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Einigung in der Chemie-Branche: Beschäftigte erhalten „Zukunftskonto“

Arbeitgeber und Gewerkschaft in der Chemiebranche werden ihrem Ruf als innovative Tarifpartner gerecht. Wieder zeigt sich: Zeit ist das neue Geld.

In der Chemiebranche gibt es einen Tarifabschluss in konjunkturell schwierigen Zeiten. Foto: dpa
In der Chemiebranche gibt es einen Tarifabschluss in konjunkturell schwierigen Zeiten. Foto: dpa

Am Ende ging es dann doch erstaunlich schnell. Schon in der zweiten bundesweiten Runde haben sich Arbeitgeber und Gewerkschaft in Wiesbaden auf einen Tarifabschluss für die 580.000 Beschäftigten der chemisch-pharmazeutischen Industrie geeinigt. Und das, obwohl die konjunkturelle Lage der Branche momentan alles andere als rosig ist.

Die Beschäftigten erhalten nach einer Einmalzahlung eine Entgelterhöhung von insgesamt 2,8 Prozent in zwei Stufen. Außerdem gibt es – wie auch schon bei der Deutschen Bahn oder in der Metallindustrie – künftig unter dem Titel „persönliches Zukunftskonto“ eine Wahloption zwischen Geld und Freizeit. Und die Tarifparteien einigten sich auf die bundesweit erste tarifliche Pflegezusatzversicherung. Die Laufzeit beträgt regional unterschiedlich bis zu 29 Monate.

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„Wir stellen ganz klar Fortschritt vor Verteilung und zeigen damit auch den politischen Akteuren, wie das funktionieren könnte“, sagte der Präsident des Bundesarbeitgeberverbands Chemie (BAVC), Kai Beckmann, dem Handelsblatt.

Der Abschluss zeige, dass sich auch „in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten tarifpolitische Innovationen für die Beschäftigten durchsetzen lassen“, betonte der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis.

Größter Knackpunkt war das von IG BCE geforderte „Zukunftskonto“: Die Arbeitnehmervertreter hatten 1000 Euro für jeden Beschäftigten verlangt – mit der Option, statt des Geldes auch zusätzliche freie Tage in Anspruch zu nehmen.

Der Verhandlungsführer des BAVC, Bayer-Deutschlandpersonalchef Georg Müller, hatte aber kurz vor der zweiten Runde im Interview mit dem Handelsblatt darauf gepocht, dass die Freizeitoption nicht zulasten des Arbeitsvolumens in den Betrieben gehen dürfe.

Der Tarifabschluss sieht nun für das Zukunftskonto eine Stufenlösung vor. Statt pauschal 1000 Euro erhalten die Beschäftigten für 2020 einen „Zukunftsbetrag“ in Höhe von 9,2 Prozent eines tariflichen Monatsentgelts, was zwei zusätzlichen freien Tagen entspricht. Bis 2023 steigt der Betrag auf 23 Prozent eines Monatsentgelts oder fünf freie Tage an.

Die Tarifparteien haben acht konkrete Möglichkeiten definiert, wie der „Zukunftsbetrag“ genutzt werden kann. So können Beschäftigte zusätzliche Urlaubstage nehmen, ein Langzeitkonto auffüllen oder die Zeit für Qualifizierungen nutzen.

Es ist aber auch möglich, die Option Geld zu wählen und den Betrag in eine Pflegezusatzversicherung, Altersvorsorge, Gesundheitsschutz oder eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu stecken oder ihn sich – als achte Option – auszahlen zu lassen.

Im jeweiligen Unternehmen wählen die Betriebsparteien mindestens zwei dieser Möglichkeiten aus, und aus dieser Vorauswahl treffen dann die Mitarbeiter ihre persönliche Entscheidung. Ein Recht auf zusätzliche freie Tage ist mit dem Abschluss also nicht automatisch verbunden, wenn die Betriebsparteien diese Option ausschließen.

Tarifpolitisches Neuland haben BAVC und IG BCE, für die der stellvertretende Vorsitzende Ralf Sikorski verhandelte, mit der bundesweit ersten tariflichen Pflegezusatzversicherung betreten. Finanziert wird diese neue Versicherung durch die Arbeitgeber.

Demnach werden für jeden Beschäftigten 33,65 Euro im Monat eingezahlt. Im Pflegefall sind so Leistungen von 300 Euro im Monat für ambulante und 1000 Euro für stationäre Pflege möglich.

