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Schluss mit der Zettelwirtschaft: So werden Deutschlands Handwerker digital

Die Digitalisierung setzt Handwerksbetriebe unter Druck. Viele wissen nicht, in welchen Bereichen Digitalisierung sinnvoll ist. Dabei gibt es externe Unterstützung.

Mehr als 90 Prozent der 3,7 Millionen Unternehmen in Deutschland sind Solo- oder Kleinbetriebe. Die Digitalisierung stellt sie vor besondere Herausforderungen. Foto: dpa
Mehr als 90 Prozent der 3,7 Millionen Unternehmen in Deutschland sind Solo- oder Kleinbetriebe. Die Digitalisierung stellt sie vor besondere Herausforderungen. Foto: dpa

Bekommen wir jetzt alle iPads?“, scherzten die Mitarbeiter unsicher, als ihr Chef Reyno Thormählen ihnen die Digitalisierungsoffensive in seinem Betrieb für Blitzschutz und Elektrotechnik in der Oldenburger Zentrale verkündete. Tablets hat es für die meisten Mitarbeiter zwar nicht gegeben, aber sie mussten einen sogenannten „E-Check IT“ absolvieren.

Das Kompetenzzentrum Digitales Handwerk hat die Blitzschutzfirma als ersten Handwerksbetrieb ausgezeichnet, weil er sich gegen Hacker gewappnet hat und eine ausgezeichnete Cybersicherheit gewährt. Für Thormählen war das der erste Schritt in Richtung Digitalisierung, aber nicht der letzte.

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Etwa 170 Kilometer weiter nordöstlich, in Hamburg-Bergedorf, sitzt der Tischlereibetrieb Willy Curdt. Eike Curdt ist seit 2012 Co-Geschäftsführer des Familienunternehmens in dritter Generation. Der große, schlaksige Mann hat seitdem versucht, seine Firma zu digitalisieren – jedoch ohne konkreten Plan.

Schließlich hat er im Rahmen der „go-digital“-Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums einen externen Digitalberater engagiert. Seit Juni arbeiten seine 25 Angestellten mit einer komplett neuen Software. Die Papierberge verschwinden nach und nach.

Was diese beiden handwerklichen Unternehmen eint, ist vor allem die Einstellung ihrer Mitarbeiter, die den Begriff Digitalisierung gefürchtet haben. Oft schwebte der Gedanke mit, Maschinen würden die Arbeitskraft Mensch ersetzen. Vielen war die Vorstellung zuwider, ihren gewohnten Arbeitsalltag zu verändern. Andere haben nicht verstanden, warum ein Firmenkonzept, das jahrzehntelang auf analoge Prozesse gemünzt war, plötzlich durch digitalisierte Abläufe Optimierung erfahren sollte.

Weder Reyno Thormählen noch Eike Curdt sind Ausnahmefälle im deutschen Handwerk. Über 90 Prozent der 3,7 Millionen Unternehmen in Deutschland sind Solo- und Kleinunternehmen, sagt Digitalberater Uwe Matern aus Hamburg. Alle diese Firmen beschäftigt derzeit branchenunabhängig ein Thema: die Digitalisierung. Meist sind die Geschäftsführer mit den Fragen und Problemen überfordert und brauchen externe Unterstützung.

Gegen Cyberangriffe wappnen

Matern ist auf kleine und mittelständische Unternehmen spezialisiert und für das Förderprojekt „go-digital“ zertifiziert. „Es geht nicht nur um Optimierung, sondern auch um Transparenz bei den verschiedenen Arbeitsschritten“, sagt er. „Eine einzelne Person schafft es nicht, den Workflow des gesamten Unternehmens aufzubrechen – das gilt vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen“, ist auch der Digitalberater Philipp Wachter von Wachter Digital Partners aus Köln überzeugt.

Thormählen ließ sich nicht von den Ängsten seiner Mitarbeiter anstecken. Er konzentrierte sich auf ein ganz konkretes Thema: Cybersicherheit. Bei einem Unternehmertreffen bekam er mit, wie Hacker eine benachbarte Firma gehackt hatten. Wochenlange Umsatzverluste waren die Folge. „Das hat meine Alarmglocken aktiviert. Offenbar werden nicht nur die Großen, wie Daimler oder Airbus, Ziele von Hackern“, erinnert sich der 55-jährige Unternehmer.

Deshalb wollte Thormählen seine Firma gegen Cyberangriffe wappnen. Da unter anderem Siemens und Volkswagen zu Thormählens Großkunden gehören, schloss er eine Versicherung gegen Cyberkriminalität ab: „Mit diesen Kunden vereinbaren wir einzelvertraglich umfassende Datenschutzklauseln. Kommt es zu einem Cyberangriff auf unsere IT, benötigen wir eigene Experten, um gegen die Rechtsabteilungen der großen Dax-Konzerne zu argumentieren“, sagt Thormählen.

