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Gesucht wird die neue Formel für Ideen

Klaus Griesar hatte die Lacher im Saal auf seiner Seite, als er ein Cover des britischen Wirtschaftsmagazins Economist zeigte. Auf der Fotomontage ist die berühmte Skulptur „Der Denker“ von Auguste Rodin zu sehen – allerdings nicht auf einem Stein hockend, sondern auf dem Klo. „Werden wir so etwas Sinnvolles noch einmal erfinden?“, heißt es in der Denkblase. Was lustig wirkt, ist ernst gemeint: Es beleuchtet die Sorge, dass Unternehmen nicht mehr innovativ genug sind.

Griesar ist einer der Top-Innovationsmanager beim Darmstädter Pharma- und Chemiekonzern Merck und verantwortet dort die weltweiten Kooperationen mit Hochschulen. Auf der Handelsblatt-Jahrestagung Chemie in Frankfurt rief er die Chemie-Unternehmen zu mehr Zusammenarbeit mit Kunden und Firmen aus anderen Branchen auf. Diese Botschaft hatten auch die anderen Redner auf dem Handelsblatt-Strategietreff, zu dem am heutigen Dienstag rund 100 Manager kamen.

Die Chancen für die deutschen Chemiefirmen schätzen Experten noch immer als sehr hoch ein. Um globale Herausforderungen wie Mobilität, Verstädterung und stärkere Nachhaltigkeit zu bewältigen, sind neue Kunststoff und Chemikalien grundlegend wichtig. Und noch immer gelten die deutschen Anbieter als führend in der Forschung und Entwicklung weltweit. Doch andere Länder wie China holen rasant auf. „Wenn wir unsere Position erfolgreich verteidigen wollen, müssen wir innovativer werden“, warnte Peter Nagler, der frühere Chief Innovation Officer bei Evonik.

Das Thema Innovation hat für die deutsche und die westliche Chemieindustrie auch deshalb an Brisanz gewonnen, weil das generelle Wachstum deutlich nachgelassen hat. Klammert man die Pharmabranche aus der Chemiestatistik aus, ist die deutsche Chemieproduktion zum Beispiel seit 2012 bereits leicht geschrumpft. „Das Wachstumsmodell der letzten 20 Jahre ist nicht mehr gültig“, sagt Henrik Meincke, Chefvolkswirt des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI).

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Der Branchenverband geht davon aus, dass sich das globale Industriewachstum in der Zeit von 2013 bis 2030 auf gut drei Prozent pro Jahr halbiert – gegenüber mehr als sechs Prozent in der Dekade davor. Hauptursache dafür ist die Tatsache, dass der Investitionsboom und damit auch das Industriewachstum in Schwellenmärkten wie China deutlich an Schwung verloren haben. Zudem verlagert sich das Wachstum auch in diesen Ländern zusehends in Dienstleistungsbereiche, die weniger Chemie benötigen.

Umso mehr sind Innovationen gefragt, Dazu zählen nicht nur neue Produkte allein, sondern die Art, wie sie entwickelt werden. Nötig ist eine neue Formel für Ideen. Die Experten auf der Handelsblatt-Chemietagung forderten ein Umdenken: Statt nur an neuen Molekülen zu arbeiten, müssten moderne Chemiefirmen Problemlösungen schaffen. Nagler empfiehlt dazu die Zusammenarbeit mit Start-ups und mit Unternehmen aus anderen Industrien. Evonik gehe bewusst auf solche Firmen zu, um mit ihnen gemeinsam zu entwickeln.


Vom reinen Produkt zur Kombination mit Service

Branchenexperten wie Frank Jenner prognostizieren, dass sich die Chemieindustrie in den kommenden Jahren vom Fokus aufs einzelne Produkt verabschieden muss. Die Zeit der reinen Teilchenzulieferer sei vorbei: „Kunden verlangen nach Kombinationen von Produkt und Services“, sagte der Leiter des globalen Chemiegeschäfts bei der Unternehmensberatung EY. Bei der Kundenorientierung sieht Jenner in der Chemiebranche noch große Defizite. Sein Rat: Die Hersteller sollten mit produktübergreifend zusammengestellten Teams viel enger mit ihren Abnehmern neue Angebote entwickeln.

