Yahoo Finanzen Falsche Amazon-Bewertungen – und wie man sie erkennt
Kundenbewertungen sollten eine der größten Errungenschaften des Internets sein. Dadurch lässt sich erfahren, wie gut ein Produkt ist, bevor man Geld dafür ausgibt. Der Erfolg von Seiten wie Amazon, Yelp, TripAdvisor, Uber, Lyft und Airbnb baut auf dem Vertrauen auf, das durch diese Bewertungssysteme geschaffen wurde.
Aber heutzutage wird dieses Vertrauen erschüttert.
Wie schlimm ist das Problem?
Die Sache ist die: Das Bewertungssystem ist für das Vertrauen unerlässlich – und für Amazons Geschäftsmodell. Denn wenn man ein reiner Online-Shop ist, können die Kunden die Waren nun einmal nicht einfach anfassen und inspizieren. Sie können sich nur an den Bewertungen anderer Kunden orientieren.
Aber: Wenn Sie eine verzweifelte, obskure Firma sind, dann sind Bewertungen Ihre einzige Hoffnung, um etwas zu verkaufen. Gut bewertete Produkte erscheinen in Amazons Suchergebnissen ganz oben, deshalb stehen hohe Platzierungen für gutes Geld. Es ist dadurch sehr verlockend, das System auszutricksen.
„Jeder mit etwas Verstand erkennt, dass es da viele Probleme git“, sagt Saoud Khalifah, Gründer von FakeSpot.com. (FakeSpot ist eine Webseite, deren Algorithmen dabei helfen, falsche Bewertungen auf Amazon herauszufiltern – oder bei Yelp, TripAdvisor oder dem Apple App Store; mehr dazu später.)
„Ich würde schätzen, dass aktuell, über alle Kategorien hinweg, ungefähr 30% aller Bewertungen Fake-Bewertungen sind“, sagt Khalifah. „Bei den chinesischen No-Name-Firmen würde ich sagen, 95% sind Fake-Bewertungen.“
Amazon sagt dazu, dass diese Zahlen übertrieben seien. „Nicht authentische Bewertungen machten im vergangenen Monat weniger als 1% aller Bewertungen auf Amazon aus“, informierte mich ein Sprecher per E-Mail.
Aber wie Tommy Noonan – Gründer einer weiteren Webseite zum Erkennen von Fake-Bewertungen namens Review Meta– betont, gibt es Millionen von Bewertungen auf Amazon. Wenn also 1% von 200 Millionen Bewertungen fake sind, dann sind das, wie er sagt „noch immer 2 Millionen Fake-Bewertungen auf Amazon“.
Außerdem sagt Noonan: “Wie wollen sie wissen, dass es 1% Fake-Bewertungen sind? Ich meine, wenn sie wissen, dass eine Bewertung gefälscht ist, dann löschen sie sie, oder? Im Prinzip ist es unmöglich zu sagen, wie viel Prozent fake sind.“
Wo Fake-Bewertungen herkommen
Manche Verkäufer sind wirklich hinterlistig. Das sind einige ihrer Vorgehensweisen:
Der 100%-Rabatt-Coupon. In Facebook-Gruppen machen Verkäufer verlockende Angebote: Kaufen Sie ihr Produkt und hinterlassen Sie eine Fünf-Sterne-Bewertung. Im Gegenzug erhalten Sie eine Gutschrift in Höhe des ganzen Kaufpreises oder sogar mehr. Auf diese Art wird Ihre Bewertung trotzdem „Von Amazon bestätigter Kauf“ sagen (Amazons Abzeichen, das anzeigt, dass man das Produkt wirklich bei Amazon gekauft hat). „Es ist für Amazon nahezu unmöglich, dies nachzuverfolgen – und deshalb wird für diese Bewertungen die Kennzeichnung bestätigter Kauf vergeben“, sagt Noonan. „Hier ist kein Typ, der in Bangladesch an einem Computer sitzt und täglich Tausende Bewertungen schreibt, aber es ist trotzdem irreführend für Kunden.“
Die Bot-Armeen. Schäbige Verkäufer kaufen Pakete mit gefälschten Amazon-Kundenkonten zu Tausenden. Sie setzen dann Menschen oder Software-Bots ein, um gefakte Fünf-Sterne-Bewertungen für ihre eigenen Produkte zu schreiben. (Sie achten darauf, kleine Änderungen an jeder Bewertung vorzunehmen – zum Beispiel variiert die Anzahl der Ausrufezeichen – so dass Amazons Algorithmus die Duplikate nicht erkennt.)
