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Die USA nach der Wahl: Zwischen Euphorie und Wut

Nach Joe Bidens Wahlsieg zeigt sich: Die zwei Welten Amerikas stehen sich verfeindet gegenüber, sie koexistieren nicht. Szenen der Spaltung einer Weltmacht.

Als Joe Bidens Sieg verkündet wurde, befand sich Donald Trump in seinem Golfklub in Virginia, am Ufer des Potomac River. Der erste Anblick bei seiner Rückkehr ins Weiße Haus war ein allzu vertrautes Bild: Vor den Toren des Golfplatzes warteten Trump-Unterstützer mit USA-Flaggen, ihnen gegenüber standen Trump-Gegner, die jubelnd Biden-Plakate schwenkten.

Je mehr sich der Präsident Washington näherte, desto weniger Fans bekam er zu Gesicht, denn die Hauptstadt wählt zu 95 Prozent demokratisch. Zuletzt fuhr seine Kolonne durch ein Meer von Menschen, die sein politisches Aus feierten. Bis spät in die Nacht war das Areal rund ums Weiße Haus eine einzige Partymeile.

Doch in Teilen des Landes, in denen Trump große Unterstützung bekam, provozierte Bidens ausgerufener Triumph Protest. Phoenix in Arizona, Nashville in Tennessee oder Madison in Wisconsin waren nur einige der Städte, in denen Trumps Anhänger auf die Straße gingen.

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Die „Stop the Steal“-Bewegung hält die Wahlen für Betrug, sie wird angefeuert vom Präsidenten selbst, der öffentlich seine Niederlage noch nicht eingeräumt und eine Klagewelle in Gang gesetzt hat. Für die einen ist Trump schon weg. Für die anderen soll er für immer bleiben. Das sind die zwei Welten, die in eine Nation passen sollen.

Diese beiden Welten werden auch die kommende Präsidentschaft von Biden beeinflussen. Er ist mit dem Versprechen angetreten, die USA zu einen. Doch wie eint man ein Land, in dem ein nicht unbeträchtlicher Teil der Menschen glaubt, die neue Regierung sei ein Lügenkonstrukt?

Die Erzählung vom Präsidenten Trump, der „America great again“ machte und dem die Wiederwahl gestohlen wurde, wird die USA noch über Jahre prägen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass diese Erzählung die nächste große Verschwörungstheorie sein wird, nach den Gerüchtewellen um das JFK-Attentat, die Terroranschläge vom 11. September oder Barack Obamas Geburtsort. Noch in der Wahlnacht versammelten sich in Großstädten wie Detroit und Philadelphia Trump-Anhänger und -Gegner vor den Auszählungsstellen, im Netz wird der Deutungskampf aggressiv fortgeführt.

„Werde Trump für immer lieben“

Wenn man mit den Demonstranten spricht, die an Wahlbetrug glauben, zeigt sich: Nicht alle sind fanatisch. Einige sind schlichtweg so sehr von Trumps Politik überzeugt, dass sie ihn nicht ziehen lassen wollen. Er halte die Steuern niedrig, sei gut für Öl und Kohle, und er habe keine Scheu, die US-Flagge zu umarmen – das sind gängige Argumente, warum ein beträchtlicher Teil der US-Bürger ihn erneut gewählt hat. Trump konnte in einigen Wählergruppen wie bei den Latinos im Vergleich zu 2016 dazugewinnen.

71 Millionen Menschen stimmten für ihn, in absoluten Zahlen liegt er damit direkt hinter Joe Biden – und vor Barack Obama. Die Pro-Trump-Proteste transportieren deshalb neben Realitätsverweigerung auch etwas anderes: verletzten Stolz.

Die Trump-Anhängerin Laurie Behny etwa glaubt nicht an das Wahlergebnis. Als sich ein Sieg Bidens in den großen TV-Sendern schon abzeichnete, ging sie am Freitag mit Hunderten Gleichgesinnten vor dem Capitol in Harrisburg demonstrieren. Harrisburg ist die Hauptstadt von Pennsylvania, dem Bundesstaat, der Biden über die Ziellinie brachte.

„Ich werde ihn für immer lieben“, sagt Behny über Trump. Oft sei er politisch totgesagt worden, und doch stand er wieder auf. „Sie haben ihn abgelehnt schon in dem Moment, in dem er die Rolltreppe runterkam und seine Kandidatur erklärte. Sie haben 38 Millionen an Steuergeldern verschwendet, um ihn aus dem Amt zu jagen. Sie können es einfach nicht lassen.“ Eine andere Anhängerin pflichtet ihr bei.

Deala Fraser ist eine Afroamerikanerin um die 30, sie schwenkt eine Flagge, auf der Trump wie ein Kriegsheld auf einem brennenden Panzer posiert. „Es sind zu viele Fragen offen, zu viele Pannen sind passiert“, sagt sie. In der Wahlnacht sei sie ins Bett gegangen, als Trump erste Siege in Florida und Ohio einfuhr. „Und dann werden die Briefe ausgezählt, und die sind magischerweise alle für Biden? Also bitte. Das ist unmöglich.“

Das Kontrastprogramm spielte sich in Trumps Geburtsstadt New York ab. Dort bricht spontaner Jubel aus, als Biden die entscheidende Marke von 270 Wahlleuten überschreitet. Aus den Fenstern, aus den Autos rufen sie: „Biden won? … Biden won!“ So verbreitet sich die Nachricht auch bei jenen, die nicht ohnehin schon auf ihr Telefon starren.

Vor dem Barclays Center im Herzen Brooklyns, das auch bei den Black-Lives-Matter-Protesten im Mittelpunkt stand, feiern Menschen in Schutzmasken, während jubelnde Autofahrer mit großen amerikanischen Fahnen vorbeifahren. Chuck Schumer, der Anführer der Demokraten im Senat, kommt mit einem blauen Biden-Harris-Schild in den Händen vorbei und mischt sich unter die Feiernden.

