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So trimmt CEO Flannery General Electric auf Effizienz

Eine zierliche blonde Frau steuert auf das Mikrofon im Saal zu: „Hallo, mein Name ist Janet Grey“, sagt sie mit ruhiger Stimme. Sie berichtet, wie sie schon während ihres Studiums bei General Electric jobbte, als Nachwuchsmanagerin den damaligen Vorstandsvorsitzeden Jack Welch kennen lernte – und sogar ihren Ehemann dort gefunden hat. Sie habe sich voll und ganz mit GE identifiziert, erzählt sie auf der Hauptversammlung des US-Mischkonzerns in der Nähe von Pittsburgh.

Doch die Zeiten haben sich geändert bei GE. „Ich kämpfe innerlich jeden Tag“, offenbart Grey. Sie habe sich verwandelt: von jemandem mit viel Glauben an das Unternehmen in jemanden, der das Fehlen jeglicher Loyalität gegenüber den Mitarbeitern verachte, sagt die Frau, die heute der lokalen Gewerkschaft UE Local 618 als Präsidentin vorsitzt.

Janet Grey ist verunsichert, und sie ist damit nicht allein. Nach dem abrupten Abgang des langjährigen Vorstandschefs Jeffrey Immelt im vergangenen August wissen viele nicht mehr, wohin der 122 Milliarden Umsatz schwere Konzern, einst das Aushängeschild der US-Industrie, steuert: Mitarbeiter und Investoren, aber auch GE-Pensionäre, die ihren Ruhestand oft mit üppigen Betriebsrenten und steten Dividendenzuflüssen finanzieren.

Seit Immelt zurückgetreten ist, tauchen immer mehr Probleme auf: Bilanzschönungen, verschwenderische Ausgaben, strategische Fehlentscheidungen. Der Aktienkurs hat seit Dezember 2016 mehr als die Hälfte seines Werts verloren. Das Unternehmen mit seinen gut 300.000 Mitarbeitern ist noch rund 130 Milliarden Dollar wert – und damit weniger als der Streamingdienst Netflix. Der Ikone GE, dem einzigen noch verbliebenen Gründungsmitglied von 1896 im Dow Jones, droht der Abstieg aus dem ehrwürdigsten Index der Welt.

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Vor Janet Grey und anderen Aktionären sitzt Ende April nicht mehr Jack Welch, dem sie einst die Hand schüttelte, sondern John Flannery. Der Manager hat das schwere Erbe seines Vorgängers Immelt angetreten und setzt nun alles daran, den Siemens-Rivalen schlanker und profitabler zu machen – und das Unternehmen damit aus der Krise zu holen. Dazu will er Geschäftsbereiche im Wert von 20 Milliarden Dollar verkaufen und setzt auf eine für GE neue Bescheidenheit. Die Strategie des 56-jährigen Amerikaners ist erst in Grundzügen erkennbar. Ob sie aufgeht? Noch kann es keiner sagen.

Verkaufen, verkaufen, verkaufen

Eins aber kann man in diesen Tagen sehen: Flannery macht Fortschritte. Anfangs schuf er mit der Ankündigung von Teilverkäufen, ohne die entsprechenden Kandidaten zu nennen, vor allem Verunsicherung im Konzern. Doch inzwischen kann er liefern. Sein größter Coup gelang ihm diese Woche: Er verkauft die seit 1907 zu GE gehörende Zugsparte an den Konkurrenten Wabtec für rund elf Milliarden Dollar. GE erhält knapp drei Milliarden in bar und einen 9,9-prozentigen Anteil an dem neu fusionierten Unternehmen. Die GE-Aktionäre werden dagegen mit 42,2 Prozent beteiligt. Der neue Lokomotiven-Hersteller wird mit seinen 27.000 Mitarbeitern rund acht Milliarden Dollar umsetzen.

Die Anleger begrüßten den Schritt und ließen den Aktienkurs von GE nach der Ankündigung um gut drei Prozent auf umgerechnet rund 13 Euro steigen. Zu alten Höchstständen ist es noch ein weiter Weg. Doch Gautam Khanna, Analyst bei der Investmentfirma Cowen, lobte den Verkauf in einem Schreiben an seine Kunden. Das schaffe Wert und sei „ein strategisches Plus für GE“.

Bereits im September hatte Flannery die Tochter „GE Industrial Solution“ für Elektrobauteile und Stromaggregate für 2,6 Milliarden Dollar an den Schweizer Elektrotechnikkonzern ABB verkauft. Im April kündigte er zudem den Verkauf der Sparte Gesundheitstechnologie für gut eine Milliarde an die Beteiligungsgesellschaft Veritas Capital an. Und er verhandelt gerade über den Verkauf der Beleuchtungssparte und will sich obendrein von zwei kleineren Luftfahrt-Töchtern trennen.

