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Frauen haben es in der Start-up-Welt immer noch schwer

Nur 15 Prozent der deutschen Jungunternehmen werden von Frauen gegründet. Ein wichtiger Grund: Die überwiegend männlichen Investoren finanzieren lieber ihresgleichen.

„Ich empfehle, eine Frau als Investorin zu gewinnen.“ Foto: dpa
„Ich empfehle, eine Frau als Investorin zu gewinnen.“ Foto: dpa

Noch witzeln die Investoren in der TV-Show „Höhle der Löwen“ reichlich seicht darüber, worauf sich „Ooshi“ reimt. Das Start-up spricht sich wie „Uschi“ aus. Dann geht es für Kati Ernst und ihre Mitgründerin Kristine Zeller endlich los. „Wir haben unsere guten Jobs bei Zalando und McKinsey verlassen, um zu gründen. Wir bieten für 300.000 Euro zehn Prozent Anteile an unserer Firma“, so beginnen sie ihren Pitch.

Ooshi, inzwischen umbenannt in Ooia, ist Ende 2019, als die Sendung ausgestrahlt wird, Deutschlands erster Anbieter von Periodenunterwäsche. In den USA sind Flüssigkeit absorbierende Slips, die Tampons und Binden ersetzen, schon erfolgreich am Markt. Ernst und Zeller wollen das Produkt nun in Europa Millionen von Kundinnen anbieten.

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Ernst berichtet den Juroren, dass ihr Sortiment schon zweimal „ausverkauft“ gewesen sei und sie die „Nachfrage kaum bedienen“ könnten. Drei Investoren und zwei Investorinnen nicken beeindruckt. „Die Frauen in Deutschland sind bereit für dieses Produkt, seid ihr es auch?“, fragt die 38-Jährige in die Runde.

Unternehmer Ralf Dümmel lobt Auftritt und Unterwäsche als „ganz toll und echte Problemlöser“ – und steigt dann aus. Genau wie Seriengründer Frank Thelen. Und auch Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer will kein Geld geben. Seine Begründung: „Es ist kein typisches Männerprodukt, ich empfehle, eine Frau als Investorin zu gewinnen.“

Doch da können Unternehmerinnen lange suchen. Es gibt in Deutschland kaum Investorinnen, die Gründerprojekte finanzieren. Der Anteil von Partnerinnen in deutschen Wagniskapital-Firmen (VC) beträgt nur vier Prozent, wie die Boston Consulting Group (BCG) ermittelt hat.

Wann immer Ernst und Zellner fern der TV-Kamera pitchten, saßen sie ausnahmslos Männern gegenüber – wie fast alle, die Geld für ihr Start-up einwerben wollen. Eine von Männern dominierte Investorenlandschaft gilt als ein wesentlicher Grund, weshalb so wenige Frauen Start-ups gründen.

So zeigt der aktuelle Female Founders Monitor (FFM) 2020, eine gemeinsame Studie des Startup-Bundesverbandes und Google for Startups, dass ihr Anteil bei gerade mal 15 Prozent stagniert. Nur jedes zehnte junge Unternehmen in Deutschland wird von rein weiblichen Teams aufgebaut, die Führung von lediglich 20 Prozent ist gemischt.

Der Rest der Chefs sind Männer — und die bekommen das meiste Kapital. Während ein von Gründern geführtes Start-up in Deutschland im Schnitt 10,6 Millionen Euro einsammeln kann, erhalten Gründerinnen laut BCG mit durchschnittlich 3,5 Millionen Euro knapp ein Drittel. Unbewusste Vorurteile gegenüber Frauen spielen dabei eine wichtige Rolle.

Männer unbewusst bevorzugt

Kati Ernst wirkt immer noch aufgebracht, als sie ein halbes Jahr später über ihren TV-Auftritt spricht. Nun mag man nachvollziehen können, dass Investor Maschmeyer sich nicht als Experte für Menstruationsschlüpfer sieht. Andererseits, wie viele Investoren sind Kenner von Schlaganfallpillen oder Bohrinseln – und investieren trotzdem?

„Sollten nicht die Erfolgsaussichten eines Start-ups zählen?“, fragt Ernst und zählt auf: „Wir waren ein hochqualifiziertes Team, es gab einen Markt von einer halben Milliarde Euro allein in Deutschland, ein fertiges Produkt, ein funktionierendes Geschäftsmodell und einen ‚Proof of Concept‘, in den USA boomte der Markt und auch wir kamen mit dem Versand kaum nach. Das ist doch irrational.“

Stimmt. Es ist gut belegt, dass sogar bei vergleichbarer Start-up-Qualität und ähnlichem Kapitalbedarf andere Maßstäbe für Gründer und Gründerinnen gelten. Eine Studie der Harvard Business School, des Massachusetts-Instituts für Technologie und der Wharton School von 2014 zeigt, dass sogar bei identischen Präsentationen Männer den Vorzug erhalten.