Die Digitalisierung bietet dafür die nötigen Instrumente und Daten. Auch die Chemie wird von Vernetzung und Datenanalyse erfasst. Das zeigt sich beispielsweise bei Branchenführer BASF. Um Forschung und Entwicklung schneller zu machen, kooperieren die Ludwigshafener mit dem kalifornischen IT-Konzern Hewlett-Packard. Sie wollen eine Art Supercomputer für die chemische Forschung schaffen, der große Kapazität für virtuelle Experimente besitzt.

Digitalisierung und Vernetzung biete auch die Chance, dass „Forscher näher an den Markt rücken“, erläuterte Martin Vollmer, Chief Technology Officer beim Spezialchemieherstellers Clariant. Die Schweizer haben gute Erfahrungen mit neuen Teams aus den verschiedenen Bereichen und Regionen des Konzerns gemacht. „Da kommen unglaublich gute Ideen auf den Tisch“, sagt Vollmer. Mit Kunden aus der Ölindustrie entwickelte Clariant eine App, mit der die Lieferkette an Standorten exakt per Tablet analysiert und gesteuert werden kann.

Durch eine enge Zusammenarbeit mit Kunden und anderen Industrien könnten Fehler vermieden werden, wie sie der Branche früher passiert sind, sagte Günter von Au, Vizepräsident des Verwaltungsrates von Clariant und Leiter der Handelsblatt-Tagung. Hätte man sich zum Beispiel bereits in frühen 2000er-Jahren auf die Elektromobilität ausgerichtet und den Rückzug von Firmen und Universitäten aus der Elektrochemie vermieden, wären die deutsche Chemie und die Autoindustrie in Sachen leistungsfähige Batterien weitaus besser positioniert.

Chemieunternehmen stünden heute vor der Frage ob sie weiterhin nur ein spezialisierter Zulieferer bleiben oder mehr vom Geschäft abbekommen wollen, erläutert Sven Mandewirth, Partner bei der Unternehmensberatung Camelot. Dies zeige sich derzeit in der Agrochemie. Bayer und Monsanto liefern nicht nur Pflanzenschutzmittel und Saatgut, sondern entwickeln Software und IT für die digital gesteuerte Landwirtschaft.

Dabei treffen sie auf völlig neue Konkurrenten, denn die Hersteller von Traktoren und Mähdreschern arbeiten an ähnlichen Lösungen. Wie dieser Machtkampf am Ende ausgeht, ist aus Sicht von EY-Chemiefachmann Frank Jenner offen. Die Chemie habe gute Chancen, doch „die Würfel sind noch nicht gefallen.“

KONTEXT

Die größten Chemiekonzerne der Welt

Platz 10

PPG Industries (USA)Mit 15,33 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz landet das US-Unternehmen mit Firmensitz in Pittsburgh (Pennsylvania) auf dem zehnten Platz der umsatzstärksten Chemieunternehmen weltweit.Zu den Produktbereichen gehören Kunstglasprodukte, Kunstharze und Beschichtungswerkstoffe für Raumfahrt, Architektur und Industrie.

Quelle: Unternehmensangaben, Statista 2017 / Gesamtjahr 2016, jeweils letzte verfügbare Angaben

Platz 8

Air Liquide (Frankreich)Auf Platz acht des aktuellen Rankings landet das führende, französische Unternehmen bei Gasen für Industrie, Medizin und Umweltschutz. 19,08 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz in 2016 machen dies möglich. Mit Linde und Praxair zählt Air Liquide zu den drei größten Industriegasherstellern der Welt.

