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Heinz Hermann Thiele und Knorr-Bremse: Lebenswerk sucht Nachfolge

Der Tod der Unternehmerlegende hinterlässt auch in seinen Firmen Lücken. Nicht nur bei Knorr-Bremse steht die Frage im Raum, wie es nun weitergeht.

Die Nachricht vom Tod des Unternehmers Heinz Hermann Thiele hat die deutsche Wirtschaft überrascht. Nichts deutete darauf hin, dass der Mehrheitsgesellschafter von Knorr-Bremse und Großaktionär der Lufthansa im Alter von 79 Jahren am Dienstagmorgen so plötzlich verstarb. Thiele, seit Mai 2020 wieder Mitglied des Aufsichtsrats der Knorr-Bremse, hatte in den letzten Wochen immer wieder Kontakt zu handelnden Personen im Unternehmen.

Und auch in der Industrie war sein Name in den vergangenen Monaten immer präsent. Der Unternehmer galt bis zuletzt als aktiv, sein Lebenswerk ohnehin als eine Legende. Der studierte Jurist hat Knorr-Bremse im Jahr 1985 übernommen und den Zulieferkonzern bis zum Börsengang 2018 zu einem Weltmarktführer für Zug- und Lkw-Bremsen geformt. Zuletzt war er stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats. Über seine Familienholding hielt er 59 Prozent der Anteile.

Thiele war auch Eigner des Bahntechnikherstellers Vossloh und hielt ein Paket von gut zwölf Prozent an der Lufthansa. Laut dem US-Magazin „Forbes“ war er mit mehr als 18 Milliarden US-Dollar einer der zehn reichsten Deutschen.

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Einen Tag nach seinem Tod bleiben viele Fragen offen: Knorr-Bremse wollte zum Tod von Thiele am Mittwoch keine weitere Stellung nehmen. Klar sei aber, dass für Thiele im Aufsichtsrat des Unternehmens ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin bis zur Hauptversammlung gefunden werden muss, hieß es lediglich. Doch wer die unternehmerische Führung in seinem Konglomerat übernehmen wird, bleibt unklar.

Thiele hat sich in den vergangenen Jahren viele Gedanken um die Zukunft seines unternehmerischen Erbes gemacht. Seine Wunschvorstellung war das Modell Quandt: Die BMW-Großaktionäre dominieren seit Jahren die Geschicke des Autokonzerns über den Aufsichtsrat, ohne eine aktive Rolle im Management einzunehmen.

Knorr-Bremse erst seit 2018 an der Börse

Doch er selbst lebte an dieses Modell nicht. Nachdem er sich 2007 offiziell aus der Unternehmensführung der Knorr-Bremse in den Aufsichtsrat zurückgezogen hatte, konnte kaum ein Nachfolger wirklich Fuß fassen. Immer wieder gab es Differenzen mit dem Mehrheitseigentümer, der weiter im Hintergrund die Fäden zog.

Regelmäßig kam er in sein Büro in der Firmenzentrale im Münchener Norden. 2017 verließ sogar sein Sohn Henrik, der eigentlich die Rolle des Nachfolgers übernehmen sollte, im Streit das Unternehmen und die Familienholding. Thiele brachte daraufhin das Unternehmen 2018 an die Börse, doch loslassen konnte er nicht.

Während der Corona-Pandemie ließ er sich wieder als aktives Mitglied in den Aufsichtsrat wählen. Kurz darauf musste Bernd Eulitz nach einem halben Jahr an der Spitze der Knorr-Bremse den Stuhl räumen. Auch ihm traute Thiele nicht genug zu.

Seit Januar versucht der von Siemens gekommene Michael Mrosik sein Glück. Das Hauptaugenmerk liegt jetzt auf der Familienholding: Mit immer noch 59 Prozent der Anteile kontrolliert die KB Holding die Mehrheit an Knorr-Bremse, auch das 50-Prozent-Aktienpaket der Vossloh AG ist hier geparkt. Die KB Holding wird wiederum zu 80,7 Prozent mehrheitlich von der Vermögensverwaltung Stella gehalten.

Gesellschafter der Stella GmbH sind neben Thiele auch seine zweite Ehefrau Nadia, die er 2011 heiratete, sowie seine Tochter Julia Thiele-Schürhoff. Wie Thieles Anteile in der Vermögensverwaltung testamentarisch unter Tochter und Ehefrau aufgeteilt werden, ist offen.

Auch von einer möglichen Stiftungskonstruktion ist nichts bekannt. Thiele hielt Stiftungen für eine Form der Enteignung, wie Weggefährten berichten. Wenn das so in den letzten Monaten geblieben ist, dann drohen hohe Erbschaftssteuern fällig zu werden, die die Familie zwingen könnten, Firmenanteile zu verkaufen.

