Werbung
Deutsche Märkte öffnen in 23 Minuten
  • Nikkei 225

    40.003,60
    +263,20 (+0,66%)
     
  • Dow Jones 30

    38.790,43
    +75,63 (+0,20%)
     
  • Bitcoin EUR

    59.298,02
    -3.549,03 (-5,65%)
     
  • CMC Crypto 200

    885,54
    0,00 (0,00%)
     
  • Nasdaq Compositive

    16.103,45
    +130,25 (+0,82%)
     
  • S&P 500

    5.149,42
    +32,33 (+0,63%)
     

EU-Gipfel geht in die Schlussrunde: So könnte eine Einigung aussehen

EU-Ratschef Michel hat den „sparsamen Vier“ laut Diplomaten einen neuen Kompromiss vorgelegt. Diese lehnten jedoch ab und verwiesen auf ihr letztes Angebot.

Beratungen am Samstagabend auf einer Terrasse des Gebäudes des Europäischen Rats. Foto: dpa
Beratungen am Samstagabend auf einer Terrasse des Gebäudes des Europäischen Rats. Foto: dpa

Dieser EU-Gipfel wird als einer der längsten überhaupt in die Geschichte eingehen: Schon drei Tage und drei Nächte ringen die EU-Regierungschefs um das Corona-Wiederaufbaupaket (750 Milliarden Euro) und den nächsten Mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR) für die Jahre 2021 bis 2027.

Je länger die Verhandlungen dauerten, desto deutlicher kristallisierte sich der eigentliche Knackpunkt heraus: die EU-Subventionen für Länder mit hoher Arbeitslosigkeit und schwachem Wirtschaftswachstum, denen die Coronakrise besonders hart zusetzt.

WERBUNG

Die Fronten waren klar: Nord contra Süd. Die Nordeuropäer wollten am liebsten gar keine Corona-Hilfen leisten, während die Südeuropäer in der schwersten Krise seit Jahrzehnten Solidarität von den europäischen Partnern einforderten. Am Sonntagabend wurde im EU-Ratsgebäude um jede Milliarde gefeilscht.

Ursprünglich waren im Corona-Wiederaufbaufonds 500 Milliarden Euro für nicht rückzahlbare Zuwendungen vorgesehen und weitere 250 Milliarden Euro für Kredite. Dann wurde erwogen, die Subventionen um 50 Milliarden Euro auf 450 Milliarden Euro zu kürzen und die Kredite entsprechend auf 300 Milliarden Euro zu erhöhen.

So hatte es EU-Ratspräsident Charles Michel vorgeschlagen. Damit kam er der Gruppe der „sparsamen Vier“ entgegen, der eigentlich fünf Länder angehören: die Niederlande, Österreich, Schweden, Dänemark und als inoffizielles Mitglied Finnland.

Kurz und Rutte bremsen

Doch die „Sparsamen“ waren damit nicht zufrieden. Vor allem der niederländische Premier Mark Rutte und Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz hätten verlangt, die Summe der Corona-Subventionen deutlich unter die Schwelle von 400 Milliarden Euro zu drücken, sagten EU-Diplomaten. Für Spanien, Italien und auch Frankreich waren 400 Milliarden Euro jedoch die Schmerzgrenze, unter die zu gehen sie nicht bereit waren.

Diplomaten zufolge haben die „sparsamen Vier“ dann am Sonntagabend ein Kompromissangebot vorgelegt, wonach das Gesamtvolumen um 50 Milliarden auf 700 Milliarden Euro gekürzt werden soll. Die Hälfte davon – also 350 Milliarden Euro – soll als Zuschüsse vergeben werden. Laut einem Diplomaten werde dies als das „letzte Angebot“ der „sparsamen Vier“ bezeichnet.

EU-Ratspräsident Michel traf sich den ganzen Sonntagnachmittag über immer wieder mit einzelnen Vertretern der „Sparsamen“ und des Südens, um eine für alle akzeptable Summe zu finden. Dabei wurde er tatkräftig von Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt, die am 1. Juli die halbjährlich rotierende EU-Ratspräsidentschaft übernommen hatte.

Uneinigkeit zwischen den teilnehmenden Regierungschefs zeigte sich bereits am Mittag: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban kritisierte direkt seinen niederländischen Amtskollegen Mark Rutte. „Ich weiß nicht, was der persönliche Grund dafür ist, dass der niederländische Ministerpräsident mich oder Ungarn hasst, aber er kritisiert auf eine so harsche Weise“, sagt Orban zu Journalisten. „Ich mag keine gegenseitigen Schuldzuweisungen, aber der Niederländer ist der Verantwortliche für das ganze Chaos“, fügte er hinzu.

