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Kritik an Seehofers Abschiebegesetz – auch aus den eigenen Reihen

Das Bundeskabinett will Abschiebungen erleichtern und Leistungen für Asylbewerber anpassen. Nicht nur die Opposition sieht Nachbesserungsbedarf.

Das Bundeskabinett macht den Weg zu einer grundlegenden Neuregelung des Ausländerrechts frei. Einen solcher Kraftakt hatten viele der Großen Koalition nicht mehr zugetraut, die in ihrem ersten Regierungsjahr vor allem mit sich selbst beschäftigt war.

Ausgerechnet Innenminister Horst Seehofer (CSU), der die vierte Regierung von Kanzlerin Angela Merkel innerhalb weniger Monate gleich zweimal in die Krise stürzte, profiliert sich auf einmal als Konsenssucher. Als wolle er die Zankerei um seine umstrittenen Grenzpläne und das Gezerre um den nicht minder umstrittenen früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen vergessen machen.

Drei Gesetze hat das Bundeskabinett am Mittwoch beschlossen: das Geordnete-Rückkehr-Gesetz, das Asylbewerberleistungsgesetz und das Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz. Sie sollen Abschiebungen erleichtern und Integrationsangebote verbessern. Wer in Deutschland bleiben darf, soll es leichter haben. Aber wer fort soll, darf nicht mit Milde rechnen. So lässt sich die Intention der Regierung zusammenfassen.

Seehofer und die Unionsfraktion sehen vor allem Handlungsbedarf bei den Abschiebungen. Derzeit sind vor den Verwaltungsgerichten 280.000 Klagen gegen abgelehnte Asylbescheide anhängig. Da die Gerichte nicht einmal jede fünfte Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) korrigieren, ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Ausreisepflichtigen in den kommenden Monaten erheblich steigt.

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Schon jetzt leben rund 240.000 Menschen in Deutschland, die eigentlich ausreisen müssten. Gut 184.000 haben aber eine Duldung, das heißt, die Abschiebung ist zeitweise ausgesetzt, etwa weil die Flüchtlinge gesundheitliche Probleme haben oder Reisedokumente fehlen.

„Im vergangenen Jahr sind erstmals mehr Rückführungen gescheitert als erfolgreich ausgeführt werden konnten“, sagt der stellvertretende Unionsfraktionschef Thorsten Frei (CDU). So wurden knapp 25.700 Ausländer in ihre Heimat zurückgeschickt. In fast 31.000 Fällen scheiterte die Abschiebung jedoch – davon gut 3.300 Mal noch nach der Übergabe des Flüchtlings an die Bundespolizei.
Um Rückführungen effizienter zu gestalten, sollen die Behörden Flüchtlinge künftig leichter in Haft oder Ausreisegewahrsam nehmen können. Außerdem werden die Schwellen für die Ausweisung straffälliger Ausländer weiter abgesenkt.

Die Wirksamkeit des beschlossenen Gesetzentwurfs liege „um ein Vielfaches“ über dem, was durch das unter seinem Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) verabschiedete erste Gesetz für eine bessere Durchsetzung der Ausreisepflicht erreicht worden sei, sagte Seehofer am Mittwoch.

Allerdings gibt es in Deutschland derzeit nur 487 spezielle Abschiebehaftplätze. Um auf eine Zahl von rund 1.000 zu kommen, will der Innenminister das sogenannte Trennungsgebot zeitweise aufheben. Abschiebehäftlinge sollen in regulären Haftanstalten untergebracht werden können, allerdings räumlich getrennt von den dortigen Strafgefangenen.

