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„Es gibt den sauberen Diesel“

Zwischen Abgasskandal und Feinstaubalarm schickt Daimler eine neue Generation Dieselmotoren auf die Straße. Zum Produktionsstart gibt selbst der grüne Ministerpräsident dem Selbstzünder-Motor seinen Segen.

Normalerweise sind Produktionsanläufe in der Autoindustrie keine öffentlichen Veranstaltungen. Nachdem der Knopf gedrückt ist, beginnt der ewige Kampf um Stückzahlen und Qualität. Nichts so bei Mercedes an diesem Montagmorgen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist eigens gekommen, um sich ein Bild vom neuen Ölmotors 654 zu machen. Bei der Testfahrt auf der Untertürkheimer Erprobungsstrecke atmet das gelbe, von der Dekra geprüfte Messgerät während der Fahrt alle Abgase des Fahrzeugs ein. Denn der OM 654 ist nicht irgendein Aggregat, es ist der neueste Dieselmotor des Hauses.

„Es gibt den sauberen Diesel, und er wird kommen“, sagt der grüne Regierungschef nach der Fahrt in staatstragendem Ton. Gleich daneben steht Daimler-Entwicklungsvorstand Ola Källenius und versichert: „Das ist der Stand der Technik, der hält die Grenzwerte ein.“

Der demonstrative Schulterschluss zwischen Politik und Autobauer in Sachen Diesel ist wichtig für beide Seiten. Es sind nervöse Zeiten in der Branche. Die Geschäfte laufen einerseits gut wie lange nicht. Daimler und BMW sind laut der Unternehmensberatung EY die profitabelsten Autokonzerne der Welt, Volkswagen trotz Dieselskandal mittlerweile der Größte. Doch die Dieseltechnik, mit der die deutschen Autobauer in den vergangenen Jahren die Märkte aufgerollt haben, steht massiv in der Kritik.

Die Mercedes-Heimat Stuttgart will pikanterweise künftig bei hoher Feinstaubbelastung einen Großteil der Dieselautos mit Fahrverboten belegen. Und seit Ende März ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen nicht benannte Mitarbeiter im Daimler-Konzern wegen des Verdachts des Betrugs und der betrügerischen Werbung. Denn auch Daimler-Diesel zeigten im Labor ein anderes Abgasverhalten als auf der Straße.

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Das soll mit dem OM 654 nicht mehr passieren. Drei Milliarden Euro haben die Stuttgarter in die neuen Aggregate investiert, die so sauber seien sollen, dass sie auch dem strengen Stuttgarter Fahrverbot standhalten. Der Motor verbraucht nicht nur 13 Prozent weniger Kraftstoff als sein Vorgänger, er liefert auch mehr Leistung. Die Techniker haben noch einmal viel aus dem über einhundert Jahre altem Antriebsprinzip herausgeholt: Zum Einsatz kommt das von Daimler-patentierten Nanoslide-Verfahren, bei dem der Kolben mit einer besonderen Beschichtung fast ohne Reibung durch das Zylindergehäuse gleitet.

Anders als bei seinem Vorgänger OM 651 sitzt gleich hinter dem Brennraum ein SCR-Katalysator und ein Dieselpartikelfilter, das macht die Abgasreinigung effektiver. Was dann noch an Stickoxiden übrig bleibt, soll in einem „Fallstrommischer“ durch Harnstoffeinspritzung endgültig zersetzt werden. Trotz der aufwendigen Abgasnachbehandlung soll der neue Motor – dank Aluminiumgehäuse – 30 bis 40 Kilogramm leichter sein als sein Vorgänger.


Kretschmann als Diesel-Garant

Ein enormer Aufwand, der sich für Daimler lohnen muss. Anders als viele Kleinwagenhersteller, die den Diesel aussortieren, kann Mercedes die hohen Kosten für die teure Abgasfilterung an die Kunden weitergeben. Denn nach wie vor verkauft Daimler in Europa mehr als die Hälfte seiner Autos mit Selbstzünder. Ohne die relativ verbrauchsarmen Diesel – das stellt auch Konzernchef Dieter Zetsche immer wieder klar – wird Daimler die Vorgaben für den Flottenverbrauch nicht einhalten.

Und auch die Kunden mögen die relativ verbrauchsarmen Diesel – solange sie weiter damit durch die Stadt fahren können und keinen Wertverlust beim Wiederverkauf fürchten müssen. Kretschmann, staatstragend mit grüner Krawatte, ist an diesem Morgen der Garant dafür, dass es trotz staatsanwaltlichen Ermittlungen und Fahrverboten auch so bleibt. Der neue saubere Daimler-Diesel sei eine „wichtige Brückentechnologie zum emissionsfreien Fahren“, erklärt der Landesvater in Untertürkheim. Neben Mercedes leben im Südwesten auch Bosch, Mahle und ZF Friedrichshafen vom Diesel. Zehntausende Jobs, die nicht wackeln dürfen.