Auch vor den Mitarbeitern und Aktionären macht Flannery nicht halt. So halbierte er die Dividende und streicht in der Energiesparte 12.000 Arbeitsplätze; den Verwaltungsrat hat er kurzerhand verkleinert und den Managern für das vergangene Jahr die Boni gestrichen. „Das haben wir für 2017 verdient“, sagte Flannery auf der Hauptversammlung. Zwar ist das Jahr besser angelaufen als erwartet, aber GE ist immer noch ein Schatten seiner selbst. Der Konzern, der noch bis 2014 Jahr für Jahr zweistellige Milliardenbeträge unter dem Strich verdiente, rutschte im vergangenen Jahr mit fast sechs Milliarden Dollar tief in die roten Zahlen. Die Nettoschulden stiegen auf das 20-Fache des Gewinns vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen. Gleichzeitig schmolz das Eigenkapital auf 85 Milliarden Dollar zusammen.

Auf der anderen Seite steht der Berg an Goodwill, also der in der Vergangenheit rechnerisch zu viel gezahlte Preis für Übernahmen. Er ist auf 84 Milliarden Dollar angeschwollen und ist jetzt nur noch ein bloßer Hoffnungswert in der Bilanz. Sollten sich einzelne Firmenteile künftig nicht mehr so hoch anrechnen lassen wie zum Kauftag angenommen und sollte GE zu Abschreibungen gezwungen sein, kommt eine gefährliche Entwicklung in Gang.

Energiebereich bereitet Sorgen

Vor allem der Energiebereich bereitet Flannery nach wie vor Sorgen. Im ersten Quartal sank der Umsatz der Sparte GE Power um neun Prozent. Das Ergebnis brach sogar um 38 Prozent ein. Gerade bei den für das Geschäft wichtigen Turbinen läuft es schlecht, und an der geringen Nachfrage wird sich nach Aussagen des GE-Chefs sobald nichts ändern. Auch das ist eine Last, die er von seinem Vorgänger übernommen hat: Immelt hatte große Teile des Energiegeschäfts des französischen Alstom-Konzerns 2015 für 12,4 Milliarden Euro übernommen. Doch nur kurz danach brach die Nachfrage weltweit ein. Große Gasturbinen sind in Zeiten der Energiewende nicht mehr gefragt, auch Siemens leidet unter dieser Entwicklung. In Industriekreisen gilt die teure Alstom-Übernahme durch General Electric als strategische Fehlentscheidung.

Flannerys Hoffnungen liegen nun vor allem auf der Luftfahrt- und der Gesundheitssparte, die die Probleme des Energiebereichs auch im vergangenen Quartal größtenteils ausgleichen konnten. Der GE-Chef muss damit ein Comeback schaffen, an das bisher nur wenige glauben. Warren Buffett zum Beispiel, der mit seiner Holding Berkshire Hathaway im Krisenjahr 2008 für drei Milliarden Dollar GE-Aktien kaufte und sie später mit stattlichem Gewinn wieder veräußerte, meinte kürzlich, dass er heute den gesamten Konzern kaufen könnte. Doch, so fügte der Starinvestor zum Leidwesen vieler Anleger hinzu, er verstehe das Geschäftsmodell des Mischkonzerns nicht. Eine bitterere Botschaft gab es von Buffett wohl nur selten.

Die jüngsten Quartalszahlen sähen gut aus, meint JP-Morgan-Analyst Stephen Tusa. „Aber wenn man anfängt, in die Details zu gehen, und sich anschaut, was GE über die Zukunft des Geschäfts sagt, dann bezweifle ich, dass der Konzern seine Ziele beibehält.“ Tusa verweist vor allem auf den negativen Cashflow. Die geplanten Verkäufe würden diesen nur verschlechtern. Auch dass Altlasten der ehemaligen Finanzsparte das Schlussquartal 2017 mit sechs Milliarden Dollar belasteten, zerstörte viel Vertrauen in einen Neuanfang.

Etwas positiver sieht Deane Dray von RBC Capital die Lage. Das erste Quartal bezeichnet er als ermutigend, wenn auch als kleinen Comeback-Schritt nach einer „qualvollen Serie von Fehltritten“. Vor GE liege noch ein holpriger Weg, schreibt Dray. „Es muss viel gut gehen in ihrem Mehrjahres-Turnaround-Plan“, mahnt auch er. Der Verkauf der Zugsparte ist wohl ein Beispiel dafür.

