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Vom Vorzeige-Start-up zum Problemfall: Warum die Fidor-Bank so tief gefallen ist

Das Münchener Geldhaus galt einst als Vorzeige-Start-up. Heute sieht die Zukunft düster aus. Partner sind enttäuscht, Kunden kündigen. Was ist schiefgelaufen?

Einst war Matthias Kröner stolzer Gründer, Chef und Miteigentümer der Fidor Bank. Heute übt er sich in Fatalismus. „Wir haben die Firma verkauft. Wer verkauft, muss akzeptieren, dass der neue Eigentümer die Entscheidungen trifft“, sagt der 54-Jährige.
Über diese Entscheidungen kann und will er sich kein Urteil erlauben, betont Kröner.

Aber „natürlich verfolge ich die Situation bei Fidor noch. Schließlich hatte ich viel Herzblut für das Unternehmen gegeben.“ Ein Unternehmen, das vor wenigen Jahren noch als eines der innovativsten deutschen Geldhäuser galt, mit dem ehrgeizigen Anspruch ein „neues Banking“ zu erfinden. 2006 ging die Neugründung an den Markt. Fidor war ein Fintech, bevor es den Begriff überhaupt gab.

Als eines der ersten Institute setzte Fidor auf „soziales Banking“, also auf die Idee, statt Kunden Clubmitglieder zu werben. „Der Kunde als Co-Manager“ lautete das Credo des Start-ups. Das war tatsächlich mehr als Marketing, die Kunden konnten sogar darüber mitbestimmen, wie viel Zinsen sie auf ihr Geld erhielten. Eine revolutionäre Idee.

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Als Digitalbank richtete Fidor sich ganz aufs Internet aus, bot schon 2010 ein Bezahlsystem per SMS und E-Mail an, 2015 folgte eine integrierte Kredit- und Debitkarte. Mancher Experte traute der Bank und ihrem umtriebigen Chef Kröner eine rasante Expansion nicht nur in Deutschland zu, sondern gleich in ganz Europa. Als dann noch die französische Großbank BPCE die Neugründung aus Deutschland mit einer Übernahme adelte, schien einer paneuropäischen Erfolgsgeschichte nichts mehr im Weg zu stehen.

Aber Kröners Traum ist ausgeträumt: Knapp zehn Jahre später ist von der einstigen Aufbruchsstimmung nichts mehr übrig. Andere Internetbanken haben Fidor als Vorzeige-Start-up abgelöst. Neobanken wie N26, Revolut, Starling, Penta und Solarisbank seien zwar später gestartet, hätten Fidor aber inzwischen überholt, klagt ein Insider.

Ein anderer intimer Kenner der Bank fällt ein deprimierendes Urteil: Aus einem digitalen Vorzeigeunternehmen sei ein „Problemfall“ geworden. Tatsächlich ist die Liste der Leiden lang: Die Bank schrieb zuletzt rote Zahlen, Dienste wurden eingestellt, Kunden sind unzufrieden, und schlimmer noch – viele wandern ab.

Kunden kündigen

Nach Informationen des Handelsblatts hat die Bank, die 2018 noch rund 300.000 Privat- und Geschäftskunden zählte, seitdem eine fünfstellige Zahl an Kunden verloren. Die Bank nennt offiziell keine Kundenzahlen, verweist aber auf das neue Gebührenmodell, das erstmals auch inaktive Kunden zwingt, Gebühren zu bezahlen. Dadurch verliere Fidor zwar Kunden, aber viele davon seien ohnehin nicht profitabel für die Bank gewesen. Alles in allem fielen die Verluste geringer als erwartet aus, betont die Bank.

Kontokündigungen scheinen inzwischen zum Alltag der Bank zu gehören. Wer die Hotline der Münchner wählt, hängt derzeit schon mal 30 Minuten oder länger in der Warteschleife, um mit einem Berater zu sprechen. Noch bevor die Warteschleifenmusik losdudelt, bekommt der Kunde eine Bandansage zu hören: „Wir bedauern, falls Sie ihr Konto bei uns schließen wollen“, verkündet eine Frauenstimme – und informiert zügig über die Kündigungsmöglichkeiten.

Aber nicht nur die Kunden wandern ab. Die Bank hat zahlreiche Dienstleistungen eingestellt, darunter das Edelmetallgeschäft, der Gold-An- und -Verkauf und Services wie der umstrittene „Geldnotruf“, eine Art Minikredit.

Zuletzt schrieb Fidor tiefrote Zahlen. 2017 – neuere Daten sind noch nicht bekannt – betrug der Verlust unter dem Strich fast 100 Millionen Euro, 2016 lag das Minus bei 24 Millionen Euro. Der letzte kleine Gewinn stammt aus dem Jahr 2014.

