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Die Populisten ernten, was die etablierten Parteien säten

Petry, Le Pen, Wilders und Co sind im Aufwind, weil die etablierten Parteien grundlegende politische Bedürfnisse ignorieren. Die lassen sich durch Gegendemonstrationen nicht aus der Welt schaffen.

Wer am Samstagmorgen nach Koblenz kam, musste den Eindruck gewinnen, dass ein Staatsoberhaupt in der Stadt zu Besuch war. Ganze Straßenzüge abgesperrt, Hunderte behelmte Polizisten patrouillierten, Demonstranten skandierten. Heerscharen von Journalisten und Fernsehteams aus der ganzen Welt drängelten sich, um in die Rhein-Mosel-Halle zu kommen.
Und wen gab es da zu sehen, der so viel Aufmerksamkeit verdiente? Kein Staatsoberhaupt, nicht einmal einen Minister! Nur ein knappes Dutzend europäischer Oppositionspolitiker, die üblicherweise als Rechtspopulisten bezeichnet werden und deren Parteien sich im Europäischen Parlament in der Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF) verbündet haben: Frauke Petry von der AfD, Marine Le Pen vom französischen Front National, der Vorsitzende der niederländischen „Partei für die Freiheit“ (PVV) Geert Wilders, Harald Vilimsky von der österreichischen FPÖ, dazu Vertreter aus Italien, osteuropäischen Staaten und Großbritannien. Mit diesem als große Show mit Licht, Fahnen und Musik inszenierten Spitzentreffen zum Auftakt des europäischen Superwahljahres bekundeten sie den Willen zur Macht.


Die Zusammenkunft in Koblenz sollte ein Fanal für das Superwahljahr 2017 sein: Ein „neues Europa“ mit weniger EU-Integration und mehr Souveränität für die Nationalstaaten, also ein „Europa der Vaterländer“ stehe zur Wahl. Le Pen fabulierte gar pathetisch vom „Ende einer Welt“ und der „Geburt einer neuen“. 2016 war für Le Pen „das Jahr, in dem die angelsächsischen Völker erwachten“ – der Brexit und Trumps Amtsantritt brachten alle Redner zum Schwärmen. 2017 soll nun, so Le Pen „das Jahr des Erwachsens der kontinentaleuropäischen Völker“ werden.


Was Le Pen, Wilders und Petry stark macht, ist kein gemeinsames Programm, erst recht keine Ideologie. Beides gibt es gar nicht, weil ihre Gemeinsamkeit vor allem eine negative ist: Die Ablehnung der EU.
Die ENF-Politiker haben einen großen taktischen Vorteil: Sie brauchen kaum positive, konkrete sachpolitische Gemeinsamkeiten. Petrys Ehemann, der AfD-Europa-Abgeordnete Marcus Pretzell konnte in seiner Rede zur Eröffnung eine wirtschaftsliberale Botschaft und sogar grundsätzliche Sympathie für einen europäischen Binnenmarkt verkünden, ohne ein Zerwürfnis mit Marine le Pen herauf zu beschwören, deren Wirtschaftsprogramm deutlich dirigistisch geprägt ist. Schließlich wollen beide der nationalen Souveränität über die Wirtschaftspolitik Vorrang vor gesamteuropäischen Regeln einräumen.
Man solle sich bloß nicht die Mühe machen, nach wirtschaftspolitischen Streitpunkten zwischen den verschiedenen ENF-Parteien zu suchen, sagte le Pen. Schließlich sei man sich einig, dass zur kulturellen Verschiedenheit der europäischen Völker auch wirtschaftspolitische Eigenheiten gehörten. Sie wolle nur, dass die französische Regierung Herrin im eigenen Haus sei, verkündete Le Pen, aber nicht in dem der anderen Länder.