Dieser Punkt ist bis heute äußerst umstritten, die Justizminister der meisten Bundesländer und auch viele CDU-Politiker haben rechtliche Bedenken. Die in dem Gesetz vorgesehene Aufhebung des Trennungsgebots von Straf- und Abschiebehaft sei „nicht nur europarechtlich bedenklich, sie ist auch wenig praktikabel und gefährdet die Sicherheit in unseren Vollzugsanstalten“, sagte die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) dem Handelsblatt. „Das ist kein „Geordnete-Rückkehr-, sondern ein Organisiertes-Chaos-Gesetz für den Strafvollzug.“

Die Ministerin erinnerte daran, dass die Strafhaft eine Gruppe betreffe, die zum Teil schwerste Verbrechen begangen habe, während die Abschiebehaft lediglich für diejenigen gelte, die der Aufforderung zur Ausreise nicht gefolgt seien. „Diese beiden Gruppen jetzt gleichzusetzen und in Strafanstalten unterzubringen, ist unverhältnismäßig und deshalb auch vom Europäischen Gerichtshof untersagt“, betonte die CDU-Politikerin. „Man muss sich nur mal vorstellen, dass Familien mit Kindern gemeinsam mit Vergewaltigern und anderen Verbrechern untergebracht werden sollen.“

Der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne) nannte Seehofers Gesetzentwurf „juristisch und handwerklich mangelhaft“. „Die geplante Unterbringung von Abschiebehäftlingen in Justizvollzugsanstalten verstößt gegen Europarecht“, sagte Steffen dem Handelsblatt. Wie Kühne-Hörmann hält auch er es für „extrem problematisch“, verurteilte Straftäter in der gleichen Einrichtung unterzubringen wie Familien, die abgeschoben werden sollen.

„Die Justizvollzugsanstalten sind für diese Aufgabe nicht gebaut, das Personal dafür nicht geschult“, betonte Steffen. Zudem stünden hierfür keine freien Plätze zur Verfügung. „Jenseits aller rechtlichen Zweifel und Sicherheitsbedenken lässt sich das Gesetz also in der Praxis gar nicht umsetzen.“ So dürfe das Gesetz den Bundestag auf keinen Fall passieren, sagte der Grünen-Politiker.

Unionspolitiker Frei spricht indes von einer „zusätzlichen Hilfestellung“ an die Länder, die die Abschieberegelungen umsetzen müssen. Es stehe den Ländern frei, die neuen Möglichkeit der Abschiebehaft nicht zu nutzen. Was allerdings die Frage aufwirft, warum diese Neuregelung dann überhaupt nötig ist.

Besonders heben CDU und CSU die in dem Gesetzespakt enthaltenen Maßnahmen gegen die „Sekundärmigration“ hervor. Gemeint sind Wanderbewegungen von Asylbewerbern innerhalb der EU, die meist nach Deutschland führen. Wem schon in einem anderen EU-Land Asylschutz gewährt wird, der soll künftig nur noch eine Rückfahrtkarte in das jeweilige Land erhalten.

Auch für solche Asylbewerber, deren Verfahren in einem anderen EU-Land noch läuft, sind Leistungskürzungen vorgesehen. „Die Abschiebung, die gar nicht erst nötig wird, ist die Beste“, sagt Frei. Anders ausgedrückt: Die Reform soll den Anreiz für die Sekundärmigration nach Deutschland reduzieren. Man darf annehmen, dass dieser Ansatz besser ist als die Zurückweisungen an der Grenze, auf die Seehofer im vergangenen Jahr so lange beharrt hatte.

Dennoch gibt es auch aus der Unionsfraktion weiter Kritik an Seehofers Gesetzentwurf. „Wer uns im Asylverfahren über seine Identität täuscht, muss Folgen spüren und von Integrationsangeboten ausgeschlossen bleiben“, sagte der innenpolitische Sprecher Mathias Middelberg (CDU). „Da müssen wir den Gesetzentwurf im Parlament noch nachverhandeln.“

Der Entwurf sieht eine sogenannte „Duldung mit ungeklärter Identität“ vor. Wirkt ein Flüchtling ohne Pass nicht ausreichend bei der Beschaffung von Ersatzdokumenten mit, soll er nicht arbeiten dürfen und seinen Wohnsitz nicht frei wählen können. Außerdem muss er mit der Kürzung von Sozialleistungen rechnen.

