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Wie Firmen an günstige Topkräfte kommen – und Neueinsteiger ihre Chancen verbessern

Corona hat den Arbeitsmarkt auf den Kopf gestellt. Darunter leiden vor allem Berufseinsteiger. Für Unternehmen tun sich hingegen neue Chancen auf.

Für Spielchen ist im Lebenslauf von Pia-Luisa Otte kein Platz. Bachelor und Master in Wirtschaftspsychologie an der privaten Fresenius-Hochschule Hamburg, ein Auslandssemester, ehrenamtliches Engagement, Praktika und Nebenjobs: Alles, was die 24-Jährige vorzuweisen hat, sollte einen möglichst erfolgreichen Berufseinstieg garantieren.

Doch statt des ersten Jobs kam die Pandemie – und mit ihr die Verzweiflung. „Ich dachte, ich wäre ganz gut aufgestellt“, sagt Otte über ihren Werdegang. Doch keine der mehr als 40 Bewerbungen, die sie seit Mai verschickt hat, war erfolgreich.

Auch Mareike Kolkmann war nach ihrem Abschluss in Chemieingenieurwesen an der Technischen Universität Dortmund auf Arbeitssuche. Als sie im Dezember 2019 damit begann, fand sie viele interessante Stellen, bewarb sich und bekam eine Zusage – die sie ablehnte. Darauf folgten acht weitere Monate der Suche unter erschwerten Bedingungen: „Mit Corona habe ich gemerkt, wie die Anzahl der Stellenausschreibungen deutlich abgenommen hat“, sagt die 27-Jährige. „Das war sehr demotivierend.“

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Zwei Beispiele, die zeigen: Die Coronakrise hat den Arbeitsmarkt gedreht. Vor allem aus Sicht von Berufseinsteigern. Haben sich in Zeiten guter Konjunktur noch die Unternehmen um gut ausgebildete Studienabsolventen gestritten, ist es selbst für High Potentials plötzlich schwierig, einen Arbeitsplatz zu finden. Für Arbeitgeber hingegen bietet sich die Chance, die jungen Talente jetzt zu holen und zu binden. Und das zu besseren Bedingungen als vor der Krise.

„Wer es sich wirtschaftlich leisten kann, sollte jetzt einstellen“, sagt Katharina Hain, die beim Personaldienstleister Hays fürs Bewerbermanagement zuständig ist. Gute Nachwuchskräfte seien aktuell einfacher zu kriegen als noch vor Coronazeiten. Außerdem seien die Ansprüche vieler hochqualifizierter Bewerber gesunken. Statt Selbstverwirklichung gehe es vielen erst einmal darum, einen halbwegs passablen Karriereeinstieg zu finden. „Einen sicheren Arbeitsplatz für die kommenden Jahren zu haben“, das genieße gerade höchste Priorität, so Hain.

Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und der Karriereplattform LinkedIn ist die Zahl der Stellenausschreibungen im Frühjahr um gut 20 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig verdoppelte sich die Anzahl der Bewerbungen pro Stelle zwischen März und Mai von durchschnittlich 7,5 auf 15. Bewerber mit wenig oder gar keiner Berufserfahrung haben bei dieser Konkurrenz das größte Nachsehen. Laut IAB ist der Anstieg der Zahl der Arbeitssuchenden bei Akademikern größtenteils auf Menschen unter 35 Jahren zurückzuführen.

Auf der anderen Seite des Bewerbermarkts zeigen sich die Vorteile dieser Entwicklung. Andrea Bonanni ist als Partnerin der Kanzlei CMS Hasche Sigle unter anderem für Neueinstellungen zuständig. Sie berichtet, dass sich die Bewerberlage seit Corona verbessert habe – und zwar für die Arbeitgeberseite.

Die Kanzlei erhalte mehr hochkarätige Anfragen auf Ausschreibungen, aber auch mehr Initiativbewerbungen. Eine Situation, die CMS Hasche Sigle für sich nutzen will. „Wir haben uns frühzeitig für das Gegenteil von Einstellungsstopp entschieden und konnten das vor dem Hintergrund unserer wirtschaftlichen Situation auch“, sagt Bonanni, die sich die besten Talente „nicht entgehen lassen“ will. Die Personalmanagerin schätzt, dass die günstige Lage für Arbeitgeber nur von kurzer Dauer sein dürfte.

Wo Bewerber in der Krise noch gute Aussichten haben

Natürlich ist die derzeitige Zurückhaltung bei Neueinstellungen nicht nur auf eine Laune der Unternehmen zurückzuführen, sondern auf den wirtschaftlichen Abschwung und die große Unsicherheit in vielen Branchen. Gerade der Dienstleistungssektor, aber auch Tourismus und Einzelhandel sind hart von Corona getroffen worden. Umgekehrt haben Bewerber in den Bereichen IT, Technologie, Pharma und Medizin in der Krise noch vergleichsweise gute Chancen.

Doch auch wenn Firmen jungen Bewerbern derzeit keine Stelle anbieten können, kann es sich lohnen, mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Ein Ansatz, der in Branchen mit hohem Bedarf an Nachwuchsexperten schon vor Corona praktiziert wurde. Esther Löb, Personaldirektorin beim Technologieunternehmen Rohde und Schwarz, spricht von einer „Talentpipeline“. Das Unternehmen bleibt mit Studienabsolventen in Kontakt und lässt sie Themen und Aufgaben kennen lernen. „Wenn der passende Job dann vorhanden ist, können sie zu uns kommen“, sagt Löb.