Rutte gilt ebenso wie seine Amtskollegen aus Österreich, Schweden, Dänemark und Finnland als Hardliner. Am Mittag berieten sich die fünf Regierungschefs untereinander.

In großer Runde bei einem gemeinsamen Abendessen hat Ratspräsident Charles Michel dann erneut einen neuen Vorschlag zum Wiederaufbaufonds vorgelegt, in dem mögliche Kompromisse zusammengefasst sind. Nach Angaben von Diplomaten hat Michel den „sparsamen Vier“ dabei vorgeschlagen, die Summe der Zuschüsse auf 400 Milliarden Euro zu reduzieren. Die Ländergruppe hätte das jedoch abgelehnt und auf ihr letztes Angebot verwiesen.

In einigen strittigen Fragen zeichnete sich bereits eine Einigung ab:

1) Die Steuerung des Wiederaufbaufonds

Der Löwenanteil der Subventionen, mindestens 310 Milliarden Euro, soll direkt an die Mitgliedstaaten fließen, und zwar vor allem an Länder mit schwachem Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit. Um das Geld zu bekommen, müssen die Empfänger nationale Reform- und Investitionspläne in Brüssel einreichen.

Ursprünglich war geplant, dass die EU-Kommission diese Pläne nach Rücksprache mit den Mitgliedstaaten genehmigt und Geld bewilligt. Doch die „sparsamen Vier“ misstrauen der Kommission. Sie befürchten, dass die Brüsseler Behörde zu großzügig mit den Empfängern verfährt und die Corona-Hilfen auszahlt, obwohl die jeweilige Regierung keine echten Reformanstrengungen unternimmt.

Die Niederlande wollen deshalb selbst Einfluss auf die Strukturreformen in Empfängerländern ausüben. Der EU-Finanzministerrat müsse die Reformpläne einstimmig billigen, verlangte Hollands Premier Mark Rutte. Ein holländisches Veto hätte dann ausgereicht, um den Reformplan eines südeuropäischen Landes abzulehnen.

Mit dieser Maximalforderung setzte sich Rutte nicht durch. Am Ende verständigte man sich auf einen Mittelweg: Demnach muss der EU-Finanzministerrat die nationalen Reformpläne mit qualifizierter Mehrheit billigen. Anschließend entscheidet die EU-Kommission, wann das jeweilige Land wie viel aus dem Wiederaufbaufonds bekommt. Die Kommission darf aber nur auszahlen, wenn alle Mitgliedstaaten einverstanden sind.

Wenn ein Mitgliedstaat Einspruch erhebt, dann muss der Streitfall erst einmal „zufriedenstellend behandelt werden“. Ein EU-Diplomat räumte ein, dass die Formulierung „zufriedenstellend“ nicht eindeutig ist. Sie lässt offen, ob ein Mitgliedstaat Corona-Beihilfen für einen anderen auf Dauer mit seinem Veto verhindern kann oder nicht. Die „sparsamen Vier“ waren am Samstag trotzdem mit dieser Kompromissformel zufrieden, und auch die Südeuropäer können damit leben.

2) Die Rechtsstaatlichkeit

Die westeuropäischen Regierungen wollen EU-Subventionen künftig generell an die Voraussetzung knüpfen, dass sich der Empfängerstaat an rechtsstaatliche Grundprinzipien hält. Insbesondere eine unabhängige Justiz müsse gewährleistet sein. Sonst bestehe die Gefahr, dass EU-Gelder in dunklen Kanälen verschwinden und die Justiz des jeweiligen Landes nichts dagegen unternimmt.

Die Rechtsstaatsklausel ist eine Konsequenz aus den negativen Erfahrungen mit Polen und Ungarn in den vergangenen Jahren. Polen ist dabei, die Justiz gleichzuschalten, und in Ungarn gibt es faktisch keine regierungsunabhängigen Medien mehr. Diese beiden Länder müssen also die Kürzung von EU-Subventionen fürchten und wollen deshalb von der Rechtsstaatsklausel nichts wissen.

Bei EU-Ratspräsident Charles Michel fanden sie Gehör. Michel verwässerte die Rechtsstaatsklausel durch Veränderungen bei den Abstimmungsregeln. Ursprünglich war geplant, dass der EU-Ministerrat eine von der EU-Kommission beschlossene Kürzung von EU-Subventionen nur verhindern kann, wenn eine qualifizierte Mehrheit dagegen zustande kommt. Für Polen und Ungarn wäre es so gut wie unmöglich, so eine Mehrheit dagegen zu organisieren.