Platz 7

Henkel (Deutschland)Der Düsseldorfer Konzern gliedert sich in drei Unternehmensbereiche: Wasch-/Reinigungsmitte, Schönheitspflege und die Klebstoffe und fuhr 2016 einen Jahresumsatz von 19,69 Milliarden US-Dollar ein. In naher Zukunft möchte der Siebtplatzierte sowohl die US-Firma Darex Packaging Technologies für mehr als 1,05 Milliarden US-Dollar übernehmen als auch den mexikanischen Anbieter von Friseurprodukten Nattura Laboratorios aufkaufen. Der Düsseldorfer Konsumgüterkonzern will so vor allem das eigene Friseurgeschäft in Mexiko und den USA ausbauen.

Platz 9

Linde (Deutschland)Der deutsche Technologiekonzern mit dem Kerngeschäft um Gase und Prozess-Anlagen hat im letzten Jahr 17,83 Milliarden US-Dollar Umsatz gemacht und erreicht so den neunten Platz im Unternehmensranking.

Platz 6

DuPont (USA)24,6 Milliarden US-Dollar Umsatz und Platz sechs für den Konzern für Chemie, Materialien und Energie. Im Dezember 2015 gaben DuPont und der Konkurrent Dow Chemical bekannt, dass sie fusionieren wollen. Danach soll das Gemeinschaftsunternehmen in drei börsennotierte Unternehmen für Agrarchemikalien, Spezialchemikalien und Kunststoffe aufgespalten werden.

Platz 5

Lyondell Basell (USA)Im Mittelfeld des Rankings und mit 29,18 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz landet Lyondell Basell. Der weltweit größte Produzent von Polyolefinen und Katalysatoren betreibt zudem Erdölraffinerien und produziert Treibstoffzusätze wie MTBE.

Platz 4

Saudi Basic Industries (Saudi-Arabien)Unverändert auf dem vierten Platz befindet sich der saudi-arabischer Chemie- und Metall-Konzern Saudi Basic Industries. Mit 39,5 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz reichte es für Metallkonzern nicht für den Sprung unter die Top-3-Chemiekonzerne. Neben Grundchemikalien wie Methanol und Ethanol stellt das Unternehmen aus dem Nahen Osten auch Düngemittel her.

Platz 2

Bayer (Deutschland)Der zweitplatzierte deutsche Konzern (49,2 Milliarden US-Dollar Umsatz 2016) mit Schwerpunkt auf der chemischen und pharmazeutische Industrie plant eine Megafusion mit Monsanto. Damit möchte das Unternehmen seine Agrarchemie-Sparte um genverändertes Saatgut erweitern. Um diese umstrittene Fusion unter Dach und Fach zu bringen, sollen Bayer und Monsanto bereit sein, Firmenteile für 2,5 Milliarden Dollar zu verkaufen.

Platz 3

Dow Chemical (USA)Mit 48,16 Milliarden US-Dollar Umsatz fiel der zukünftige Fusionspartner von DuPont um einen Platz im Vergleich zum Vorjahr. Die Hauptgeschäftsbereiche des US-Unternehmens aus Midland (Michigan) erstrecken sich auf die Kunststoffherstellung, Vorprodukte für die Wasseraufbereitung, Klebstoffe, Insektiziden, Saatgut und die Herstellung von Grundstoffen wie Chlor und Natronlauge.

Platz 1

BASF (Deutschland)Unveränderter Spitzenreiter mit 60,54 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz: BASF. Der nach Umsatz und Marktkapitalisierung weltweit größte Konzern, mit Hauptsitz in Ludwigshafen am Rhein, wird sich angesichts der Megafusionen in der Branche künftig neu positionieren müssen. Dabei würde aber, laut Unternehmensführung, mehr Wert auf die Wettbewerbsfähigkeit der bestehenden Geschäftsfelder, als an Größe an sich gelegt werden.