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Usedom – eine Insel driftet nach rechts

Die Landtagswahl in hat aus Sicht der Reisebranche ein bedenkliches Ergebnis gebracht. Dabei geht es nicht vornehmlich um die Sorge, dass die AfD landesweit 20,8 Prozent der Stimmen eingefahren hat. Viel kritischer wird der Umstand gesehen, dass nirgendwo sonst mehr Wähler ihr Kreuz bei AfD und NPD gemacht haben als auf der Ferieninsel Usedom. In Peenemünde beispielsweise kommen beiden Parteien zusammen auf 52,4 Prozent der Zweitstimmen. Andernorts auf der Insel schnitten AfD und NPD ebenfalls stark ab.

Der Deutsche Reiseverband (DRV) befürchtet deshalb schon Nachteile für die Tourismuswirtschaft in dem Bundesland. „Die Reisebranche steht für ein weltoffenes und gastfreundliches Deutschland. Tourismus und Fremdenfeindlichkeit passen nicht zusammen“, sagte DRV-Präsident Norbert Fiebig dem Handelsblatt. Vielmehr gehe es darum, Brücken zu bauen. „Wir wollen im Ausland willkommen sein, das Gleiche sollte daher auch für alle gelten, die hierher kommen.“

Die AfD verzeichnete in Usedom ihre bestes Ergebnis der Landtagswahl. Und zwar im Wahlkreis Vorpommern-Greifswald III. Dazu gehört der östliche Teil des Landkreises Vorpommern-Greifswald mit der Stadt Wolgast und der Ferieninsel Usedom. Fast jeder Dritte dort (32,3 Prozent) gab der AfD seine Stimme. Zum Vergleich: In einem Rostocker Innenstadt-Wahlkreis brachte die Partei es nur auf 12,2 Prozent.

In dem Wahlkreis holte der AfD-Kandidat Ralph Weber mit 35,3 Prozent eines von drei Direktmandaten für seine Partei. Die SPD erzielte dort nur 17,8, die CDU 19 und die Linke 17,9 Prozent. Weber arbeitet seit 2009 als Rechtsprofessor an der Universität Greifswald. Dort ist er umstritten. So war er mit dem Tragen von Thor-Steinar-Kleidung, die auch in rechtsextremen Kreisen beliebt ist, in die Kritik geraten. Wie die „Welt am Sonntag“ kürzlich berichtete, soll Weber zudem einen ausgewiesenen Neonazi promoviert und schon 2010 mit dem damaligen NPD-Chef Udo Voigt über die Gründung einer rechten Partei gesprochen haben. Erst vor kurzem soll zudem ein Vertreter der rechtsextremen „Reichsbürger“ im Rahmen von Webers Vorlesung an der Uni Greifswald einen Vortrag gehalten haben.

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Dörthe Hausmann, Chefin der Usedom Tourismus GmbH, hat bereits besorgte Reaktionen auf den Wahlsonntag registriert. In den vergangenen Tagen hätten sie mehrere Mails von Urlaubern erreicht, die sich erschrocken über den Ausgang der Wahl zeigten. Zwar habe bislang noch niemand seinen Urlaub abgesagt, sagte Hausmann der Nachrichtenagentur dpa. Doch es sei fraglich, ob das so bleibe.

Hausmann erinnerte an Dresden, wo die Pegida-Aufmärsche vor einem Jahr die Besucherströme bremsten. In der Elbmetropole ging die Zahl der Übernachtungen nach Jahren des Wachstums 2015 um drei Prozent zurück.


AfD-Wahlerfolg beunruhigt auch den Städtebund

Usedom mit seinem 40 Kilometer langen Küstenstreifen und den breiten Stränden ist ganz auf den Tourismus eingestellt: Rund 85 Prozent der Einwohner leben direkt oder indirekt von den Urlaubern - ob als Hotelangestellter, Putzfrau, Friseur oder Elektriker. Größere Wirtschaftsbetriebe gibt es auf der Insel an der Grenze zu Polen nicht.

Der Tourismus ist daher für das strukturschwache Bundesland enorm wichtig. Das zeigt sich schon daran, dass die Branche einen Bruttoumsatz von über 5,1 Milliarden Euro im Jahr und einen geschätzten Anteil von rund zehn Prozent am Primäreinkommen erwirtschaftet.

