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Henkel will innovativer werden – und realisiert Großes für sein unsichtbares Kerngeschäft

Der Dax-Konzern tätigt die größte Einzelinvestition der Firmengeschichte. Das Klebstoffgeschäft sorgt schon jetzt für fast die Hälfte des Umsatzes.

Der Vorstandsvorsitzende von Henkel sieht den Neubau auch als Teil des Kulturwandels im Konzern. Foto: dpa
Der Vorstandsvorsitzende von Henkel sieht den Neubau auch als Teil des Kulturwandels im Konzern. Foto: dpa

Kabel hängen aus der Decke, Holzbalken dienen als Treppengeländer, die Rigipswände sind unverputzt: Willkommen im neuen Innovationszentrum von Henkel. Das Großprojekt am Düsseldorfer Firmensitz ist noch eine Baustelle. Doch bald, im ersten Quartal kommenden Jahres, sollen hier bis zu 500 Spezialisten von Henkel Adhesive Technologies arbeiten.

An diesem Abend, an dem das Unternehmen durch den Rohbau führt, ist es bereits ruhig auf der sonst so betriebsamen Baustelle. Kein Hämmern, kein Sägen, kein Arbeiter weit und breit. Stille liegt über sieben Stockwerken mit 47.000 Quadratmeter Gesamtfläche.

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Der Dax-Konzern hat 130 Millionen Euro investiert, um hier auf dem Werksgelände im Süden Düsseldorfs, das modernste Innovationszentrum seiner Art zu bauen. Es ist die größte Einzelinvestition in der 143-jährigen Firmengeschichte. Das bereits zweieinhalb Jahre andauernde Projekt geht in den Endspurt.

Henkel, dessen Umsatz 2019 bei 20,1 Milliarden Euro lag, will mehr und schneller neu entwickeln. Allerdings speziell in der Unternehmenssparte, für die der Neubau errichtet wird: Es geht um Klebstoffe, konzernintern Adhesive Technologies genannt.

Dort heißen die Marken nicht Persil, Schwarzkopf oder Schauma. Die weit weniger bekannten Marken heißen Loctite, Technomelt oder auch Bonderite. Doch die Sparte trägt mit 9,5 Milliarden Euro etwa 47 Prozent zum Konzernumsatz bei. Es ist das wirtschaftliche Herz des Familienunternehmens – und gleichsam der unsichtbare Teil von ihm.

Transparenz statt verschlossener Türen

Der Kopf hinter dem Mammutprojekt ist Michael Todd, Head of Innovation bei Adhesive Technologies. Der US-Amerikaner sitzt mehrere Tausend Kilometer entfernt in Las Vegas im Homeoffice. Seit Ausbruch der Coronakrise war er nicht mehr in der Henkel-Zentrale in Düsseldorf. Über Videokonferenzen und Telefonate hält er Kontakt, schwört die rund 2400 Forscher der Sparte ein, gibt die Richtung vor.

Die Kunden von Adhesive Technologies finden sich in der gesamten Wirtschaft. Autos, Flugzeuge, Smartphones, Verpackungen oder Windeln – in etlichen Produkten finden sich die Klebstoffe. Henkel sagt, es sei der globale Marktführer bei Klebstoffen, Dichtstoffen und Funktionsbeschichtungen. Das Unternehmen arbeitet mit rund 130.000 Kunden zusammen, die meisten Produkte werden eigens für die Auftraggeber entwickelt. Das soll künftig, erklärt Todd, im Innovationszentrum geschehen.

Dort sollen die Kunden bald zusammen mit 500 der insgesamt 2400 Henkel-Klebstoff-Forscher an neuen Lösungen arbeiten. 15 Labore aus dem Düsseldorfer Stadtgebiet werden unter einem Dach vereint, auch Labore aus Standorten in Süddeutschland werden dorthin verlegt.

Die Zeiten, in denen sich die Wissenschaftler hinter Labortüren verschanzt haben, seien vorbei, sagt der Amerikaner. Es gilt Transparenz statt Verschlossenheit. Es ist diese neue Art des Arbeitens, die Carsten Knobel, CEO von Henkel, seit seinem Amtsantritt Anfang des Jahres propagiert. Die Unternehmenskultur zu verändern sehe er als eine seiner wichtigsten Aufgabe an, sagt er beim informellen Pressegespräch, nicht auf der Baustelle, sondern im fünften Stück des Henkel-Verwaltungsgebäudes.

Wenn sich die Kultur ändert und sich die Transparenz erhöht, wenn Mitarbeiter wie Unternehmer denken und handeln, dann erhöht sich auch die Innovationskraft, davon ist Knobel überzeugt. Der CEO will die Räume dafür öffnen.

Innovation erfordert Kulturwandel

Von dieser Idee zeugt die Architektur des Neubaus, der als Blaupause dienen soll. „Weitere Center sind in anderen Ländern geplant“, erläutert Carsten Kern, Head of Innovation Centers bei Henkel Adhesive Technologies. Kern ist der Manager, der den Bau eng begleitet, jede Neugestaltung der Arbeitsplätze durchdenkt, und bereits Pilotphasen mit Mitarbeitern durchführt.

In der Mitte des Neubaus erstreckt sich ein Atrium, in das eine Kaffeebar einziehen soll. Die Labore sind ringsum angeordnet, mit Glasfronten, die Einblick in die Arbeit der Wissenschaftler gewähren. Eine breite Freitreppe soll zum Verweilen einladen und – im günstigsten Fall – zum Austausch neuer Ideen unter den Angestellten. Alles im Auftrag der Innovationssteigerung.

