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Der E-Scooter-Crash: Warum Lime, Bird & Co. das Corona-Aus droht

Das US-Start-up entlässt wegen der Corona-Krise 30 Prozent seiner Mitarbeiter. Foto: dpa

Die Kontakt- und Ausgangssperren wegen der Coronakrise könnten für E-Rollerfirmen das Aus bedeuten. Der Start-up-Hype findet ein jähes Ende.

Das Frühlingswetter in Europa sollte eigentlich der Startschuss für die E-Scooter-Saison 2020 sein. Die Anbieter Bird, Lime, Tier und Voi standen nach der Winterpause bereit, eigentlich mussten nur noch die Menschen aus ihren Häusern kommen und die warmen Tage genießen. Doch die Menschen kommen nicht aus ihren Häusern.

Die Corona-Pandemie sperrt sie in ihre eigenen vier Wände. Weltweit gelten Kontakt- und Ausgangssperren. Egal ob Paris, Mailand, Berlin oder New York – E-Scooter werden kaum noch ausgeliehen. Und daran dürfte sich so schnell nichts ändern.

Die Virus-Pandemie könnte viele E-Scooter-Anbieter dahinraffen. Denn deren Geschäftsmodelle waren bereits vor Corona fragil. Nur hatten gigantische Summen an Risikokapital das bislang verdeckt: Marktführer Lime hat insgesamt 765 Millionen Dollar eingesammelt, US-Konkurrent Bird 623 Millionen.

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Bei Lime zumindest ist nicht mehr viel davon übrig, wie sich nun zeigt: Nach einem Bericht des Tech-Portals „The Information“ hat das Unternehmen aus San Francisco nur noch maximal 70 Millionen Dollar in der Kasse. Geben die Investoren kein frisches Kapital, droht in wenigen Monaten die Pleite. Eine Notfinanzierung wäre für Lime aber teuer: Die Bewertung könnte von bisher 2,4 Milliarden Dollar auf nur noch 400 Millionen abrutschen. Im Januar hat Lime bereits 100 Mitarbeiter entlassen.

Auch Bird kämpft um sein Überleben: Das Geschäft in Europa „pausiert“ laut dem Unternehmen. Am Wochenende kündigte Chef Travis van Zanden an, 30 Prozent der Belegschaft zu entlassen. Dem Vernehmen nach soll vor allem der Operationsbereich betroffen sein, der eigentliche Betrieb des E-Scooter-Geschäfts. Aber auch die Lobby-Abteilung soll Mitarbeiter verlieren.

Birds Finanzen scheinen zumindest noch besser auszusehen als die von Lime: Nachdem das Unternehmen zwischen November und Januar 350 Millionen Dollar einsammelte, soll das Geld dank der Entlassungen bis weit ins Jahr 2021 reichen.

Das hängt aber auch davon ab, wie schnell sich das Leben in den Großstädten weltweit wieder normalisiert. Die Ausgangssperren könnten noch Monate anhalten. „Ihr Geschäft ist saisonal und der Virus kam zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt“, sagt David Zipper.

Der Stadtplaner hat für verschiedene Bürgermeister in Washington DC gearbeitet, einen Start-up-Hub geführt und forscht inzwischen in Harvard zur Zukunft urbaner Mobilität. 2020 könnte ein Jahr werden, in dem Lime, Bird und Co. praktisch kein Geld verdienen. Zipper rechnet damit, dass einige Firmen aufgeben werden.

Anzahl der E-Scooter-Anbieter wird sinken

Trotz der Investorenmillionen hätten sie praktisch keine Optionen mehr. Ein Verkauf an ein Ridehailing-Unternehmen wie Uber oder Lyft sei unwahrscheinlich, weil diese aktuell mit den selben Problemen kämpfen. Auch Autohersteller würden quasi ausscheiden, zumal sie mit der drohenden Rezession und den Investitionen in E-Mobilität und autonomes Fahren schon genügend Lasten hätten.