Rund 173.000 Personen bestreiten direkt und indirekt ihren Lebensunterhalt durch den Tourismus. Mit fast 18.000 Übernachtungen je 1000 Einwohner in 2014 verzeichnet der Nordosten die mit Abstand höchste Tourismusintensität bundesweit. Der Bundesdurchschnitt liegt bei rund 5000 Übernachtungen je 1000 Einwohner. Bei den Übernachtungen zeichnete sich zuletzt sogar ein neuer Superlativ ab, woraufhin Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) schon vom touristisch besten Halbjahr aller Zeiten in sprach.

Vor diesem Hintergrund sieht auch der Städte- und Gemeindebund den AfD-Aufstieg kritisch. „Gerade im Tourismus, der auch viele ausländische Besucher anzieht, ist es unverzichtbar, sich nicht nur weltoffen und tolerant darzustellen, sondern es auch zu sein und fremdenfeindliche und rassistische Tendenzen zu vermeiden“, sagte Landsberg dem Handelsblatt. „Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich die wirtschaftlichen Erfolge in Mecklenburg-Vorpommern zum Nachteil der Menschen nicht weiter positiv entwickeln.“ Ohne Weltoffenheit und Toleranz gegenüber jedermann gebe es in der globalisierten Welt auch kein erfolgreiches Wirtschaften.

In Mecklenburg-Vorpommern hätten offenbar viele Wähler aus Protest und Angst vor Überfremdung, Flüchtlingen und Versagen des Staates ihre Stimme der AfD gegeben. „Dabei haben diese Wählerinnen und Wähler übersehen, dass die Fakten in diesem Bundesland eine ganz andere Sprache sprechen“, betonte Landsberg. Die Wirtschaft wachse, die Arbeitslosenzahl sei halbiert worden, der Tourismus boome, die Flüchtlingszahlen seien sehr niedrig und der Ausländeranteil gering. „Diese Erfolge, von denen alle profitieren, sind kein selbstverständlicher Dauerzustand in der Globalisierung, die niemand aufhalten kann.“


Die Kehrseite des Tourismus-Booms

Der Boom hat jedoch auch eine Kehrseite. Im touristisch geprägten Vorpommern ist die Arbeitslosigkeit außerhalb der Saison deutlich höher als im Landesdurchschnitt, die Wirtschaft kommt seit Jahren nicht recht voran. Im Tourismus werden unterdurchschnittliche Löhne gezahlt, so dass die Einkommen in der Region niedrig sind. Junge wandern ab. Der Rostocker Politikwissenschaftler Jan Müller sagte: „Vorpommern ist dem Westteil des Landes gegenüber sozial benachteiligt.“ Das weiß auch Chef-Touristikerin Hausmann. „Die Unzufriedenheit der Usedomer ist durchaus nachzuvollziehen“, sagte sie.

Doch fremdenfeindliche Ressentiments und anti-europäische Stimmungsmache passen nicht zum Bild von fröhlichen Urlauberfamilien am Strand. Beim Landestourismusverband gibt man sich bisher gelassen. Schließlich haben politische Entwicklungen dem Tourismus an der Küste in der Vergangenheit nicht viel anhaben können. Landesweit sind die Tourismuszahlen gestiegen, obwohl die NPD zehn Jahre lang im Landtag vertreten war.

Ökonomen sehen die Entwicklung weniger gelassen. „Der zunehmende politische Extremismus und der Aufstieg der AfD werden sich wirtschaftlich negativ auswirken, wenn dies zu einem weiteren Anstieg der Ausländerfeindlichkeit führt“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, dem Handelsblatt. Vor allem die wirtschaftlich schwächeren ostdeutschen Regionen würden „einen hohen Preis für einen Rechtsruck und eine Zunahme des fremdenfeindlichen Populismus zahlen, da sie stark von Investitionen von Unternehmen abhängig sind, die zunehmend auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen sind“, betonte der DIW-Chef.

Auch der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, erwartet, dass ein „Rechtsruck“ wirtschaftlich „mit Sicherheit“ schaden werde.

Derzeit ist der Tourismus auf Usedom aber im Aufwind. Die Unsicherheit in den weltweiten Krisenregionen, die unklare Lage am Mittelmeer haben die Urlauberzahlen erneut nach oben schnellen lassen. Nach dem Spitzenjahr 2015 mit mehr als einer Million Ankünften und 5,13 Millionen Übernachtungen könnte es weiter bergauf gehen. Hausmann berichtet von einem Wachstum von bis zu acht Prozent. „Wir werden in den kommenden Wochen genau auf die Entwicklung schauen“, kündigt sie an.

