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Haribo-Chefs im Interview: „Wir haben den Goldbären aus den Augen verloren“

Die Deutschlandchefs von Haribo kämpfen gegen einen herben Umsatzeinbruch an. Sie gestehen sich Fehler im Management ein – und steuern nun um.

Fruchtgummihersteller Haribo hatte im vergangenen Jahr in Deutschland einen herben Umsatzeinbruch von fast zehn Prozent zu verkraften. Die neue Geschäftsführung hat nun erfolgreich umgesteuert.

„Unsere Vorgänger hatten den strategischen Fokus und 2017 die Werbebudgets auf zuckerreduzierte Fruchtgummis gelenkt und diese in den Supermärkten prominent platzieren lassen“, erklärt Andreas Patz, Sprecher der Geschäftsführung Deutschland, im Interview mit dem Handelsblatt. Diese Rechnung sei nicht aufgegangen. „Wir haben unsere Top-Produkte wie den Goldbären aus den Augen verloren.“

Zudem wollten die Kunden „nicht ständig daran erinnert werden, dass der Kauf einer Süßware nicht unbedingt eine rationale Entscheidung ist“. Probleme bereitete auch die Umstellung aller Prozesse auf die Software von SAP. „Das Projekt nahm eine Komplexität an, die wir unterschätzt hatten“, räumt Patz ein.

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Bis Februar hatte Haribo deshalb Lieferausfälle bis zu zehn Prozent und darüber. Zum Jahresende rechnet Haribo wieder mit drei Prozent Wachstum in Deutschland. „Wir haben uns wieder in die Erfolgsspur zurückgekämpft“, sagt Patz.

Eine Rückkehr des Entertainers Thomas Gottschalk in die Haribo-Werbung schließt Patz auch für das anstehende 100. Firmenjubiläum im Jahr 2020 aus. „Wir haben weiterhin eine wunderbare Freundschaft. Aber eine Rückkehr in die Werbung wird es nicht geben. Die Zeiten der großen Samstagabendshows, zu denen sich die ganze Familie vor dem Fernseher versammelt, sind vorbei.“

Haribo hat weltweit fast 7000 Mitarbeiter, davon etwa 3000 in Deutschland. Branchenkenner schätzen den Jahresumsatz des verschwiegenen Familienunternehmens, dessen Holding von Gründerenkel Hans Guido Riegel geleitet wird, auf mehr als drei Milliarden Euro.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Herr Patz, Herr Lackhoff, Haribo wird im kommenden Jahr 100 Jahre alt. Doch der Umsatz mit Goldbären und Co. ist im Heimatmarkt seit 2017 rückläufig, 2018 sogar um fast zehn Prozent eingebrochen. Sind Sie überhaupt in Feierstimmung?
Andreas Patz: 2018 war tatsächlich ein sehr herausforderndes Jahr.
Holger Lackhoff: Der Umsatzrückgang im Vorjahr war schmerzhaft für uns als Marktführer. Als wir beide im Oktober 2018 übernommen haben, waren wir daher nicht in Feierlaune. Jetzt sind wir es sehr wohl.

Ist ein Produkt aus Gelatine und Zucker einfach nicht mehr zeitgemäß?
Patz: Nein, daran liegt es nicht – im Gegenteil. Unsere Vorgänger hatten den strategischen Fokus und 2017 die Werbebudgets auf zuckerreduzierte Fruchtgummis gelenkt und diese in den Supermärkten prominent platzieren lassen. Die Rechnung ist nicht aufgegangen. Wir haben unsere Kunden irritiert. Sie wollen nicht ständig daran erinnert werden, dass der Kauf einer Süßware nicht unbedingt eine rationale Entscheidung ist.
Lackhoff: Deshalb haben auch fettreduzierte Chips nie wirklich funktioniert. Haribo ist ganz klar ein Zuckerprodukt zum Genießen. In der Zuckerdebatte dagegen geht es ja eigentlich um versteckten Zucker etwa in Müsli oder Ketchup.

Braucht Haribo keine zuckerreduzierten Alternativen?
Patz: Doch, als Marktführer müssen wir auch in den Nischen sein. Aber wir dürfen sie nicht so stark nach vorne schieben, dass das den Klassikern schadet. Wir haben unsere Top-Produkte wie den Goldbären aus den Augen verloren.

Gelingt es, die Kunden zurückzugewinnen?
Patz: Ja, wir haben schon Ende 2018 erste Maßnahmen eingeleitet – seit April, Mai ist das sichtbar. Zum Jahresende rechnen wir mit drei Prozent Wachstum – etwas über unserer ursprünglichen Planung. Wir haben uns wieder in die Erfolgsspur zurückgekämpft.

