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Mission Öko-Bahn: Mit diesem Konzept will Richard Lutz seine Kritiker überzeugen

Der Bahn-Chef hat ein Zukunftskonzept für den Staatskonzern entwickelt. Das Papier liegt dem Handelsblatt vor. Fällt es durch, könnte es für ihn eng werden.

Für Richard Lutz steht am Dienstag viel auf dem Spiel. Der Bahnchef muss 20 Aufsichtsräte von seiner neuen Strategie überzeugen. Sein Masterplan, der dem Handelsblatt vorliegt, sieht eine grundlegende Reform des Staatskonzerns vor. Die Deutsche Bahn soll künftig für die Attribute pünktlich, modern, leistungsfähig und vor allem ökologisch stehen.

Ohne die Bahn, so die Kernbotschaft, scheitern alle ambitionierten Klimaziele in Deutschland. Fällt sein Plan durch, könnte es auch für Lutz an der Bahnspitze eng werden.

Patzer kann sich der 55-Jährige nicht leisten. Nicht mehr. Anfangs begleiteten ihn selbst notorische Bahn-Kritiker mit Wohlwollen. Lutz hatte zum Start als CEO vor zweieinhalb Jahren angekündigt, die Bahn „von oben zu kehren“. Das kam gut an.

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Zur Jahreswende sah es aber so aus, als würden ihn die massiven Verspätungen der Fernzüge, anhaltende Probleme im Service und die notorisch defizitäre Güterbahn von seinem Posten fegen. Mehrfach musste Lutz bei Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer zum Rapport antreten und dem CSU-Politiker versprechen, bis zum Sommer ein tragfähiges Konzept für die Bahn vorzulegen.

Das liegt nun vor und trägt den sperrigen Namen „Starke Schiene“, ist 170 Seiten stark und definiert erstmals seit der Bahnreform vor 25 Jahren eine Vision für den Staatskonzern. In der Industrie wäre neudeutsch vom „Purpose“ des Unternehmens die Rede. Das Konzept soll Weichen stellen für eine noch nie da gewesene Wachstumsoffensive der Bahn. Eine grüne Bahn, die auf die Klimaziele der Regierung einzahlt. Das Projekt „Starke Schiene“ wird aber auch über Lutz’ Zukunft entscheiden.

Die Botschaft: Konzentration auf das Kerngeschäft Eisenbahn, Verdoppelung der Fahrgastzahlen von jetzt 148 Millionen auf 260 Millionen, ein dichtes Deutschlandnetz mit ICE und IC, eine Milliarde mehr Kunden im Nahverkehr, 70 Prozent mehr Gütertransport durch die Cargo-Tochtergesellschaft, 30 Prozent mehr Kapazität durch Ausbau der Schienenwege und Digitalisierung, 100.000 neue Mitarbeiter, Umbau der Bahnhöfe zu „Drehscheiben moderner Mobilität“, 100 Prozent Ökostrom ab 2038.

Dazu würden zweistellige Milliardenbeträge allein in neue Züge investiert. Die ICE- und IC-Flotte soll laut dem Papier auf bis zu 600 Züge anwachsen. Derzeit sind rund 390 Einheiten im Einsatz. Damit will Lutz seinen Aufsichtsrat, aber auch die Regierung überzeugen, die seinen Plan mitfinanzieren muss.

Der Bahn-Chef will angesichts der Klimadebatte die Eisenbahn als das Verkehrsmittel der Zukunft positionieren. „Nur mit einer starken Schiene sind Deutschlands Klimaziele erreichbar“, heißt es selbstbewusst in seinem Papier.

Erste Einschätzungen im Aufsichtsrat signalisieren, dass Lutz noch überzeugen muss. „Endlich mal ein Papier, das den Sinn und Zweck einer Deutschen Bahn definiert“, loben zwar einige Kontrolleure. Anderen dagegen ist das Strategiepapier zu allgemein, zu wenig konkret.

Lutz ist vom Wohlwollen der Politik abhängig. Das musste er noch auf den letzten Metern zur Fertigstellung seines Papiers erleben. Die Bahn wollte eigentlich ab 2050 nur noch mit Ökostrom fahren, jetzt steht im Papier das Datum 2038. Hier führte der Bundesverkehrsminister Regie. Auch der Plan von Lutz, die Verkehrsleistung im Schienengüterverkehr von jetzt 18 auf 25 Prozent zu steigern, scheint schon wieder überholt. Aus dem Ministerium heißt es 25 bis 30 Prozent, und das bis 2030.

Erst recht sind Personalentscheidungen ein heikles Thema. Der Plan, den Vorstand von sechs auf acht Mitglieder zu erweitern und die Kerngeschäftsbereiche Fern-, Regional- und Güterverkehr jeweils mit einem operativen Vorstand zu besetzen, scheiterte. Grund: Auf politischen Druck sollte Sigrid Nikutta, jetzt Chefin der Berliner Verkehrsgesellschaft BVG, in das Führungsgremium der Bahn einziehen. Der Widerstand gegen die Kandidatin war allerdings auch groß. Ergebnis: Im Bahn-Vorstand bleibt vorerst alles beim Alten.

