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Software-Pionier Ulrich Dietz will schaffen, was Daimler nicht gelang

Der GFT-Gründer hat dem Autokonzern sein Zukunftslabor abgekauft. Das Beispiel zeigt, wie viel Kreativität Unternehmer für die Digitalisierung brauchen.

Ulrich Dietz hat ein Faible für bahnbrechende Technologien. Das Besprechungszimmer seines Büros ziert ein Modell der ersten Rechenmaschine des schwäbischen Theologen und Mathematikers Wilhelm Schickard aus dem Jahr 1632. Daneben steht ein iPhone1 aus dem Jahr 2007 und ein intelligenter Scanner, der erfasst, wer gerade durch eine Tür geht.

Große Datenmengen und was man damit anfangen kann sind seine Passion. Der gebürtige Schwarzwälder kann als Beispiel für andere Mittelständler gelten, wie offensiv man auf das Thema Digitalisierung zugehen kann, wenn man sich traut.

Dietz ist in einem Alter, in dem es eigentlich zu spät ist, sich neu zu erfinden. Der 62-jährige Verwaltungsratschef und Großaktionär von GFT, einem Software-Dienstleister mit rund 440 Millionen Euro Umsatz in diesem Jahr, tut es trotzdem. Sein großer Coup war die kürzlich vereinbarte Übernahme des „Lab 1886“, des Zukunftslabors von Daimler .

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Das Labor wurde nach dem Datum der Unternehmensgründung benannt und soll in der Branche kolportierte 80 bis 100 Millionen Euro gekostet haben. Fast eine halbe Milliarde Euro hatte Daimler zuvor in die Ideenschmiede gesteckt, bis der neue Daimler-Chef Ola Källenius die Lust an teuren digitalen Experimenten verlor.

„Das war eine einzigartige Chance, die man nicht so oft bekommt“, sagt Dietz. Ein Jahr hat er bei Daimler gebaggert, beim Autokonzern gilt Dietz als guter Verhandler. „Wir freuen uns, dass wir für unser Lab1886 eine optimale Lösung gefunden haben“, sagt ein Sprecher zum neuen Eigentümer.

„Es ist ein wichtiger Schritt in eine neue Dimension“, freut sich Dietz. Im Nachhinein sieht es so aus, als habe er die vergangenen Jahre nur auf diesen Moment hingearbeitet. Als der Software-Pionier vor drei Jahren die operative Führung bei GFT abgab, wollte er sich um seine inzwischen sechs Beteiligungen an Start-ups kümmern.

Die jungen Firmen sind so etwas wie eine Frischzellenkur für Dietz. Er gründete den Innovations-Hub Code-N, der jahrelang so etwas wie die Hauptattraktion der Computermesse Cebit war – auch weil Dietz nicht nur 50 pfiffige Gründer um sich scharte, sondern jedes Mal eine ganze Halle von zeitgenössischen Künstlern gestalten ließ.

Dietz kehrte der Cebit 2016 den Rücken und veranstaltete Code-N auch mal im Karlsruher Medien-Museum ZKM. Es ist inzwischen ruhiger um die Start-up-Kongresse geworden. Die Pandemie hat ihr Übriges dazugetan. „Jede kreative Idee überlebt sich irgendwann. Gewohnheit ist ihr Feind“, sagt ein Insider.

Kunst spielt immer noch eine große Rolle bei Dietz. „Sie bringt gerade in der digitalen Welt neue Perspektiven“, sagt er. Im vergangenen Jahr baute der Esslinger Künstler Tobias Rehberger mitten in Stuttgart eine vier Meter hohe farbenfrohe und begehbare Installation mit dem Titel „Probegrube“.

Dietz kennt den Künstler gut. Teile der Probegrube zieren jetzt die Büroräume in der Stuttgarter Zentrale. Dort ist nicht nur GFT untergebracht, sondern ein Ökosystem aus Start-ups, Beratern und Unternehmern.

„So viel Energie“ wie selten zuvor

Wie sich das Portfolio von Daimler in der Probegrube von Dietz entwickelt, muss sich allerdings noch zeigen. Jedenfalls ist „Dietz reloaded“ voller Tatendrang als CEO seiner Holding. Er hat sein ganzes Berufsleben mit dem Thema Digitalisierung verbracht, hat seine Frau vor 30 Jahren im Unternehmen kennengelernt und spürt „jetzt so viel Energie“ wie selten zuvor. Zumindest habe das seine Frau zu ihm nach der Übernahme gesagt. Gemeinsam halten beide noch ein Drittel der GFT-Aktien.