Dabei weiß Kretschmann ebenso wie sein Gastgeber Ola Källenius, dass die Zeit des Dieselmotors langsam aber sicher abläuft – die Frage ist nur, wie schnell. Und es sind nicht die Kunden, die den Wandel treiben, sondern die Politik mit immer neuen Emissionsanforderungen. Es geht jetzt um eine weiche Landung, in der Branche Transformation genannt. Neben dem neuen Diesel werden immer mehr Hybridmotoren angeboten, Zwitterkonzepte aus Verbrennungs- und Elektromotoren.

„15 bis 25 unserer Fahrzeuge sollen bis 2025 mit elektrischen Antrieben ausgeliefert werden“, sagt Daimler-Entwicklungsvorstand Källenius in Untertürkheim. Dazu werde Daimler zehn neue reine Elektrofahrzeuge bis 2022 auf den Markt bringen. Dieses Ziel haben die Stuttgarter kürzlich vorgezogen: Bis vor wenigen Tagen wollte man sich mit der Elektrooffensive noch bis 2025 Zeit lassen. Offenbar hat sich das Tempo der Transformation beschleunigt.

Zu schnelle Umbrüche mögen aber weder Politiker noch Konzernlenker. Kretschmann, der mit einem S-Klasse-Hybrid durchs Ländle steuert, versucht es mit demonstrativer Gelassenheit. „Ich mach mir keine speziellen Sorgen um Daimler“, sagt der Ministerpräsident. „Ich glaube dass wir uns gut aufstellen und wollen ein führender Autostandort bleiben.“

KONTEXT

Wie der Abgasskandal Daimler beschäftigt

Deutsche Justiz

Seit Mitte März ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart im Zusammenhang mit Abgas-Manipulationen bei Dieselfahrzeugen "gegen namentlich bekannte und unbekannte Mitarbeiter der Daimler AG wegen des Verdachtes des Betrugs und der strafbaren Werbung." Um wie viele Beschäftigte es sich handelt, ließ die Behörde ebenso offen wie die Frage, ob hochrangige Manager oder Vorstände darunter sind. Der Konzern wusste nach Angaben einer Sprecherin nichts davon, dass Mitarbeiter befragt wurden.

Deutsche Behörden

Der Stuttgarter Autobauer betont, sich bei der Abgasnachbereitung in Dieselfahrzeugen an geltendes Recht zu halten. Streitpunkt ist ein so genanntes Thermofenster, das in bestimmten Temperaturbereichen die Abgasnachbereitung herunterregelt. Nach der Argumentation der Hersteller wird das genutzt, um Bauteile im Motor zu schützen. Umweltschützer wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisieren, dass die entsprechende EU-Verordnung zu weit ausgelegt werde. Im April einigte sich Daimler wie andere Hersteller auch mit dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) darauf, 247.000 Fahrzeuge "freiwillig" zurückzurufen, um die Technik anzupassen.

Deutsche Zivilklage

Die DUH hat eine Unterlassungsklage wegen Verbrauchertäuschung vor dem Landgericht Stuttgart eingereicht. Die Umwelthilfe wirft dem Autobauer vor, Verbraucher mit Werbung über saubere Dieselmotoren in die Irre geführt zu haben. Auch hier bezieht sich der Verein auf das Thermofenster. Die Verhandlung ist für den 27. April angesetzt. Gegen Opel konnte die Umwelthilfe in einem ähnlichen Verfahren durchsetzen.

US-Zivilklagen

In den USA muss sich Daimler mit mehreren Abgas-Sammelklagen befassen. Die Kanzlei Hagens Berman vertritt Autobesitzer aus zahlreichen Bundesstaaten, die dem Konzern vor allem irreführende Werbung und einen zu hohen Stickoxidausstoß bei zahlreichen Dieselmodellen vorwerfen. Wie die Umwelthilfe kritisieren auch die US-Amerikaner das Herunterregeln der Abgasreinigung, wenn es draußen kälter ist. Im Dezember wies ein US-Richter die Klage ab. Hagen Berman legte aber nach. Zudem ist der Autobauer mit einer Sammelklage von Investoren in Kalifornien konfrontiert. Der Konzern weist die Anschuldigungen zurück.

US-Justiz

Im April wurde es richtig ernst für den Autobauer: Das amerikanische Justizministerium forderte Daimler zu einer internen Untersuchung im Zusammenhang mit den Abgaswerten der Autos aus dem Hause Mercedes-Benz auf. Seitdem ermittelt Daimlers interne Revision mithilfe einer Anwaltskanzlei im Konzern. Zu Ergebnissen der Untersuchung schweigt der Autobauer bislang.