Der Austausch-Trick. Hat ein Verkäufer für ein Produkt erst einmal eine gute Bewertung erhalten, kann er das Foto und die Beschreibung austauschen und voilà: Umgehend gute Bewertungen für ein völlig anderes Produkt. Es gab zum Beispiel eine Seite für ein Flash-Laufwerk, auf der sich die zahlreichen Bewertungen auf einen Papierkalender, eine Decke, Medizin gegen Zahnschmerzen und ein Fernglas beziehen. Der Verkäufer hat sein Produkt auf dieser Seite also mehrfach ausgetauscht.
Der Lobe-deine-Feinde-Trick. Manchmal schreiben Verkäufer plumpe, offensichtlich falsche Fünf-Sterne-Bewertungen für Produkte von Konkurrenten. Diese Bewertungen sind so verfasst, dass Amazons eigener Algorithmus anschlägt und die Konkurrenten gesperrt werden. (Sie können auch bei negativen Bewertungen von Konkurrenzprodukten auf „Hilfreich“ klicken, sodass diese Bewertungen dann ganz oben stehen.)
Um weiter zu wachsen, hat Amazon mehr chinesische Unternehmen (und Händler, die chinesische Produkte verkaufen) ermutigt, ihre Waren auf dem Marktplatz anzubieten (Nur ungefähr die Hälfte der Produkte, die auf Amazon eingestellt sind, werden tatsächlich von Amazon verkauft. Alle anderen werden direkt von „Drittverkäufern“ an Sie verschickt, die möglicherweise Amazon-Verpackungen nutzen, damit sich die Bestellung mehr nach Amazon anfühlt.) Wie Sie sich denken können, verschlimmert dieser Trend das Problem mit den Fake-Bewertungen noch weiter.
Wie man Fake-Bewertungen erkennt
Okay. Jetzt wissen Sie, womit Sie es zu tun haben. Aber auch Sie haben ein paar Taktiken zur Verfügung. Hier sind ein paar Möglichkeiten, wie sie Fake-Bewertungen von den echten unterscheiden können:
Schauen Sie sich das Profil des Bewertenden an. Wenn Sie auf den Namen eines Bewerters klicken (der über der Bewertung steht), können Sie dessen Profilseite sehen, die oft sehr aufschlussreich ist. Dort sehen Sie alle Bewertungen dieses Users für alle Produkte, alle zusammengefasst. Falls es so aussieht, dass diese alle vom selben Tag stammen (oder von ein paar Tagen) oder wenn sie alle Variationen des gleichen Kommentars sind, dann sollten Sie erkennen, dass etwas faul ist.
Schauen Sie sich die Wunschliste an. „Sie müssen sich noch nicht einmal die Bewertungen anschauen“, sagt Khalifah von FakeSpot. „Schauen Sie sich die Wunschliste an. Niemand schaut sich je die Wunschliste an.“ Auf der Profilseite eines Verkäufers können sie links auf eine seiner Wunschlisten klicken. Wenn Sie dort immer wieder die gleichen Artikel sehen, selbst wenn Sie sich die Profile unterschiedlicher Rezensenten ansehen, haben Sie einen Betrüger gefunden.
Vorsicht bei sehr kurzen Texten und identischen Wunschlisten.
Schauen Sie sich die Drei- und Vier-Sterne-Bewertungen an. Ein Aspekt einer gefälschten Bewertungen, auf den Sie sich verlassen können: Sie wird eine Fünf-Sterne-Bewertung sein. (Oder eine Ein-Sterne-Bewertung falls ein Verkäufer versucht, einen Konkurrenten anzugreifen.) Eine Zwei-, Drei- oder Vier-Sterne-Bewertung bringt nicht viel, um die Position einer Bewertung in den Suchergebnissen nach oben zu verschieben. Deshalb sind diese Bewertungen eher authentisch – und deshalb lesenswert.
Vorsicht bei nur einem Wort. Am wichtigsten ist die Sterne-Bewertung: Je höher die durchschnittliche Bewertung, desto höher erscheint das Produkt in Amazons Suchergebnissen. Deshalb sind Fake-Bewertungen oft sehr kurz und unspezifisch („Toll!“), weil der eigentliche Text der Bewertung für Amazons Suchalgorithmus keine Rolle spielt.
Hüten Sie sich vor Bewertungen kostenloser Produkte. Bis Oktober 2016 durfte man im Gegenzug für kostenlose Sachen eine Bewertung abgeben, solange man angab, dass es ein Geschenk war. Schnell wurde jedoch klar, dass diese Bewerter sehr viel wahrscheinlicher positive Bewertungen hinterließen (schockierend!) – und im Oktober 2016 verbot Amazon diese Praxis Diese älteren Bewertungen sind jedoch immer noch einsehbar.
