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Revanche von Audi? Wie ein Diesel-Manager vom Zeugen zum Beschuldigten wurde

Überraschender Seitenwechsel: Die Münchner Staatsanwälte ermitteln im Dieselskandal gegen einen ihrer Hauptinformanten. Das könnte an einer Retourkutsche von Audi liegen.

„So können wir es nicht schreiben.“ Die Antwort des Audi-Dieselmotorenchefs Ulrich Weiß auf die Nachfrage aus der Kommunikationsabteilung war eindeutig. Es war der 23. September 2015 und die Nervosität im Konzern greifbar. Nur wenige Tage zuvor war öffentlich geworden, dass die Audi-Mutter Volkswagen im großen Stil Abgaswerte manipuliert hatte.

Fragen von Medien und Kunden, ob oder wie sehr der Skandal auch Audi betraf, waren absehbar. Die Kommunikationsabteilung wollte dem Vertrieb und den Handelspartnern Antworten an die Hand geben. Die beabsichtigte Botschaft: Kein Grund zur Sorge. Die nach den Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 zugelassenen Audi-Fahrzeuge erfüllten die gesetzlichen Anforderungen und Umweltnormen.

Audi-Sprecher Udo Rügheimer setzte die Meldung auf die Wichtigkeitsstufe 1, bat um Freigabe des Vorstands, die Aussagen so zu treffen. Eingebunden in den Prozess war auch Dieselmotorenchef Weiß. Er warnte, dass es ganz so einfach dann doch nicht war. Der Leiter der Produktanalyse, Stefan Dirks (Name von der Redaktion geändert), meldete ebenfalls Bedenken an. Das Credo der beiden Ingenieure: Vorsicht.

Rügheimer fasste zusammen: „Hier gibt es ja noch Änderungsbedarf – so verstehe ich die E-Mail von Herrn Weiß. Stefan möchte die gelbe Formulierung weglassen – wegen Defeat Device in den V6 und V8-Motoren.“

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Heute, fast vier Jahre nach Ausbruch der Dieselkrise, ist der E-Mail-Verkehr zwischen dem Audi-Sprecher und den Audi-Technikern zur Belastung geworden. Die gelbe Formulierung umfasste die umweltgesetzlichen Anforderungen an die Dieselmotoren. Ein Defeat Device war eine Abschaltreinrichtung für die Abgasreinigung – und sie war verboten. Auch nach dem 23. September 2015 gerieten aber Fahrzeuge mit Defeat-Device in den Verkauf.

Das machte Weiß zu schaffen. Seine Karriere bei Audi fand kurz nach Bekanntwerden des Skandals ihr Ende. Im November 2015 stellte der Autobauer den hochrangigen Ingenieur frei, kündigte ihm gut ein Jahr später fristlos. Die Begründung: Weiß habe den Vorstand und ein Expertengremium über die Manipulation von Dieselabgaswerten getäuscht.

Weiß wehrte ich gegen Rauswurf

Diese Behauptung bestreitet Weiß bis heute vehement. Gegen seinen Rauswurf wehrte er sich juristisch. 2017 trafen sich beide Seiten vor dem Arbeitsgericht Heilbronn – ein Termin, der für Audi unangenehm wurde.

Der Anwalt von Weiß zitierte aus einem Gesprächsprotokoll zwischen seinem Mandanten und dem damaligen Audi-Vorstandschef Rupert Stadler. Weiß wurde darin als Opfer dargestellt. Zudem entstand der Eindruck, die Audi-Chefetage habe schon Jahre vor Bekanntwerden des Skandals Hinweise auf Unstimmigkeiten bei den Abgaswertem von Dieselmotoren gehabt, aber nicht gehandelt.

Zu einem zweiten Termin kam es nicht mehr. Nachdem Audi jahrelang behauptet hatte, Weiß würde die Unwahrheit sagen, verkündete ein Unternehmenssprecher im Oktober 2017: „Das Arbeitsverhältnis wurde einvernehmlich beendet.“ Seither schweigt Weiß in der Öffentlichkeit über den Dieselskandal.

Anschließend fand der ehemalige Audi-Manager einen neuen Job in der Schweiz. Es schien, als habe der Dieselskandal für ihn ein versöhnliches Ende genommen. Weiß galt als Aufklärer, die Staatsanwaltschaft führte ihn als Zeugen. Doch nun führt sie ihn als Beschuldigten.

