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Deutscher Biotech-Revolutionär steht vor dem Sprung an die Nasdaq

Mit dem bisher größten Börsengang eines deutschen Biotechunternehmens will sich Biontech für die Entwicklung neuer Krebs-Immuntherapien rüsten.

Während der deutsche Biotech-Pionier Qiagen gerade in heftige Turbulenzen geraten ist, steht ein anderer und deutlich jüngerer Akteur aus der Branche vor einem möglicherweise richtungweisenden Auftritt an der amerikanischen Technologie-Börse Nasdaq. Wenn alles läuft wie geplant, wird die Mainzer Biontech SE am Donnerstag den bislang größten Börsengang (IPO) eines deutschen Biotechunternehmens vollziehen.

Dieser könnte nach Einschätzung mancher Beobachter Signalwirkung für weitere deutsche Biotechfirmen haben und ihnen mittelfristig den Weg an die US-Börse ebnen. Nach bisher eingereichten Unterlagen bei der US-Börsenaufsicht SEC will Biontech im Zuge des Börsengangs 13,2 Millionen neue Aktien zu einer Preisspanne von 18 bis 20 Dollar je Aktie emittieren.

Bei guter Nachfrage könnte das Angebot um knapp zwei Millionen Aktien erweitert werden. Daraus errechnet sich bei einem mittleren Ausgabepreis von 19 Dollar je Aktie ein Emissionsvolumen von bis zu 303 Millionen Dollar (umgerechnet rund 275 Millionen Euro).

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Solche Summen sind in der amerikanischen Biotechindustrie zwar nicht ungewöhnlich, waren für deutsche Biotechfirmen bisher aber unerreichbar. Den Rekord hält hier die – längst wieder von der Bildfläche verschwundene – Firma Lion Bioscience, die im Biotech-Hype um die Jahrtausendwende rund 200 Millionen Euro einsammeln konnte.

Seither sind Börsengänge für Biotechfirmen in Deutschland extrem schwierig geworden. Schon in den vergangenen Jahren suchten daher schon etliche Firmen den Weg an die Euronext oder die Nasdaq, wenn auch mit deutlich kleineren Summen als nun Biontech.

Gelingt dem Mainzer Unternehmen der IPO zu den angestrebten Konditionen, könnte es auf einen Schlag zum zweigrößten Wert der deutschen Biotechbranche nach Qiagen aufsteigen. Aus der Zahl von insgesamt bis zu 231 Millionen ausstehenden Aktien (nach IPO) und dem angepeilten Ausgabekurs errechnet sich immerhin eine Bewertung von rund vier Milliarden Euro.

Ein solches Debüt an der Nasdaq, schätzt Branchenexperte Siegfried Bialojan von der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgruppe EY, sei „ein absolut positives Signal für die gesamte Branche in Deutschland“. Es würde nach seiner Einschätzung die Sichtbarkeit der deutschen Biotechbranche weiter stärken und könnte mittelfristig auch weiteren Firmen wie Immatics oder Curevac, die in ähnlichen Bereichen wie Biontech arbeiten, den Weg an die Börse erleichtern.

Revolutionärer Therapie-Ansatz

Hinter der ambitionierten Bewertung für Biontech steht eine ebenso ambitionierte Forschungs- und Firmenstrategie. Das Mainzer Unternehmen, das 2008 vom Krebsforscher Ugur Sahin gegründet und zunächst vor allem von den Münchner Pharmaunternehmern Andreas und Thomas Strüngmann finanziert wurde, verfolgt einen besonders breit angelegten und zum Teil revolutionären Ansatz im Bereich der Immuntherapien gegen Krebs. Es nimmt insofern eine Ausnahmestellung in der deutschen Biotech-Szene ein, auch was Technologie und Entwicklungstempo angeht.

Ausgangspunkt ist dabei die Erkenntnis, dass sich Krebszellen nicht nur von Patient zu Patient stark unterscheiden, sondern auch innerhalb der einzelnen Tumore genetisch größere Unterschiede entwickeln. Diese genetisch Heterogenität der Tumorzellen ist eine maßgebliche Ursache dafür, dass viele Therapien bei Patienten gar nicht oder nur zeitlich begrenzt wirken.