Selbst die Busse, Lastwagen und Delivery-Mofas hupen mit. „Sweep him out!“ („Feg ihn raus!“) ruft eine schwarze Frau immer wieder, während sie mit ihrem Besen schwungvoll über die Straße streift. Aus den Bars schallt der Song „Celebration“ von Kool and the Gang. Wenige Hundert Meter weiter zieht eine spontane Marching-Band durch die Straßen. Ein Postbote ruft stolz: „Seht ihr? Wir haben die Wahlbriefe rechtzeitig geliefert!“

Noch bis spät in die Nacht gehen die Feiern weiter, ob am Times Square, im Central Park oder in Brooklyn. Die Weinläden kommen mit den Champagnerflaschen nicht mehr nach. „So etwas habe ich noch nie erlebt. Auch nicht nach dem Obama-Sieg“, sagt Sophie, eine junge Physiotherapeutin, die die Nachricht im Prospect Park in Brooklyn gefeiert hat.

Je länger man all dies Szenen auf sich wirken lässt, desto klarer wird: Die zwei Welten Amerikas, sie koexistieren nicht, sondern sie stehen sich verfeindet gegenüber. Die Autokorsos, die man am Sonntag im Fernsehen sah, galten der Euphorie über Biden. Doch anderswo, oft nur wenige Kilometer entfernt, hupten Autofahrer aus Solidarität mit Trump. Zu Gewalt, wie im Vorfeld der Wahlen befürchtet wurde, ist es nicht gekommen.

Doch die Spaltung wird sich auf andere Weise bemerkbar machen, in der Tagespolitik, in der Rhetorik, in der Schlacht um Gesetze. „Wir haben die Chance, eine historisch linke Agenda umzusetzen“, twitterte die muslimische Abgeordnete Ilhan Omar, gefolgt von einer Welle an Vorwürfen, die Demokraten wollten die USA in ein zweites Venezuela verwandeln.

Eine Partei, an Trump gekettet

In welchem Team man spielt, wird die politische Auseinandersetzung der kommenden Jahre prägen. Denn die demokratische Linke wird Forderungen aufstellen, nach höheren Steuern, sozialen Ausgaben, Klimaschutz, die Konkurrenz wird gegenhalten. Dazu hat sich ein Großteil der Republikaner in den vergangenen Jahren an Trump gekettet. Sie schwiegen, als er sich auf großer Bühne als Nationalist feiern ließ, und hielten ihn im Amt, als er durch das Impeachment-Verfahren ging.

Auch wenn erste Republikaner beginnen, sich von Trump zu distanzieren, wird sein Erbe im Kongress weitergeführt: zum Beispiel von Jim Jordan aus dem Bundesstaat Ohio und Scott Perry aus Pennsylvania, zwei republikanischen Abgeordneten, die eisern zum scheidenden US-Präsidenten halten.

Auf der Freitreppe vor dem Capitol in Harrisburg richten sie mit Megafonen Grußworte an die „Stop the Steal“-Demonstranten. Ein paar tragen T-Shirts mit Panzern und Maschinengewehren, andere zeigen Aufdrucke der rechtsextremen Gruppierung QAnon. Mittendrin: Jordan und Perry, zwei etablierte Politiker. Als ein Demonstrant fragt, ob sie gemeinsam mit ihm beten wollen, sind sie sofort dabei.

Beide Männer stecken im Sonnenschein die Köpfe zusammen, halten die Augen geschlossen, vertieft in ein „Gebet für Klarheit, für unseren Präsidenten und unsere Nation“. Später sagt Jordan dem Handelsblatt, er sei sicher: „Trump bleibt Präsident. Da werden ein paar Zehntausend Briefe gefunden, und jeder einzelne ist für Biden? Das ist statistisch unmöglich.“ Davon, dass solche Behauptungen auch gefährlich für eine Demokratie sein könnten, will er nichts wissen. „Ich bin hier, um Menschen zu ermutigen, die Integrität der Wahlen zu wahren.“

Um den Zustand der USA zu verstehen, lohnt ein Blick in die jüngere Vergangenheit. Seit den 50er-Jahren habe kein US-Präsident so polarisiert wie Trump, stellte das Forschungszentrum Pew Research Center fest. Doch die Gräben begannen schon lange vor Trump aufzubrechen.

Der Backlash gegen die Präsidentschaft von Obama brachte die erzkonservative Tea Party hervor. Diese Entwicklung, gepaart mit Versäumnissen der Demokraten, ermöglichte den Aufstieg eines Populisten wie Trump. Bei den Republikanern ist längst die Nachfolgedebatte entbrannt, viele prominente Politiker bringen sich in Stellung, von Liz Cheney über Nikki Haley bis Mike Pompeo.

Die Partei steht vor einem Richtungskampf, aber auch vor einem Kampf um Glaubwürdigkeit. Und die Demokraten müssen sich trotz ihres Wahlsiegs die Frage stellen, warum sie einen Teil ihrer Anhängerschaft dauerhaft verloren haben: Trumps Sieg 2016 ist angesichts des knappen Ergebnisses 2020 kein Unfall mehr, und Hillary Clinton war offensichtlich nicht an allem schuld.

Eine ermutigende Lehre dieser historischen Abstimmung gibt es auch: Die Wahlbeteiligung war so hoch wie nie, und inmitten der Pandemie waren die Wahlen eine logistische Höchstleistung, die Tausende Helfer und Graswurzelbewegungen meisterten. Die Proteste auf den Straßen sind auch ein Zeichen dafür, dass die Demokratie in den USA ziemlich lebendig ist.

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