Die Coronakrise hat das Innovationsstreben der Unternehmen verstärkt. „Ich sehe gerade einen massiven Innovationsdruck in der Wirtschaft“, sagt Imeyen Ebong, Organisationsexperte bei der Unternehmensberatung Bain & Company. Die Krise habe den Willen in den Unternehmen, über Silos hinweg zu arbeiten, verstärkt. Crossfunktionales Arbeiten, Abteilungen miteinander statt nacheinander einbinden, heißt der neue Ansatz. Für Ebong der richtige Weg, um die Innovationsgeschwindigkeit in Firmen zu erhöhen.

„Innovation heißt auch Wandel“, sagt Olivier Hervé, Vice President bei der Unternehmensberatung Capgemini, „und man ist nicht wandelfreudig, wenn man in einer Komfortzone ist.“ Covid-19 habe auch für ein Umdenken in der Unternehmenskultur gesorgt, ist der Strategieexperte überzeugt. „Wenn sich der Mindset in den Unternehmen nicht mitbewegt, dann werden Innovationen in den Abteilungen oftmals blockiert.“

Innovationen in der Klebstoffsparte sind derweil ein weites Feld. Vordenker Todd zeigt auf eine Wasserflasche auf dem Konferenztisch. „Wir können ein Label daraufkleben, das mit dem Internet verbunden ist und Angaben darüber macht, wie viel Inhalt noch in der Flasche ist, wo sie steht und in welchem Zustand“, sagt er. Bei einer Wasserflasche mag das banal sein. „Aber denken Sie darüber nach, wie man diese Technologie in der Industrie einsetzen könnte“, führt Todd aus.

Noch sei der Preis für derlei Aufkleber für viele denkbare Anwendungen zu hoch. Aber das Potenzial sei groß. „In den nächsten Jahren könnten diese Aufkleber auf vielen Konsumgüterprodukten angebracht sein“, schätzt der Innovationsexperte.

Mix an Innovationsquellen

Eine aktuelle Studie Capgeminis zeigt, dass Unternehmen besonders dann innovativ sind, wenn sie sich auf einen Mix verschiedener Innovationsquellen einlassen, also neben den eigenen Forschungsabteilungen auch externe Quellen wie Universitäten oder Start-ups einbeziehen. Für Berater Hervé sind vor allem Dax-Konzerne wie Softwareanbieter SAP, Pharmakonzern Bayer oder die Deutsche Telekom Vorzeigebeispiele.

Auch Henkel verknüpft zunehmend externes und internes Know-how. Adhesive Technologies hat eigene Inkubatoren gegründet, die an neuen Technologien und Geschäftsmodellen arbeiten. Die Labels auf den Wasserflaschen etwa wurden so entwickelt. Außerhalb des Konzerns fördert Henkel Jungfirmen mit Corporate Venture Capital. Von den insgesamt 150 Millionen Euro, die Henkel seit 2016 für diese Art Investments eingeplant hat, sind bereits rund zwei Drittel ausgegeben oder zugesagt.

Ein Teil entfällt auf Adhesive Technologies. Der Unternehmensbereich arbeitet mit materialwissenschaftlichen Start-ups zusammen. Darunter befinden sich Firmen wie Saperatec: Das Recycling-Start-up aus Bielefeld hat eine Technologie entwickelt, mit der hochwertige Klebstoffe von Verbundverpackungen gelöst werden können. „Wir glauben nicht, dass wir alles Wissen nur innerhalb von Henkel entwickeln können“, sagt Todd.

Er schätzt, dass der Zyklus der Produktentwicklung um 60 Prozent schneller werden wird. Doch es gibt eine zweite Kennzahl, die ihn bei der Beurteilung der Innovationskraft seiner Teams interessiert: Wie hoch ist die Quote der innovativen Produkte, die in den vergangenen fünf Jahren entwickelt wurden, in den Verkäufen seiner Firma?

Die Kennziffer variiert von Branche zu Branche, Unternehmensberater nutzen sie ebenfalls zur Beurteilung. Bei Henkel Adhesive Technologies liegt diese Quote seit Jahren bei 30 Prozent. Todd will mehr.Das wäre allerdings nicht nur das Resultat von Glaswänden und Kaffeebar. Es ist vor allem das Ergebnis der Digitalisierung. „Mit Künstlicher Intelligenz und mit maschinellem Lernen ändert sich die Welt unserer Forscher gerade radikal“, sagt er.

Heutzutage könnten die Forscher einen hohen Anteil der benötigten Formeln am Computer errechnen, bevor sie im Labor weiterarbeiten. Eine große Zeit- und Kostenersparnis. Hinzu kommt, dass alle Forscher ihre Erkenntnisse in eine zentrale Datenbank eingeben – und dadurch das Wissen geteilt werden kann. Über Kontinente hinweg, über Jahre hinweg.

Michael Todd will Innovationen in der Klebstoffsparte sichtbar machen. In einem Raum, der 1000 Quadratmeter umfasst, befindet sich eines der Schwerlastlabore. Lkws können hier hineinfahren, ein Kran steht bereit. Die Forscher sollen hier ihre Formeln austesten, am besten vor den Augen der Kunden. Auf halber Höhe befindet sich ein Büro, dessen Glaswand an das Schwerlastlabor grenzt. Forschung zum Anfassen – beinahe.