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Ein Unternehmenskodex in der Selbstfindung

Für seinen großen Auftritt hatte sich Rolf Nonnenmacher das lichtdurchflutete Auditorium der DZ Bank am Brandenburger Tor ausgesucht. Zur Überraschung des illustren Publikums der jährlichen Corporate-Governance-Tagung kündigte der ehemalige KPMG-Deutschlandchef dort im Juni 2017 an, den deutschen Kodex für Unternehmensführung in seiner heutigen Form abzuschaffen und durch einen praxisorientierten Leitfaden zu ersetzen.

Nonnenmacher war gerade erst Chef der Kodex-Kommission geworden. Und niemand rechnete mit einer solchen Revolution.

Mit Spannung erwartete danach die Governance-Gemeinde die 17. Konferenz, die in diesen Junitagen hätte stattfinden sollen. Doch Nonnenmacher überraschte ein zweites Mal. Er blies die Expertenrunde ab. Ein Novum in der Geschichte der Regierungskommission. Begründung: Die Überarbeitung brauche längere Zeit. Und: Man warte auf die Umsetzung der EU-Aktionärsrechterichtlinie durch die Bundesregierung. „Eine Kodex-Konferenz würde in der aktuellen Phase der Arbeit am und der Diskussion über den Kodex keinen echten Mehrwert versprechen“, heißt es in einem internen Rundschreiben.

Seit einem Jahr herrscht weitgehend Funkstille. Jedenfalls in der Öffentlichkeit. Hinter den Kulissen, sagen die Beteiligten, würden viele Gespräche geführt. Nonnenmacher wird dabei assistiert von Wulf von Schimmelmann, der vor wenigen Wochen seinen Posten als Aufsichtsratschef der Deutschen Post aufgegeben hatte, und Joachim Faber, dem Chefaufseher der Deutschen Börse. Geredet wird mit Vorständen, Aufsichtsräten, aber auch mit Investoren.

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Während Nonnenmacher unverdrossen daran arbeitet, den Kodex, wie er selber sagt, „relevanter zu machen“, gehen andere auf Distanz und fragen im Gegenzug nach der Relevanz der Kodex-Kommission. Und das liegt nach wie vor an ihrer Besetzung. Die Mitglieder der Kodex-Kommission „repräsentieren nicht die Kernbereiche der deutschen Wirtschaft“, sagt Harald Katzmair, Chef der Wiener Beratungsfirma FAS Research.

Katzmair hat sich auf Netzwerkanalysen spezialisiert. Kernbereiche wären Automobilindustrie, Maschinenbau, Pharma oder Energie. Stattdessen seien Repräsentanten des Kapitalmarktes überproportional vertreten, hat Katzmair in einer Studie festgestellt, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.

Die Studie erfasst vom Aufsichtsratsposten bis zu Funktionen in Politik, Stiftungen oder Sportvereinen alle Aktivitäten der Kommissionsmitglieder und gewichtet sie nach Bedeutung. Ergebnis: Nur ein Drittel der Kontakte geht in die Wirtschaft, zwei Drittel dagegen gehen in Politik und Staat beziehungsweise in die Zivilgesellschaft.

Katzmair kommt zu einem vernichtenden Urteil: „Die Kommission ist nicht die Stimme der deutschen Wirtschaft, sondern sie verschafft außenstehenden Stakeholdern der Corporate Governance in Deutschland Gehör und Einfluss.“ Das Regierungsgremium sei schlicht „nicht relevant“. Ein Sprecher der Kommission sieht das naturgemäß anders.

Die Zusammensetzung der Mitglieder sei heute viel praxisorientierter als noch vor Jahren. Mit Professor Theodor Baums sei nur noch ein Wissenschaftler dabei, die anderen verfügten über breite Aufsichtsratserfahrung.

Allerdings fragen auch prominente Praktiker, ob sich die 2002 gegründete Kommission überlebt hat. Jürgen Hambrecht, Ex-Chef des weltgrößten Chemiekonzerns BASF und heute einer der einflussreichen Multiaufsichtsräte der Republik, hält den Kodex für „fragwürdig“.

Als Beispiel dafür nennt Hambrecht gegenüber dem Handelsblatt die Vergütung: Die habe „leider auch durch den Kodex eine unrühmliche Entwicklung genommen. Erst wurde empfohlen, auch Aufsichtsräte erfolgsbezogen zu bezahlen. Dann haben das alle gemacht. Nun sagt der Kodex: zurück zur Fixvergütung. Das zeigt eben auch, dass dem Zeitgeist gefolgt und die Langfristigkeit kurzerhand wieder über Bord geworfen wird.“

Einigkeit sieht anders aus

Mitglieder der Kommission sind sich durchaus darüber im Klaren, dass es jetzt ums Ganze gehen könnte. „Die Relevanz des Kodex wird wieder infrage gestellt“, sagt einer. Der Kodex müsse sich schon deshalb nach 17 Jahren neu erfinden. Ein anderer allerdings findet: „Der Kodex ist nicht perfekt, aber annehmbar.“ Einigkeit sieht anders aus.