Spezielles Beratungsangebot für die Chemiebranche

Intern war beim BAVC lange umstritten, warum Arbeitgeber sich überhaupt um dieses Thema kümmern sollen. Am Ende setzte sich aber die Ansicht durch, dass man als Tarifpartner so gesellschaftliche Verantwortung übernehmen kann.

Auch der Verband der Privaten Krankenversicherung begrüßte die Vereinbarung: „Hier bietet sich eine sehr gute Möglichkeit, die wichtige individuelle Vorsorge für das Pflegerisiko noch stärker in der Gesellschaft zu etablieren“, sagte Sprecher Stefan Reker dem Handelsblatt. Deshalb sei die Förderung solcher Ansätze auf betrieblicher Ebene auch Bestandteil des Verbandsvorschlags für einen neuen Generationenvertrag für die Pflege.

Bei der von der IG BCE geforderten Qualifizierungsoffensive für das digitale Zeitalter haben sich beide Seiten auf Softwarelösungen geeinigt, mit denen sich die Kompetenzen und der Qualifizierungsbedarf der Beschäftigten abbilden lassen.

Außerdem ist zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit (BA) ein spezielles Beratungsangebot für die Chemiebranche geplant, das als Pilotprojekt zunächst in drei Städten starten soll.

Die IG BCE hatte von Anfang an deutlich gemacht, dass ihr die genannten qualitativen Tarifforderungen besonders wichtig sind. Auf eine konkrete Prozentforderung beim Lohn hatte sie bewusst verzichtet und auch die Laufzeit nicht beziffert.

Dort lag also der Spielraum für einen Kompromiss in der Tarifrunde, die am 30. September zunächst auf regionaler Ebene begonnen hatte, bevor beide Seiten dann am 21. und 22. Oktober erstmals auf Bundesebene verhandelten.

Nach dem jetzt erzielten Tarifabschluss erhalten die Beschäftigten für den Zeitraum bis Juli 2020 eine Einmalzahlung, die regional unterschiedlich zwischen vier und sechs Prozent eines Monatsentgelts beträgt. Dann folgt eine zweistufige Tariferhöhung. Zum 1. Juli 2020 werden die Entgelte um 1,5 Prozent angehoben, zum 1. Juli 2021 dann noch einmal um 1,3 Prozent.

Die Laufzeit variiert je nach Region zwischen 27 und 29 Monaten und ist damit so lang wie seit 1987 nicht mehr. Damit werden die Gültigkeitsdaten für die Zukunft harmonisiert. Alle Tarifverträge in den Regionen enden demnach am 31. März 2022.

„Mit einem Tarifpaket, das über 29 Monate läuft, schaffen wir Planungssicherheit für die Unternehmen gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten“, betonte BAVC-Präsident Beckmann. Die Arbeitgeber hatten vor der Runde auf das schwierige wirtschaftliche Umfeld verwiesen. Bei der Produktion wird für das laufende Jahr ein Rückgang von sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr erwartet, beim Umsatz von fünf Prozent.

Das Prozentvolumen des Abschlusses über die gesamte Laufzeit bezifferte die IG BCE auf sechs Prozent. Aufs Jahr gesehen belaste der Abschluss die Budgets der Unternehmen aber mit weniger als zwei Prozent, betonte Beckmann. „Das ist auch historisch sehr niedrig.“

Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten haben zudem die Option, die zweite Stufe der Entgelterhöhung ab Juli 2021 um bis zu zwei Monate zu verschieben. Auch eine Halbierung des „Zukunftsbeitrags“ ist aus konjunkturellen Gründen möglich.

Auf den Prüfstand stellen wollen die Chemie-Tarifparteien die sogenannten „Altersfreizeiten“. Laut Chemie-Tarifvertrag verkürzt sich die Arbeitszeit für Beschäftigte im Schichtdienst ab 55 Jahren um 3,5 Wochenstunden, für alle anderen ab 57 Jahren um 2,5 Stunden.

Da die Regelung aufgrund des demografischen Wandels zunehmend zu Engpässen in den Betrieben führt, ist aus Sicht der Arbeitgeber eine Neujustierung geboten. Im Laufe des kommenden Jahres wollen beide Seiten eine Lösung erarbeiten.