Dem will Biontech mit neuen, besonders präzise zugeschnittene Behandlungsmethoden entgegentreten. Die Mainzer Forscher setzen dazu unter anderem auf eigen entwickelte Verfahren zur Identifizierung von tumorspezifischen Rezeptoren und eine neu entwickelte Klasse von RNA-basierten Wirkstoffen.

Insgesamt neun Projekte befinden sich inzwischen in den klinischen Testverfahren, das heißt, sie werden bereits an Patienten getestet. Eine Reihe weiterer Produkte will Biontech im kommenden Jahr in die klinischen Tests bringen.

Haupt-Entwicklungsprojekt ist eine neuartige „individualisierte neoantigen-spezifische Immuntherapie“ (iNeST) gegen Krebs, die Biontech in Partnerschaft mit Genentech, einer Tochter des Schweizer Pharmariesen Roche entwickelt. Dabei werden Patienten mit RNA-Molekülen geimpft, die aus individuellen tumorspezifischen Rezeptoren abgeleitet wurden – mit dem Ziel, Immunzellen speziell gegen Tumorzellen zu aktivieren. Die RNA-Wirkstoffe werden dabei für jeden einzelnen Patienten eigens hergestellt.

In einer Reihe weiterer Projekte arbeitet Biontech aber auch an neuen standardisierten RNA-Wirkstoffen und anderen therapeutischen Proteinen sowie Zelltherapien.

Ob die Technologie der Mainzer wirklich funktioniert, ist dabei noch keineswegs gesichert. Das wird sich erst im Laufe der nächsten Jahre klären. Die Forschung befindet sich durchweg noch im frühen klinischen Stadium. Erste Zwischenresultate aus einer größeren Studie mit dem iNeST-Konzept stellt das Unternehmen für die zweite Jahreshälfte 2020 in Aussicht.

Immerhin lieferten erste Tests in den letzten Jahren ermutigende Signale. „Das Risiko für die Realisierbarkeit ist deutlich geringer geworden“, zeigte sich Firmenchef Sahin vor wenigen Monaten im Gespräch mit dem Handelsblatt überzeugt. Wenn alles gut läuft, könnten nach seiner Erwartung 2021 oder 2022 erste Produkte auf den Markt kommen.

Ein weiterer Indikator für die Erfolgsaussichten der Mainzer sind die umfangreichen Allianzen mit Big-Pharma-Konzernen. So engagieren sich neben Roche noch eine Reihe weiterer großer Pharmakonzerne mit Hunderten von Millionen Euro als Partner in der Forschung von Biontech, darunter Pfizer, Eli Lilly, Sanofi und die erfolgreiche dänische Biotechfirma Genmab.

Ehrgeizige Expansion

Biontech selbst untermauert die Zuversicht in die eigenen Projekte unterdessen mit einem – für deutsche und europäische Biotech-Verhältnisse – enormen Ausbautempo. Elf Jahre nach der Gründung beschäftigt das Unternehmen inzwischen bereits knapp 1200 Mitarbeiter, davon alleine fast 500 in der Forschung und weitere mehr als 500 in Produktion und Qualitätskontrolle.

Biontech gilt damit schon heute als größtes privates Biotechunternehmen in Europa. Die Zahl der Mitarbeiter in der Produktion am Firmensitz in Mainz will man in den nächsten Jahren verdreifachen. Geplant sind zudem zwei neue Produktionsstätten in Mainz und Idar-Oberstein.

Hintergrund für die sehr hohen Investitionen ist die Tatsache, dass RNA-basierte Wirkstoffe im Pharmabereich bisher nicht etabliert sind und daher auch keine erprobten Produktionsverfahren von Drittanbietern zur Verfügung stehen. Hinzu kommt die Herausforderung, dass die Mittel zum Teil für jeden Patienten einzeln angefertigt werden müssen. Um ein operatives Geschäft mit seiner neuartigen Technologie aufzubauen, ist das Unternehmen daher darauf angewiesen, schon frühzeitig auch eine eigene Produktion zu etablieren.