Für dieses Jahr hat General Electric rund neun Milliarden Dollar Gewinn versprochen und einen freien Cashflow von sechs bis sieben Milliarden. Zwei Milliarden Dollar will Flannery einsparen. Dabei hat GE auch 1,5 Milliarden für eine Untersuchung des Justizministeriums zurückgestellt. Es geht um die frühere Tochter WMC, die auf riskante Immobilienkredite (Subprime) spezialisiert war.

Siemens zittert nicht mehr vor GE

In München beim Konkurrenten beobachten sie die Entwicklung in den USA genau. Über viele Jahre gab es bei Siemens eine regelrechte Fixierung auf den US-Rivalen. „Beat GE, beat General Electric!“, rief Ex-Chef Heinrich von Pierer 2002 auf der Hauptversammlung aus. GE galt als das Maß aller Dinge, als die Messlatte, die es zu erreichen galt.

Intern warnt Siemens-Chef Joe Kaeser zwar davor zu triumphieren. Man müsse konzentriert weiterarbeiten. Doch sieht er die Hauptkonkurrenten heute eher in fokussierten Spezialisten zum Beispiel aus Asien als im Konglomerat GE. Wo die Amerikaner noch immer nach einer klaren Strategie suchen, hat Kaeser sie seinem Konzern schon verpasst: Aus dem Mischkonzern wird eine Art Holding mit börsennotierten Töchtern. Die Windkraft wurde mit dem Konkurrenten Gamesa fusioniert, demnächst folgt nach einem ähnlichen Modell die Bahntechnik über eine Fusion mit Alstom.

Auch die Medizintechnik-Tochter Healthineers ist bereits an der Börse. Was die Geschäfte verbindet, ist die Digitalisierung auf der Internet-der-Dinge-Plattform Mindsphere. Ob die Neuaufstellung ein Erfolg wird, ist offen, doch zumindest ist es eine Vorwärtsstrategie, die aktionistischen Aktionären den Wind aus den Segeln nimmt. „Entweder wir gestalten, oder wir werden gestaltet“, drückte es Kaeser im Gespräch mit dem Handelsblatt aus. Wenn GE-Chef Flannery nun über Abspaltungen und mehr Selbstständigkeit für die Geschäfte sinniert, wirkt es, als orientiere er sich an Siemens.

So haben auch die groß angekündigten Offensiven von GE in Europa etwas von ihrer Bedrohung verloren. Früher hätten die US-Manager großspurig mit breiter Brust die Hosenträger schnalzen lassen, drückt es ein Branchenkenner aus. GE hatte ehrgeizige Wachstumsziele für Europa, insbesondere für die Digitalplattform Predix. Doch inzwischen wurden der Europa- und der Deutschlandchef ausgewechselt, ein Teil der Forschungsaktivitäten wird wieder wegverlagert. GE ist bescheidener geworden im Siemens-Land.

Investoren sind mit Zurückhaltung allerdings nur schwer zu gewinnen. Flannery entschuldigt sich daher auf der Hauptversammlung: „Uns ist klar, wie viel Leid wir mit unserer Performance und der Dividendenkürzung für Investoren, für Familien und für Rentner gebracht haben. Wir wissen, wie stark Sie darauf zählen.“ Die GE-Rentner kritisieren den neuen CEO auch nicht nur, sondern wollen ihn unterstützen auf dem Weg nach vorne. Thomas etwa hat 44 Jahre bei GE gearbeitet. Er schrieb Flannery nach dessen Antritt an einem Freitagabend eine E-Mail mit 13 Verbesserungsvorschlägen. „Am Montag früh um sechs hatte ich eine Antwort“, berichtet er. „Das ist ermutigend.“

Flannery will sich nun „auf die Stärken“ konzentrieren. „Wir müssen uns fragen: Wie können wir GE einfacher und stärker machen, um vorwärtszukommen?“ Übersetzt heißt das wohl: Noch mehr Bereiche verkaufen – so wie die Zugsparte.

Sein Vorgänger Immelt hatte sich zwar vom Finanzgeschäft seines Vorgängers getrennt. Aber die 200 Milliarden Dollar steckte er zu einem großen Teil in den Rückkauf eigener Aktien und baute den Konzern mit der Alstom-Sparte und dem Ölausrüster Baker Hughes als Konglomerat noch weiter aus.

Nun will Flannery die Strukturen wieder vereinfachen. General Electric existiere seit 126 Jahren, und es habe schon andere Krisen gegeben. „Wir haben das schon einmal hinter uns gebracht. Wir werden es schaffen!“