In einem Teilbereich der Untersuchung bekamen Testpersonen Unterlagen ohne Bilder der Gründer, der einzige Unterschied: Einmal las eine männliche, einmal eine weibliche Stimme den Pitch vor. Fast 70 Prozent entschieden sich für den Männervortrag.

Zudem stellen Investoren Gründern andere Fragen — je nach Geschlecht. So haben Forscher der Harvard Business School und der London School of Economics herausgefunden, dass Männer eher zu möglichen Gewinnen, Frauen dagegen zu möglichen Verlusten ihrer Unternehmung Auskunft geben sollen – und dass dies die gewährten Finanzmittel für Gründerinnen erheblich reduziert.

So verwundert es nicht, dass laut einer BCG-Studie von 2019 über alle Phasen der Gründungsfinanzierung hinweg rein weibliche Start-ups eine 40-prozentig geringere Chance als Männer haben, in der wichtigen zweiten Runde an Wachstumskapital zu gelangen. In der dritten Runde liegt die Wahrscheinlichkeit für Frauen, frisches Geld zu erhalten, sogar um 90 Prozent niedriger.

Und das, obwohl Studien zeigen, dass Frauen mehr aus dem ihnen zur Verfügung stehenden Kapital machen. So generierten Gründerinnen in den USA aus jedem eingesammelten Dollar 78 Cent Umsatz – mehr als doppelt so viel wie Gründer mit 31 Cent. Und das, obwohl sie im Vergleich zu Männern in den betrachteten fünf Jahren weniger als die Hälfte der Finanzmittel erhielten, wie BCG 2018 errechnet hat.

BCG-Partnerin Katharina Hefter folgert: „Den Mechanismus, dass Männer Männern Geld geben, müssen wir durchbrechen, indem wir die Kapitalseite diversifizieren.“

Ernst streicht sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. Sie und Zeller brauchen keine Investoren mehr. Die Gewinnerinnen bei den Deutschen Startup Awards haben mit eigenen Mitteln und einem Crowdfunding eine erste Produktion ihrer neuartigen Wäsche finanziert. Ihnen ist es gelungen, schon im ersten Geschäftsjahr und ohne Großinvestor mehrere Millionen Euro Umsatz zu erzielen.

Aus den Verkaufserlösen finanzieren sie neue Produkte wie etwa absorbierende Still-BHs. Elf Mitarbeiter beschäftigen die Gründerinnen und Ooia wachse weiterhin stark. „Auf Basis echter Nachfrage und nicht weil wir wie VC-gehypte Firmen den Markt mit Werbung zuballern“, sagt Ernst.

Frauenquote für Investmentteams

Und doch stimmt es die 38-Jährige nachdenklich, wie man klare Erfolgsindikatoren wie die von Ooia so einfach ignorieren konnte. „Aus unternehmerischer Perspektive ist das doch fahrlässig.“ Das Argument von Maschmeyer hat sie oft gehört.

Sie findet es „entlarvend“, dass Femtech-Dienste, etwa Apps zur Schwangerschaftsbegleitung oder Zykluskontrolle, die doch für die Hälfte der Weltbevölkerung relevant wären, nur von zwei Prozent des Kapitals gespeist werden sollen – das ist der geschätzte Anteil an globalem VC-Volumen, der an Gründerinnen geht.

Weil Vorurteile zumeist unbewusst wirken, egal ob bei Mann oder Frau, möchte Ernst eine Diskussion über eine Gründerinnenquote für Wagniskapital anregen, gerade bei staatlich finanzierten Fonds. Die vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass Frauen sonst weiterhin benachteiligt werden. Zudem sollten private VC-Firmen sich im eigenen Interesse eine Selbstverpflichtung für gemischte oder von Frauen geführte Teams auferlegen. Schließlich zeigten Daten, dass diese erfolgreicher seien.

Ähnlich sieht das Gesa Miczaika, Vorständin beim Startup-Verband und Mitgründerin der Beteiligungsgesellschaft Auxxo. Auf Investorenveranstaltungen sind sie und ihre Partnerinnen Fabiola Hochkirchen und Bettine Schmitz oft die einzigen Frauen im Saal. Also haben sie Auxxo gegründet, das bevorzugt in nachhaltige Geschäftsmodelle und in diverse Teams investiert. „Wir sind angetreten, um die VC-Landschaft, die weiß und männlich ist, vielfältiger zu machen“, sagt die promovierte Volkswirtin.

