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Der Hilferuf der Industrie: Unternehmen befürchten gravierende Folgen durch Klimapolitik und Coronakrise

Die Coronakrise und das Streben nach Klimaneutralität nehmen energieintensive Branchen in die Zange. Vonseiten der Politik erwarten die Unternehmen mehr Verlässlichkeit.

Energieintensiven Branchen drohen durch den CO2-Preis zusätzliche Belastungen. Ein Ausgleich ist zugesagt, aber noch lückenhaft. Foto: dpa
Energieintensiven Branchen drohen durch den CO2-Preis zusätzliche Belastungen. Ein Ausgleich ist zugesagt, aber noch lückenhaft. Foto: dpa

Wer wissen möchte, in welcher Verfassung sich energieintensive Branchen befinden, kann sich beim Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) ein Bild machen. Die etwa 300 Mitgliedsunternehmen des VIK stehen für rund 80 Prozent des industriellen Energieverbrauchs in Deutschland. Die industriellen Großverbraucher bekommen die Auswirkungen von energie- und klimapolitischen Entscheidungen besonders stark zu spüren.

Die Ankündigung der EU-Kommission, das Klimaziel für 2030 von 40 auf mindestens 55 Prozent zu erhöhen, sorgt unter den Mitgliedsunternehmen daher für Unruhe. Auch die klimapolitischen Weichenstellungen der Bundesregierung beobachten die Unternehmen mit Besorgnis. In Kombination mit der Coronakrise befürchten sie gravierende Folgen.

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„Wir müssen erkennen, dass die Welt eine andere ist und bleiben wird als noch zu Jahresbeginn. Für neue und zusätzliche Belastungen gibt es keinen Spielraum. Sie würden den Neustart unserer Wirtschaft bremsen oder sogar torpedieren“, sagte VIK-Geschäftsführer Christian Seyfert dem Handelsblatt.

Konkret geht es dem VIK um Maßnahmen, über die in den kommenden Wochen entschieden wird, aber auch um langfristige Weichenstellungen. Der Verband hat seine Forderungen in einem Positionspapier zusammengefasst, das dem Handelsblatt vorliegt.

Kurzfristig fordert der VIK klare Signale aus der Politik bei der Umsetzung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG), das am 1. Januar 2021 in Kraft tritt. Mit dem BEHG wird ein CO2-Preis in den Sektoren Verkehr und Wärme eingeführt. Dieses nationale System einer CO2-Bepreisung tritt neben das europäische Emissionshandelssystem (ETS). Das ETS erfasst die Bereiche Industrie und Energie.

Die Bundesregierung hatte zugesagt, die bestehenden Ausnahmeregeln im ETS analog auf das BEHG anzuwenden. Dies soll auch für kleinere Industrieanlagen gelten, die künftig dem BEHG unterliegen, aber mangels Größe nicht zur Teilnahme am ETS verpflichtet sind.

Würde es diese Entlastung nicht geben, wären die Unternehmen im internationalen Wettbewerb spürbar benachteiligt. Ein Eckpunktepapier, das die Entlastungen skizziert, hatte das Bundesumweltministerium kürzlich vorgelegt.

„Zügig eine praktikable Ausgestaltung zu definieren“

Aus Sicht des VIK sind die Ausnahmen allerdings noch nicht zufriedenstellend geregelt. Die Vermeidung von Doppelbelastungen müsse „zwingend sichergestellt werden“, fordert der VIK. „Dies sollte so ausgestaltet werden, dass der nationale CO2-Preis gar nicht erst für den Brennstoffeinsatz der ETS-Anlage anfällt.“ Die Belastung müsse vorn vornherein vermieden werden. Es sei „zügig eine praktikable Ausgestaltung zu definieren“.

Die Unternehmen fürchten den drohenden Liquiditätsentzug. „Mit den Vorschlägen zum BEHG würde die Liquidität von Unternehmen, die bereits vom ETS erfasste Anlagen betreiben, zusätzlich massiv geschwächt.

„In meinem Unternehmen entspräche dieser Liquiditätsentzug dem kompletten 13. tariflichen Monatseinkommen aller meiner Mitarbeiter“, sagt Christopher W. Grünewald, Geschäftsführer des mittelständischen Papierunternehmens Gebr. Grünewald GmbH & Co. KG und zugleich Vorsitzender des BDI-Ausschusses Energie- und Klimapolitik.