Verpasste Chancen

Der Niedergang kam schnell. Noch vor dreieinhalb Jahren klangen die Schlagzeilen verheißungsvoll. „Ritterschlag für deutsches Fintech“, nannte das Handelsblatt im Sommer 2016 den Verkauf der Fidor an die Pariser Großbank BPCE, die Muttergesellschaft der französischen Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Gründer Kröner hegte große Hoffnungen: Die Franzosen sollten endlich Geld ins Haus bringen für Wachstum und für große Ideen. Als „Premiumpartner“ bezeichnete er BPCE.

Zum Kaufpreis will sich BPCE bis heute nicht äußern. Für den damaligen BPCE-Chef François Pérol war die Übernahme ein „Meilenstein“ für die digitale Transformation seiner Bank.

Pérol irrte. In den drei Jahren seit dem Kauf wusste BPCE nicht wirklich etwas mit seiner Münchener Tochter anzufangen. Die Fidor-Bank stagnierte – und der neue Stern am Fintech-Himmel ging in Berlin auf.

Die Internetbank N26-Bank zog, wie andere Neobanken, an Fidor vorbei. Zwar machte zuletzt auch N26 Verluste, aber dafür wächst der Fidor-Konkurrent rasant. N26 zählt mehr als 3,5 Millionen Kunden in 26 Ländern. Die Investoren honorieren bislang diesen Erfolg, beweisen einen langen Atem und tragen die Wachstumsstrategie mit.

Ganz anders die Situation bei Fidor: Zwar gab die große Mutter BPCE eine Kapitalspritze, um den Fortbestand der Bank zu sichern. 90 Millionen Euro zahlten die Franzosen in die Kapitalrücklage ein, berichtete die „Börsen-Zeitung“, die als Grund für das Defizit Belastungen aus einem Portfolio mit britischen Konsumentenkrediten nannte.

Aber die Franzosen entwickelten keine Vision für ihre deutsche Digitalbank. Im Herbst 2018 verlor BPCE endgültig die Lust, stellte Fidor zum Verkauf. Allein: Es fand sich kein Käufer. Inzwischen hat BPCE nach Handelsblatt-Informationen den Verkaufsprozess beendet. Fidor will sich dazu auf Anfrage nicht äußern.

Wie sehr der einjährige Schwebezustand und die fehlenden Investments Fidor geschadet haben, wird Ende 2019 offensichtlich. Zuletzt machte die Bank vor allem durch technische Ausfälle von sich reden. Vor wenigen Wochen, Anfang Oktober, kamen manche Privatkunden nicht an ihr Geld, warteten vergeblich auf Gehaltseingänge und Überweisungen. Rund eine Woche hielt die Störung an.

Verärgerte Firmen

Viele Kunden von Fidor Solutions, der Tochter, die anderen Start-ups Bankdienstleistungen anbietet, sind ebenfalls sauer. „Bei Fidor geht seit Monaten nichts mehr voran“, klagt der Chef eines Partnerunternehmens, das schon lange mit den Münchnern zusammenarbeitet. Wichtige, bereits angestoßene Projekte würden nicht mehr fortgeführt.

Unter den Geschäftskunden von Fidor regt sich schon seit Längerem Unmut. Der Chef einer Firma, die bei Fidor Kunde ist, klagt: Bei ihm habe die fehlende Unterstützung dazu geführt, dass der nächste Teil des Geschäftsentwicklungsplans nicht verwirklicht werden konnte.

Dass selbst Partner der ersten Stunde zunehmend auf Abstand gehen, zeigt das Beispiel Bitcoin.de. Das Portal ist der Pionier der deutschen Kryptowährungsszene und ein langjähriger Partner von Fidor, unter deren Haftungsdach Bitcoin.de seit Anbeginn agiert. Gründer Oliver Flaskämper betont offiziell die gute Beziehung zu Fidor.

Aber die Geschäftsentwicklung seiner Bitcoin Group weist in eine andere Richtung: Das Krypto-Handelsunternehmen aus Herford hat die kleine Tremmel-Bank gekauft, umbenannt und will das Wertpapierhandelshaus noch 2020 zur Vollbank mit entsprechender Lizenz ausbauen. Auf die Fidor wäre Bitcoin.de dann nicht mehr angewiesen.

Was bedeutet es für die Münchener, wenn selbst treue Kunden immer öfter von der Fahne gehen? In Regulierungskreisen gibt es keine Zweifel an der Liquidität der Fidor: Schlimmstenfalls müsse die finanzstarke Mutter BPCE eben für die Verluste ihrer Tochter geradestehen, sagt ein Aufseher.

Im Moment werde Fidor von BPCE über Wasser gehalten, bilanziert ein Insider. Seinen Informationen zufolge versuchte BPCE, Fidor für einen Euro zu verkaufen, habe aber keinen Käufer gefunden. Fidor und BPCE wollten sich dazu nicht äußern.

