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Die 100-Milliarden-Dollar-Gelegenheit: Molecular Health will die Forschung revolutionieren

Die Papiere des Hamburger Konsumgüterriesen sind die teuersten im Dax. Foto: dpa

In der Medikamentenentwicklung bahnen sich große Veränderungen an. Der Datenspezialist will die Forschung mit Big Data und KI viel schneller und effizienter machen.

Mit ökonomischen Zeitenwenden kennt sich Dietmar Hopp bestens aus. Als Mitgründer von SAP schuf er in den 70er-Jahren den bis heute einzigen Softwarekonzern Deutschlands, der Weltgeltung erlangt hat. Und auch Friedrich von Bohlen hat als direkter Nachfahre des legendären Stahlunternehmers Alfried Krupp von Bohlen und Halbach weitreichende wirtschaftliche Entwicklungen sogar innerhalb der eigenen Familie eng begleitet.

Jetzt schickt sich das Duo gemeinsam an, die Pharmaforschung grundlegend mit zu verändern. Hopp als finanzstarker Investor und von Bohlen als visionärer Manager des Heidelberger Unternehmens Molecular Health (MH).

Von Bohlen sagt: „Durch die umfassende datenbasierte Integration des biologischen Wissens stehen Pharmaforschung, Diagnose und Therapie und damit letztlich das Gesundheitswesen als Ganzes vor großen Veränderungen. Diagnosen werden präziser, Behandlungen erfolgreicher, Nebenwirkungen geringer und Arzneimittelentwicklung produktiver und erfolgreicher.“

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Die nötigen Instrumente, glaubt der MH-Chef, könnte er mit seinem Heidelberger Gesundheitsanalytik-Spezialisten teilweise selbst liefern, und zwar mit einer besonders intensiv aufbereiteten Medizin-Datenbank und zugehörigen Analyseinstrumenten. Vor diesem Hintergrund lotet der Krupp-Nachfahre nun Möglichkeiten neuer Allianzen aus, in deren Rahmen die neuen Methoden der digitalen Pharmaforschung bei einem größeren Portfolio von Forschungsprojekten getestet werden könnten.

Das Grundkonzept des Heidelberger Unternehmens: An die Stelle der bisherigen „linearen“ Produktentwicklung über eine Folge von Einzelschritten – von der Suche nach molekularen Angriffspunkten über die Molekülauswahl- und Optimierung, präklinische Analysen bis hin zur Phase-III-Studie – sollte ein integrierter, datengestützter und viel stärker als bisher die Biologie integrierender Prozess treten.

Dieser Prozess soll die Entwicklungsschritte stark parallelisieren, über die Prozessabschnitte hinausgehendes Wissen integrieren, Wirkstoffkandidaten und Patientengruppen genauer selektieren und dadurch Ausfallraten, Kosten und Entwicklungszeiten deutlich reduzieren. „Für die Pharmabranche wäre das gewissermaßen der Übergang vom Propeller- zum Jetzeitalter“, sagt von Bohlen.

Der 56-Jährige bringt mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung auf dem Gebiet mit. Bereits Ende der 90er-Jahre gründete der studierte Neurobiologe die Bioinformatikfirma Lion Bioscience, die später im Pharmaentwickler Sygnis aufging. Mit Technologie und Mitarbeitern von Lion gründete er 2004 Molecular Health, an der auch SAP-Mitgründer Dietmar Hopp beteiligt ist. Daneben wirkt von Bohlen auch als Geschäftsführer der Dievini Hopp Biotech-Holding, unter deren Dach Hopp all seine Investments in mitunter bis zu einem Dutzend Biotechfirmen gebündelt hat.

Molecular Health mit derzeit rund 120 Mitarbeitern zählt sich selbst zu den „Pionieren in der datengetriebenen Medizin“. Es wurde bisher maßgeblich von Hopp mit einem Kapitaleinsatz über rund 180 Millionen Euro finanziert. Hopps Holding Dievini hält rund 90 Prozent des Kapitals, zehn Prozent liegen bei Gründern und Kooperationspartnern.

Die „100-Milliarden-Dollar-Gelegenheit“

Mit ihren Ambitionen in der digitalen Medikamentenentwicklung sind Hopp und von Bohlen in diesen Tagen keineswegs allein unterwegs. Das Thema beschäftigt sowohl Pharma- als auch Technologieunternehmen intensiv. Auch Marktforscher und Forschungs-Dienstleister wie Iqvia oder Medidata treiben das Thema voran. McKinsey-Experten sprechen mit Blick auf die Möglichkeiten in diesem Gebiet von einer „100-Milliarden-Dollar-Gelegenheit“. Und der Chef des Baseler Pharmakonzerns Roche, Severin Schwan, sieht die Pharmaforschung vor „einem großen Schub nach vorn“.

