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Japan baut weiter neue Kohlekraftwerke – doch die Kritik an der Strategie wächst

Während viele Industrieländer über einen Kohleausstieg diskutieren, erhöht Japan seine Abhängigkeit davon. Doch nun ziehen sich die ersten Banken aus der Finanzierung zurück.

Der Stromkonzern baut neue Kohlekraftwerke in Japan. Foto: dpa
Der Stromkonzern baut neue Kohlekraftwerke in Japan. Foto: dpa

Japans Regierung versucht ihr klimapolitisches Image aufzupolieren. Das mächtige Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (Meti) will prüfen, wie die dreckigsten 100 von Japans 140 Kohlekraftwerken bis 2030 abgeschaltet werden können. Wer allerdings glaubt, dass dies der Abschied Japans von der Kohle als Energieträger ist täuscht sich.

An der Küste von Yokosuka, einer amerikanischen Marinebasis in Japan, entsteht ein Stück der Vergangenheit der japanischen Energiepolitik neu. Auf dem Gelände eines alten, ölbefeuerten Kraftwerks errichten die Stromkonzerne Tokyo Electric Power (Tepco) and Chubu Electric Power ein neues Kohlekraftwerk, dessen Stromproduktion einem Atomreaktor alle Ehre machen würde: 1,3 Gigawatt an Elektrizität sollen die zwei Kraftwerksblöcke ab 2024 produzieren.

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Weder Proteste der Anrainer noch die Coronavirus-Pandemie konnten das Bauprojekt stoppen. Denn die Bedeutung der Anlage reicht weit über ihre Rolle als Stromproduzent hinaus. Sie ist ein Symbol für den japanischen Sonderweg im Klimaschutz.

Während viele andere Industrieländer über einen Ausstieg aus der Kohle diskutieren, erhöht Japan seine Abhängigkeit vom schwarzen Energieträger. Bis 2025 will die Regierung 22 neue Kohlekraftwerke ans Netz bringen. Sie hat anders als andere Länder auch nicht ihr altes Ziel verschärft, die Emissionen bis 2030 um 26 Prozent unter das Niveau von 2013 zu senken.

Auch langfristig setzt Japan auf Kohle. Erst für die zweite Hälfte des aktuellen Jahrhunderts peilt die Regierung das Ende der Kohleverstromung an. Die heftige Kritik von Klimaschützern an Japans Energiestrategie nimmt die Regierung in Kauf.

Japan gehört zu den schlimmeren Klimasündern

Der Climate Action Tracker, ein Konsortium zur Beurteilung der globalen Klimapolitik, bezeichnet Japans derzeitige Lage und künftige Ziele als höchst unzureichend. Denn das bedeutet, dass sich bei einer Fortsetzung dieser Politik das Klima um drei bis vier Grad erwärmen würde. Dies liegt deutlich über dem Ziel der Pariser Klimakonferenz, die globale Erwärmung auf 1,5 Prozent zu begrenzen.

„Jüngste Maßnahmen der japanischen Regierung deuten stark darauf hin, dass sie in absehbarer Zukunft nicht die Absicht hat, ihr höchst unzureichendes Ziel des Pariser Abkommens von 2016 zu einem ehrgeizigeren Ziel zu revidieren“, mahnen die Experten.

Mie Asaoka, Präsidentin der japanischen Umweltorganisation Kiko-Net, erinnert daran, dass Klimaexperten die nächsten zehn Jahre als entscheidend ansehen. „In diesem Zusammenhang entspricht Japans Entscheidung, die Emissionsziele nicht zu senken, der Aufgabe des Handelns inmitten der Klimakrise.“

Diese Kritik unterstreicht Japans Wandel vom Klima-Paulus zum -Saulus. 1997 verabschiedeten die Vereinten Nationen in Japan das sogenannte Kyoto-Protokoll, das der Grundstein aller folgenden Klimaschutzpläne ist.

Für Japans Regierungen war dieser Vertrag nicht nur prestigeträchtig. Er verdeutlichte auch den eigenen Anspruch, zur Avantgarde der Klimaschützer zu gehören. Vor zehn Jahren sah Japans Energiepolitik noch ganz anders aus. Zur Senkung der Treibhausgasemissionen plante das Land, den Atomstromanteil von 30 auf 50 Prozent zu erhöhen.

Doch nach der dreifachen Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi im März 2011 wurden erst alle 54 noch funktionstüchtigen Reaktoren abgeschaltet und bisher nur einige wieder in Betrieb genommen.