Hoher Finanzbedarf

Diese Strategie wiederum sorgt ungewöhnlich hohen Finanzbedarf. Alleine im ersten Halbjahr 2019 hat das Mainzer Unternehmen inklusive Sachinvestitionen rund 130 Millionen Euro an Cash verbraucht, und dieser Wert dürfte weiter steigen. Der Betriebsverlust wird für das Halbjahr mit 91 Millionen Euro ausgewiesen, nach 54 Millionen Euro im gesamten Vorjahr. Die Forschungsausgaben verdoppelten sich im Halbjahr auf 110 Millionen Euro und dürften im Gesamtjahr 2019 auf deutlich mehr als 200 Millionen Euro steigen.

Biontech leistet sich damit das mit Abstand größte Forschungs- und Entwicklungsbudget in der deutschen Biotechbranche, und den viergrößten Forschungsetat der deutschen Pharmaindustrie insgesamt – nach Bayer, Boehringer und Merck. Dem hohen Finanzbedarf standen zur Jahresmitte 533 Millionen Euro an Cash-Reserven gegenüber, die sich durch den Börsengang auf mehr als 740 Millionen Euro erhöhen sollen.

Biontech wäre damit vorerst solide gerüstet für einen weiteren Ausbau von Forschung und Produktion. Allerdings dürfte der Investitionsbedarf ebenfalls weiter rasant steigen, und mögliche Verkaufserlöse sind frühestens in drei bis vier Jahren zu erwarten.

Zudem steht das Unternehmen steht in einem heftigen Technologie- und Forschungswettbewerb mit Konkurrenten wie der US-Firma Moderna, die ebenfalls ein breites Entwicklungsprogramm im Bereich RNA-basierter Wirkstoffe verfolgt und Ende des vergangenen Jahres sogar rund 600 Millionen Dollar mit ihrem IPO an der Nasdaq hereinholte, dem bisher größten Biotech-IPO überhaupt.

Vor dem Hintergrund des Moderna-Börsengangs hatten manche Beobachter bereits spekuliert, dass Biontech mit einem ähnlichen Emissionsvolumen antreten könnte. Stattdessen geben sich die Mainzer mit einem etwa halb so hohen Betrag und einer etwas niedrigeren Bewertung zufrieden. Das dürfte auch dem Ziel dienen, den Erfolg des IPOs abzusichern und den neuen Investoren Enttäuschungen wie im Falle Moderna zu ersparen.

Immerhin verbuchte der US-Konkurrent fast 20 Prozent Kursverlust am ersten Handelstag und notiert aktuell noch immer um rund ein Drittel unter seinem Emissionspreis von 23 Dollar je Aktie. Auf dieser Basis wird die US-Firma allerdings immer noch mit ansehnlichen fünf Milliarden Dollar bewertet.

Bei Biontech werden unterdessen die bisherigen Aktionäre auch nach einem Listing an der Nasdaq ihren maßgeblichen Einfluss wahren. Firmenchef und -gründer Ugur Sahin wird nach dem IPO laut Prospekt noch rund 18 Prozent des Kapitals halten, die bisherigen Mehrheitseigner, die Gebrüder Strüngmann, noch rund 48 Prozent. Fonds der MIG-Gruppe, die ebenfalls zu den frühen Finanziers von Biontech gehörten, dürften noch knapp sechs Prozent halten. Wie bei solchen Emissionen üblich, haben sich alle Altaktionäre verpflichtet, mindestens ein halbes Jahr lang keine Anteile zu verkaufen.

Thomas Strüngmann hat zudem in den vergangenen Jahren wiederholt betont, dass man bei Biontech langfristig engagiert bleiben will. Für den Unternehmer, der zusammen mit seinem Bruder einst die Firma Hexal zu einem führenden Generikahersteller aufbaute und später an Novartis verkaufte, repräsentiert Biontech nach wie vor die große Chance, ein neues, innovationsgetriebenes deutsches Pharmaunternehmen aufzubauen.