KONTEXT

Rechte Parteien in den Landtagen

Rechte Parteien in Deutschland

Immer wieder haben rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien den Sprung in deutsche Landesparlamente geschafft. Von langer Dauer war ihr parlamentarisches Wirken meist nicht. Die Fraktionen machten häufig eher durch interne Streitigkeiten von sich reden als durch politische Initiativen. In Mecklenburg-Vorpommern könnte die NPD nun am Sonntag aus dem letzten Landtag fliegen - auch wegen der AfD, die mit einem zweistelligen Ergebnis einziehen dürfte. Ein Überblick.

NPD

Die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) erlebte in den 60er Jahren eine erste Erfolgswelle. Ihr gelang der Einzug in sieben der damals elf Landesparlamente, bei der Bundestagswahl 1969 scheiterte sie mit 4,3 Prozent nur knapp an der Fünfprozenthürde. Der Aufstieg war aber nur ein vorübergehendes Phänomen, in den 70er Jahren verschwand sie weitgehend wieder von der Bildfläche, ohne in den Landesparlamenten nennenswerte Ergebnisse erzielt zu haben.

Einen Wiederaufstieg mit neuem Personal erlebte die NPD nach der Wiedervereinigung. Wurde sie in den 60er Jahren noch von alten NSDAP-Anhängern getragen, konnte sie nun vor allem bei jenen Wählern in Ostdeutschland punkten, die sich als Verlierer der Wende sahen. 2009 zog sie in den Landtag von Sachsen ein, nach heftigen internen Querelen verfehlte sie 2014 den Wiedereinzug. Seit 2011 ist die NPD nur noch im Schweriner Landtag vertreten.

Republikaner

Unter Führung des früheren SS-Manns Franz Schönhuber wirbelten die rechten Republikaner vor einem Vierteljahrhundert die Parteienlandschaft auf. 1989 gelang ihnen völlig überraschend der Einzug ins Europaparlament und ins Abgeordnetenhaus von Berlin. 1992 erreichten sie bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 10,9 Prozent.

Vier Jahre später kam die Partei mit 9,6 Prozent erneut in den Landtag - und stellte damit eine Ausnahme von der Regel dar, dass rechte Protestparteien normalerweise nach einer Legislaturperiode wieder aus den Landtagen fliegen. Allerdings wurden auch die Republikaner von internem Streit zerrissen, inzwischen ist die Partei bedeutungslos.

DVU

Die Deutsche Volksunion (DVU) bot sich in den 90er Jahren als Auffangbecken für enttäuschte NPD-Wähler an und erzielte teils überraschende Wahlerfolge. 1991 zog sie ins Bremer Landesparlament ein, ein Jahr später in den Landtag von Schleswig-Holstein. In Sachsen-Anhalt erzielte sie 1998 mit 12,9 Prozent ihr bestes Ergebnis, auch in Brandenburg wurde sie in den Landtag gewählt.

Die DVU war voll auf ihren Gründer, den reichen Münchener Verleger Gerhard Frey, zugeschnitten. Bei den Wahlen trat sie in der Regel mit völlig unbekannten Kandidaten an. In den Landtagen machte sie vor allem mit internen Streitereien von sich reden, die DVU-Fraktionen zerfielen rasch. 2010 gingen die Reste der Partei in der NPD auf.

Schill-Partei

Eine weitere rechte Partei, die klar auf eine Führungsfigur zugeschnitten war, war die Partei Rechtsstaatliche Offensive des Hamburger Richters Ronald Schill. Sie schaffte es sogar in die Regierungsverantwortung. 2001 zog sie mit 19,4 Prozent in die Bürgerschaft ein und trat unter CDU-Bürgermeister Ole von Beust in die Regierung ein. Schill hatte sich als Richter mit umstrittenen harten Urteilen gegen Straftäter einen Namen gemacht.

Die Regierungskoalition zerbrach 2003 unter spektakulären Umständen. Von Beust entließ Schill als Justizsenator. Der Bürgermeister warf Schill den Versuch vor, ihn wegen seiner Homosexualität erpressen zu wollen. Bei der Wahl 2004 kam die Schill-Partei nicht mehr ins Landesparlament.