Immerhin: Verkehrsminister Scheuer steht jetzt zu seinem Bahn-Chef. Die Strategie hat Lutz vorab mit ihm abgestimmt. Doch es bleiben schwer kalkulierbare Risiken.

Was ist, wenn die Verspätungsbilanz am Jahresende nicht einmal in die Nähe der ohnehin bescheidenen Zielmarke von 76 Prozent kommt? Was passiert, wenn die Güterbahn erneut Milliardenabschreibungen machen muss? Wem fällt das Dauerärgernis Stuttgart 21 auf die Füße, wenn selbst die jetzt vom Aufsichtsrat freizugebende Reserve von einer halben Milliarde Euro nicht mehr reicht?

Es gilt die Devise des Bahn-Chefs: „Wer depressiv veranlagt ist, sollte besser nicht zur Bahn gehen.“

Finanzierung: Warum Arriva geht und Schenker bleibt

Dieser Punkt dürfte an Richard Lutz’ Plan umstritten sein. Die Auslandstochter Arriva soll verkauft werden, der Logistikkonzern Schenker aber nicht. Allenfalls Minderheitsbeteiligungen von Investoren werden in Erwägung gezogen. Dabei lautet die klare Ansage im Strategiepapier, dass alles, was nicht zum Kerngeschäft zählt, auf den Prüfstand kommt. Und „Arriva hat nur geringe strategische Relevanz für die starke Schiene“, heißt es.

Schenker soll bleiben, weil das Unternehmen den Zugang zu einem „globalen Logistik- und Kundennetzwerk“ ermöglicht. Sprich: Schenker soll dem Güterverkehr auf der Schiene (DB Cargo) zu Aufträgen verhelfen. Darauf wartet die Bahn allerdings schon seit dem Kauf von Schenker vor 20 Jahren vergeblich.

In der Bundesregierung gibt es deshalb kontroverse Meinungen zu den Beteiligungsplänen der Bahn. Denn: Was nicht an Geld durch Verkäufe hereinkommt, fehlt in der Finanzierung. Arriva soll etwa vier Milliarden Euro bringen und würde damit nicht mal den Mehrbedarf der Qualitätsoffensive von fünf Milliarden Euro decken. Da sind beispielsweise 110 Millionen Euro extra eingeplant, um Kunden mit Echtzeit‧infos zu versorgen oder 150 Millionen Euro für Zuginstandhaltung.

Die Bahn selbst sieht sich in der Lage, jährlich drei und vier Milliarden an Cashflow zur Finanzierung zu generieren. Doch der Investitionsbedarf steigt auf bis zu 14 Milliarden Euro im Jahr 2023. Und der Bund ist nach derzeitigem Verhandlungsstand allenfalls bereit, 6,5 Milliarden zuzuschießen. Da bleibt nur die Flucht in höhere Schulden. Die bislang gültige 24-Milliarden-Euro-Begrenzung (inklusive Leasingschulden) wird schon dieses Jahr mit großer Wahrscheinlichkeit geknackt.

Güterverkehr: Drohende Abschreibung

Die Güterbahntochter DB Cargo hängt wie ein Damoklesschwert über dem Bahn-Konzern. Schafft Cargo in diesem Jahr nicht die Wende, drohen Abschreibungen in Millionenhöhe. Schon einmal, im Geschäftsjahr 2015, riss Cargo das Staatsunternehmen tief in die roten Zahlen. Abschreibungen über 1,3 Milliarden Euro auf Fahrzeuge und Auslandsbeteiligungen waren nötig, weil die Geschäftserwartungen sich nicht erfüllten.

Schon im Geschäftsbericht 2018 findet sich ein Hinweis darauf, dass DB Cargo erneut Abschreibungsbedarf von 300 Millionen Euro haben könnte, wenn der Negativtrend nicht aufgehalten wird. Bahn-Insider sprechen von weitaus höheren Risiken.

Seit Jahren verliert DB Cargo Transportaufträge, ständig wird die Bahn-Tochter umstrukturiert, ein Managementwechsel folgte dem nächsten. Ein neues Produktionssystem sollte die Wende bringen, doch die Einführung im Jahr 2018 führte erst einmal nur dazu, dass die Bahn noch mehr Aufträge verlor. Dafür gibt es mehrere Gründe. Das System funktionierte nicht wie geplant. 2018 konnten 5 300 bestellte Züge nicht gefahren werden. Es fehlten Waggons und Personal.

Auch der Start im Jahr 2019 verlief unerfreulich. Im ersten Quartal machte Cargo 79 Millionen Euro Verlust. Eines der größten Probleme ist der Einzelwagenverkehr. Hier müssen einzelne Waggons bei den Kunden abgeholt, zeitaufwendig zu Zügen zusammengestellt und am Endbahnhof wieder einzeln zum Kunden rangiert werden. Das ist im Gegensatz zu kompletten Containerzügen, die beispielsweise zwischen Hamburg und Süddeutschland pendeln, wenig effizient.