Der Schweizer Konzern hat mit den milliardenschweren Akquisitionen der US-Firmen Foundation Medicine und Flatiron für großes Aufsehen in der Branche gesorgt. Mit den Zukäufen kombiniert Roche einen Spezialisten für Genomanalysen mit einem Unternehmen, das auf die Analyse von Daten aus der klinischen Praxis, sogenannten Realworld-Daten, fokussiert ist.

Die meisten anderen Pharmahersteller treiben die Digitalisierung ihrer Forschung in weitaus kleineren Schritten und Allianzen voran. Novartis und Astra Zeneca etwa arbeiten mit Firmen wie der britischen Benevolent AI zusammen. Die Darmstädter Merck-Gruppe kooperiert mit der amerikanischen Firma Palantir und will mit ihr unter anderem ein System für den Austausch und die bessere Analyse von Informationen aus akademischen und sehr frühen Forschungsprojekten etablieren.

Darüber hinaus investieren zahlreiche kleinere Spezialisten in das Themenfeld. Dazu gehören in Deutschland etwa die Rostocker Firma Centrogene, die sich auf seltene Krankheiten konzentriert und jüngst ihr Debüt an der Nasdaq gab, oder die Eschborner Firma Innoplexus, die ebenfalls auf Basis einer umfangreichen Datenbank und KI Serviceleistungen für die Pharmaforschung anbietet.

Im angelsächsischen Raum treten einige junge, üppig finanzierte Start-ups wie die britische Benevolent AI oder die kalifornische Insitro inzwischen sogar mit der Ambition an, eine eigene KI-basierte Medikamentenentwicklung zu etablieren. Mehrere dieser Firmen haben nach Aussage von Bohlens inzwischen Interesse an einer Übernahme von Molecular Health signalisiert.

Auch daraus leitet der MH-Chef ab, dass die Fortschritte auf dem Gebiet der biologieintegrierten und datenbasierten Medizin über kurz oder lang in völlig neue F+E-Modelle für die Pharmaindustrie münden werden. Das gilt umso mehr, als gleichzeitig sowohl der Druck in Richtung einer stärkeren Personalisierung der Therapien als auch der Zwang zur kostengünstigeren Produktentwicklung und Versorgung zunimmt.

„Das ist mit den traditionellen F+E-Modellen nicht mehr zu leisten“, glaubt von Bohlen. „Wer in der Champions League mitspielen will, muss daher diesen fundamentalen Umschwung vollziehen. Die Industrie kennt solche Situationen. Denken Sie zum Beispiel an die Revolution biologischer Therapeutika. Acht der zehn heute umsatzstärksten Medikamente sind solche Arzneimittel. Das Verstehen der menschlichen Biologie ist der Schlüssel für alles: bessere Medikamente, bessere Diagnose und Behandlung, bessere und günstigere Versorgung. Und eines Tages auch für bessere Prävention.“


Medikamentenentwicklung beschleunigen

Die Experten von Molecular Health gehen davon aus, dass mit einem neuen integrierten und datengetriebenen Konzept Medikamente schneller und mit höheren Erfolgsquoten entwickelt werden könnten. Die Chance, dass ein Wirkstoffkandidat aus der Präklinik die Zulassung erreicht, lasse sich damit von bisher 6,5 auf etwa 13 Prozent verdoppeln.

Das wiederum würde auf einen erheblichen Effizienz- und Kostenvorteil hinauslaufen. Die Kosten für eine erfolgreiche Produktentwicklung, so die Schätzung von MH, könnten damit von durchschnittlich 750 Millionen auf etwa 450 Millionen Dollar reduziert, die Dauer der klinischen Entwicklung könnte auf von sieben auf fünf Jahre im Schnitt verkürzt werden.

In den 15 Jahren seit der Firmengründung hat Molecular Health nach eigener Einschätzung eine der umfassendsten Datenbanken mit Informationen über existierende Wirkstoffe, klinische Studien, Genanalysen und molekularbiologische Zusammenhänge etabliert. Die eigentliche Stärke sieht das Unternehmen dabei nicht im schieren Umfang der Daten, sondern in der besonders strukturierten Erfassung von biologischen und klinischen Daten sowie der intelligenten Vernetzung der Informationen.

Eine derart breite Integration können nach Einschätzung von Bohlens weder IT-Firmen wie IBM oder Palantir noch Start-ups wie Benevolent bieten, die aus dem computerbasierten Moleküldesign kommen und ebenfalls in das Datengeschäft drängen. „Die Qualität und die Breite der Daten und deren Prozessierung ist letztlich wichtiger als das schiere Datenvolumen“, zeigt sich der MH-Chef überzeugt.

