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HINTERGRUND: Russland ziemlich alleine auf Bali - aber nicht ausgestoßen

NUSA DUA (dpa-AFX) -Auch in den tropisch warmen Gefilden auf Bali unter Palmen am Meer hat Russlands Chefdiplomat Sergej Lawrow keine Chance, dem Kriegsgeschehen in Europa zu entkommen. Auf der beliebten Ferieninsel muss sich der Außenminister gleich zum Start des G20-Gipfels führender Wirtschaftsmächte beißende Kritik an Moskaus Invasion in der Ukraine anhören. "Wir müssen den Krieg beenden", sagt der indonesische Gipfel-Gastgeber Joko Widodo - nachdem er kurz zuvor Lawrow mit einem herzlichen Lächeln und einem Klaps auf seinen Arm begrüßt hat. "Wenn der Krieg nicht endet, wird es für die Welt schwierig sein, nach vorne zu gehen."

Am liebsten hätte der indonesische Präsident, der in der Vorbereitung des bisher wohl schwierigsten G20-Gipfels als Vermittler auftrat, auch Wladimir Putin begrüßt - obwohl der den Krieg begonnen hat. Aber der russische Präsident bleibt nach einer militärischen Niederlagenserie als Oberbefehlshaber in der Heimat gebunden. Und er überlässt seinem erfahrenen Außenminister den schwierigen Balanceakt, nun erstmals auch wieder mit dem Westen ins Gespräch zu kommen. Dank Lawrow sei Russlands Stimme bei der G20-Gruppe gehört worden, lobt Kremlsprecher Dmitri Peskow den Auftritt des Ministers später.

Dieser nutzt die Pausen für Gespräche mit seinem chinesischen Kollegen Wang Yi und mit UN-Generalsekretär António Guterres. Inwieweit er auch mit Bundeskanzler Olaf Scholz und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron wirklich ins Gespräch kommt, darüber gibt es widersprüchliche Aussagen. Während russische Staatsmedien die Begegnung mit den beiden als diplomatischen Erfolg ihres Außenministers feiern, sagt Scholz über Lawrow: "Er stand in meiner Nähe und hat auch zwei Sätze gesagt. Das war das Gespräch." Von französischer Seite heißt es, es habe "keinen Austausch" gegeben.

Lawrow hört Rede des ukrainischen Präsidenten Selenskyj

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Noch im Juli war Lawrow beim Außenministertreffen auf Bali durch vorzeitige Abreise der Kritik am Krieg ausgewichen. Nun bleibt er sogar während einer langen Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Saal. In einer emotionalen Rede an die Staats- und Regierungschefs fordert der Staatschef in Kiew einmal mehr den Abzug russischer Truppen aus der Ukraine und die Wiederherstellung der territorialen Unversehrtheit des Landes.

"Der russische zerstörerische Krieg muss beendet werden", sagt Selenskyj. Er nennt auch Bedingungen, um über ein Ende des Kriegs zu verhandeln, darunter Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Unterm Strich aber bleiben weiter gegenseitige Vorwürfe Kiews und Moskaus.

Kleine Sensation schon vor Gipfelbeginn

Da mutet es schon als kleine Sensation an, was EU-Ratspräsident Charles Michel zu Beginn des Gipfels verkündet: Die Unterhändler der 19 Teilnehmerstaaten und der EU hätten sich auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt, und zwar alle - inklusive Russlands. Viele hatten erwartet, dass bis zur letzten Minute um diese Erklärung gerungen wird. Von einem "harten Ritt", der bevorstehe, sprach Kanzler Olaf Scholz noch am Montag. Es kam dann doch anders.

"Die meisten Mitglieder verurteilten den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste und betonten, dass er immenses menschliches Leid verursacht", heißt es in dem Entwurf für die Abschlusserklärung, der am Mittwoch von den Staats- und Regierungschefs nur noch formal bestätigt werden soll. Auch für steigende Inflation, gebremstes Wirtschaftswachstum und die Energie- und Ernährungskrise wird der Krieg verantwortlich gemacht. Das entspricht fast schon den kühnsten Erwartungen derjenigen westlichen Staats- und Regierungschefs, die mit dem Ziel nach Bali gereist sind, Russland bei diesem Gipfel möglichst weitgehend zu isolieren.

