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Schließung von Voith-Werk: „Das ist kein kalter Kapitalismus“

Der Vorstands- und der Aufsichtsratschef von Voith erklären im Interview, warum sie aus Prinzip nicht von unpopulären Entscheidungen abrücken. Es gebe faire Angebote.

Voith-CEO Toralf Haag und Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm wollen Werke für Turbogetriebe schließen und zusammenlegen. Credits: David Sailer, Sebastian Berger Foto: dpa
Voith-CEO Toralf Haag und Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm wollen Werke für Turbogetriebe schließen und zusammenlegen. Credits: David Sailer, Sebastian Berger Foto: dpa


Im Familienunternehmen Voith ist der soziale Frieden gefährdet. Die Belegschaft in Sonthofen streikt seit mehreren Wochen. Voith-CEO Toralf Haag und Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm wollen Werke für Turbogetriebe schließen und zusammenlegen. Die Gespräche mit der Arbeitnehmerseite gehen in die finale Runde.

Der Fall des Maschinenbauers erinnert an Siemens und das Werk in Görlitz, das auch geschlossen werden sollte. Konzernchef Joe Kaeser revidierte seine Entscheidung aber nach massivem Druck von Politik und Arbeitnehmern. Der Unterschied in diesem Fall ist, dass Voith hart bleiben wird: „Es gibt Ebenen in der Belegschaft und bei den Belegschaftsvertretern, die haben sich inzwischen bewegt, andere sind verhärtet“, sagt Vorstandschef Haag im Interview mit dem Handelsblatt.

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Sein Chefaufseher ergänzt: „Wenn wir uns nicht einigen können, wenn auch das Einigungsverfahren scheitert, dann sieht unser Rechtssystem vor, dass der Eigentümer am Ende entscheidet.“ Das familienfremde Topmanagement sieht keinen Widerspruch zu seinem Image als fürsorgliches Familienunternehmen. Es gebe faire Angebote. Kein Arbeitsplatz werde ins Ausland verlagert.

„Wir müssen den Konzern und die 20.000 Arbeitsplätze nachhaltig zukunftssicher machen. Das ist kein kalter Kapitalismus. Das ist unsere eigentliche soziale Verantwortung als Unternehmer“, betont Haag. Die Familie trage den Kurs mit. Gleichzeitig werde auch in Coronazeiten die strategische Entwicklung auch mit Zukäufen weitergehen.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Russwurm, Herr Haag, seit bekannt ist, dass Voith das Werk für Turboantriebe mit 500 Mitarbeitern in Sonthofen schließen will, ist der soziale Friede in Ihrem Familienkonzern dahin. Hatten Sie mit derartigem Widerstand gerechnet?
Toralf Haag: Um präzise zu sein: Wir wollen in der Tat die Produktion aus Sonthofen in andere deutsche Werke verlagern. Rund 170 Arbeitsplätze im Engineering wollen wir in der Region aufrechterhalten. Wir hatten Widerstand erwartet und wissen natürlich, dass die geplanten Produktionsverlagerungen einschneidend für die Mitarbeiter sind. Allen Mitarbeitern haben wir aber alternative Arbeitsplätze angeboten.

Wirklich? Die Belegschaft sieht das offenbar anders und streikt seit über drei Wochen.
Haag: Es gibt Ebenen in der Belegschaft und bei den Belegschaftsvertretern, die haben sich inzwischen bewegt, andere sind verhärtet.

Siegfried Russwurm: Tatsächlich haben noch nicht alle den Weg zu einer konstruktiven Lösung gefunden. Es gibt Teile der Belegschaft, die wollen offenbar signalisieren, dass sie die Schließung der Produktion verhindern können. Dafür gibt es keine juristische Grundlage.

Was meinen Sie mit „juristischer Grundlage“?
Russwurm: Wenn wir uns nicht einigen können, wenn auch das Einigungsverfahren scheitert, dann sieht unser Rechtssystem vor, dass der Eigentümer am Ende entscheidet. Das müsste dort zur Kenntnis genommen werden. Wir bieten viele faire Alternativen an, wie wir die Folgen der Produktionsverlagerung für die Betroffenen mildern können, aber der Widerstand in Sonthofen ist deutlich verhärtet.

