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Das Kraft-Phänomen

Hannelore Kraft wird einstimmig zur Spitzenkandidatin für Nordrhein-Westfalen gewählt. Die SPD-Basis feiert ihre „Landesmutti“. Dabei finden sich rational eher wenig Argumente für die Kraft-Euphorie.

Keine Gegenstimme, keine Enthaltung. Auf dem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen SPD hat die Basis ihre Vorsitzende Hannelore Kraft unter lautem Jubel einstimmig zur Spitzenkandidatin gewählt. Sie wird für die bevorstehenden Wahlen in Nordrhein-Westfalen antreten. Damit stellt sich die Partei geschlossen hinter ihre umstrittene Ministerpräsidentin. Ein wichtiges Zeichen kurz vor der „kleinen Bundestagswahl“, die traditionellerweise den Ton für die Wahlen im September setzt. Kritische Stimmen sucht man hier vergeblich.

Dabei ist die Bilanz der SPD-Politikerin bislang alles andere als rosig. Seit sieben Jahren regiert Hannelore Kraft das bevölkerungsreichste deutsche Bundesland. Nordrhein-Westfalen (NRW) ist in dieser Zeit nicht vorangekommen. Im Gegenteil: Der Flächenstaat ist ein Hort vieler Probleme. Das Land spaltet sich. Nicht nur sozial, auch wirtschaftlich.

Während der Großraum zwischen Düsseldorf und Köln und Regionen wie das Münsterland oder Südwestfalen, boomen, bleibt das Ruhrgebiet ein schwarzer Fleck. Mit seiner schwindender Industrie, überdurchschnittlicher Arbeitslosenquote, erhöhtem Armutsrisiko und prekären Stadtteilen, ist es seit Jahrzehnten auf besondere Unterstützung angewiesen. Weil die Sicherheitsbehörden in NRW den islamistischen Attentäter von Berlin, Anis Amri, nicht vorher gestoppt haben, obwohl es genug Anlässe für eine Inhaftierung gegeben hatte, steht außerdem Krafts Innenminister Ralf Jäger stark in der Kritik. Eigentlich ist er schon seit den Ereignissen an Silvester 2015 in Köln unter Dauerbeschuss. Das Thema Innere Sicherheit wird deswegen ein Selbstläufer für CDU, FDP und Linke, die keine Chance ungenutzt lassen, Kraft immer wieder aufzufordern ihren Innenminister „endlich“ zum Rücktritt zu zwingen.

Zusätzlich verweilt NRW in zahlreichen Ländervergleichen immer noch auf den letzten Plätzen. Kaum ein Bundesland investiert so wenig Geld in die Ausbildung seiner Schüler. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge wurden 2014 rund 5900 Euro pro Schüler in die Ausbildung investiert. Im Bundesdurchschnitt waren es 6700 Euro. Aber auch beim Wirtschaftswachstum, beim Schuldenabbau und bei der Kinderbetreuung steht NRW schlechter da, als andere Länder.

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Das war teilweise schon so, bevor Kraft im Jahr 2010 gewählt wurde. Doch spätestens nach ihrer vorgezogenen Wiederwahl 2012 sind die Probleme des Landes ihre Probleme geworden. Und die Landeschefs von CDU und FDP, Armin Laschet und Christian Lindner, weisen erwartbar bei fast jeder sich bietenden Gelegenheit auf Krafts Mitverantwortung dafür hin. „Sie hat keinen Plan für das Land“, heißt es dann.

Heute scheint das alles in den Hintergrund gerückt zu sein. Hannelore Kraft redet mit soviel Lust, Überzeugung und Kampfeswillen, wie man sie schon lange nicht mehr erlebt hat. „Fulminant“ nennt da gar einer ihre Rede. Auch dieses Mal will Kraft ihre Partei mit dem Thema „Soziale Gerechtigkeit“ in den Wahlkampf führen.