Damit haben Sie das alte Niveau aber noch nicht erreicht …
Patz: Richtig.

Wettbewerber wie Katjes und Storck wachsen zweistellig …
Patz: Haribo hat einen Marktanteil von 60 Prozent in Deutschland, der nächstgrößere Wettbewerber zehn Prozent. Unsere drei Prozent Wachstum sind in absoluten Zahlen stärker als das Wachstum der Konkurrenz. Im Verlauf des Jahres gewinnen wir wieder Marktanteile zurück.
Lackhoff: Mit den fünf stärksten Produkten wie Goldbär, Color-Rado oder Pico-Balla wachsen wir sogar zweistellig. Rückgänge haben wir natürlich mit den zuckerreduzierten Produkten, die wir in den Jahren vorher übersteuert haben. Da gab es Erstkäufe, aber kaum Wiederkäufe.

Warum kann Katjes anders als Haribo ganz auf die viel kritisierte Gelatine verzichten?
Lackhoff: Haribo hat schon lange vegetarische Produkte, etwa die Lakritzschnecke seit 1929. Wir stehen zu Gelatine. Denn der typische Biss eines Fruchtgummis lässt sich bis heute nicht ohne tierische Geliermittel erreichen. Wir forschen dennoch auch an Alternativen.

Nach dem Tod von Gründersohn Hans Riegel junior 2013 sind Zentrale und Produktion von Bonn in den Ort Grafschaft umgezogen, das Auslandsgeschäft wird nun von Luxemburg gesteuert, die Werbung wurde umgestellt, es gab einige Managerwechsel. Hat sich bei Haribo womöglich zu viel auf einmal verändert?
Patz: Den Vorwurf müssen wir uns gefallen lassen. Wir haben durchaus in der Phase einige Projekte zu viel gemacht. Ein Umzug ist sicher eine Belastung. Anders als in Konzernen, die gewöhnt sind, dass alle paar Jahre die Spitze wechselt, hat Haribo erst den dritten Chef in 100 Jahren. Unternehmer und Holding-Chef Hans Guido Riegel setzt eigene Akzente und hat unsere Internationalisierung erfolgreich vorangetrieben. Allerdings gab es zwei Geschäftsführerwechsel in Deutschland. Das brachte Irritationen.

Waren vor 2013 zu wenige Entscheidungen getroffen worden, sodass plötzlich so viel auf einmal kam?
Patz: Nicht unbedingt. Allerdings war unser altes Warenwirtschaftssystem fast 30 Jahre alt. Auch wegen der Internationalisierung waren wir gezwungen zu modernisieren. Die Umstellung auf S/4Hana von SAP hat uns sehr viel abverlangt und in hohem Maße Zeit beansprucht. Wir waren ja eines der ersten Unternehmen in Deutschland, das seine kompletten Prozesse auf S/4Hana umgestellt hat.

Wo genau hakte es?
Patz: Wir haben uns für die große Lösung entschieden – von der Rohware bis zum Endprodukt alle Prozesse in SAP einzubinden. Das Problem war: Das Projekt nahm eine Komplexität an, die wir unterschätzt hatten. Mehr als 1500 Artikel laufen in unseren Fabriken vom Band. Es war eine große Herausforderung, alle Stammdaten umzustellen, weil wir vorher nicht in der SAP-Welt lebten. Da haben wir Fehler gemacht.

Der Handel beklagte sich, dass Haribo nicht voll lieferfähig war.
Patz: Bis Februar hatten wir Lieferausfälle bis zu zehn Prozent und darüber. Dafür bekamen wir auch böse Briefe vom Handel. Ganze Artikel liefen nicht am Band an, nur weil in den Stammdaten eine Nummer fehlte oder verdreht war. Das haben wir damals unterschätzt.

War Haribo das Versuchskaninchen von SAP?
Patz: Ich kann nichts gegen SAP sagen, wir haben vom ersten Tag an produziert, ausgeliefert und Rechnungen geschrieben. Aber kleine Fehler in so riesigen Datenmengen zu lokalisieren war sehr schwierig. Insgesamt hat uns die Umstellung einen dreistelligen Millionenbetrag gekostet. Das soll jetzt auch die nächsten 30 Jahre halten.


„Wir werden nicht morgen ein Überraschungsei entwickeln.“

Vor Ihrem Antritt sind gleich zwei Manager am Deutschlandgeschäft kurz hintereinander gescheitert …
Patz: Wer neu bei uns anfängt, muss die Bereitschaft mitbringen, zu akzeptieren, was den originären Erfolg unserer Marke ausmacht. Bis 2017 war Haribo ja hocherfolgreich. Durch eine falsche strategische Ausrichtung haben wir hierzulande eine Delle bekommen, die korrigieren wir jetzt mit genau derselben Mannschaft, von denen viele zehn, 20 Jahre dabei sind.

