehmen angekündigt. Abgesehen von Volkswagen warf die Regierung in Seoul auch Nissan die Manipulation von Abgaswerten vor.

In Japan...

...ordneten Behörden ähnliche Nachtests an. Neben Mitsubishi räumte auch Suzuki Motor ein, eine nicht zulässige Testmethode angewandt zu haben. Betroffen waren 26 Modelle.

In Russland...

...wurden Unterlagen über Abgaswerte von Daimler angefordert. Die Aufsichtsbehörden stellten aber keine Verstöße fest.

In den Niederlanden...

...wollte die Regierung Mitte 2016 über Schadstofftests informieren. Zuvor hatte das Umweltinstitut TNO im Auftrag der Regierung schon Emissionstests bei verschiedenen Modellen durchgeführt. In dem Bericht kam man zu dem Schluss, dass die Stickoxid-Werte auf der Straße vielfach höher waren als im Labor. Die Untersuchung zog bislang jedoch keine Konsequenzen nach sich.

In Italien...

...bekam Volkswagen von der Wettbewerbsbehörde eine Millionenstrafe aufgebrummt. Bei anderen Herstellern hätten Tests dagegen keine Hinweise auf Vorrichtungen zur Manipulation ergeben - auch nicht bei Fiat, hieß es aus dem Verkehrsministerium im Juni. Bei Nachtests des deutschen KBA war Fiat zuvor herausgestochen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sieht nun die EU-Kommission am Zug, Nachmessungen bei den Modellen durchzusetzen.