Die geplante Einführung des neuen Duldungsstatus für Personen mit angeblich ungeklärter Identität werde eine Vielzahl von Menschen von allen Integrationsangeboten ausschließen, warnt der Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Werner Hesse. Das brächte für die Betroffenen jahrelange Perspektivlosigkeit mit sich.

„Trotz nur moderater Zugangszahlen tut die Große Koalition so, als befände sich Deutschland im Notstandsmodus“, kritisierte Hesse. In den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden in Deutschland 46.477 Asylanträge gestellt, 0,7 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.

Harsche Kritik übte auch Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB): Seehofer nehme in Kauf, dass unter den Geduldeten eine Gruppe von Entrechteten geschaffen werde. „Statt ihnen die Möglichkeit zu geben, selbst ihren Lebensunterhalt zu verdienen, werden sie vom Arbeitsmarkt abgeschnitten oder sollen im Gefängnis auf ihre Abschiebung warten“, kritisierte Buntenbach. Und das alles nur, weil der Innenminister Härte demonstrieren wolle.

Mit Verabschiedung des Geordnete-Rückkehr-Gesetzes hat die Union auch ihren anfänglichen Widerstand gegen eine Anpassung der Asylbewerberleistungen aufgegeben, die am Mittwoch ebenfalls vom Bundeskabinett abgesegnet wurde.

Die Leistungen für den persönlichen Bedarf, also etwa Fahrkarten für den Nahverkehr, Telefon oder Hygieneartikel, werden leicht heraufgesetzt: von 135 auf 150 Euro für Alleinstehende und von 122 auf 136 Euro für zusammenlebende Paare oder Flüchtlinge, die in einer Sammelunterkunft untergebracht sind.

Leicht gekürzt wird der sogenannte notwendige Bedarf zum Beispiel für Ernährung, Kleidung oder Hausrat, weil etwa das Essen in Sammelunterkünften oder Möbel in staatlich angemieteten Unterkünften als Sachleistungen gestellt werden. Insgesamt soll die Reform nicht zu Zusatzausgaben für den Staat führen.

Die Opposition übte scharfe Kritik an der Neuregelung: „Erneut versucht die Bundesregierung, die verfassungsrechtlich gebotene Anpassung der Asylbewerberleistungen mit Kürzungen für Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften zu koppeln“, erklärten die migrationspolitische Sprecherin der Grünen, Filiz Polat, und ihr für Sozialpolitik zuständiger Kollege Sven Lehmann.

Die Bundesregierung höhle durch die Hintertür die sozialen Rechte von Asylsuchenden immer weiter aus. „Dabei schreckt sie nicht davor zurück, unverheiratete Paare oder sogar lediglich Zimmernachbarn in Gemeinschaftsunterkünften zu einer Zwangsgemeinschaft zu deklarieren.“ Die Grünen-Politiker spielen darauf an, dass bei Unterbringung in Sammelunterkünften geringere Leistungen gezahlt werden, weil laut Regierung etwa Kosten für die Mediennutzung nicht für jede Person in gleicher Höhe anfallen.

Die Regierung baut darüber hinaus die Integrationsinstrumente aus. Flüchtlinge im Asylverfahren, die arbeitssuchend gemeldet sind, sollen künftig nach neun Monaten Aufenthalt in Deutschland an einem Integrationskurs oder bei Bedarf an einem berufsbezogenen Sprachkurs teilnehmen können.

Bisher ist das nur Asylbewerbern aus Syrien, Eritrea, Somalia, Iran und Irak möglich. Geduldete sollen künftig nach sechs Monaten in der Duldung berufsbezogene Deutschkurse besuchen können. Außerdem wird die Ausbildungsförderung stärker für Ausländer geöffnet.