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Wie der Freudenberg-Chef 320 Erben bei Laune hält

Zwischen den tristen Werkshallen und Bürogebäuden ist es kalt und ungemütlich, doch Mohsen Sohi schafft zumindest menschliche Wärme. Einer Mitarbeiterin streckt der Chef des Familienkonzerns Freudenberg die Hand zum Gruß entgegen, freundlich fragt er: „Wie geht’s?“ So geht es weiter beim Gang über das Firmengelände in Weinheim bei Mannheim. Sohi winkt, grüßt, nickt, lächelt. Dabei wirkt der Amerikaner wie einer, der dazugehört, der ein Teil der großen Familie Freudenberg ist.

Der Geist der Eigentümer ist in Weinheim allgegenwärtig. Sohi sagt, dass er als von der Familie eingesetzter persönlich haftender Gesellschafter noch „einen Tick umsichtiger“ handle denn zuvor als angestellter Manager. In Büros und Fabrikhallen des Freudenberg-Reichs hängen die Grundsätze, nach denen die Mitarbeiter handeln sollen, jeder bekommt sie am ersten Arbeitstag.

Auf Bescheidenheit, Ehrlichkeit, ein solides finanzielles Fundament und die Fähigkeit, sich Veränderungen anzupassen, hat Gründer Carl Johann Freudenberg seine Söhne schon 1887 verpflichtet. 1849 hatte er mit einer Gerberei mit 50 Mitarbeitern losgelegt, aus ihr ist ein weltweit aktiver Mischkonzern geworden, mit 7,6 Milliarden Euro Umsatz und 48.000 Mitarbeitern.

Etwa 40 Prozent der Erlöse stammen aus dem Geschäft mit der Autoindustrie, zwei Drittel aller Autos auf der Welt fahren mit Innenraumfiltern von Freudenberg, der Konzern ist Weltmarktführer bei Dichtungen für Autos. Dichtungen liefert er auch für die Öl- und Gasindustrie, zudem produziert er Trennmittel für Gummibären, Medizinprodukte und Spezialschmierstoffe; auch der Haushaltswarenhersteller Vileda gehört zum Konzern.

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Mit dem Unternehmen ist auch die Zahl der Eigentümer gewachsen. Freudenberg gehört heute 320 Erben – vom Biologen über Anwälte und Banker bis zum Künstler. Und doch soll die Familie mit einer Stimme sprechen; Streit zwischen Gesellschaftern soll niemals die Zukunft des Konzerns gefährden.

Alles zu tun, damit das funktioniert, ist die Aufgabe von Martin Wentzler. Der Rechtsanwalt ist mit dem Unternehmen aufgewachsen, sein Vater war persönlich haftender Gesellschafter, seine Mutter Mitglied des Gesellschafterausschusses, sein Großvater Richard Freudenberg führte den Konzern fast vier Jahrzehnte. „Das Unternehmen war permanent Gesprächsthema in der Familie, wir Kinder sind sehr früh damit in Berührung gekommen“, sagt Wentzler. Praktika haben die Beziehung intensiviert.

Heute ist der Ururenkel des Firmengründers der wichtigste Vertreter der Familie in zwei mächtigen Gremien. Er leitet den Aufsichtsrat und sitzt dem Gesellschafterausschuss vor. Mindestens sieben der zwölf Mitglieder des Ausschusses müssen aus der Familie stammen, sie überwachen, beraten und pflegen den Kontakt zum Unternehmen. Wichtige strategische Entscheidungen müssen den Ausschuss passieren. Konzernchef Sohi muss ihn etwa dann befragen, wenn er mehr als 15 Millionen Euro für einen Zukauf ausgeben oder mehr als zehn Millionen Euro in eine der weltweit 200 Freudenberg-Fabriken investieren will.

Feste Regeln sind wichtig, um die weitverzweigte Familie im Sinne des Unternehmens zu organisieren. Einmal im Jahr trifft sich der ganze Clan zur Gesellschafterversammlung, sie beginnt immer freitags um zwölf Uhr und endet sonntags um die gleiche Zeit. Sohi und Wentzler informieren dann über die Entwicklung des Unternehmens und beantworten Fragen zu dessen Strategie, der sozialen Verantwortung und – nicht ganz unwichtig – zur Höhe der nächsten Ausschüttung. Traditionell trifft sich die Familie zum Brunch im Hermannshof, dem Haus des Sohnes des Gründers, sie besichtigt Fabriken, und für die Kinder gibt es eine Abenteuertour.

Viele Erben leben in der Welt verstreut, etliche wohnen in den USA und Großbritannien, einzelne hat es aber auch nach Kanada, Kenia, Schweden, Hongkong und Vietnam verschlagen. Um die Bindung aufrechtzuhalten, gibt es regionale Treffen, Wentzler selbst hat zuletzt mit 70 Gesellschaftern Standorte rund um Boston besichtigt.