Externe wie der Governance-Experte Christian Strenger, einst Chef der Deutsche-Bank-Fondsgesellschaft DWS, hält wenig von einer Grundrevision. „Einen komplett neuen Gesamtentwurf des Kodex braucht und will eigentlich keiner.“ Die Kommission sollte sich lieber um die vordringlichen Themen wie Vorstandsvergütung und Unabhängigkeit der Aufsichtsräte kümmern. Das allerdings hat Nonnenmacher auch versprochen.

Kurz nach der Jahrtausendwende hatte die rot-grüne Bundesregierung unter dem Eindruck diverser Unternehmensskandale beschlossen, ein Expertengremium zu berufen, das Empfehlungen zur guten Unternehmensführung und -kontrolle ausarbeiten sollte. Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) war geboren. Ihre Mitglieder werden vom Bundesjustizminister ernannt. Es sind Wissenschaftler, Manager und Berater.

Der Kodex ist für die Wirtschaft nicht rechtsverbindlich. Er funktioniert nach dem System „comply or explain“. Das Gesetz verpflichtet Aktiengesellschaften lediglich, einmal im Jahr zu erklären und zu begründen, welche der Kodex-Regeln sie anwenden und welche nicht. Der Kapitalmarkt, so die Erwartung, werde schon auf gute Governance achten.

Diese Regierungskommission nahm 2002 unter Gerhard Cromme ihr Arbeit auf. Cromme wechselte gerade vom Vorstandsvorsitz bei Thyssen-Krupp auf den Chefposten des Aufsichtsrats. Der fast zeitgleich veröffentlichte Kodex empfahl jedoch eine Abkühlphase. Das kam nicht gut an. Und es wirkt in Managementkreisen bis heute nach. Der Kodex sei ja eigentlich als Best Practice gedacht gewesen, meint Hambrecht. „Und dann sind gleich zu Anfang diejenigen, die den Kodex gemacht haben, davon abgewichen.“

Crommes Nachfolger, Commerzbanker Klaus-Peter Müller, baute den Kodex zu einem Spiegel der gesetzlichen Vorschriften um, ergänzt um eigene Empfehlungen. Das will Nonnenmacher nun aufgeben. Die „Gliederung des Kodex sollte der Managementerfahrung und nicht der Logik des Gesetzes folgen“, begründete er vor einem Jahr die Revision.

So sehen das auch viele Kritiker. Eine Kopie der Gesetzeslage mache keinen Sinn. Wichtig ist Nonnenmacher, der „international anerkannten Best Practice“ im künftigen Kodex Gewicht zu geben.

Angriff aufs deutsche System

Das wiederum lässt Beobachter Böses ahnen. Manuel René Theisen, Governance-Fachmann und Wirtschaftsprofessor an der LMU München, befürchtet eine „sehr einseitige Ausrichtung am Kapitalmarkt und dessen Interessenträgern“. Für Theisen bahnt sich mit der angekündigten Revision ein Angriff auf das deutsche System der Unternehmensführung mit Vorstand und Aufsichtsrat an. Die Kommission könnte dem „Zeitgeist“ folgen und dieses über Bord werfen.

Solche Befürchtungen sind nicht aus der Luft gegriffen. Seit einigen Jahren drängen internationale Investoren, Stimmrechtsberater und Fondsvertreter auf Einfluss und direkten Kontakt mit den Aufsichtsräten. Laut Aktienrecht ist die Kommunikation allerdings dem Vorstand vorbehalten.

Im Jahr 2017 bekamen zum Beispiel mit Continental, Merck, Munich Re und SAP gleich vier Dax-Konzerne auf ihren Hauptversammlungen zu spüren, dass die Geldgeber zuweilen ganz andere Vorstellungen von Governance haben. Die Investoren ließen Konzepte für Vorstandsvergütungen durchfallen oder verweigerten die Entlastung der Aufsichtsräte. Der Druck auf die Konzernkontrolleure war damit unübersehbar geworden.

Kodexchef Nonnenmacher führt das Problem auf ein „unüberschaubares Nebeneinander von gesetzlich legitimiertem Kodex einerseits und einer Vielzahl von Voting-Guidelines der großen institutionellen Investoren und der Stimmrechtsberater andererseits“ zurück. Andere Kommissionsmitglieder sprechen gar von „Kakofonie“.

Effizienter für alle Beteiligten wäre es, so Nonnenmachers Fazit, „wenn wir wieder zu einem Standard zurückkehren und die Investoren in großer Zahl den Kodex akzeptieren würden.“ Nur wer setzt diesen Standard? Topmanager Hambrecht ist skeptisch. „Bitte keine Best Practice, orientiert am angelsächsischen System“, warnt er.