Michel hat aber nun vorgeschlagen, dass der EU-Ministerrat eine Subventionskürzung mit qualifizierter Mehrheit genehmigen muss. Wenn Polen und Ungarn dagegen stimmen und die anderen osteuropäischen EU-Staaten sich enthalten, käme diese Mehrheit nicht mehr zustande. Polen und Ungarn würde es also nicht sehr schwerfallen, eine qualifizierte Mehrheit für die Subventionskürzung zu verhindern.

Die Westeuropäer sind mit dieser Lösung nicht zufrieden, geben aber trotzdem klein bei. Für Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien hat die Einigung über das Corona-Wiederaufbauprogramm Priorität. Sie soll nicht am Streit über die Rechtsstaatsklausel scheitern.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban betonte am Sonntagmorgen, eine Einigung auf dem EU-Gipfel sei ein „Muss“. „Wir sind uns bewusst, dass wir eine Einigung brauchen, wir verhandeln unter dem Druck, dass eine Einigung ein Muss ist“, sagte er. Zu den Rechtsstaatsregeln sagte Orban: Bisher sei der Europäische Gerichtshof für die Einhaltung der Rechtsstaatsprinzipien verantwortlich, nun wollten einige EU-Regierungen und die Kommission die Frage politisieren.

3) Der Haushaltsrabatt

Die EU-Kommission hatte ursprünglich vorgeschlagen, dass der Haushaltsrabatt für Nettozahler komplett abgeschafft wird. Großbritannien hatte den Rabatt als erstes Land durchgesetzt, andere Nettozahler folgten erst später. Nach dem Brexit brauche man den Rabatt nicht mehr, meint die Kommission. Doch dagegen hagelte es Protest von den betroffenen Nettozahlern, darunter auch Deutschland.

Ratspräsident Michel hat nun vorgeschlagen, dass Deutschland, die Niederlande, Schweden, Dänemark und Österreich ihren Rabatt behalten dürfen. Die „sparsamen Vier“ bekommen künftig sogar etwas mehr Rabatt. Die Nettozahler sind zufrieden, und auch Frankreich hat sich damit offenbar abgefunden.

Staatspräsident Emmanuel Macron hatte ursprünglich gegen den Haushaltsrabatt argumentiert, weil sein Land – obwohl auch Nettozahler – nicht davon profitiert. Unklar war am Samstag, ob auch die osteuropäischen EU-Staaten den Haushaltsrabatt akzeptieren. Der tschechische Premier Andrej Babis hatte sich noch zu Gipfelbeginn dagegen ausgesprochen.

Weitere Fragen offen

Mehrere bedeutende Streitpunkte hat EU-Ratspräsident Michel bereits abgeräumt. Doch wichtige Fragen sind noch offen. Der Umfang des EU-Haushalts für die nächsten sieben Jahre muss zum Beispiel noch geklärt werden. Das von Michel vorgeschlagene Volumen – 1,074 Billionen Euro (in Preisen von 2018) – ist den „sparsamen Vier“ zu hoch. Die Struktur des EU-Haushalts ist ebenfalls umstritten.

Manche Länder wollen mehr für Zukunftsaufgaben wie Digitalisierung und Klimaschutz ausgeben, andere mehr für traditionelle Bereiche wie Landwirtschaft und Strukturfonds. Einigen müssen sich die Chefs zudem noch darüber, wie und wann die für den Corona-Wiederaufbaufonds aufgenommenen Schulden getilgt werden.

Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, dafür neue europäische Abgaben einzuführen. Eine Abgabe auf nicht recycelbare Plastikabfälle soll schon nächstes Jahr kommen, eine Digitalsteuer im Jahr 2023. Ob alle 27 EU-Staaten damit einverstanden sind, wird sich an diesem Sonntag zeigen.

Mit Agenturmaterial

Mehrere bedeutende Streitpunkte hat EU-Ratspräsident Michel bereits abgeräumt. Foto: dpa
Mehrere bedeutende Streitpunkte hat EU-Ratspräsident Michel bereits abgeräumt. Foto: dpa
Die Regierungschefs der „Sparsamen Vier“ und von Finnland. Foto: dpa
Die Regierungschefs der „Sparsamen Vier“ und von Finnland. Foto: dpa