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Inflation und Klima: EZB auf Kollisionskurs mit sich selbst

(Bloomberg) -- Dass der Übergang zu klimafreundlichen Produkten und Technologien von Elektroautos bis Wärmepumpen das Leben erstmal teurer macht, ist schon für Politiker ein schwieriges Dilemma. Fragen Sie nur Robert Habeck.

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Weniger schlagzeilenträchtig, aber kaum leichter aufzulösen ist das Dilemma, das dies für die Währungshüter bedeutet. Der Auftrag der Europäischen Zentralbank, für Preisstabilität zu sorgen, gerät auf Kollisionskurs mit dem politischen Ziel, den Klimawandel zu bekämpfen. Ein Umdenken könnte gefragt sein.

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Der Übergang zu einer CO2-ärmeren Wirtschaft könnte die Inflation anheizen — aber eine Anhebung der Zinsen als Reaktion darauf würde Investitionen in sauberere Energien behindern. Es besteht also die Gefahr, dass die Geldpolitik und die Bemühungen zur Eindämmung der globalen Erwärmung gegeneinander arbeiten und die in den letzten drei Jahrzehnten vorherrschende Fixierung der Zentralbanken auf die Inflation in Frage gestellt wird.

Das bedeutet unter Umständen schwierige Entscheidungen für die EZB. Höhere Zinsen machen Investitionen in den Klimaschutz teurer. Tolerieren die Währungshüter aber stattdessen höhere Verbraucherpreise — eine Option, die bei der Überprüfung ihrer Strategie vor zwei Jahren zur Sprache kam — verletzen sie gegebenenfalls ihr Mandat.

Ein radikalerer Versuch der Quadratur des Kreises wäre eine Revision des geldpolitischen Rahmens, um die Förderung besonders billiger Bankkredite für grüne Projekte durch die Notenbanken zu integrieren, von der Umweltaktivisten schon lange träumen.

Unabhängig davon, was die Zentralbanker tun, wird es immer schwieriger werden, ihre zurückhaltende Vorgehensweise bei der Unterstützung des Transformationsprozesses beizubehalten. Und da die Europäische Union sich verpflichtet hat, die Region bis 2050 in die erste klimaneutrale der Welt zu verwandeln, steht sie bei der Bewältigung dieses Problems an vorderster Front.

“Wenn sie Investitionen hemmen, könnte das kontraproduktiv für die Energiewende sein”, sagte Didier Borowski, Leiter Macro-Research bei Europas größtem Fondsmanager Amundi. “Es besteht ein komplexer Zielkonflikt zwischen ihrem Handeln und ihrem Mandat der Preisstabilität.”

Die grüne Umstellung kann auf verschiedene Weisen die Inflation anheizen. Höhere CO2-Steuern sind ein offensichtlicher Treiber. Aber auch das Ausrangieren erprobter, emissionsintensiver Technologien und ihr Ersatz durch anfänglich weniger effiziente Alternativen macht Produkte und Dienstleistungen teurer.

Mehr zum Thema von BloombergNEF: Pathways to Net Zero by 2050

Laut Bloomberg NEF erreichten die damit verbundenen Investitionen im vergangenen Jahr einen Rekordwert von 1,1 Billionen Dollar. Um bis 2050 Netto-Null zu erreichen, werden weltweit sogar jährliche Investitionen von etwa 6,7 Billionen Dollar benötigt. Die Geldpolitik wirkt sich laut der Analystin Stephanie Muro stärker auf erneuerbare Energien auf, weil diese in höherem Maße schuldenfinanziert sind.

Die Inflation in der Eurozone könnte dadurch bis Ende des Jahrzehnts 0,3 Prozentpunkte höher ausfallen, schätzt der Internationale Währungsfonds. Auch die schwedische Riksbank kam zu dem Schluss, dass die Energiepreise während der Energiewende steigen werden, da der Ausstieg aus CO2-intensiven Technologien das Gesamtangebot verknappt und Investitionen in neue Technologien die Nachfrage ankurbeln.

“Unsere Analysen zeigen, dass die Energiewende den Inflationsdruck moderat ansteigen lassen wird”, sagte Sabine Mauderer von der Bundesbank, die demnächst den Vorsitz des Network for Greening the Financial System übernimmt. “Notenbanker müssen das in ihrer Arbeit berücksichtigen. Gleichermaßen ist Preisstabilität der beste Beitrag, den wir zu einer erfolgreichen Energiewende leisten können.”

Andererseits treibt der Klimawandel selbst die Preise ebenfalls in die Höhe, wenn beispielsweise Dürren die Landwirtschaft schädigen oder austrocknende Flüsse zu Versorgungsengpässen führen.

“Die Inflation wird im Moment bereits in einer Weise vom Klimawandel getrieben, die ich persönlich sehr beängstigend finde”, sagt Jens van ‘t Klooster, Assistenzprofessor an der Universität von Amsterdam.

Die Zentralbanken haben zwar anerkannt, dass sie eine Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen, aber bei vielen, darunter auch der EZB, hat das Inflationsmandat immer noch Vorrang.

Borowski von Amundi meint jedoch, dass sich die Geldpolitik möglicherweise anpassen und bereit sein müsse, ein gewisses Preiswachstum im Zuge des Übergangs zuzulassen — auch wenn ihre Aufgabe selbstverständlich nach wie vor die Verankerung von Inflationserwartungen ist.

“Zentralbanker können nicht einfach sagen: ‘Oh, dieser Prozess ist kurzfristig inflationär, ich werde die Zinsen erhöhen’”, erklärte er. Eine solche Reaktion wäre “kontraproduktiv.”