Aber es heißt in der Erklärung auch: "Es gab andere Ansichten und unterschiedliche Einschätzungen der Lage und Sanktionen." Außerdem wird auf eine Resolution der Vereinten Nationen von Anfang März verwiesen. Damals verurteilten nur 141 der 193 UN-Mitglieder den Krieg. Zu den 40 Staaten, die dagegen stimmten oder sich enthielten, zählten neben Russland auch drei weitere G20-Staaten: China, Indien und Südafrika.

Schon das Wort "Krieg" in der Erklärung gilt als Erfolg

Die in Bali anwesenden Staaten der EU und Nato sind trotzdem froh, dass die Verurteilung des Krieges überhaupt Eingang in die Erklärung findet. Schon dass das Wort "Krieg" in der Erklärung enthalten ist, gilt für sie als Erfolg. Russland weigerte sich in den Verhandlungen über die Abschlusserklärung lange, den Begriff zu akzeptieren - und spricht weiter von einer militärischen Spezialoperation. Außerdem ist die besonders von Kanzler Scholz immer wieder vehement geforderte Absage an den Einsatz von Atomwaffen in dem Dokument enthalten.

Es bleiben aber trotzdem offene Fragen:

- Wendet sich das mächtige China wirklich langsam von Russland ab? Präsident Xi Jinping meldete sich zu der Abschlusserklärung zunächst nicht zu Wort.

- Was ist mit Indien und Südafrika? Auch diese beiden Länder schwiegen erst einmal.

- Und letztlich bleibt die Frage: Warum hat sich die russische Delegation unter Leitung Lawrows überhaupt auf die Abschlusserklärung eingelassen, wenn sie vom verhassten Westen dann anschließend abgefeiert wird?

Lawrow beklagt Versuch, Formulierungen "reinzuschmuggeln"

Die Sichtweise Lawrows: "Unsere westlichen Kollegen haben auf jede erdenkliche Weise versucht, diese Erklärung zu politisieren, und sie haben versucht, Formulierungen reinzuschmuggeln, die eine Verurteilung der Handlungen der Russischen Föderation im Namen der ganzen G20 implizieren würden, einschließlich uns selbst." Er selbst habe dagegen zeigen wollen, dass das vom Westen mit Sanktionen wegen des Kriegs bestrafte Russland alles andere als isoliert ist auf internationaler Bühne.

Scholz räumt auf Bali ein, dass "natürlich hier auch andere Ansichten existieren". Bei denjenigen, die den Krieg nicht klar verurteilten, gebe es aber eine "gewisse Ambiguität" (Doppeldeutigkeit), sagt er. Viele seien trotz ihres Votums "innerlich davon überzeugt, dass dies ein ungerechter Krieg ist". Für ihn hat die G20-Gruppe klargestellt, dass dieser Krieg nicht akzeptiert werden kann.

Bizarres Schauspiel der Harmonie beim Abendessen

Am Abend des ersten Gipfeltags gibt es dann noch ein bizarres Schauspiel der angeblichen Harmonie, das dem Ernst der Kriegslage und der Zerstrittenheit der Weltgemeinschaft so gar nicht gerecht werden mag. Einige Staats- und Regierungschefs marschieren in den traditionellen Batik-Hemden Balis über einen roten Teppich zum Abendessen. Auch Lawrow kommt vorbei - bevor er wenig später vorzeitig - wie erwartet - abfliegt. Nur wenige machen das Schauspiel nicht mit: Olaf Scholz verzichtet auf die Insel-Kluft und kommt im weißen Hemd./mau/DP/jha

--- Von Ulf Mauder, Michael Fischer und Ansgar Haase, dpa ---