„Big Data und KI sind angekommen. Das Verstehen biologischer und nichtbiologischer Patienten- und Gesundheitsdaten ist aber zuerst einmal das Verstehen, wie diese zusammengehören, zu integrieren und zu prozessieren sind. Das ist Domänen-Expertise. Technologie ist Mittel zum Zweck.“

Abgeleitet aus dem selbst geschaffenen „Dataom“ hat Molecular Health einzelne Softwareinstrumente entwickelt, die Pharmafirmen in der Produktentwicklung sowie Ärzte und Kliniken bei Therapieentscheidungen unterstützen, so insbesondere im Onkologiebereich, wo zunehmend individualisierte Behandlungen auf Basis von Genanalysen zum Einsatz kommen.

Mit der Versicherungsgruppe Hanse-Merkur etwa vereinbarte das Unternehmen jüngst eine Kooperation, wonach diese Systeme für Mitglieder der Versicherung im Bereich Krebsdiagnostik und Tumorbehandlung genutzt werden können. Auch die US-Arzneimittelbehörde FDA nutzt schon Systeme von MH, und zwar für die Analyse von möglichen Nebenwirkungen von Wirkstoffen.

Auch der Finanzinvestor Daten Capital wiederum erwarb jüngst eine Lizenz für den Einsatz des Softwareprodukts MH-Predict im Investmentbereich. Das Analyseinstrument wurde von MH entwickelt, um die Erfolgswahrscheinlichkeiten von klinischen Studien zu prognostizieren. In einem von der Investmentbank Goldman Sachs initiierten Konkurrenzvergleich erwies sich die Lösung nach Angaben von Bohlens als treffsicherstes Instrument für derartige Prognosen.

Daten-Capital-Gründer Amit Karna bescheinigt Molecular Health vor diesem Hintergrund nun „das Potenzial, die Arzneimittelentwicklung grundlegend zu verändern“.

Vorerst ist das alles indes noch eine große Wette auf die Zukunft. Bei einem Umsatz im niedrigen Millionenbereich schreibt Molecular Health nach wie vor rote Zahlen, wie von Bohlen einräumt.

Auf der Suche nach Partnern

Die bisherigen Erfolge mit einzelnen Anwendungen sowie wachsendes Interesse ausländischer Unternehmen bestärken ihn indes in seiner Zuversicht, dass die analytischen Systeme von Molecular Health den Kern eines neuen F+E-Modells in der Medikamentenforschung und in der Versorgung von Patienten bilden könnten. „Wir wissen, dass es funktioniert. Alle Teilschritte, die hier nötig sind, haben wir schon in einzelnen Fragestellungen adressiert und gezeigt, dass und wie es geht. Und unsere Therapie-Unterstützungssoftware für Onkologen, MH Guide, ist das derzeit einzige in Europa zugelassene Medizinprodukt seiner Art. Viele Daten, vor allem aber die Datenqualität in qualitätsgesicherten und computingbasierten Unterstützungsprozessen wie Integration und Interpretation sind der Schlüssel.“

Strategisches Ziel für das Heidelberger Unternehmen ist es daher, das eigene Know-how möglichst bald in Allianzen mit neuen Partnern auf eine breitere Basis zu stellen. Interessiert sei MH daher zum einen an Kooperationen mit Daten- und Technologieunternehmen im Gesundheitsbereich, also zum Beispiel Firmen wie Siemens, GE, IQVIA, die über umfangreiche Daten zu Verordnungen, Nebenwirkungen und Studien sowie über Bilddaten verfügen.

Zum anderen seien Partnerschaften mit Pharmaherstellern interessant, deren Produktivität und Erfolgswahrscheinlichkeiten neuer Produkte durch die Integration der Biologie und umfassende Datenanalytik systematisch gesteigert werden könnten. „Am liebsten würden wir das mit einem deutschen Partner machen“, sagt von Bohlen. Man führe hier Gespräche.

Auch einen kompletten Verkauf der Firma schließt der MH-Chef für den Fall einer außergewöhnlichen Offerte nicht grundsätzlich aus. Primäres Ziel sei es aber, nachhaltige Strukturen, Produkte und Marktzugänge zu schaffen, um die eigene Technologie so breit wie möglich dem Gesundheitsmarkt zugänglich zu machen.

„Wir wollen, dass das, was wir aufgebaut haben, tatsächlich beim Patienten ankommt. Indem bessere innovative Medikamente schneller und günstiger auf den Markt gelangen, bessere individuelle Diagnose und Therapie möglich werden, und weniger Menschen an Studien teilnehmen müssen, die am Ende scheitern. Und letztlich, um nicht nur Krankheiten besser zu verstehen, um sie besser behandeln zu können, sondern um Gesundheit zu verstehen, um sie besser schützen zu können. Das alles wird mit der Expertise, den Daten und den Technologien, die wir heute schon haben, möglich.“