In Eintracht mit der IG Metall behaupten die Arbeitnehmervertreter, das Werk sei seit Jahren voll ausgelastet, noch dazu im Dreischichtbetrieb tätig. Wenn das stimmt, warum gibt es dann keine andere Lösung?
Russwurm: Die Auslastung eines einzelnen Werks ist nur scheinbar ein Beweis für Wirtschaftlichkeit. Es zählt die Profitabilität der gesamten Sparte, und die ist im Vergleich mit unseren großen Konkurrenten nicht wettbewerbsfähig. Wir müssen uns deutlich stärker als bisher fokussieren und konzentrieren.

Haag: Es geht in Sonthofen immerhin um Sparpotenzial in Höhe eines niedrigen zweistelligen Millionenbetrags. Wir haben in der Antriebssparte einfach zu viele zu kleine Werke in Deutschland.

Aber ist der unternehmerische und moralische Preis nicht sehr hoch? Zum einen stehen die Bänder nicht wegen Corona still, sondern weil die Belegschaft hartnäckig streikt. Zum anderen ist inzwischen sogar die bayerische Landesregierung alarmiert. Der Fall zieht nun auch politische Kreise.
Russwurm: Ich verstehe ja, dass die Emotionen vor Ort einen Raum brauchen. Aber irgendwann muss es ein Abbiegen in Richtung Verständigung geben. Wir wollen faire Lösungen. Wir werden uns um die Auszubildenden kümmern und sicherstellen, dass sie ihre Ausbildung abschließen können. Wir haben allen Mitarbeitern einen Arbeitsplatz in einem anderen Voith-Werk in Deutschland angeboten. Wir würden auch unsere guten Kontakte zu anderen Unternehmen in der Region nutzen und eine Transferbörse installieren – und noch einiges mehr. Aber aus Sonthofen heißt es nur: „Wir verhindern die Schließung der Produktion.“ Es gibt kaum Gesprächsbereitschaft.

Die Angestellten beklagen einen Verfall der moralischen Sitten im Hause Voith, wonach das Vorgehen zu kühl kalkulierenden Aktiengesellschaften passe, nicht aber zu einem 153 Jahre alten Familienkonzern, der sich seiner besonderen sozialen Verantwortung rühmt.
Haag: Wir müssen den Konzern und die 20.000 Arbeitsplätze nachhaltig zukunftssicher machen. Das ist kein kalter Kapitalismus. Das ist unsere eigentliche soziale Verantwortung als Unternehmer.

Ophelia Nick hielt als Abgesandte der Familie bei der Feier zum 150. Geburtstag der Firma vor drei Jahren eine Rede, in der sie folgenden Satz sprach: „Wir sind keine Shareholder, wir sind Bewahrer“ …
Russwurm: Das ist genau unser Leitmotiv, die Firma dauerhaft zu bewahren. Wir haben uns die Entscheidung wahrlich nicht leicht gemacht. Aber sie ist strategisch und betriebswirtschaftlich zu 100 Prozent richtig, und deshalb sind wir mit uns auch im Reinen.

Wie steht die Familie zum Schließungsbeschluss für Sonthofen? Daneben sollen auch die Werke in Zschopau und Mülheim schließen.
Haag: Wir haben unser Konzept im vergangenen Oktober intensiv im Gesellschafterausschuss und mit der Familie diskutiert. Und die Gesellschafter auch darauf vorbereitet, dass es Widerstand geben könnte. Außerdem wird ja kein einziger Arbeitsplatz ins Ausland verlagert, sondern es sind nur Verschiebungen zwischen den inländischen Werken geplant.

Nun sind die Widerstände, wie Sie selbst sagen, trotzdem deutlich heftiger ausgefallen, als Sie es im Herbst erwartet hatten. Haben Sie seither nochmals mit der Familie darüber gesprochen?
Russwurm: Das haben wir. Wir haben auch die Alternativvorschläge dargestellt und erläutert, warum diese eben keine dauerhafte Lösung sind. Die Gesellschafter haben den Plan bekräftigt und uns signalisiert, dass sie zu der Entscheidung stehen, und zwar aus einem einzigen Grund: weil sie unsere Argumentation nachvollziehen können. Sie ist im Einvernehmen mit dem langfristigen Interesse der Familie am Unternehmen.

