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„Könnte einem die Zornesröte ins Gesicht treiben“: Seehofer torpediert Bauschuttverordnung

Nach 15 Jahren Verhandlung wurde ein Kompromiss zum bundeseinheitlichen Umgang mit Abfällen aus dem Straßen- und Wohnungsbau ausgehandelt. Doch die CSU stellt sich quer.

Bauschutt ist die größte Abfallmenge in Deutschland: Bundeseinheitliche Regelungen, wie damit zu verfahren ist, gibt es aber nicht. Foto: dpa
Bauschutt ist die größte Abfallmenge in Deutschland: Bundeseinheitliche Regelungen, wie damit zu verfahren ist, gibt es aber nicht. Foto: dpa

Plastiktüten und Einweggeschirr waren in der Kreislaufwirtschaft die bisherigen Aufregerthemen. Eher im Stillen verlief die Debatte, wie künftig mit der eher wachsenden Menge an Bauschutt in Deutschland zu verfahren ist.

Doch das ändert sich gerade: Dass nach 15 Verhandlungsjahren noch immer kein finales Ergebnis vorliegt, könnte „einem die Zornesröte ins Gesicht treiben“, sagt Herwart Wilms, Geschäftsführer des Recyclingdienstleisters Remondis. Roland Harings, Chef des Kupferproduzenten und -recyclers Aurubis, spricht von einem „industriepolitisch verheerenden Signal“.

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Gemeint ist die „Mantelverordnung“, mit der ein bundeseinheitlicher, rechtsverbindlicher Rahmen für die Verwertung von Bauschutt geschaffen werden soll und auf der Zielgeraden zu scheitern droht.

Bauschutt macht rund 60 Prozent des gesamten Abfallaufkommens in Deutschland aus. Der Großteil dieser mineralischen Abfälle wird als Schotter im Straßenbau neu verwendet oder landet klein gemahlen in neuen Baustoffen. Der Rest wird auf Deponien gelagert oder in Gruben verfüllt. Eine bundeseinheitliche Regelung gibt es bislang nicht.

Auch die jetzige Bundesregierung hatte sich das Vorhaben in den Koalitionsvertrag geschrieben. Im November stimmte der Bundesrat einem Kompromiss zu, der jetzt Kabinett und Parlament erneut passieren muss.

Komplettes Scheitern der Mantelverordnung droht

Doch einer will nicht mehr mitspielen: Bundesbauminister Horst Seehofer. Der CSU-Politiker verweigert seine Zustimmung zur Verordnung mit der Begründung, mit den vom Bundesrat beschlossenen Maßgaben werde „das bislang ausbalancierte Kräfteverhältnis in einer Weise verändert, dass negative Auswirkungen – unter anderem auf die Bezahlbarkeit des Bauens – zu erwarten sind“. So heißt es in einem Schreiben Seehofers an Umweltministerin Svenja Schulze (SPD).

Schulze hatte zuvor versucht, den Kabinettskollegen für eine Zustimmung zu dem Vorhaben zu gewinnen, bislang vergeblich. „Aus meiner Sicht kann der Koalitionsvertrag nur noch durch die Annahme der Bundesratsmaßgaben umgesetzt werden“, heißt es in dem Schreiben der Ministerin. „Die Alternative ist das komplette Scheitern der Mantelverordnung.“ Die Briefe liegen dem Handelsblatt vor.

Der Aufschrei ist groß – und das nicht nur beim Koalitionspartner. Der CDU-Wirtschaftsrat warnt vor einer Blockade im Kabinett, die durch das Bauministerium droht. Damit wäre eine Verabschiedung vor der Bundestagswahl unmöglich, mahnt Generalsekretär Wolfgang Steiger.

„Natürlich ist die Mantelverordnung in ihrer vorliegenden Form nicht perfekt“, so Steiger. „Für den einen oder anderen wird sie sicher auch Mehraufwand bedeuten. Aber die Verhandlungen jetzt noch weiter in die Länge zu ziehen ist schlicht nicht hinnehmbar und wäre eine Zumutung für alle betroffenen Unternehmen.“

Bundesumweltministerin Schulze wirft Seehofer vor, nur die Landesinteressen von Bayern zu verfolgen. „Es darf nicht sein, dass die Blockade von Seehofer 15 Jahre Verhandlungen zunichtemacht“, sagte die SPD-Politikerin dem Handelsblatt. „Und das nur, weil bayerische Regionalinteressen über den Interessen des Umweltschutzes, der anderen Bundesländer sowie der versammelten deutschen Industrie stehen.“