Im Zuge seiner Recherche kam er auf das Kompetenzzentrum Digitales Handwerk und auf die sogenannte Cyber-Checkliste, die etwa 200 Fragen beinhaltet, darunter Erstmaßnahmen bei einem Hackerangriff, Datensicherung und Mitarbeiterschulungen. „Der Mitarbeiter ist eine nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle. Er muss nur auf einen Link klicken, der ihn per Mail erreicht hat und schon ist das Tor für den Virus geöffnet“, warnt Thormählen.

Potenzielle Cyberangriffe befürchtet der 20 Jahre jüngere Eike Curdt nicht. Sein primäres Ziel: verschiedene Arbeitsprozesse in seinem Tischlereibetrieb zu verschlanken. Er suchte einen Digitalberater, der ihn bei seinen Vorhaben unterstützt und auch seine Mitarbeiter einbindet. „Da ich nicht hundertprozentig wusste, was mich erwartet, war es gut, dass ich externe Hilfe hatte“, sagt Curdt.

Curdt wollte die Buchhaltung digitalisieren, damit er seinem Steuerberater nicht monatlich einen Papierstapel übergeben muss. Seine Angestellten sollten wissen, wie ihre Arbeitswoche geplant ist, ohne dafür zwischen unzähligen Zetteln nach Aufträgen zu suchen. Ihm war wichtig, dass die Kommunikation transparenter wird, ohne dass das Team stundenlang über alle Schritte sprechen muss. Künftig sollen die einzelnen Arbeitsschritte gebündelt in eine Software integriert werden.

Immer mehr Daten werden digital erfasst

Im Zuge der „go-digital“-Initiative hat Curdt eine App über Tablets oder Smartphones in den Arbeitsalltag der Mitarbeiter integriert. Es gibt zwar noch Aufträge in Papierform, aber die Zettel sind mit Scancodes versehen. Diese Codes kann Curdts Mannschaft einscannen – so speichert die Software wertvolle Informationen, wie Arbeitszeit, Kostenstelle und den konkreten Auftrag ab.

Curdt weiß nun per Mausklick, wo sich welcher Mitarbeiter aufhält und woran er arbeitet. Letztlich kann er viel besser planen und Aufträge annehmen. „Führt man sich vor Augen, dass wir den Wechselprozess erst im Juni eingeführt haben, sind wir vergleichsweise schon sehr weit“, sagt er. In erster Linie beträfe diese Neuerung die Monteure, die viel außerhalb der Tischlerei arbeiten. Aber auch in der Produktionshalle können sich die Mitarbeiter über Terminals ins System eintragen und sich ihren Kostenstellen zuordnen.

Thormählen beschäftigt ebenfalls Monteure, die außerhalb der Büros arbeiten. Er hat probeweise eine kleine Gruppe von ihnen mit Tablets ausgestattet, mit denen sie ihre Stunden elektronisch auflisten können. Früher gaben die Monteure ihre Zettel im Büro ab, die die Mitarbeiter in der Buchhaltung händisch abtippten. Aber auch andere Bereiche hat die Firma digitalisiert, wie etwa das Abrechnungssystem.

Der Ingenieur hat eine Software für Aufträge und ihre Bearbeitung integriert, die mit der Buchhaltung elektronisch kommunizieren kann. „Vorher gab es Insellösungen und wenn Zettel verloren gingen oder die Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen nicht kommuniziert haben, gab es Probleme“, erklärt Thormählen. Mittlerweile stünden alle Programme miteinander in Verbindung.

„Die Digitalisierung der Zettelwirtschaft haben wir vor drei Jahren angestoßen. Theoretisch müssten wir nichts mehr ausdrucken“, sagt der 55-Jährige, „aber ganz ehrlich: Manchmal tun wir es immer noch.“ Wichtig sei, „dass die älteren Mitarbeiter jüngere Kollegen als Ansprechpartner haben“.

Ähnliche Erfahrungen hat auch Curdt gemacht. „Vor dem Start des Förderprogramms wussten meine Mitarbeiter nicht einmal, wie sie eine E-Mail archivieren“, erzählt der Mittdreißiger. Wäre Curdt nicht in die Geschäftsführung aufgestiegen, so ist er überzeugt: Sein Vater wäre von selbst nie auf das Förderprojekt „go-digital“ gestoßen. „Der Unternehmenssinn in Deutschland ist stark veraltet“, findet Curdt, „es gibt kaum Leute, die bestehende Betriebe übernehmen können.“ Die meisten Inhaber seien 50 bis sogar vielleicht 70 Jahre alt.

Digitalberater Matern sieht die Sache anders: „Das ist keine Altersfrage, sondern des Management-Stils. Wer nur einen Führungsstil kennt, der auf Bewahren fokussiert ist, der erkennt innovative Digitalisierungsprozesse nicht“, sagt er. Die Herausforderung sei, sich einem neuen und agilen Führungsstil zu öffnen.

Thormählen und Curdt versichern, dass sie keine Arbeitsplätze streichen wollen. „Ich will nur den Tageswahnsinn an Papierbergen minimieren“, erklärt Curdt.