KONTEXT

Die potenziellen AfD-Wähler

Konservativ-etabliertes Milieu

Umfasst: 10 Prozent der Bevölkerung

Das klassische Establishment: verantwortungsvoll und erfolgsorientiert; Exklusivitäts" und Führungsansprüche, Standesbewusstsein; zunehmender Wunsch nach Ordnung und Balance. In diesem Milieu gibt es ein potenzielles AfD-Klientel, doch der Anteil ist relativ gering.

Liberal-intellektuelles Milieu

Umfasst: 7 Prozent der Bevölkerung

Die aufgeklärte Bildungselite: kritische Weltsicht, liberale Grundhaltung und postmaterielle Wurzeln; Wunsch nach Selbstbestimmung und -entfaltung. In diesem Milieu gibt es kein AfD-Klientel.

Milieu der Performer

Umfasst: 8 Prozent der Bevölkerung

Die multi-optionale, effizienzorientierte Leistungselite: global denkend, Selbstbild der Konsum- und Stilavantgarde, hohe Technikaffinität, Etablierungstendenz, Erosion des visionären Elans. In diesem Milieu gibt es kein AfD-Klientel.

Expeditives Milieu

Umfasst: 8 Prozent der Bevölkerung

Die ambitionierte kreative Avantgarde: Traditionelle Trendsetter, mental, kulturell und geografisch mobil, vernetzt, nonkonformistisch, testet Grenzen aus. In diesem Milieu gibt es kein AfD-Klientel.

Bürgerliche Mitte

Umfasst: 13 Prozent der Bevölkerung

Der leistungs- und anpassungsbereite bürgerliche Mainstream: bejaht die gesellschaftliche Ordnung, will sich sozial und beruflich etablieren, sucht gesicherte und harmonische Verhältnisse, geprägt sind sie durch wachsende Überforderung und Abstiegsangst. In diesem Milieu gibt es ein potenzielles AfD-Klientel, doch der Anteil derjenigen, die die AfD nicht wählen, ist größer.

Adaptiv-pragmatisches Milieu

Umfasst: 10 Prozent der Bevölkerung

Die moderne junge Mitte mit ausgeprägtem Lebenspragmatismus und Nützlichkeitsdenken: Leistungs- und anpassungsbereit, Wunsch nach Spaß und Unterhaltung, zielstrebig, flexibel, weltoffen. Bedürfnis nach Verankerung und Zugehörigkeit. Es gibt einen kleinen Anteil potenzielle AfD-Wähler.

Sozialökologisches Milieu

Umfasst: 7 Prozent der Bevölkerung

Engagiert gesellschaftskritisches Milieu mit normativen Vorstellungen vom "richtigen" Leben: ausgeprägtes ökologisches und soziales Gewissen. Globalisierungsskeptiker, Multikulti-Befürworter. In diesem Milieu gibt es keinen potenziellen AfD-Wähler.

Traditionelles Milieu

Umfasst: 13 Prozent der Bevölkerung

Die Sicherheit und Ordnung liebende ältere Generation: lebt in der kleinbürgerlichen Welt oder der traditionellen Arbeiterkultur, Sparsamkeit und Anpassung an die Notwendigkeiten, zunehmende Resignation und Gefühl des Abgehängtseins. In diesem Milieu liegt der Anteil der AfD-Wähler bei 100 Prozent.

Prekäres Milieu

Umfasst: 9 Prozent der Bevölkerung

Die um Orientierung und Teilhabe bemühte Unterschicht: Wunsch, Anschluss zu halten an die Konsumstandards der breiten Mitte - aber Häufung sozialer Benachteiligungen, Ausgrenzungserfahrungen, Verbitterung und Ressentiments. In diesem Milieu umfasst die potenzielle AfD-Klientel 100 Prozent.

Hedonistisches Milieu

Umfasst: 15 Prozent der Bevölkerung

Die spaß- und erlebnisorientierte moderne Unterschicht/untere Mitte: Leben im Hier und Jetzt, unbekümmert und spontan, häufig angepasst im Beruf, aber Ausbrechen aus den Zwängen des Alltags in der Freizeit. Hier gibt es potenzielle AfD-Wähler, allerdings zählt dazu weniger als die Hälfte.