Der Fall erinnert an das Vorhaben Ihres früheren Arbeitgebers Siemens, das Werk im strukturschwachen Görlitz zu schließen. Da mischte sich dann die Politik ein, als die Arbeitnehmer auf die Straße gingen, und Konzernchef Joe Kaeser revidierte seine Entscheidung. Wie beurteilen Sie das?
Russwurm: Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich nicht zu anderen Unternehmen äußere. Generell gilt bei weitreichenden Entscheidungen für die Belegschaft aber immer: Sie müssen als Unternehmer vor der Entscheidung einer Werksschließung oder Produktionsverlagerung alle denkbaren Alternativen zu 100 Prozent durchgerechnet und überprüft haben, um sicher zu sein, dass es keine bessere Variante gibt. Sie stürzen immerhin ganze Familien in emotionale Krisen, wenn plötzlich Jobs wegfallen. Da können Sie nicht plötzlich aufstehen und sagen: „Wir haben noch mal neu gerechnet und sind nun zu einem anderen Ergebnis gekommen.“ Das ist kein verantwortungsvolles Management.

Haben Sie schon erwogen, den Plan vor Ort höchstselbst der aufgebrachten Belegschaft zu erklären?
Haag: Natürlich haben wir uns darüber Gedanken gemacht. In den vergangenen Monaten haben sich Vertreter der Konzernbereichsleitung immer wieder persönlich der Belegschaft in Sonthofen und ihren Fragen gestellt. Aber die grundsätzliche Entscheidung der Produktionsverlagerung ist nicht verhandelbar. Wir reden natürlich gerne und ausführlich darüber, wie wir diese für das Gesamtunternehmen wichtige Entscheidung für die Mitarbeiter abfedern können.

Neben dem Ärger mit den Werksschließungen kommt das Management der Coronakrise hinzu. Wie herausfordernd ist die Situation?
Haag: Das Wichtigste: Unsere Liquidität ist im dreistelligen Millionenbereich stabil geblieben, weil unsere operativen Sparten gut funktionieren und die Lieferketten intakt geblieben sind, sodass wir die Wünsche unserer Kunden erfüllen konnten. Das Papiergeschäft, insbesondere mit Verpackungen, läuft gut, genauso wie unsere Energietechnik. In der Antriebssparte sind wir dagegen stärker von den Folgen der Pandemie betroffen, weil in einigen Industrien der Kundenbedarf massiv eingebrochen ist.

Wie steuern Sie gegen?
Haag: Wir haben natürlich die Kosten angepasst, arbeiten konzernweit im Schnitt mit 20 Prozent Kurzarbeit, und auch die internen Investitionen haben wir um ein Drittel gekürzt.

Reicht das, um die Krise zu meistern?
Haag: Wir kommen gut durch die Krise. Das Unternehmen ist in stabilem Zustand. Das erste Halbjahr war robust. Im Gesamtjahr wird der Umsatz allerdings sinken. Aber alle drei großen Sparten schreiben bislang schwarze Zahlen.

Ihr Kreditrating bei den Agenturen könnte besser sein. Der Ramschstatus, bei dem von einem Investment abgeraten wird, ist nicht sonderlich weit entfernt.
Haag: Wir fühlen uns mit diesem Investmentgrade wohl und könnten bei Bedarf Geld aufnehmen, und zwar zu sehr annehmbaren Konditionen.

Welche Summe müssen Sie an die rund 40 Eigentümer ausschütten?
Russwurm: Die Eigentümer erhalten bei Voith eine Ausschüttung, die im Quervergleich zu sonst üblichen Gepflogenheiten in der Industrie einer relativ bescheidenen Dividende entspricht.

Ausreichend Liquidität scheint demnach vorhanden zu sein, gleichzeitig sind mögliche Zukäufe durch die Krise vielleicht etwas billiger geworden. Wie sehen Sie das momentane strategische Potenzial?
Haag: Wir haben ja zuletzt bereits mehrere kleinere Akquisitionen vorgenommen, die uns neuen Umsatz von über 300 Millionen Euro eingebracht haben. Wir haben unser Servicegeschäft strategisch ausgebaut und unsere Lücke bei elektrischen Antrieben geschlossen. Zudem halten wir die Augen weiter offen.

Russwurm: Erstens: Das Geld aus dem Verkauf der Kuka-Anteile ist vollständig im Unternehmen verblieben und noch weitgehend vorhanden. Unsere Eigenkapitalquote liegt weiterhin in der Größenordnung von 30 Prozent. Zweitens wollen wir unser bestehendes Geschäft weiter zukunftssicher machen, gegebenenfalls auch mit weiteren Zukäufen. Drittens: Seien Sie versichert, dass die strategische Entwicklung von Voith auch während der Coronazeit unvermindert weitergeht.
Herr Russwurm, Herr Haag, vielen Dank für das Interview.