Warum haben so erfahrene Leute diese Fehler überhaupt mitgemacht?
Patz: Das waren doch nicht die Fehler der Mitarbeiter, sondern Führungsentscheidungen.

Heißt das: Die Kultur stimmt nicht – keiner traut sich im verschwiegenen Hause Haribo, etwas zu sagen, wenn etwas vorgesetzt wird, was nicht funktioniert?
Patz: Da habe ich eine andere Wahrnehmung. Sicherlich haben inhabergeführte Unternehmen eine andere Führungskultur als etwa börsennotierte Unternehmen. Aber bei Haribo herrscht eine offene Kommunikation. Nur hatte das Management eben in den zwei Jahren zuvor schnell und viel entschieden, aber nach meiner Wahrnehmung zu wenig zugehört.

Was hat Haribo daraus gelernt?
Patz: Heute gehen wir anders mit neuen Mitarbeitern um, die aus Konzernen dazukommen. Wir haben Onboarding-Programme, die nahebringen, wie die Kultur in unserem Familienunternehmen funktioniert. Wir hatten Fälle, in denen Leute mit großem Enthusiasmus kamen, um alles zu verändern. Wir wollen aber verdeutlichen, dass wir nicht alles umkrempeln wollen, sondern auf dem erfolgreichen Fundament aufbauen wollen. Deshalb laden wir neue Mitarbeiter ein, uns einen halben Tag in der Geschäftsführung zu begleiten.

Im Ausland ist Haribo erfolgreicher unterwegs als in der Heimat. In den USA baut Haribo ein eigenes Werk, das 2022 in Betrieb geht. Wird Nordamerika Deutschland als größten Markt ablösen?
Lackhoff: Nein, das ist nicht absehbar. Der deutsche Markt ist weiter der größte und wichtigste für uns. Amerika macht uns sehr viel Freude. Wir sind dort seit 2018 Marktführer für Fruchtgummis. Das Werk in Wisconsin bauen wir vor allem, um schneller liefern zu können.

Lassen Sie auf dem deutschen Markt eine Lücke für neue Wettbewerber? Ferrero plant ja bereits Fruchtgummi in Deutschland.
Patz: Ferrero hat einen Hersteller in den USA zugekauft. Uns ist bewusst, dass die Produkte auch hierherkommen könnten.

Als Ferrero mit B-Ready auf den Keksmarkt vordrang, brachte Barilla quasi als Revanche eine eigene Nussnugat-Creme auf den italienischen Markt. Planen Sie eine ähnliche Aktion?
Patz: Nein, wir müssen unsere Stärken spielen. Wir werden nicht morgen ein Überraschungsei entwickeln.

Welche Zukäufe plant Haribo? Angeblich sind Sie am spanischen Wettbewerber Fini interessiert, der stark in Brasilien ist. Hans Guido Riegel soll ja einen dreistelligen Millionenbetrag für Zukäufe freigegeben haben …
Lackhoff: Wir haben immer mal zugekauft, aber nur in unserer Kernkategorie Fruchtgummi – etwa Maoam Mitte der 80er-Jahre. In dem Bereich könnten wir uns regional verstärken, denn wir sind noch nicht in allen Erdteilen Marktführer. Wir haben aber auch viel Potenzial, organisch zu wachsen wie derzeit in den USA sichtbar.

Haribo soll weltweit mehr als drei Milliarden Euro Umsatz machen. Warum nennen Sie eigentlich keine konkreten Zahlen?
Lackhoff: Wir fahren gut damit, nicht ausrechenbar zu sein. Gegen viel größere Konkurrenten wie Ferrero und Mars haben wir nur eine Chance, wenn wir unberechenbar bleiben.

Was werden Sie 2020 Unberechenbares machen?
Patz: Erst mal feiern wir 100 Jahre Haribo.

Kommt dann Thomas Gottschalk zurück?
Patz: Thomas ist immer herzlich willkommen. Wir haben weiterhin eine wunderbare Freundschaft. Aber eine Rückkehr in die Werbung wird es nicht geben. Die Zeiten der großen Samstagabendshows, zu denen sich die ganze Familie vor dem Fernseher versammelt, sind vorbei. Die neuen Werbespots mit Erwachsenen, die mit Kinderstimme sprechen, funktionieren nachweislich sehr gut.

Herr Patz, Herr Lackhoff, vielen Dank für das Interview.