Seither füllen Flüssiggas und Kohle die Stromlücke. Die aktuelle Energiestrategie sieht vor, dass Kohle mit einem Anteil von 26 Prozent nach Flüssiggas der zweitwichtigste Stromlieferant wird. Kohle könnte gar noch wichtiger werden, wenn es der Regierung nicht gelingt, den Anteil von Atomstrom von gegenwärtig fünf auf die geplanten 22 Prozent hochzufahren. Der Widerstand der Bevölkerung gegen das Wiederanfahren vieler Atomkraftwerke ist zwar meist still, aber zäh. Zwar gibt es keine großen Anti-Atom-Demonstrationen, dafür aber viele Gerichtsklagen gegen AKWs.

Warum die Regierung auf die Kohle setzt

Ungeachtet aller Kritik bleibt Japans Regierung ihrer Position treu. Das Hauptargument ist die Sicherung der Energieversorgung. „Japan, von Wasser umgeben, war schon immer ein Land, dem es an Energieressourcen mangelt“, sagt der zuständige Beamte in Japans Behörde für Naturressourcen und Energie (ANRE).

Japan muss fast alle Rohstoffe importieren, die es braucht. Das ANRE setzt daher darauf, möglichst viele Energieträger aus möglichst vielen Ländern zu nutzen, um die Energieversorgung weniger anfällig für Krisen zu machen. Ein Pfeiler seien zwar erneuerbare Energiequellen, sagt der Beamte. Doch Kohle bilde bis auf Weiteres das Fundament der nationalen Energiestrategie: „Kohlekraftwerke sind eine stabile und wirtschaftlich effiziente Grundlaststromquelle.“

Trotz der ökologischen Herausforderung halten die Beamten den Einsatz von Kohle daher für angemessen. Auch will Japans Regierung Technologien fördern, die Kohlendioxid auffangen und speichern oder wiederverwerten, zum Beispiel in Zement oder biologisch hergestelltem Treibstoff für Düsenjets. „Wir unternehmen alle Anstrengungen, um diese Innovationen stetig voranzutreiben“, sagt der Beamte.

Zudem setzt Japan auf neue, sogenannte ultra-superkritische Kohlekraftwerke, die im Vergleich zu älteren Modellen einen Wirkungsgrad von mehr als 40 Prozent erreichen und damit die Kohlendioxidemissionen pro gewonnener Stromeinheit etwas reduzieren.

Droht Japan den Trend zu verpassen?

Tom O’Sullivan, Gründer des Energieberaters Mathyos, sieht in diesen Kraftwerken ein industriepolitisches Motiv für Japans Wette auf die Kohle. „Die Konzerne, die diese Clean-Coal-Kraftwerke in Japan entwickeln, sehen die Chance, die Technik in Südostasien in den Markt zu drücken.“ Doch dafür müssten sie daheim beweisen, dass diese Anlagen gut genug für ein Industrieland wie Japan seien, erklärt O’Sullivan.

Allerdings stoßen die Unternehmen auch auf Widerstand. Der stammt nicht mehr nur von Japans schwachen Umweltorganisationen, sondern auch von Regierungspolitikern. Japans 38-jähriger Umweltminister Shinjiro Koizumi, der Sohn des früheren Ministerpräsidenten Junichiro Koizumi, wagte seit seinem Amtsantritt, an Kohlekraftwerken zu zweifeln. „Wir benötigen eine Verschiebung zu Politiken, die auf dem Prinzip der Entkarbonisierung beruhen“, sagte er Ende Mai.

Tomas Kaberger gibt Koizumi recht. „Japans Kohlestrategie wird hoffentlich eher früher als später verschwinden“, sagt der frühere Chef der schwedischen Energiebehörde, der jetzt in Japan Vorstandsvorsitzender des Instituts für erneuerbare Energien ist. Das ist der Thinktank, den Japans globaler Starinvestor Masayoshi Son gegründet hat.

Erneuerbare Energien würden immer billiger, sodass immer mehr Kraftwerke mit fossilen Energieträgern abgeschaltet würden, wenn der Stromverbrauch sinke, erklärt Kaberger. „In den Vereinigten Staaten ist die Entwicklung geradezu dramatisch.“ Dort seien seit 2015 bereits fünf große Kohlebergwerke geschlossen worden – trotz der verbalen Förderung durch Präsident Donald Trump. Denn in den Vereinigten Staaten diktiert noch der Markt das Geschehen.

Japan hinke noch hinterher, weil die Stromkonzerne weiterhin so „lächerlich einflussreich sind“, wie Kaberger es ausdrückt. Die zehn regionalen Stromkonzerne, die bis vor wenigen Jahren Monopolisten waren, schützen ihre Pfründen und schließen teilweise sogar Sonnen- und Windkraftwerke vom Netz aus. Das bremst die Marktkräfte bisher, aber es schaltet sie nicht gänzlich aus.