Die EZB erwartet, dass sich die Auswirkungen eines geordneten grünen Übergangs auf ihre Geldpolitik in Grenzen halten wird, und sie hat gleichzeitig einige Strategien zur Anpassung vorgeschlagen. Dazu gehören ein Fokus auf Inflationsindikatoren, die Energiepreise außen vor lassen, und ein längerer Zeithorizont.

Dies könnte Abweichungen vom Inflationsziel über zwei Jahrzehnte bedeuten — länger als die Amtszeit von zwei EZB-Präsidenten.

Der ehemalige IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard argumentiert, dass eine solche Periode immer noch begrenzt sei. Blanchard ist zwar grundsätzlich für die Anhebung der Inflationsziele, jedoch nicht wegen des Klimawandels. “Das ist nur eine Frage des Übergangs”, sagte er. “Wenn wir höhere grüne Investitionen als ein 10- oder 20-Jahres-Projekt betrachten, ist diese Übergangsfrage nebensächlich.”

Die EZB hat sich als anpassungsbereit erwiesen und verspricht eine weitere Überprüfung der Strategie im Jahr 2025, aber sobald es darum geht, von ihrem Mandat abzuweichen, werden die Währungshüter nervös, nicht zuletzt in einer Zeit hoher Inflation wie jetzt. Für EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel sollte nichts die Kernaufgabe der EZB in den Hintergrund drängen.

“Unser bester Beitrag zur Förderung von Investitionen — in der grünen Transformation, aber auch in anderen Bereichen — besteht darin, zur Preisstabilität zurückzukehren und so weit wie möglich ein stabiles makroökonomisches Umfeld zu schaffen”, sagte sie dieses Jahr gegenüber Bloomberg.

Guntram Wolff sieht das genauso. Er leitet die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik und berät regelmäßig europäische Regierungen.

“Es ist die Aufgabe der Finanzministerien, der Steuerzahler und der Politiker, die Kosten und Auswirkungen des Klimawandels abzufedern”, sagte er. “Es ist nicht die Aufgabe einer Zentralbank, eine höhere Inflation zu akzeptieren und bestimmte Teile der Gesellschaft stärker in die Eindämmung der Kosten einzubeziehen.”

Die politischen Spannungen sind offensichtlich. Die Schweizerische Nationalbank, die sich dagegen sträubt eine Rolle bei der grünen Transformation zu spielen, sah sich erst kürzlich auf ihrer Generalversammlung wieder mit Protesten konfrontiert.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat sich bemüht, dem Thema Priorität einzuräumen, und es könnte ihr missfallen, dass die Gewährleistung von Preisstabilität die Investitionen behindern könnte.

Und hier kommen die grünen Kredite ins Spiel. Sie widersprechen der Grundüberzeugung von Notenbankern, die nicht in den Verdacht geraten wollen, eine bestimmte Branche zu bevorzugen. Doch in diesem Fall könnte genau das dabei helfen, ihr Mandat Preisstabilität zu erfüllen.

Das Network for Greening the Financial System hat solche gezielte Refinanzierungsoperationen als ein Instrument von Zentralbanken analysiert. Ähnlich wie bei früheren Operationen der EZB, bei denen Banken einen Zinsnachlass erhielten, wenn sie die Mittel zur Kreditvergabe nutzten, könnte man Kredite zu geringeren Kosten anbieten, wenn sie zur Bekämpfung des Klimawandels eingesetzt werden.

“Die Idee sollte nicht sein, dass die Zentralbanken alleine losziehen und Klimapolitik machen, weil gewählte Politiker nichts tun”, sagte Klooster, ein Befürworter des Instruments. “Aber vielleicht ist es in Ordnung, einige Investitionen zu stoppen, die nicht wirklich mit der Transformation im Einklang stehen, oder einige Investitionen zu fördern, die aus irgendeinem Grund nicht getätigt werden.”

Einige asiatische Zentralbanken setzen solche Instrumente schon seit einiger Zeit ein, um den Wandel zu unterstützen. So bietet die People’s Bank of China seit November 2021 günstige Finanzierungsmöglichkeiten für Banken, die Firmen Kredite zur Verringerung der CO2-Emissionen gewähren. Auch die Bank of Japan hat ein ähnliches Kreditprogramm.

Lagarde hat Offenheit für diese Idee signalisiert. Auch Schnabel hat es für den Fall ins Spiel gebracht, dass die Geldpolitik wieder gelockert wird. Zwar hat keine von beiden einen Zusammenhang solcher Aktivitäten mit dem Ziel der Erreichung von Preisstabilität hergestellt, doch einige Experten sehen den durchaus.

Ein höheres Maß an erneuerbaren Energien habe einen “signifikanten Dämpfungseffekt auf die Inflation”, meint etwa John Beirne, Vice Chair of Research am Asian Development Bank Institute und ehemaliger EZB-Ökonom. “Ich glaube nicht, dass es große Bedenken geben sollte zu erklären, warum diese Art von Programmen in den Gesamtkontext des Mandats der Zentralbank passen”, sagte er.

Notenbanker akzeptieren dies nur zögerlich und haben lange argumentiert, dass es Aufgabe der Politik sei, zu entscheiden, welche Industrien unterstützt werden sollen. Der ehemalige Chef der Bank of England, Mark Carney, insistiert jedoch, dass sich diese Einstellung ändern müsse.

“Der Klimawandel ist makrokritisch”, sagte er kürzlich in einer Rede. “Die Klimapolitik und das Tempo des Übergangs wirken sich direkt auf die Wirksamkeit der Steuer- und Geldpolitik aus.”

Überschrift des Artikels im Original:Europe Faces an Inflation-Regime Reckoning Over Climate Goals

(Wiederholung von Samstag.)

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