Ergebnis: Einzelwagenverkehre machen zwar nur 30 Prozent des Cargo-Umsatzes von 4,2 Milliarden Euro aus, sind aber für den Großteil der Verluste verantwortlich. Die Bahn kann das Geschäft aber aus politischen Gründen nicht einstellen.

Fernverkehr: Bauen statt Fahren

Bahnreisende müssen in diesem Sommer einmal mehr starke Nerven haben. Die Zahl der verspäteten Fernzüge wird im Juni und Juli wieder über 25 Prozent steigen. Das sagen interne Berechnungen voraus. Grund sind teilweise über 800 Baustellen – pro Tag. Dabei sind wegen Sanierungsarbeiten gesperrte Strecken wie gerade Hannover-Würzburg schon im Fahrplan eingearbeitet. Das heißt: Züge sind länger unterwegs, aber es gilt nicht als Verspätung.

Das Dilemma der Bahn bleibt vorerst. 2018 und 2019 wird es so viele Baustellen wie noch nie geben, damit die Züge später pünktlicher fahren können. Irgendwann muss der Sanierungsstau von rund 50 Milliarden Euro im deutschen Schienennetz einmal abgearbeitet werden.

Der Fernverkehr ist weiterhin das größte Ärgernis des Staatskonzerns. Zumal Personalmangel in den Zügen wie auch in den Werkstätten inzwischen zweitwichtigste Ursache für die viel zitierten „Verzögerungen im Betriebsablauf“ sind. ICE- und IC-Züge fahren zwar nur etwa zehn Prozent des Konzernumsatzes der Deutschen Bahn ein, sind aber das Aushängeschild.

So erklärt sich auch, dass jetzt allein eine Milliarde Euro zusätzlich in den Fernverkehr investiert werden soll, um Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit zu erhöhen. Dabei greift die Bahn auch zu Maßnahmen, die einen Konstruktionsfehler der Bahnreform notdürftig reparieren. Sogenannte Planstart-Teams mit Mitarbeitern aus verschiedenen Bahn-Tochtergesellschaften sorgen an wichtigen Bahnhöfen dafür, dass Züge pünktlich abfahren. Früher hatten alle diese Eisenbahner einen gemeinsamen Arbeitgeber.

Aber selbst ohne Baustellen und Betriebsprobleme stehen der Bahn turbulente Zeiten bevor: 260 Millionen Fahrgäste sollen bald befördert werden, 30 Prozent mehr Züge auf dem Netz verkehren, der Deutschlandtakt eingeführt werden. Ein genaues Zieldatum nennt vorsichtshalber niemand. Wie dieser geplante Sturm auf die Bahn organisiert werden soll, das weiß heute keiner. Zumal sich bis 2030 die Hälfte aller 190 000 Eisenbahner in den Ruhestand verabschieden wird.

Fahrzeugbeschaffung: Ärger mit der Industrie

Die Vorgabe der Koalitionsregierung, die Zahl der Fahrgäste bis 2030 zu verdoppeln, stellt die Bahn vor eine enorme Herausforderung. In Zahlen bedeutet das 260 Millionen Fahrgäste allein im Fernverkehr (gemessen an 2015), eine Milliarde mehr Kunden im Nahverkehr. Die Zahl der Sitzplätze soll um bis zu 100 Prozent erhöht werden, heißt es im Strategiepapier der Bahn.

Die gesamte ICE- und IC-Flotte muss möglicherweise auf bis zu 600 Einheiten aufgestockt werden. Der Bahnvorstand denkt sogar schon darüber nach, einen ICE der fünften Generation mit Höchstgeschwindigkeit 300 Kilometer in der Stunde zu bestellen. Allein die derzeit laufenden Bestellungen für Fernverkehrszüge kosten schon rund sieben Milliarden Euro.

Die ambitionierten Ziele sind aber nur zu erreichen, wenn die Industrie mitzieht. Doch auf die ist kein Verlass. Schon wieder gibt es ein Problem mit dem Paradezug der Bahn, dem neuen ICE 4. Vor Monaten wurden Risse in Bodenträgern festgestellt, die zwar nicht sicherheitsrelevant sind, aber zu einem Annahmestopp durch die Bahn führten. 25 von 119 bestellten Einheiten sind im Einsatz. Der ICE 4 wird von Siemens geliefert, Bombardier baut Teile des Fahrzeugs.

Schon der Vorgänger machte Schlagzeilen. Nachbestellte Züge kamen erst mit zwei Jahren Verspätung. Auch die neuen Doppelstock-IC von Bombardier gingen mit jahrelanger Verzögerung in Betrieb. Hersteller, Bahn und das Eisenbahnbundesamt machen sich gegenseitig verantwortlich.

Der Bahn bereitet das allerdings große Probleme. Neue Fahrzeuge werden dringend gebraucht, um den Kundenansturm zu bewältigen und Versprechen einzulösen wie dieses: 30 Großstädte sollen schon bald im Halbstundentakt verbunden werden. Kann die Industrie nicht rechtzeitig liefern, muss die Bahn ihre Ankündigungen kassieren. Neuer Ärger ist programmiert.