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Simone Menne: „Das Modell der alten Deutschland AG hat sich überlebt“

Die frühere Topmanagerin spricht über ihre Arbeit als Multiaufsichtsrätin und Netzwerkerin. Für sie sind fünf Mandate und maximal zehn Jahre die absolute Höchstgrenze.

Sie ist eine der einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft: Simone Menne kontrolliert die Dax-Konzerne BMW, Henkel und Deutsche Post. Vor ihrer Karriere als Multiaufsichtsrätin war die heute 60-Jährige eine der wenigen deutschen Topmanagerinnen. Sie war Finanzvorständin bei Lufthansa und beim Pharmakonzern Boehringer Ingelheim.

Als Kontrolleurin ist sie wie schon als Topmanagerin kritisch – mit sich selbst und ihren Amtskollegen. Ihres Erachtens sollte kein Aufsichtsrat mehr als fünf Mandate haben und nach spätestens zehn Jahren auch aus einem Gremium wieder ausscheiden.

„Ich habe fünf Mandate und bin damit an meiner persönlichen wie auch an der vom Kodex festgelegten Höchstgrenze angekommen. Mehr geht nicht“, erklärt Menne im Gespräch mit dem Handelsblatt. Und sie ist überzeugt: „Nach zehn Jahren ist ein Aufsichtsrat zum Teil des Systems geworden.“

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„Divers besetzte Teams sind erfolgreicher“

Dass die Macht in deutschen Aufsichtsräten immer noch auf einige wenige ältere Herren konzentriert ist, tut Menne als Relikt aus vergangenen Zeiten ab: „Das ist die alte Deutschland AG. Doch das ist ein Modell, das sich überlebt hat und ausläuft.“

Viel mehr ärgert sie, dass sich in puncto Frauen in Führungspositionen so wenig tut: „Es ist traurig, dass Unternehmen anscheinend Gesetze und den unerbittlichen Druck von Investoren brauchen, die wie ich davon überzeugt sind, dass divers besetzte Teams erfolgreicher sind, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen.“

Im Leben von Simone Menne dreht sich nicht alles um Bilanzen und Strategien. Seit zwei Jahren führt sie in ihrer Heimatstadt Kiel eine Galerie. Denn: „Kunst hilft unheimlich, klar und vieldeutig zu denken. Kunst ist ein Augenöffner.“

Lesen Sie hier das vollständige Interview

Frau Menne, die Arbeit von Aufsichtsräten ist in diesem Jahr durch den Wirecard-Skandal und die Coronakrise in die Kritik geraten. Zu Recht?
Der Fall Wirecard ist eine Ausnahme und sollte nicht verallgemeinert werden. Die Governance hat sich in Deutschland insgesamt verbessert – dank des Corporate Governance Kodex und des Drucks von Investoren. Daher halte ich es für falsch, mehr Regulierung zu fordern.

Die Aufsichtsratsarbeit hat sich in allen Bezügen und Belangen professionalisiert. Das Overboarding, also das Innehaben von zehn oder mehr Mandaten, ist heute nicht mehr möglich. Es traut sich heute zudem kein Aufsichtsrat mehr, unvorbereitet in Sitzungen zu erscheinen und Vorschläge des Vorsitzenden oder Pläne des Vorstands nur abzunicken.

In unserer Studie zeigt sich, dass Vorstände seit Einführung der Cooling-off-Periode nur noch selten in den Aufsichtsrat berufen werden. Eine gute Entwicklung?
Absolut. Ein früherer Vorstand hat immer die Neigung, sich ins operative Geschäft einzumischen. Disruption, die heute in vielen Industrien notwendig ist, ist zudem nur schwer möglich, wenn Aufsichtsräte quasi ihre eigenen früheren Entscheidungen als Vorstände korrigieren sollen.

Sie waren viele Jahre Finanzvorstand bei der Lufthansa. In früheren Zeiten wären Sie damit prädestiniert gewesen, im Aufsichtsrat den Prüfungsausschuss zu übernehmen
Ein früherer Vorstand ist als Aufsichtsrat nicht unabhängig. Auch ich wäre das natürlich nicht gewesen. Ich habe mich immer gut mit dem heute amtierenden Vorstandsvorsitzenden der Lufthansa, Carsten Spohr, verstanden. Doch wenn ich ihn heute kontrollieren müsste, wäre ich natürlich nicht unvoreingenommen, und es würde mich bei Kritik zu Recht auch keiner als neutrale Instanz wahrnehmen.

Die Digitalisierung, die Coronakrise, der Klimawandel: Erfordern diese Trends nicht ein stetigeres Auswechseln der Aufsichtsräte?
Ich bin nicht für schnelle Wechsel. Sie brauchen gerade als Nicht-Insider einige Zeit, um sich in einen Konzern hineinzudenken. Ich bin jetzt sechs Jahre Aufsichtsrätin bei der Deutschen Post, und ich würde sagen, ich bin jetzt gut drin.

Der Deutsche Corporate Governance Kodex erlaubt, dass ein Aufsichtsrat bis zu zwölf Jahre in ein und demselben Aufsichtsrat ist. Wann sollte Ihres Erachtens Schluss sein?
Nach zehn Jahren. Dann ist ein Aufsichtsrat zum Teil des Systems geworden, weil er selbst viele Entscheidungen mitgetroffen oder mitgetragen hat. Wie soll dann noch ein Strategieschwenk oder gar Disruption gelingen? Die Verharrungskräfte werden zu groß. Die Betriebsblindheit kommt noch hinzu.