Damit sich mehr Frauen für eine Gründerkarriere entscheiden, brauche es paritätische Elternzeitmodelle, mehr Kinderbetreuung und die Abschaffung steuerlicher Fehlanreize wie durch das Ehegattensplitting, glaubt Miczaika. Außerdem fordert die 39-Jährige eine Frauenquote in den Investmentteams staatlicher Fonds, insbesondere auf Partnerebene.

Auch die von Ernst vorgeschlagene Wagniskapitalquote für Frauen sieht sie als Option, damit Frauen zugeschriebene Vorzüge wie nachhaltiges Denken, Risikobewusstsein und ein übergeordneter Firmenzweck häufiger in Gründungen münden. Ein Vorschlag, der nicht jeden begeistert.

So zeigt sich Thomas Jarzombek (CDU), Beauftragter des Bundeswirtschaftsministeriums für die Digitale Wirtschaft und Start-ups, in Bezug auf Quotenregelungen gegenüber dem Handelsblatt zurückhaltend. Allerdings kündigt er an, einen „Roundtable“ abhalten zu wollen, bei dem er gemeinsam mit Gründerinnen und Investorinnen über wirksame Maßnahmen beraten will.

Weil Investorin Miczaika überzeugt ist, dass es zwingend mehr Frauen auf der Kapitalseite braucht, haben sie und ihre Mitstreiterinnen ein Netzwerk aus weiblichen Business Angels gegründet, die Evangelistas. Mehr als 80 Frauen beteiligen sich an entstehenden Unternehmen, versorgen Gründerinnen mit Know-how und wichtigen Kontakten.

„Frauen ziehen andere Frauen nach“, ist Miczaika überzeugt. Das stimmt, obgleich Studien zeigen, dass Frauen selbst auch Männer bevorteilen. Allerdings nicht in dem Maße wie das Männer tun. So könnten auch Gründerinnen insgesamt bessere Chancen bekommen, mit ihrer Geschäftsidee abzuheben.

Profit statt Perfektionismus

Doch wollen sie das überhaupt? Häufig, so heißt es, suchten VC-Investoren durchaus nach Gründungsideen speziell von Frauen, fänden aber keine geeigneten. Lea-Sophie Cramer, eine der erfolgreichsten Gründerinnen Deutschlands, die ihren auf 100 Millionen Euro geschätzten Online-Erotikshop Amorelie inzwischen fast vollständig an die Münchener TV-Gruppe Pro Sieben Sat 1 verkauft hat, moniert, dass Frauen zu selten „richtig groß denken“. Sich die „Multimillion-Euro-Firma nicht zutrauen“ und noch dazu kaum im lukrativen Technologiesektor gründeten.

Ähnliches berichten Anna Alex und Julia Bösch, die Gründerinnen des Online-Herrenausstatters Outfittery. Insgesamt mehr als 60 Millionen Dollar Wagniskapital haben die 35-jährige Volkswirtin Alex und die 36-jährige Betriebswirtin Bösch eingesammelt – nicht nur für deutsche Gründerinnen ein selten hoher Betrag.

Ihren Erfolg bei Investoren erklären sich die Frauen, die wie Cramer ihr Handwerk beim Start-up-Inkubator Rocket Internet lernten, damit, dass sie „nach der Rocket-Erfahrung keine Angst vor Geschwindigkeit und einem crazy Wachstumsritt“ hatten. Und weil sie sich vor acht Jahren trauten, einfach mit einer Google-Tabelle anzufangen, statt sich in Perfektionismus zu ergehen.

Alex hat inzwischen das Tech-Start-up Planetly gegründet, das Firmen hilft, ihre Klimabilanz zu verbessern. Auch diesmal möchte sie wieder „schnell wachsen, um möglichst viel zu bewirken“. Es frustriert die zweifache Mutter, dass sich im Geschlechterverhältnis vieles zu langsam bewegt.

Alex glaubt ebenfalls, dass eine Quote auf Wagniskapital für Gründerinnen und deutlich mehr Investorinnen ein wichtiger Hebel für Veränderung sein könnten. Auch wenn die Höhe einer Finanzierungsrunde noch kein Beleg für die Qualität eines Start-ups sei.