Es wäre jedoch ungerecht, den Niedergang allein BPCE anzulasten. Schon lange vor dem Einstieg der Franzosen hatte die Bank ein Problem. Fidor war von Anfang an knapp mit Eigenkapital ausgestattet. Als Grund dafür führen Kenner unter anderem den frühen Start an: Seit 2006 gibt es Fidor unter diesem Namen, 2009 erhielt man eine Banklizenz – und damit einige Jahre, bevor Investoren rund um den Globus begannen, große Summen in Fintechs zu stecken.

Komplexes Geschäftsmodell

Hauptschwachpunkt von Fidor ist laut Beobachtern jedoch, dass die Bank mit ihren beiden Geschäftszweigen schlicht zu kompliziert aufgestellt ist. Oliver Mihm, Chef der Beratungsfirma Investors Marketing, hält das Geschäftsmodell für sehr komplex. Fidor will Privat- und Geschäftskunden gleichermaßen bedienen. Für Mihm ist das „das Gegenteil von N26“. Die Berliner Digitalbank habe einen klaren Fokus auf digitalaffine Privatkunden und sei von der Produktseite sehr einfach aufgebaut.

Frank Schwab, der Fidor zeitweise beraten hat und knapp zwei Jahre Chef von Fidor Tecs, heute Fidor Solutions, war, sieht das ähnlich: „Gleichzeitig auf das Geschäft mit Unternehmenskunden und Privatkunden zu setzen, hat die Fidor Bank überfordert. Es sind zwei völlig unterschiedliche Geschäfte, was die Anforderungen an Eigenkapital sowie Vertrieb und Marketing angeht.“ Diese Doppelstrategie, glaubt Schwab, hat es auch erschwert, neue Investoren zu finden.

Dabei hätte es eine naheliegende Lösung gegeben: Aus der einen Fidor zwei Banken zu machen. Gründer Kröner erinnert sich: „Wir haben die Trennung in zwei Unternehmen immer wieder abgewogen. Der Blick in den Rückspiegel zeigt, dass dies auch die bessere Vorgehensweise gewesen wäre.“

Trotz der aktuellen Probleme will Fidor wieder in die Offensive kommen: „Wir werden unser Geschäft mit kleinen und mittleren Unternehmenskunden fortsetzen und unter anderem die Vergabe von Konsumentenkrediten weiter ausbauen“, kündigt der neue Vorstand Stefan Spannagl im Gespräch mit dem Handelsblatt an.

Allerdings ist gerade der Markt für Konsumentenkredite, bei denen die Banken noch ansehnliche Margen erzielen, schwer umkämpft. Fidor setze auf einen „fokussierten Ansatz“, betont Spannagl. Man wachse in Deutschland in verschiedenen Nischen, etwa im Community-Banking und in der Zusammenarbeit mit der Kryptobranche.

Einschneidende Maßnahmen

Um die Bank 2020 auf Gewinnkurs zu bringen, hat der Vorstand einschneidende Maßnahmen beschlossen, etwa im Geschäft mit Privatkunden. So wurde zum 1. November das Preismodell umgestellt, kostenlose Girokonten gibt es nicht mehr, dafür die Bandansage, die abwanderungswilligen Kunden weiterhelfen soll. Außerdem soll laut Spannagl die „Qualität des Kundenportfolios“ wachsen. Neukunden ohne Schufa-Prüfung würden nicht mehr aufgenommen.

Auch im Geschäft mit Geschäftskunden will Fidor seinen Bauchladen an Dienstleistungen verkleinern – und manche Jungunternehmer nicht mehr als Kunden haben. „Diese Entscheidung tut mir weh“, sagt Spannagl, „die Gründerszene finde ich sehr spannend. Aber die Bank muss unprofitable Kundenbeziehungen beenden, um wieder auf Erfolgskurs zu kommen.“

Kostenkürzungen und neue Gebühren alleine dürften Fidor aber nicht wieder in die Erfolgsspur bringen, das weiß auch der neue Vorstand: „Wir stecken gerade mitten im Strategieentwicklungsprozess“. Klar ist: Die Mutter BPCE wird die künftige Ausrichtung bestimmen. Soeben haben die Franzosen einen neuen Chef für Fidor benannt: Er kommt aus Paris, heißt Boris Joseph und ist ein langjähriger BPCE-Manager. Die große Frage im Jahr 2020 wird sein, ob die verbleibenden Kunden seine neue Strategie mittragen.

Fidor-Gründer Kröner hat inzwischen neue Pläne und will wieder ein Unternehmen gründen, womöglich noch einmal ein Fintech. Das Geld dazu hat er, schließlich besaß er zeitweise mehr als zehn Prozent an Fidor. Der Verkauf hat sich für ihn gelohnt.
Mit alten Kollegen hat er sich vor einiger Zeit getroffen, erzählt Kröner. „Sehr selbstkritisch“ habe man überlegt, welche Fehler bei Fidor passiert sind. Fehler, die andere Start-ups vermeiden könnten - auch er selbst bei der nächsten Gründung.

Mitarbeit: Andreas Kröner