Der BDI sieht die vom Bundesumweltministerium vorgestellte Kompensationsregelung auch in anderer Hinsicht kritisch. Sie biete noch keinen sicheren Schutz, insbesondere nicht für die Unternehmen, die nicht emissionshandelspflichtig sind.

„Die Bundesregierung muss hier dringend belastbare Regelungen vorlegen, die den Unternehmen ohne doppelte Prüfung die gleiche Rechts- und Planungssicherheit bieten wie den Unternehmen, die bereits durch den Europäischen Emissionshandel erfasst werden“, sagte Carsten Rolle, Abteilungsleiter Energie- und Klimapolitik beim BDI, dem Handelsblatt.

Kritisch sieht der BDI, dass das Umweltministerium die Entlastungen mit der Pflicht verbinden will, in Maßnahmen zur Dekarbonisierung zu investieren. „Überlebensnotwendige Entlastungen daran zu binden kontinuierlich Effizienzinvestitionen zu tätigen, führt in eine Sackgasse. Denn diese Mittel sind für den laufenden Erhalt der Unternehmen im Wettbewerb notwendig“, sagte Rolle.

Zusätzliche Belastungen durch CO2-Preis

Die Liste der kritikwürdigen Punkte im Zusammenhang mit dem BEHG ist damit aus Sicht der Wirtschaft aber noch nicht abgeschlossen. So kommt etwa das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zu dem Schluss, dass der CO2-Preis de facto einem CO2-abhängigen Aufschlag auf die Energiesteuer entspricht.

„Demzufolge setzt die neue Abgabe bei den Akteuren an, die bereits die Energiesteuer an den Fiskus abführen und nun die zusätzliche Belastung entlang der Versorgungskette weiter durchreichen“, heißt es in einem IW-Papier, das der Verband der Mittelständischen Energiewirtschaft Deutschland (MEW) in Auftrag gegeben hat.

Neben den Mineralölkonzernen würden „in erster Linie Tanklagerbetreiber zertifikatepflichtig, die keine eigenen Möglichkeiten haben, Emissionen zu reduzieren“, heißt es in dem IW-Papier. Wenn die Menge der Emissionszertifikate sinke, könne weniger Brennstoff verkauft oder eingelagert werden und das Geschäftsmodell gerade kleiner und mittelständischer Unternehmen gerate in Gefahr.

Aus Sicht des VIK ist die Umsetzung der BEHG aber längst nicht der einzige Problemfall in der Energie- und Klimapolitik. Der Verband drängt darauf, die von der Kohlekommission empfohlene Kompensation für kohleausstiegsbedingte Strompreiserhöhungen in Höhe von zwei Milliarden Euro über eine Entlastung der Netzentgelte möglichst rasch Realität werden zu lassen. Außerdem kritisiert der Verband die von der EU-Kommission vorgesehene Einschränkung der Kompensation für emissionshandelsbedingte Mehrkosten beim Strom.

Darüber hinaus fordert der Verband ganz grundsätzliche Weichenstellungen. Das komplexe System der Be- und Entlastungen im Bereich Energie ist aus Sicht des VIK auf Dauer nicht tragfähig.

Als Alternative zur kleinteiligen Regulierung bietet sich aus Sicht des Verbandes ein einheitlicher europäischer Industriestrompreis an. Zusätzlich fordert er insbesondere mit Blick auf den Einsatz von klimaneutralem Wasserstoff in industriellen Prozessen sogenannte Differenzverträge („Carbon Contracts for Difference“, kurz CCFD), die Investitions- und Betriebskosten gleichermaßen erfassen.
Bei diesen Modellen trägt die öffentliche Hand per vertraglicher Vereinbarung die Zusatzkosten, die für Unternehmen bei der Umstellung auf klimaneutrale Produktionsmethoden entstehen. Solche Modelle werden auch von der Bundesregierung erwogen, nachzulesen etwa im Handlungskonzept Stahl des Bundeswirtschaftsministeriums. Konkrete Regelungen oder Projekte sind allerdings noch nicht in Sicht.