Wer aber Risikokapital für sein Start-up wolle, müsse verstehen, wie die VC-Welt ticke, sind sich Alex und Bösch einig. „VCs suchen echte Wachstumsunternehmen, den nächsten Riesendeal. Dazu passt das kleine, nette, sinngetriebene Start-up nicht“ meint Alex.

Laut FFM-Analysen interessieren sich Frauen tatsächlich mehr für soziale Themen und ökologische Nachhaltigkeit. Anders als Männer und Gründerinnen wie Alex, Bösch oder Cramer streben sie wesentlich seltener auf hohe Renditen fixiertes Wachstumskapital aus den VC-Firmen an. Sie versuchen ihr Gründerglück lieber mit Business Angels, privaten Mitteln oder Crowdfunding.

Womöglich auch deshalb, weil sie bezweifeln, dass ihre ideellen Ziele mit denen der profitorientierten Investoren harmonieren, deren Fonds eine rasche Verzigfachung ihres Einsatzes erzielen müssen. Und nicht zuletzt, weil sie vergebliche Finanzierungsrunden anderer Gründerinnen genau mitverfolgen.

Zu wenige weibliche Vorbilder

So zumindest erklärt die US-Tech-Seriengründerin, Neurowissenschaftlerin und KI-Expertin Vivienne Ming die Zurückhaltung vieler Frauen. „Sie sehen, wie wenige Gründerinnen, Vorständinnen oder Informatikprofessorinnen es gibt, und machen innerlich eine unbewusste Kosten-Nutzen-Kalkulation“. Ist „Nein“ die Antwort auf die Frage: „Gibt es dort, wo ich hinwill, andere Menschen wie mich?“ – dann lohnt sich der Aufwand für die meisten nicht. „Frauen handeln rational. Sie spielen keine Spiele, bei denen sie wahrscheinlich verlieren.“

Ming nennt das „die Macht der Repräsentation“. Der innere Abgleich mit der Umwelt beginne schon im Kindesalter und setze sich in der Schule und an den Universitäten fort, was die Wichtigkeit von Rollenvorbildern unterstreicht. Sie entscheiden etwa darüber, ob Mädchen später Spitzenmanagerin werden, programmieren, oder eben auch gründen wollen.

Und da Frauen zudem stark an Sinnhaftigkeit für ihre Geschäftsideen gelegen sei, sollten schon Universitäts-Curricula berücksichtigen, welche sozialen Probleme sich zum Beispiel mit Algorithmen lösen lassen, rät Ming. Das könnte speziell die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer für Mädchen attraktiver machen. Und so in Zukunft dafür sorgen, dass mehr Gründerinnen in der Tech-Branche erfolgreich sind.

Als ehemalige Chefwissenschaftlerin einer Firma, die mit Künstlicher Intelligenz Personal für ihre Kunden sucht, hat Ming Daten von über 100.000 Start-up-Gründern und öffentlichen Stellen wie dem US-Zensusbüros ausgewertet. Allein der weibliche Vorname, so Ming, koste eine Gründerin 40 Prozent des möglichen Finanzierungsvolumens.

Ming hat aber nicht nur viele Daten analysiert. Sie selbst hat auch eine ganz besondere Perspektive darauf, was es bedeutet, als Frau zu gründen. Fünf Tech-Firmen hat sie selbst schon aufgebaut und dabei nach eigenen Angaben etwa 100 Millionen Dollar VC-Kapital eingesammelt.

Doch Geld floss zu Beginn erst, als Ming einen männlichen Co-Gründer hinzuzog, obwohl sich die Investoren jedes Mal beeindruckt von Mings Algorithmen gezeigt hatten. Einmal tätschelte ein Investor sogar gönnerhaft Mings Kopf und sagte, sie könne stolz auf sich sein.

Doch das ist es nicht, was Ming „wirklich fertigmacht“. Ming wurde nicht als Frau geboren. Ihre erste Firma gründete sie vor Jahren als Evan Smith. „Smith hatte die Uni abgebrochen, keine Wohnung, keine Erfahrung und noch weniger Ahnung vom Filmbusiness, genau wie sein Co-Gründer“. Aus heutiger Sicht als Unternehmerin und Business Angel habe es „null Gründe“ für ein Investment in diese Filmfirma gegeben, sagt Ming selbstkritisch.

„Im ersten Fall bin ich ganz offensichtlich ein Versager ohne Ausbildung und Qualifikationen – aber ein Mann. Im zweiten Fall habe ich mehrfach promoviert, habe Start-up-Erfahrung, eine Wahnsinnstechnologie – und bin eine Frau. Raten Sie mal, wer die Finanzierung bekommen hat?“