Zipper bezweifelt, dass Bird nach seiner Pause wieder nach Europa zurückkehren wird. Allerdings kann Bird zumindest den deutschen Markt nicht so einfach aufgeben. Erst Ende Januar hatte das US-Start-up den Berliner Konkurrenten Circ übernommen. Wie viel Geld dabei floss, ist allerdings unklar, mindestens zum Teil wurden Circs Investoren wie der Berliner Fonds Target Global in Bird-Anteilen bezahlt. Gibt Bird in Europa auf, wäre die Transaktion praktisch umsonst gewesen.

Vor allem in Deutschland lässt sich gut erkennen, wie dynamisch die Entwicklung des E-Scooter-Marktes derzeit ist. Innerhalb weniger Wochen wurde fast das gesamte E-Scooter-Angebot eingestellt. Hierzulande verleiht nur noch der deutsche Anbieter Tier seine E-Scooter.

Voi hat zuletzt die Reißleine gezogen. „Aufgrund der dynamischen Entwicklung haben wir Ende vergangener Woche entschieden, den Endkundenbetrieb in Deutschland einzustellen“, sagt Voi-Deutschlandchef Claus Unterkircher dem Handelsblatt. Stattdessen schneidet Voi wie viele andere Start-ups sein Angebot auf Menschen mit systemrelevanten Berufen zu.

„Wir sind jetzt in Verhandlungen mit Supermärkten und Krankenhäusern, in denen Menschen mit systemrelevanten Berufen arbeiten, und bieten ihnen und allen, die aktuell auf alternative Transportoptionen umstellen wollen, unser Mobilitätsangebot an“, sagt Unterkircher.

Lime plant ein ähnliches Angebot. Aktuell spricht der US-Anbieter mit der Berliner Charité und anderen Krankenhäusern in deutschen Städten über eine Zusammenarbeit, um Klinikpersonal die E-Scooter kostenlos anzubieten. Tier will allen Menschen mit systemrelevanten Berufen die Nutzung ihre Roller umsonst anbieten.

Das aber dürften nicht mehr als Imagekampagnen sein. Am massiven Umsatzrückgang in Deutschland werden diese Angebote nichts ändern. Voi versuche laut Unterkircher, zumindest das deutsche Personal vor Entlassungen zu verschonen. Kurzarbeit solle dabei helfen. „Wir prüfen derzeit, inwiefern wir für unsere deutsche Belegschaft Kurzarbeit beantragen können“, sagt er.

Investoren halten sich zurück

Tier ist einen Schritt weiter. Rund 60 Prozent der Mitarbeiter in Deutschland sind in Kurzarbeit. Der deutsche Anbieter hat im Gegensatz zu den Konkurrenten aus den USA und Schweden den Vorteil, dass ein Großteil der Mitarbeiter in Deutschland arbeitet. Laut eigenen Aussagen ist Tiers Finanzsituation noch gut, außerdem würden die Investoren bereitstehen und Geld nachschießen, sofern der gesellschaftliche Stillstand länger dauern sollte. Überprüfen kann man diese Angaben aber nicht.

Voi-Manager Unterkircher allerdings ist skeptisch, was die Investitionsbereitschaft der Geldgeber betrifft. Neue Finanzierungsrunden wären derzeit wenig sinnvoll, da Investoren in der aktuellen Krise sehr zurückhaltend sind. Der Deutschlandchef setzt stattdessen auf die Zeit nach Corona. „Wir gehen davon aus, dass die Nachfrage nach E-Scootern in der Anfangsphase nach der akuten Phase der Coronakrise steigen könnte, da Menschen den öffentlichen Nahverkehr zunächst meiden werden.“

Mobilitätsexperte Zipper sieht dagegen nur einen möglichen Rettungsanker für die Scooter-Firmen: Partnerschaften mit den Städten. Statt mit öffentlichem Nahverkehr zu konkurrieren, könnten sie Teil des Systems werden – die Städte würden die Unternehmen für das Management der Flotten dann bezuschussen.