Obwohl Rohde und Schwarz weiterhin einstellen, ist auch bei ihnen der Recruitingbedarf im Vergleich zum letzten Jahr weniger geworden. Die Pipeline wird also größer. Mit dieser Methode können Unternehmen aus ihrem entstandenen Bewerberpool heraus schnell rekrutieren, wenn sich die wirtschaftliche Situation wieder verbessert.

Wer den Kontakt über längere Zeit gehalten hat, ist bei Absolventen zudem beliebter. „Man baut ein Vertrauensverhältnis auf“, sagt Personaldienstleisterin Katharina Hain. In Coronazeiten ein seltenes Gut.

Dafür sind die jungen High Potentials aktuell offenbar bereit, auf viel zu verzichten. „Wenn mich jemand nach meinen Gehaltsvorstellungen fragt“, sagt die Wirtschaftspsychologin Otte, „würde ich am liebsten ‚egal‘ antworten.“

Eine Einstellung, die auch eine Umfrage der Jobplattform Stepstone bestätigt. Etwa 40 Prozent der 8500 Befragten, darunter 2000 Jobsuchende, würden wegen der Coronakrise in einer anderen Branche arbeiten oder ein geringeres Gehalt akzeptieren. Hauptsache Berufseinstieg lautet offenbar die Devise.

Auch Pia-Luisa Otte möchte möglichst schnell die 50.000 Euro wieder erwirtschaften, die sie ihr Studium an einer Privathochschule gekostet hat. Ihr Kalkül, dass sich das Investment in die hohen Studiengebühren auszahlen würde, geht für Otte nicht auf: „Ich habe das Gefühl, meine Ausbildung sei gar nichts wert.“

Niedrige Einstiegsgehälter, düstere Jobaussichten: Auch langfristig dürfte sich Corona negativ auf die Karrierechancen von Absolventen auswirken. Studien zeigen, dass lange Arbeitslosigkeit beim Berufseinstieg zu einer Art Vernarbung des Lebenslaufs führen kann. Achim Schmillen, der für die Weltbank zur Arbeitsmarktentwicklung forscht, rechnet auch für die Generation Corona mit diesem sogenannten „scarring effect“.

„Heutige Berufseinsteiger haben große Hürden zu überwinden, um in eine stabile Erwerbskarriere zu starten“, sagt Schmillen. „Das kann Folgen für Beschäftigungswahrscheinlichkeit und Lohnentwicklung haben, die noch nach Jahren oder mehr als einem Jahrzehnt spürbar sind.“

Bereits 2014 stellte Schmillen fest, dass Menschen, die zu Beginn ihres Berufslebens kaum arbeitslos waren, auch später im Schnitt höchstens vier Monate ohne Beschäftigung blieben. Wer am Anfang der Karriere bis zu 20 Monate auf Arbeitssuche ging, war auch im weiteren Verlauf fast 32 Monate zusätzlich arbeitslos. Auch die aus einem schwierigen Berufseinstieg entstehenden Einkommensnachteile würden erst nach etwa zehn Jahren ausgeglichen.

Womit Bewerber ihre Chancen verbessern

Um solchen langfristigen negativen Folgen entgegenzuwirken, sollten Hochschulabsolventen bei der Jobsuche aktiv bleiben, um die berühmte Lücke im Lebenslauf nicht zu groß werden zu lassen. Sonst könne „so eine Lücke Berufsanfänger ins Stolpern bringen“, sagt Ulrich Walwei, Vizedirektor des IAB.

Chemieingenieurin Kolkmann etwa hat während der Bewerbungsphase die Programmiersprache Python im Selbststudium gelernt. Auch mit einem Ehrenamt oder einem Nebenjob ließe sich die Zeit sinnvoll überbrücken.

Personaldienstleisterin Hain rät, die eigene Geschichte bei der Bewerbung offen zu erzählen und zu zeigen, wieso man in dieser Situation ist. Ähnlich sehen das die Personalabteilungen großer Unternehmen. Nila Ghosh, zuständig für die Personalgewinnung bei Vodafone, gibt Bewerbern den Ratschlag, neue berufsrelevante Fähigkeiten zu erlernen und das in der Bewerbung zu kommunizieren.

Der Chemiekonzern Bayer rät jungen High Potentials, sich bei Mentoren oder Ex-Arbeitgebern zu erkundigen, ob es Projekte gibt, bei denen man freiberuflich unterstützen könnte. So bekämen Nachwuchskräfte auch in Krisenzeiten einen Fuß in die Karrieretür.

Ob und wie lange die verdrehte Welt auf dem Arbeitsmarkt noch anhalten wird, hängt von der weiteren Pandemie-Entwicklung ab. Ulrich Walwei vom IAB rechnet mit einem wirtschaftlichen Aufwärtstrend, allerdings ohne viel Neueinstellungen. „Zunächst werden Arbeitszeit und Produktivität wieder hochgefahren“, prophezeit Walwei, „sodass es insgesamt nicht zu zusätzlichen Einstellungen kommen wird.“

Er erwarte auch für 2021 noch eine ähnliche Situation wie in diesem Jahr mit vergleichsweise wenig neu geschaffenen Arbeitsplätzen. Immerhin: Längerfristig macht sich Walwei keine Sorgen um die jungen Akademiker. „Sie bringen so viel Qualifikation, Flexibilität und Know-how mit“, sagt er. „Für Arbeitgeber wäre es ein Nachteil, solche Fähigkeiten nicht für sich nutzbar zu machen.“

Das hat auch ein Unternehmen für Industriegase erkannt – und die Chemieingenieurin Kolkmann eingestellt. Noch in diesem Monat soll sie dort als Projektingenieurin in der Abwasserreinigung anfangen. „Ich habe meinen Traumjob gefunden“ – ein Satz, um den sie viele Absolventen aktuell beneiden dürften.