Die Repräsentationslücke

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Was die selbst erklärten „Patrioten“ Europas gemeinsam zu bieten haben, machten sie in allen Reden überdeutlich. Destillieren lassen sich drei große Versprechen: Freiheit, Souveränität und Schutz. Das sind uralte politische Bedürfnisse. Sie stehen am Anfang aller modernen Staaten, die nach einer weltlichen Legitimation vor ihren Bürgern suchten.
Ein wachsender Teil der Bürger vieler europäischer Staaten sieht diese Bedürfnisse von den etablierten politischen Eliten vernachlässigt - und ist daher empfänglich für Alternativangebote. Die Ursachen für den Erfolg dieser neuen Parteien sind daher nicht in erster Linie bei diesen selbst zu suchen. Da bricht kein finsteres Unglück aus historischen Untiefen unverdient über sonst glückliche und funktionierende Gesellschaften herein. Ihr Erfolgsgeheimnis ist auch nicht in erster Linie in den demagogischen Fähigkeiten ihrer Protagonisten zu verorten. Obwohl man Geert Wilders und Marine Le Pen rednerisches Talent und verführerisches Charisma nicht absprechen kann.


Die Ursachen für das, was sich in Koblenz nun in konzentrierter Form beobachten ließ, liegen bei den etablierten Parteien. Sie haben offensichtlich versagt vor der Aufgabe, politische Grundbedürfnisse zu befriedigen. Oder wie es die Politologin Karin Priester formuliert: „Populisten ernten nur dort, wo andere gesät und ein Vakuum der politischen Repräsentation hinterlassen haben.“
Das Vakuum ist nicht in irgendeinem Nebenschauplatz der Politik entstanden, sondern bei Kernanliegen des Staates: Souveränität, Freiheit, Sicherheit. Wenn bei einem wachsenden Teil der Bevölkerung der Eindruck entsteht, dass diese existentiellen Ansprüche, die viel älter und grundlegender sind als etwa sozialstaatliche Versorgung, nicht erfüllt werden, ist das nicht den verunsicherten Bürgern anzukreiden, sondern den politischen Verantwortungsträgern.


Jean Asselborn, Sigmar Gabriel, Malu Dreyer, die sich zu den Gegendemonstranten in Koblenz gesellten, hoffen vermutlich immer noch, dass dieses „neue Europa“ wie ein Spuk verschwindet. Doch danach sieht es nicht aus. Schon gar nicht angesichts des Mannes, der die westliche Führungsmacht in den kommenden vier Jahren regieren wird – und dessen Sieg von den meisten Rednern in Koblenz begrüßt wurde.
„Jeannie wird nicht in die Flasche zurückgehen“, prophezeite Wilders. Er dürfte so lange recht behalten, wie die etablierten politischen Kräfte in Brüssel und den europäischen Hauptstädten weiter davon träumen, dass man nur geschlossen klare Kante gegen rechts zeigen müsse, um die neuen Gegner als unwählbare Nazis zu entlarven und verblendete Wähler zurückzugewinnen. Das ist ein eitler Irrtum. Moralisierende Sozialpädagogik überzeugt niemanden, der frustriert nach Repräsentanz für seine politischen Interessen sucht. Wer Angst hat, dass unbegrenzte Einwanderung seinen Lohn drückt und seine nationale Identität raubt, der wird sich nicht von Benefizkonzerten und Gegendemos bewegen lassen, wieder Sigmar Gabriels SPD oder Francois Hollandes Sozialisten zu wählen. Allenfalls wird er nicht mehr offen darüber reden, wen er zu wählen gedenkt.


Wilders könnte sich natürlich auch irren. Und die etablierten Parteien könnten das Entscheidende dazu beitragen. Wenn sie zu grundlegenden Korrekturen eigener Fehlentscheidungen bereit wären, also dazu, die selbst verursachte Repräsentationslücke zu schließen und wieder glaubwürdig selbst das anzubieten, was ihre verlorenen Wähler bei der neuen Konkurrenz suchen.