Vielleicht sollte man deshalb die Regel aufstellen: ein Fünfjahresvertrag, dann noch einmal drei Jahre Verlängerung, und dann ist Schluss. Und ein ehemaliger Topmanager sollte nach spätestens 15 Jahren seine Karriere als Multiaufsichtsrat beenden. Dann ist er einfach zu lange aus dem Operativen raus.

Für mich wird demnach spätestens mit 70 Jahren Schluss sein. Und dann soll es auch gut gewesen sein.

Wann sind Kontrolleure Ihres Erachtens unabhängig?
Jeder Aufsichtsrat muss sich vor allem auch selbst überprüfen. Ich besitze etwa keine Aktien der drei Dax-Konzerne, die ich überwache. Bei meinen beiden amerikanischen Mandanten bei Johnson Controls und Russell Reynolds ist das anders: Aktien gehören dort zum Teil des Honorars.

Zudem sollte ein Aufsichtsrat finanziell nicht abhängig von einem Mandat sein. Ich habe fünf Mandate und lebe von der Summe dieser fünf Bezüge. Ich bin zudem mit keinem Aufsichtsrat oder Vorstand in den Konzernen, die ich kontrolliere, befreundet. Mir war meine Unabhängigkeit schon immer sehr wichtig.

Ich bin bei Lufthansa etwa auf eigenen Wunsch zu einem Zeitpunkt raus, als es für mich finanziell ungünstig war. Wäre ich nur ein Jahr länger Finanzvorstand geblieben, hätte ich deutlich höhere Rentenansprüche gehabt. Unabhängigkeit ist das Wichtigste.

Lässt sich Unabhängigkeit gesetzlich oder regulatorisch festlegen?
Der Kodex erzwingt ja bereits Rechtfertigung. So können Großaktionäre wie zum Beispiel Susanne Klatten oder Stefan Quandt als Aufsichtsräte bei BMW meiner Ansicht nach nicht als unabhängig bezeichnet werden. Sie sind wichtige Ankerinvestoren. Diese Form der Nicht-Unabhängigkeit ist nicht zu beanstanden, im Gegenteil. Sie muss aber erklärt werden, um Transparenz zu schaffen.

Sie führen in unserem Ranking der mächtigsten Aufsichtsräte Deutschlands die Kategorie „Netzwerk“ an. Welche Netzwerke pflegen Sie jenseits dieser Gremien?
Ich bin Mitglied bei Fidar, die sich für mehr Frauen in Führungsgremien einsetzen, sowie im Frauennetzwerk Merton.

Warum? Was bringen Ihnen diese Netzwerke?
Es findet dort ein inhaltlicher Austausch mit Gleichgesinnten über aktuelle Themen statt. Es geht dort, um es klar zu sagen, nicht um Kungelei oder Absprachen. Das sind keine Seilschaften wie in alten Zeiten. Schon von der Zusammensetzung dieser Netzwerke ginge das gar nicht. Aber es geht auch um die Förderung von Frauen.

Gerade im Dax 30 zeigt sich unserer Studie zufolge ein kontinuierlicher Rückgang der Amtsträger mit mehreren Mandaten. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Ich habe fünf Mandate und bin damit an meiner persönlichen wie auch an der vom Kodex festgelegten Höchstgrenze angekommen. Mehr geht nicht. Wenn ich einen Vorsitz innehätte, würde ich sogar nur drei oder vier Mandate wahrnehmen wollen.

Nur ein Mandat ist meines Erachtens aber auch nicht unbedingt gut. Ich profitiere als Multiaufsichtsrätin schon von Synergien. So kann ich Erfahrungen zu neuen Gesetzgebungen oder Prozesse wie den Wechsel des Wirtschaftsprüfers von einer Gesellschaft auf die andere übertragen.

In den Top-Riegen der Aufsichtsräte wird laut unserer Studie immer stärker durchgetauscht. Dennoch: Ein Großteil der aktuell mächtigsten Aufsichtsräte ist seit mehreren Jahren in der Spitzengruppe ...
Das ist die alte Deutschland AG. Doch das ist ein Modell, das sich überlebt hat und ausläuft.

Der Anteil der Frauen und Ausländer stagniert demgegenüber seit Jahren nun erstmals wieder bei 30 beziehungsweise zehn Prozent.
Das macht mich fassungslos, vor allem auch, weil Deutschland das einzige Land ist, in dem die Coronakrise dazu geführt hat, dass der Frauenanteil wieder gesunken ist. Wir brauchen deshalb die Quote auch für Vorstände. Und das sage ich Ihnen nicht einfach so.

Es ärgert mich wahnsinnig, dass ich für die Quote sein muss. Es ist traurig, dass Unternehmen anscheinend Gesetze und den unerbittlichen Druck von Investoren brauchen, die wie ich davon überzeugt sind, dass divers besetzte Teams erfolgreicher sind, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen.

Wie setzen Sie sich selbst als Aufsichtsrätin für mehr Diversität ein?
Im Rahmen meiner Einflussmöglichkeiten tue ich das schon. Ich bin bei meinen Mandaten aber wegen meiner Finanzexpertise – in diesem Fall muss ich sagen leider – immer im Prüfungsausschuss und nicht im Nominierungsausschuss.

Sie betreiben seit zwei Jahren eine Kunstgalerie in Kiel. Was gibt Ihnen das?
Kunst hilft unheimlich, klar und vieldeutig zu denken. Kunst ist ein Augenöffner. Gerade die momentane Krise zeigt schließlich, wie sehr wir Kunst und Kultur brauchen, um nicht durchzudrehen.

Frau Menne, vielen Dank für das Interview.