Klare Regeln

Für den Nachwuchs gibt es eigene Treffen: Bei den Zusammenkünften im Zwei-Jahres-Rhythmus lernen die Junioren ihre Rolle als Gesellschafter kennen, beschäftigen sich mit Strategiefragen und Innovationen. Das Programm Freudenberg Inside vermittelt Praktika im Unternehmen. Wer dauerhaft im Unternehmen arbeiten will, muss sich jedoch zuvor extern beweisen. „Familienmitglieder müssen erst in anderen Unternehmen Karriere machen und sich dann für die erste oder zweite Führungsebene bewerben“, sagt Wentzler.

Um die Gesellschafter auch abseits des persönlichen Austauschs zu informieren, schreibt Wentzler Briefe, organisiert Telefonkonferenzen, verschickt Newsletter. Eigens für die Familie betreibt der Konzern zudem ein Onlineportal. Es gibt sogar eine eigene Zeitung, die halbjährlich erscheint und von Familienmitgliedern für die Familie herausgegeben wird.

Umfassende Informationen sind eine gute Grundlage für den konstruktiven Umgang mit Konflikten. Meinungsverschiedenheiten seien kein Tabu. Freudenberg pflege „eine offene Diskussionskultur“, sagt Wentzler, im Zweifel müsse die Familie „mehrheitlich zu einem Ergebnis“ kommen. Den Rahmen gibt der Gesellschaftervertrag vor, er regelt den Erhalt des Unternehmens als Familienunternehmen und wurde gerade erst bis 2045 verlängert. Einen teilweisen Börsengang schließt die Familie aber nicht aus, zuletzt prüfte Freudenberg die Option für den Schwingungstechnikkonzern Vibracoustic. Der Konzern als Ganzes soll aber in Familienhand bleiben.

Geld ist in vielen Familien ein Streitthema. Um das in den Griff zu bekommen, gilt bei Freudenberg die klare Regel, dass jedes Familienmitglied von seinem Beruf leben und nicht auf die Dividende des Unternehmens angewiesen sein soll. Nur wenige Gesellschafter halten mehr als ein Prozent der Anteile, zwei Prozent sind in einer Stiftung gebündelt. 2015 schüttete der Konzern vor Steuern insgesamt 132 Millionen Euro aus.

„Wir verfolgen eine Politik einer moderat wachsenden Dividende“, sagt Konzernchef Sohi. Die genaue Höhe der Ausschüttung bespricht er mit dem Gesellschafterausschuss. 2016 könnte sie leicht steigen, das Jahr ist gut gelaufen. Wie viel Geld letztlich fließt, hängt aber vor allem von der Strategie ab. Stehen Zukäufe oder größere Investitionen an, geht das Wohl des Unternehmens vor. „Der größte Teil der Gewinne verbleibt dort“, sagt Sohi.

Schließlich lebt Freudenberg von Innovationen. „Unser Ziel ist es, eines der innovativsten und am breitesten diversifizierten Technologieunternehmen und dabei langfristig orientiert zu sein. Das schließt die Möglichkeit ein, neue Geschäftsfelder zu entwickeln“, sagt Wentzler.

Das ist dem Konzern schon oft gelungen, und das selbst in Krisenjahren. Als die Nazis Lederimporte für die Gerberei erschwerten, gründete das Unternehmen ein Labor, das nach Ersatzstoffen suchen sollte. Die Forscher entwickelten den Kunststoff Perbunan – und erfanden so die Gummidichtung. Auch heute entwickelt der Konzern fortschrittliche Lösungen. Die Dichtung Levitex baut ein Luftkissen auf, das den Motorraum im Auto praktisch reibungsfrei abdichtet und so Kohlendioxid spart.

In Details des Tagesgeschäfts mischen sich die Familienmitglieder kaum ein. Wentzlers Bruder Hanno ist momentan der Einzige in der Sippe, der mit Freudenberg Chemical Specialities eine der Geschäftsgruppen leitet. Konzernchef Sohi hat operativ weitgehend freie Hand. „Da mischt sich die Familie nicht ein, null“, sagt der Maschinenbau-Ingenieur und formt einen Kreis aus Daumen und Zeigefinger. Aber: Einfluss der Familie würde über den Gesellschafterausschuss ausgeübt.

Trotzdem ist der Austausch wichtig. Sohi und Wentzler kommunizieren per SMS, am Telefon, per Mail oder persönlich. Einmal im Monat treffen sich beide zum Jour fixe. „Herr Wentzler hat eine wesentliche Rolle bei der Weiterentwicklung des Unternehmens“, sagt Sohi. Vorschriften mache er ihm jedoch keine, es gebe keine Person, die das letzte Wort habe, Einigkeit käme durch Diskussionen zustande. Und das sei auch gut so. Schließlich gehe es nicht um Macht, sondern um „die gute Entscheidung und das Ergebnis“. Und von dem profitieren letztlich alle.

KONTEXT

Die Erfolgsfaktoren der Familie Freudenberg

Nachwuchs heranführen

Schon Kinder lernen das Unternehmen spielerisch kennen, später gibt es regelmäßige Informationstreffen.

Immer informiert sein

Persönliche Treffen und ein Internetportal halten die Familie auf dem Laufenden.

Klare Regeln

Eine lautet: „Wer in der Firma arbeiten will, muss sich erst extern beweisen“.

Das Gute bewahren

Solide Finanzen und Anpassungsfähigkeit forderte der Gründer schon 1887.