„Der erst kürzlich erfolgte Schritt der Staatsanwaltschaft hat uns überrascht“, sagt der Anwalt von Weiß. „Aus Sicht der Verteidigung hat sich Herr Weiß nichts vorwerfen zu lassen.“

Überraschender Schritt der Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft erläutert ihre Entscheidung auf Nachfrage nicht – das ist bei einem laufenden Verfahren üblich. Indizien gibt es trotzdem: Weiß ist nur einer von vier neuen Namen auf der Beschuldigtenliste in München. Alle waren Teil des E-Mail-Verkehrs vom 23. September 2015, den Audi im Herbst 2018 den Behörden übergab.

Der Schritt hat nicht nur Weiß überrascht. Zwar betonte der Volkswagen-Konzern seit Beginn der Krise, er wolle die Behörden bei ihren Ermittlungen unterstützen. Tatsächlich aber blockierten die Konzernanwälte, wo sie nur konnten.

Der bei der US-Kanzlei Jones Day in Auftrag gegebene Untersuchungsbericht wurde entgegen aller Ankündigungen nie veröffentlicht. Als ihn die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte, zogen die Konzernjuristen bis vor das Bundesverfassungsgericht, um seine Auswertung zu verhindern. Dass Audi nun Beweise gegen einen Top-Ingenieur frei Haus an die Staatsanwaltschaft liefert, ist deshalb erstaunlich.

Audi öffentlich bloßgestellt

Audi schweigt zu seinen Beweggründen, verweist aber darauf, dass das Unternehmen stets betont habe, die Aufklärung des Dieselskandals konsequent voranzutreiben. Manche Loyalisten empfinden eine späte Genugtuung.

Zwar einigte sich das Unternehmen 2017 gütlich mit Weiß über seine Trennung – zu Konditionen, die dem Vernehmen nach sehr günstig für den Ingenieur waren. Allerdings trauten viele bei Audi schon damals dem Frieden nicht. Weiß hatte Audi öffentlich bloßgestellt. Seine Aussagen im Arbeitsprozess in Heilbronn wurden in Ingolstadt nicht vergessen.

Die Akten zeigen außerdem: Audi-Anwälte stießen sich schon 2016 an der Rolle von Weiß. Einer von ihnen berichtete dem Aufsichtsrat, der Motorenchef habe schon im September 2015 „alles gewusst“.

Sein Wissen über die Manipulationen an den Abgaswerten habe er aber erst Mitte November gemeldet. Das war zu spät. Denn: Zwei Wochen zuvor machten US-Umweltbehörden Audis Verstöße schon öffentlich, und zwar in einer sogenannten Notice of Violation – zu deutsch: Mitteilung einer Verletzung.

Der E-Mail-Verkehr spricht nicht eindeutig dafür, dass Weiß wirklich alles wusste. Der ehemalige Audi-Manager hakte intern nach, wies auf Ungereimtheiten hin, stellte Fragen. In Summe zeigt der Schriftverkehr kein klares Bild einer Vertuschungsabsicht.

Stadler unter Auflagen aus dem Gefängnis

Diese konnten die Ermittler erst zwei Jahre später beim Vorstandsvorsitzenden ausmachen. Rupert Stadler kam im Juni 2018 in Untersuchungshaft, weil er mit einem Manager darüber sann, was er gegen „die Deppen“ unternehmen könne, die bei den Behörden Aussagen über die Manipulationen an Dieselmotoren machten.

Stadler durfte das Gefängnis im Oktober 2018 wieder verlassen, aber nur unter Auflagen. Seine Karriere bei Audi ist beendet. Mit einer Verfassungsbeschwerde gegen seinen Haftbefehl ist er gerade gescheitert.

Die Karriere von Audi-Sprecher Udo Rügheimer dagegen geht weiter. Auch sein Name zählt zu den vier neuen, mit denen sich die Staatsanwaltschaft inzwischen näher beschäftigt. Für Rügheimer gilt zunächst die Unschuldsvermutung.

Seinen Umgang mit Journalisten macht dies trotzdem nicht leichter. Bei Fragen nach den Schuldigen im Dieselskandal spricht der Audi-Sprecher nun auch in eigener Sache.

Mehr: Lesen Sie hier, wie die Audi-Mutter Volkswagen mit ihrem Ex-Chef Rupert Stadler umgegangen ist, der im Zuge der Ermittlungen ins Gefängnis musste.