Das mächtige Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (Meti) stemmt sich zwar weiterhin massiv gegen die Vorstöße des politisch schwachen Umweltministers. Doch mittlerweile steigt auch der Druck vonseiten der Finanziers. Die drei japanischen globalen Finanzgruppen Mitsubishi UFJ, Mizuho und Sumitomo Mitsui waren bisher treue Erfüllungsgehilfen der Regierung, wenn es um die Sicherung des Kohlenachschubs ging.

Japans Großbanken rücken von der Kohle ab

Laut einer von Greenpeace veröffentlichten Statistik führte das Trio zwischen 2017 und Ende 2019 die Rangliste der Kohlefinanzierer mit großem Abstand auf andere globale Finanzinstitute an. „Nun zeigen sich Zeichen des Wandels“, urteilte Greenpeace im Juni in einem Bericht.

Zuerst schloss sich voriges Jahr die Mitsubishi UFJ dem Trend globaler Banken an, den Geldfluss zur Kohleindustrie zu drosseln. Im April 2020 kündigte dann Mizuho an, dass sie die Finanzierung und die Investitionen in den Bau neuer Kohlekraftwerke einstellen werde. Bis 2030 will sie zudem ihr ausstehendes Guthaben für Kohlekraftwerke im Vergleich zu 2019 halbieren und bis 2050 auf null senken. Der Rivale Sumitomo Mitsui folgte, wenn auch weniger konsequent.

Selbst der Chef von Tadashi Maeda, Japans staatlicher Bank für internationale Kooperation (JBIC), versprach in einem Interview, künftig keine Anträge für die Finanzierung von Kohlekraftwerken mehr annehmen zu wollen. Dies wäre das erste staatliche Finanzinstitut, das aus der Kohlefront ausscheren würde. Doch sein Fall zeigte auch, dass sich die Kohleindustrie weiter auf Japans Regierung verlassen kann. Er erhielt prompt Gegenwind.

Doch nicht nur finanziert das Institut weiterhin ein Großprojekt in Vietnam, zum Wohle der Japan AG. Ein paar Tage nach dem Interview relativierte ein Sprecher die Aussagen des JBIC-Chefs mit dem Hinweis, dass die Bank der Linie der Regierung folge.

Nach China und Südkorea ist Japan derzeit der drittgrößte Finanzier von Kohleprojekten auf der Welt. Und bisher vermittelte die Regierung immer den Eindruck, in der Spitzengruppe bleiben zu wollen. Es gebe vor allen in Asiens Entwicklungsländern Nachfrage nach Kohleverstromung, zitierte Japans Nachrichtenagentur Ende 2019 einen Regierungsvertreter. „Wir planen nicht, unsere Politik für Infrastrukturexporte zu verändern.“

Japans Regierung steht zur Kohlelobby

Sie kann dabei neben der JBIC zur Not auch auf andere staatliche und halbstaatliche Banken zurückgreifen, die Projekte in Übersee finanzieren. Und auch die Großbanken haben sich ein Hintertürchen offengelassen, merkt Greenpeace an. Sie können und wollen immer noch Unternehmen finanzieren, die in der Kohlekette aktiv sind.

Außerdem kann und will Japans Regierung bisher auch die eigene Entwicklungshilfe zur Finanzierung von Kohlekraftwerksprojekten nutzen, um den Absatz japanischer Unternehmen zu erhöhen. Der Wunsch, gleichzeitig gutes für andere Länder wie eigene Unternehmen zu tun, hat dabei in Japan nicht nur eine lange Tradition, sondern auch Zukunft. Ein Beispiel ist das seit 2014 laufende Projekt für das Kohlekraftwerk Matarbari, das ab 2024 so viel Strom wie ein Atommeiler liefern soll.

Im Juli 2019 gab Japans Entwicklungshilfeamt Jica Bangladesh den fünften Kredit, der sich dieses Mal auf 1,3 Milliarden Franken belief. Von dem Geldsegen profitieren zwar auch Unternehmen anderer Länder, wie der koreanische Stahlkonzern Posco. Doch das Konsortium wird vom japanischen Handelshaus Sumitomo geführt, das japanische Unternehmen reichlich versorgt.

Darüber hinaus profitieren nicht nur Kraftwerksbauer wie Toshiba. Schließlich müssen auch ein Kohlehafen, Straßen und 92 Kilometer Hochspannungsleitungen sowie zusätzliche Stromnetze gebaut werden. Der japanische Spezialist für Landgewinnung Penta-Ocean macht dabei im Umkreis des Kraftwerks das Geschäft der Unternehmensgeschichte. Das Unternehmen baut einen 14 Kilometer langen Kanal für Kohleschiffe. Die geplante Projektsumme beträgt 1,5 Milliarden Franken.

Mehr: Weltweit werden immer weniger Kohlekraftwerke gebaut.