Kraft lässt Kritik an sich abperlen

Die Ministerpräsidentin verspricht viel: Die SPD will vor allem mit Investitionen in die Bildung punkten. Kindergärten sollen in einer Kernzeit von 30 Stunden pro Woche kostenlos werden. In den übrigen Zeiten soll es in allen Städten gleiche Gebühren geben. „Gebührenfrei gibt es nur mit uns Sozialdemokraten. Das fordern ja noch nicht einmal die Grünen“, ruft Kraft unter Jubel. Derzeit existiert in den Kommunen ein Flickenteppich unterschiedlicher Gebühren. Mit einem Seitenhieb auf CDU und FDP betont Kraft, dass es „mit der SPD keine Studiengebühren“ geben werde.

Generell sieht Kraft das Land auf „einem guten Kurs“, nicht nur weil die Wirtschaft gewachsen sei – 2015 lag das Wirtschaftswachstum hingegen bei noch nie da gewesenen null Prozent, sondern auch weil so viele Menschen wie noch nie Arbeit hätten. Gleichzeitig gestand die SPD-Vorsitzende aber auch ein, dass noch viel zu tun sei. „Politik und Staat müssen ein lernendes System sein“, so Kraft. Nach minutenlangem Applaus dann die einstimmige Bestätigung als Spitzenkandidatin. Und Hannelore Kraft ist sichtlich gerührt.

Die Stimmung ist euphorisch, die Delegierten zeigen sich begeistert: „Das ist eben unsere Landesmutti. Mit der kannst du reden. Die macht das gut“, hieß es. Wozu eine Alternative? Zuletzt hatte sich die SPD als stärkste Partei gegenüber ihren frühen Umfragen noch einmal verbessert und ihren zwischenzeitlich geschmolzenen Vorsprung vor der CDU vergrößert.

Seit der Nominierung ihres Kanzlerkandidaten Martin Schulz Ende Januar hat die SPD bundesweit in den Umfragen erheblich zugelegt. Bei der Frage nach dem beliebteren Ministerpräsidenten liegt Amtsinhaberin Kraft mit 55 Prozent Zustimmung deutlich vor ihrem Herausforderer Armin Laschet (CDU) mit 29 Prozent.

Mit schwierigen Themen hält die Ministerpräsidentin es ähnlich wie der designierte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, und erwähnt sie erst gar nicht. Sie verliert kein Wort zum Fall Amri und auch nicht zu den vielen Kritikpunkten der Opposition an der rot-grünen Koalition. Da ist die 55-Jährige wie ihr Innenminister: Sie lässt alles an sich abperlen. Das können ihre Regierungspartner auf Landesebene nicht von sich behaupten. Die Grünen mussten in den letzten Umfragen ganz schön Federn lassen: Sie fallen von ehemals zehn bis zwölf, auf sieben Prozent, sogar noch hinter die FDP mit acht Prozent. Damit würde ein Erhalt der Rot-Grünen Mehrheitsregierung nicht gelingen. Eine große Koalition mit der CDU unter Armin Laschet hingegen wäre möglich. Die Karten könnten neu gemischt werden.

Allerdings hält Kraft mit Kritik am möglichen Koalitionspartner im Bund nicht hinter dem Berg. In einem Interview attackierte sie die Flüchtlingspolitik des Innenministers Thomas de Maizière. Dieser könne bisher nicht erklären, wie er sich die sogenannten Ausreisezentren vorstelle, die der Bund einrichten wolle und müsse auf die offenen Fragen „bald eine Antwort geben“. Kraft bereiten vor allem die Flüchtlinge aus den sicheren Herkunftsländern Probleme, die sich nicht abschieben lassen. Angela Merkel (CDU) habe im Gespräch mit dem tunesischen Ministerpräsidenten „offenbar nichts Handfestes erreicht“. Auch die bisherigen Gespräche von de Maizière mit Tunesien, Algerien und Marokko hätten nicht weitergeholfen. Krafts Fazit: „Das kann so nicht bleiben.“ Die Ministerpräsidentin scheint es sich leisten zu können. Trotz aller Kritik, sind bislang anscheinend weder ihre Partei, noch die Wähler in Nordrhein-Westfalen Kraft-Müde.