Eine Schlüsselrolle kommt Tochter Julia zu. Die studierte Juristin ist seit 2002 im Unternehmen, Mitglied im Aufsichtsrat und leitet die Stiftung „Global Care“. Sie dürfte in Zukunft einen entscheidenden Einfluss bei Knorr-Bremse ausüben – im Gegensatz zu ihrem Bruder, der bei seinem Ausscheiden ausbezahlt wurde und mittlerweile als selbstständiger Unternehmer mit einem Energie-Start-up seine eigenen Wege geht.

In der Bahnindustrie herrscht jedenfalls großes Rätselraten, was aus dem Erbe Thieles werden könnte. Knorr-Bremse ist der führende Hersteller von Bremssystemen für Eisenbahnfahrzeuge, stellt aber auch andere Ausrüstungen für Züge her, etwa Toilettenanlagen für Reisezugwagen. Vossloh gilt neben einem französischen Konkurrenten ebenfalls als führender Anbieter von Weichen und Schienenbefestigungstechnik.

Das Unternehmen aus dem Sauerland, in das Thiele persönlich und nicht die Knorr-Bremse AG erst vor rund sieben Jahren eingestiegen war, hat allerdings mit gut 900 Millionen Euro Umsatz und einer Marktkapitalisierung von 780 Millionen Euro nicht die Dimension von Knorr-Bremse.

Interessenten aus China stünden bereit

Die Aktienpakete Thieles an beiden Unternehmen dürften nach Einschätzung von Branchenexperten durchaus Kaufinteressenten finden. Wirtschaftsprofessor Ronald Pörner, der viele Jahre Geschäftsführer des Verbands der Bahnindustrie war, kann sich Interessenten aus den USA, China oder auch aus anderen Branchen vorstellen. Er sieht aber derzeit keinen akuten Handlungsbedarf. So sei die Bahnsparte von Knorr-Bremse strategisch gut aufgestellt, auch weil Knorr einer der größten Ausrüster in China sei.

Peking investiert seit Jahren mehr in den Ausbau der Eisenbahn als jede andere Nation auf der Welt. So fahren die Höchstgeschwindigkeitszüge in China weitgehend mit Bremsen aus dem Hause Knorr. „Wenn der neue Vorstandschef jetzt wie erwartet die Digitalisierung vorantreiben wird, dann mache ich mir keine Sorgen um den Konzern“, sagt Pörner.

Allerdings dürfte es „wettbewerbsrechtlich sowohl bei Vossloh wie auch bei Knorr-Bremse ein Problem geben, falls ein strategischer Investor Interesse anmelden sollte“, ist Bahnexpertin Maria Leenen überzeugt. Der Markt sei bereits hoch konzentriert, weitere Zusammenschlüsse unter Beteiligung von Vossloh und Knorr-Bremse deshalb problematisch.

Leenen glaubt auch nicht, dass jetzt ein Kaufangebot aus dem Reich der Mitte kommen wird. „Die chinesische Industrie will vor allem ihre eigenen Produkte verkaufen und dürfte weniger an Zulieferern aus der europäischen Bahnindustrie interessiert sein.“

Beim zweiten Standbein Nutzfahrzeug-Bremsen hat Thiele zuletzt strategisch wenig Fortune gehabt. Der drittgrößte deutsche Automobilzulieferer ZF hatte jahrelang unter Vorstandschef Hans-Georg Härter ein Auge auf Knorr-Bremse geworfen. Aber die industriell logische deutsche Hochzeit, mit der ZF den Zugang auf den Bremsenmarkt bei Bahn und Lkw bekommen hätte und gleichzeitig Thiele sein Lebenswerk in einen sicheren Hafen gebracht hätte, kam nie zustande.

Fakt ist: ZF griff zu Alternativen, hat inzwischen mit Wabco den größten Konkurrenten von Knorr-Bremse übernommen und stößt massiv auf den Kernmarkt der Münchener vor. Seine Leistung wird dennoch allseits anerkannt. „Heinz Hermann Thiele war eine der herausragenden Unternehmerpersönlichkeiten der Nachkriegsgeschichte“, würdigte der ehemalige ZF-Chef Hans-Georg Härter, der zwischenzeitlich auch den Aufsichtsrat von Knorr-Bremse führte, Thieles Lebensleistung: „Seine enorme Leistung ist es, Knorr-Bremse vor der Pleite gerettet und zu einem Weltmarktführer aufgebaut zu haben.“

Härter hatte vor wenigen Wochen mit dem Unternehmer voller Tatendrang unter anderem über die Auswirkungen der Coronakrise telefoniert. Auch der gerade abgetretene Siemens-Chef Joe Kaeser würdigte „seinen guten Freund“ Thiele via Twitter als „beispielhaften Unternehmer“.