Vorsicht vor Vine. Unglaublich, Amazon selbst fördert eine ähnliche Art kompensierter Bewertungen bis heute – und zwar mit Amazon Vine. Dies ist ein Programm, über das Sie kostenlose Produkte im Gegenzug für Bewertungen erhalten. Man muss eingeladen werden, um Vine Bewerter zu werden (basierend darauf, dass Sie in der Vergangenheit angesehene Bewertungen abgegeben haben) und Verkäufer können Sie nicht direkt kontaktieren. Trotzdem hat dies einen üblen Beigeschmack. Verkäufer bezahlen Amazon für die Bewertungen (laut Khalifah zwischen 1.700 € und 6500 €) und schicken die kostenlosen Produkte an Amazon, um sie an die Vine Bewerter weiterzugeben. Wie oben erwähnt, ist es absolut menschlich, etwas, das man kostenlos bekommen hat, positiver zu bewerten. Wenigstens sind die Vine Bewertungen eindeutig gekennzeichnet.
Vertrauen Sie älteren Bewertungen. Das Phänomen der Fake-Bewertungen ist noch relativ neu. „Allen Bewertungen von vor 2013 kann man sehr viel Vertrauen schenken“, sagt Khalifah. (Die Ausnahme ist natürlich eine alte Bewertung, die ein völlig anderes Produkt beschreibt. In diesem Fall hat der Verkäufer das Produkt ausgetauscht.)
Lassen Sie jemand anderen die Arbeit machen
Ganz offensichtlich erfordert diese Liste, die gute und schlechte Bewertungen charakterisiert, einiges an Arbeit von Ihrer Seite, besonders wenn ein Produkt Hunderte von Bewertungen hat. Deshalb ist es ratsam, den Link der Seite einfach bei FakeSpot oder ReviewMeta einzugeben. Diese Webseiten überprüfen alle Bewertungen des Produkts auf einmal.
„Es gibt so viele Ansätze, so viele Variablen”, sagt Khalifah von FakeSpot. „Wir schauen uns alle Bewertungen des Produkts an. Dann schauen wir uns die Bewertenden selbst an, alle ihre Bewertungen in der Vergangenheit, alle ihre Wunschlisten und versuchen, Muster zu erkennen.“
FakeSpot zeigt Ihnen, wie viele der Bewertungen vermutlich gefälscht sind und begründet dies ausführlich. ReviewMeta berechnet die Amazon Sterne-Bewertung neu, ausschließlich basierend auf den Bewertungen, die es für echt hält.
Beide Seiten haben Browser-Erweiterungen (Plugins), so dass Sie noch nicht einmal den Link irgendwo kopieren und einfügen müssen. (FakeSpots Erweiterung kostet derzeit umgerechnet 1,73 € pro Monat, aber Khalifah sagt, sie werde bald kostenlos angeboten.)
Was tut Amazon?
Das Problem mit den Fake-Bewertungen verschlimmert sich; Amazon sagt, man sei für diese Herausforderung gewappnet. „Wir kennen den Wert der Bewertungen für Kunden und selbst eine einzige nicht authentische Bewertung ist inakzeptabel“, sagte mit der Sprecher. „Kunden können verdächtige Bewertungen rund um die Uhr, sieben Tage die Woche melden und wir überprüfen den Fall. Wir gehen entschlossen sowohl gegen Bewertende als auch gegen Verkäufer vor, indem wir Bewertungen blockieren, die gegen unsere Richtlinien verstoßen und wir suspendieren, blockieren oder leiten rechtliche Schritte gegen diese Personen ein.“
Das Unternehmen sperrt Tausende Verkäufer und Konten, die Fake-Bewertungen abgeben; dafür nutzt Amazon maschinelles Lernen, um immer besser zu werden und die sich ständig weiterentwickelnde Taktik der Verkäufer vorherzusehen. Amazon arbeitet auch mit Facebook zusammen, um diese „Kostenlose Sachen gegen Fünf-Sterne-Bewertungen“-Gruppen zu schließen und hat über tausend Klagen gegen Verkäufer und Fake-Bewerter eingereicht.
Sowohl Khalifah als auch Noonan sagen, sie können Amazons Bemühungen erkennen. „Meine Daten zeigen, dass Amazon Tonnen an Bewertungen löscht – buchstäblich Millionen von Bewertungen“, sagt Tommy Noonan von ReviewMeta.
Aber es ist ein Wettrüsten, ein Katz-und-Maus-Spiel, und es ist nicht klar, dass die Guten gewinnen werden. Amazon und andere Unternehmen, die auf Bewertungen angewiesen sind, kämpfen zunehmend um das Vertrauen der User, so wie es in vielen Bereichen des Internets heutzutage der Fall ist. Es reicht nicht mehr aus, beim Einkaufen ein gutes Auge für den Wert und eine gute Qualität zu haben; jetzt wird von Ihnen erwartet, dass Sie auch noch Bewertungen einschätzen können, die Ihnen eigentlich helfen sollen.
David Pogue
