Werbung
Deutsche Märkte öffnen in 2 Stunden 39 Minuten
  • Nikkei 225

    38.259,04
    -15,01 (-0,04%)
     
  • Dow Jones 30

    37.903,29
    +87,37 (+0,23%)
     
  • Bitcoin EUR

    53.570,19
    -2.623,84 (-4,67%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.260,95
    -78,11 (-5,83%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.605,48
    -52,34 (-0,33%)
     
  • S&P 500

    5.018,39
    -17,30 (-0,34%)
     

Das Brexit-Chaos lähmt die EU

Die Konfusion um den EU-Austritt Großbritanniens hat andere abtrünnige Mitglieder abgeschreckt. Doch andere wichtige Themen werden blockiert.

Die Sorge in den anderen EU-Staaten ist groß, dass der Austritt Großbritanniens die Europäische Union weiter von anderen wichtigen Themen ablenkt. „Der Brexit hat schon zu viele Gipfeltreffen dominiert, und er könnte auch die nächsten überschatten“, sagt ein EU-Diplomat.

Die Mittwochnacht vereinbarte Verlängerung der Austrittsfrist bis Ende Oktober bedeutet, dass sich die Staats- und Regierungschefs bei ihren Treffen im Juni und im Oktober erneut mit dem leidigen Thema beschäftigen müssen.

Dabei wollten sie sich nach der Europawahl Ende Mai eigentlich zunächst auf die Wahl des neuen Präsidenten der EU-Kommission konzentrieren. Im Oktober stehen dann die Verhandlungen über das EU-Budget für die ersten sieben Jahre des nächsten Jahrzehnts auf der Agenda.

Die Angst vor einer Lähmung der EU durch den Brexit steht auch hinter der harten Haltung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er befürchtet, dass die Drohungen der Brexit-Hardliner Wirklichkeit werden könnten: dass May zurücktreten, eine neue Regierung ins Amt kommen und alles in ihrer Macht Stehende unternehmen könnte, um die EU auszubremsen.

WERBUNG

Die Pläne Macrons für eine „Renaissance Europas“ nach der Wahl des Europaparlaments würden dann empfindlich gestört. Eine handlungsunfähige EU aber würde nur den Populisten in die Hände spielen, warnt er.

Nationalistisch gesinnte Parteien dürfen auch so bereits auf Stimmenzugewinne bei der anstehenden Europawahl hoffen. In den Niederlanden etwa erlebt die neue Rechtsaußenpartei Forum voor Democratie (FVD) derzeit einen steilen Aufstieg.

Deren Gründer Thierry Baudet lehnt die EU ab – sie untergrabe die „nationale Souveränität“. In Italien dürfte die fremdenfeindliche Lega von Matteo Salvini stärkste Kraft werden. Auch in anderen Ländern wie Frankreich, Österreich oder Polen könnten nationalistische Parteien stark abschneiden.

Gemäßigte Parteien werden es künftig schwer haben

Laut Umfragen sind die EU-Kritiker und -Gegner von einer eigenen Mehrheit im Europaparlament zwar weit entfernt. Aber für die proeuropäischen Parteien der Mitte dürfte es künftig erheblich schwieriger werden, stabile Mehrheiten zu organisieren. Die beiden großen Parteienfamilien, die Europäische Volkspartei und die sozialdemokratische S & D, müssen beide mit empfindlichen Verlusten rechnen.

Sie werden voraussichtlich mindestens auf die Liberalen als weiteren Partner angewiesen sein, womöglich auch noch auf die Grünen. Die Ansichten der vier Parteien aber sind keineswegs einfach in Einklang zu bringen – die Wahl des Nachfolgers von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dürfte zum ersten Härtetest werden.

Das durch das Austrittsvotum ausgelöste Brexit-Chaos in Großbritannien schreckt mögliche Nachahmer aber eher ab. In Frankreich spricht Marine Le Pen nicht mehr über einen „Frexit“, der zutiefst unpopulär ist. In Belgien hat sich die Partei Vlaams Belang, die die Unabhängigkeit Flanderns fordert, ebenfalls von einem Belexit verabschiedet.

Auch für den ungarischen Premier Viktor Orbán, der sich sonst nicht immer an die EU-Spielregeln hält, ist klar: Ein Austritt nach britischem Vorbild ist keine Alternative. Ganz im Gegenteil, erst der europäische Binnenmarkt hat dem Land zu einem relativen Wohlstand verholfen.

Deshalb hat Orbán auch auf eine gemeinsame Haltung der EU-Staaten gegenüber London Wert gelegt. Die einzige Art und Weise, mit dem Brexit umzugehen, sei „ein gemeinsamer europäischer Standpunkt“, heißt es bereits seit Monaten vonseiten der ungarischen Regierung.

Orbán wittert seine Chance, eine führende Rolle unter den Europakritikern einzunehmen. Er sieht sich als Erfinder und Missionar der „illiberalen Demokratie“ und plädiert dafür, keine Migranten mehr nach Europa zu lassen. „Wir werden keine Kompromisse in unserer Gegnerschaft zur Migration und unserem Kampf für Europas christliche Kultur und Identität machen“, erklärte sein Regierungssprecher am Donnerstag.

In der Migrationspolitik dürfte es daher künftig noch schwieriger werden, einen Konsens zwischen den Mitgliedstaaten zu formen. Erfahrene EU-Diplomaten erwarten daher, dass der Nachfolger Junckers brisante Themen wie eine Umverteilung von Flüchtlingen und die Vereinheitlichung der Asylstandards erst einmal beiseitelegen wird.

Streitthemen gibt es auch so genug. Die Verhandlungen um den langfristigen EU-Haushalt dürften auch ohne Briten zu heftigen Verteilungskämpfen führen.

Wenn London als gewichtige Stimme für Freihandel und Marktwirtschaft nach einem Austritt ausfällt, könnten zudem die stärker protektionistisch gesinnten Staaten des Südens ein Übergewicht bekommen, fürchten EU-Diplomaten aus dem Norden. In der Verteidigungspolitik aber könnte sich der Brexit als förderlich für die EU-Integration erweisen: Großbritannien hat hier ein Zusammenwachsen oft blockiert.