Es sind schon spannende Projekte, die er da Daimler aus den Rippen geschnitten hat. Und wem, wenn nicht Dietz sollte es gelingen, daraus etwas zu machen. „Data Reverse“ ist sein Zauberwort. Welche Daten möchte ich haben und was möchte ich mit diesen Daten anfangen? Dieses Prinzip generiere Geschäftsmodelle, sei aber von vielen deutschen Industrieunternehmen noch nicht verstanden worden. Den Namen Daimler spricht er dabei nicht aus.

Immerhin hat der Autobauer mit dem Stern noch zehn Prozent der Anteile am Lab 1886 behalten. Es gibt ja noch Projekte, bei denen auch die Untertürkheimer wissen wollen, was daraus wird. Eines davon ist ein sogenannter „Digital Vehicle Scanner“. Das Gerät scannt ein Auto vor der Wartung komplett und erkennt automatisch den Reparaturbedarf, vom Kratzer im Lack, Rost am Fahrwerk bis zur Profiltiefe der Reifen.

Das verkürzt nicht nur die Fahrzeugannahme, es gibt bei Alter und Fahrleistung auch sehr wichtige Aufschlüsse über den Verschleiß der Teile. „Die Daten von Tausenden Mercedes-Fahrzeugen können damit deutschlandweit erfasst werden“, erklärt Dietz. „Das ist ein Schatz, mit dem sich etwas anfangen lässt.“

Auch aus der Mitfahrplattform Flink lässt sich laut Dietz noch einiges machen. Genauso wie aus den Brennstoffzellenaktivitäten für Gabelstapler. Und warum hat Daimler überhaupt verkauft? Zu kleines Business für die großen Pläne des Autokonzerns.

Dietz ist zudem Vizepräsident des Branchenverbands Bitkom. Sein Rat ist auch bei Ministerpräsident Winfried Kretschmann in dessen nicht öffentlichen Hintergrundgesprächen mit Unternehmern gefragt.

Privates und Geschäftliches getrennt

Dietz ist ein typisch schwäbisches Cleverle. Denn mit zehn Prozent hat er sein altes Unternehmen GFT mit seiner Software-Entwicklungspower hereingenommen, um die Umsetzung der neuen Projekte zu beschleunigen.

Und warum hat er GFT nicht gleich den ganzen Brocken schlucken lassen? „Wenn man solche ambitionierten Projekte entwickeln will, geht das leichter außerhalb eines börsennotierten Unternehmens mit seinen Quartalsberichten.“

Der Kunstliebhaber Dietz braucht gestalterische Freiheit. Ein Hasardeur ist er deshalb noch lange nicht. Hohe Gehälter wie bei Daimler üblich wird er den 60 verbliebenen Mitarbeitern nicht zahlen. Und außer bei seinem Faible für Kunst trennt er Geschäftliches und Privates strikt. „Sie brauchen Demut vor dem, was Sie tun“, sagt Dietz.

Als abschreckendes Beispiel im Ländle gilt ihm Windreich-Gründer Willi Balz, dessen Kampf um die Windparks in der Ostsee gerade vor dem Landgericht Stuttgart mit viereinhalb Jahren Haft, unter anderem wegen Insolvenzverschleppung, endete.

So etwas dürfte Dietz vermutlich nicht passieren. Zu viel hat er schon hinter sich: Der Softwarepionier musste sich immer verwandeln. Sonst hätte sein 1987 gegründetes und 1999 an die Börse gegangenes Unternehmen das Platzen der Blase am Neuen Markt nach der Jahrtausendwende nicht überlebt. Und sonst hätte GFT auch bei den gewaltigen Veränderungen in der Branche seither nicht bestehen können.

Dietz hatte immer die Ideen – und seine Frau, früher Einkaufchefin bei GFT, versuchte, das Geld zusammenzuhalten. Die Firma stand auch schon einmal kurz vor der Pleite, schaffte aber die Wende.

Angst, dass er jetzt mit seiner Holding zu große finanzielle Risiken mit Lab 1886 eingegangen ist, hat er nicht. Die erste Rechenmaschine von 1632 will er lieber nicht demonstrieren. Er weiß nicht mehr ganz genau, wie sie funktioniert. Aber das Geld im Haus Dietz hält ja seine Frau zusammen.