„Die Mantelverordnung stehe im Koalitionsvertrag, sie ist ein wichtiges Versprechen dieser Regierung an Industrie und Umweltschutz, das wir in dieser Legislaturperiode erfüllen müssen“, sagte Schulze. Sie wolle das Recycling von Baustoffen in Deutschland und den Einsatz von Sekundärrohstoffen erheblich voranbringen. „Das gelingt mit bundeseinheitlichen Standards für die Herstellung und Verwertung von Ersatzbaustoffen. Gleichzeitig müssen wir bundesweit einheitlich regeln, dass einstige Kies- und Sandgruben nicht mit wertvollen Baustoffen verfüllt werden.“

Das Bundesinnenministerium teilte auf Anfrage mit, dass die vom Bundesrat beschlossenen Maßgaben zur Mantelverordnung das Bauen und Wohnen teurer machen würden. Wegen der „umfangreichen Änderungen“ im Maßgabebeschluss des Bundesrates sei eine erneute Anhörung des Bundestages und eine Abstimmung innerhalb der Bundesregierung „zwingend erforderlich“, sagte ein Ministeriumssprecher. Das habe Seehofer der Umweltministerin auch bereits mitgeteilt.

„Das wäre ein Armutszeugnis“

Auch Unternehmen und Verbände laufen Sturm. „Niemand stoppt jetzt die Mantelverordnung! Das wäre ein Armutszeugnis für die Nachhaltigkeit und die Politik dieses Landes“, erklärt Remondis-Chef Wilms auf der Business-Onlineplattform LinkedIn. „Nach 15 Jahren wissen wir, dass wir für den größten Abfallstrom Deutschlands eine einheitliche Lösung brauchen, die mehr Rohstoffe sichert.“

„Scheitert die Mantelverordnung, so würde das die deutsche Kreislaufwirtschaft erheblich schwächen“, sagt Aurubis-Chef Harings. Auch er fordert einheitliche Regelungen in allen Bundesländern. „Ein nationaler Flickenteppich schadet dem Recycling und behindert die ressourcenschonende Nutzung mineralischer Ersatzbaustoffe.“

Aurubis, einer der größten Kupferproduzenten weltweit, produziert bei der Metallherstellung das Nebenerzeugnis Eisensilikat. Der Großteil davon landet im Straßen- oder im Wasserstraßenbau; jedes Bundesland hat aber andere Regelungen für den Einsatz dieses Baustoffs.

Unzureichende Infrastruktur für Baustoffrecycling in Bayern

„Mit der Mantelverordnung bekommen wir endlich einen Ausgleich zwischen den Interessen der Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft sowie den Belangen des Gewässer- und Bodenschutzes hin“, betont der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne). Die Mantelverordnung sei bei ihrer Vorgeschichte fast schon ein Jahrhundertwerk, sagte Untersteller dem Handelsblatt. „Ich werbe nachdrücklich dafür, das nicht aufs Spiel zu setzen.“

Gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein war Baden-Württemberg Antragsteller für den im Bundesrat letztlich akzeptierten Kompromiss. Er sehe keinen Anlass, vor allem aber kein tragendes Argument, diesen Kompromiss aufzukündigen, so Untersteller. „Mit dem Beschluss haben sich die Länder positioniert, ich finde, das sollte von allen respektiert und akzeptiert werden. Auch von Bayern.“

Peter Kurth, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE), hält es für „geradezu skandalös“, dass das Bemühen vieler Akteure nach 15 Jahren Arbeit auf der Zielgeraden von Regionalinteressen torpediert werde. „Wer so vorgeht, dem kann auch nicht mehr abgenommen werden, dass er wirklich an einer klimaneutralen Wirtschaft interessiert ist“, sagte Kurth dem Handelsblatt.

Die Probleme in Bayern sieht Kurth darin begründet, dass es dort keine ausreichenden Deponiekapazitäten gebe, sondern der Bauschutt in Kiesgruben oder Steinbrüchen lande – eine Handhabung, die die Mantelverordnung künftig verhindere, um zu höheren Recyclingquoten zu kommen. Nur so sei das Argument der Bayern zu erklären, so Kurth, dass künftig erhebliche Mengen Bauschutt in andere Bundesländer verbracht werden müssten.

Bayern vertraue darauf, Bauschutt weiterhin in Steinbrüchen und stillgelegten Sandgruben verfüllen zu können, sagt auch Remondis-Chef Wilms. Das Land habe es „verschlafen, eine ausreichende Infrastruktur für Baustoffrecycling auszubauen“.