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„Jahrhundertrezession“: Steigende Infektionszahlen gefährden den Aufschwung

Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal so stark eingebrochen wie noch nie. Ob die Erholung anhält, hängt vor allem von der globale Entwicklung der Corona-Pandemie ab.

Volkswirte gehen davon aus, dass die Konjunktur im zweiten Halbjahr anzieht, vorausgesetzt die Infektionszahlen steigen nicht wieder deutlich an. Foto: dpa
Volkswirte gehen davon aus, dass die Konjunktur im zweiten Halbjahr anzieht, vorausgesetzt die Infektionszahlen steigen nicht wieder deutlich an. Foto: dpa

Stephan Kooths, Konjunkturchef des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (IfW), liest eine gute und eine schlechte Nachricht aus den jüngsten Konjunkturdaten heraus. Die gute: „Der Tiefpunkt der Krise liegt hinter uns, es geht seit Mai wieder aufwärts“, sagt der Ökonom. Die schlechte: „Die Krise ist längst nicht ausgestanden, und die Folgen wird Deutschland noch lange spüren.“

Das Statistische Bundesamt hatte am Morgen den größten Konjunktureinbruch in einem Quartal seit Beginn der vierteljährlichen Erhebung im Jahr 1970 vermeldet. Von April bis Juni ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vergleich zum Vorquartal um 10,1 Prozent eingebrochen. Der Rückgang fiel mehr als doppelt so stark aus wie das bisherige Rekordminus von 4,7 Prozent während der Finanzkrise Anfang 2009.

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„Nun ist sie amtlich – die Jahrhundertrezession“, kommentierte Dekabank-Ökonom Andreas Scheuerle die Daten. Im Vergleich zum Vorjahresquartal brach die Wirtschaftsleistung preis- und kalenderbereinigt sogar um 11,7 Prozent ein.

Grund für den Absturz ist neben dem massiv eingebrochenen Außenhandel auch ein Rückgang bei den privaten Konsumausgaben und den Ausrüstungsinvestitionen. Die während des Lockdowns geschlossenen Geschäfte und die massiv eingeschränkte oder teils ganz zurückgefahrene Produktion schlagen hier zu Buche.

Im ersten Vierteljahr war das BIP saison- und kalenderbereinigt um zwei Prozent gegenüber dem Vorquartal und um 1,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurückgegangen. Um die Wirtschaft anzukurbeln, hat die Bundesregierung ein 130 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket vorgelegt, das unter anderem die im Juli in kraft getretene befristete Mehrwertsteuerabsenkung enthält.

Wie weit das Paket trägt, ist fraglich. Ökonomen sind beim Blick in die Zukunft eher noch zurückhaltend. Die Wirtschaft werde noch lange brauchen, um ihr Vorkrisenniveau wieder zu erreichen, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. „Wir belassen unsere Prognose für das gesamte Jahr 2020 bei minus 5,5 Prozent.“

Auch wenn die Wirtschaftsleistung im laufenden dritten Quartal kräftig um knapp sieben Prozent steigen dürfe, werde das Vorkrisenniveau der Wirtschaftsleistung erst Ende 2021 erreicht, erwartet IfW-Experte Kooths.

Die vom Statistischen Bundesamt vermeldeten Zahlen seien zwar bedrohlich, dennoch bestehe kein Grund zur Panik, erklärte Friedrich Heinemann, Ökonom am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Die deutsche Politik habe mit Liquiditätshilfen und dem Konjunkturprogramm vom Juni dieses Jahres klug und angemessen reagiert und betreibe eine erfolgreiche Schadensbegrenzung.

Der Anstieg der Staatsverschuldung sei zwar hoch, aber finanzierbar. Experten erwarten, dass wegen der massiven Hilfs- und Stützungsmaßnahmen die Staatsschulden von rund 60 Prozent des BIP auf 80 Prozent ansteigen werden.

Die Bundesregierung dürfe allerdings nicht den Fehler machen, „der erfolgreichen Rettungspolitik eine chancenlose Konservierungspolitik mit Subventionierung der Vor-Corona-Welt folgen zu lassen“, betonte Heinemann. Der Strukturwandel in Richtung digitaler Ökonomie müsse beschleunigt werden.

Die Industrie steckte schon vor Corona in einer tiefen Rezession, was mit den internationalen Handelsstreitigkeiten und der Brexit-Unsicherheit zu tun hatte, aber eben auch mit dem nicht bewältigten Strukturwandel beispielsweise in der Autobranche.

Die Bundesregierung erwartet für dieses Jahr die tiefste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie rechnet mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung um 6,3 Prozent. Der Arbeitsmarkt kommt bisher – vor allem dank des massiven Einsatzes der Kurzarbeit vergleichsweise glimpflich davon und dient so auch als Konjunkturstütze.

Die Zahl der Arbeitslosen ist im Juli laut Bundesagentur für Arbeit (BA) nur noch leicht um 57.000 auf 2,91 Millionen gestiegen. Die weitere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hänge davon ab, wie sich das weltweite Infektionsgeschehen, die Investitionen und die Zahl der Insolvenzen entwickelten, sagte BA-Vorstand Daniel Terzenbach.

Das gilt auch für die Konjunktur insgesamt. Ein stärkeres Wiederaufflammen der Pandemie in wichtigen Absatzmärkten oder Produktionsländern würde auch die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft treffen. „Die Zweitrundeneffekte der Coronakrise auf Konsum und Investitionen sowie die weltweit nach wie vor steigenden Neuinfektionen verhindern einen schnellen Aufschwung“, warnt Union-Investment-Ökonom Jörg Zeuner.

Die Industrieproduktion ist von Februar – dem letzten Monat vor den Corona-Einschränkungen – bis Mai saison- und kalenderbereinigt um fast ein Fünftel zurückgegangen. Im Mai ging es allerdings wieder leicht nach oben, sodass sich eine Trendwende abzeichnet. Allerdings: Insbesondere die exportorientierte Industrie müsse angesichts der global weiterhin hohen Infektionsdynamik mit viel Gegenwind rechnen, warnt Fritzi Köhler-Geib von der staatlichen Förderbank KfW.

Die Investitionen in Ausrüstungen – also vor allem in Maschinen, Geräte und Fahrzeuge – waren von Januar bis März um 6,9 Prozent zurückgegangen. Allein die Bauinvestitionen und die Konsumausgaben des Staates wirkten stabilisierend und hatten einen noch stärkeren Absturz der Wirtschaftsleistung im ersten Quartal verhindert.

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen lag im April mit knapp 1500 sogar unter dem Vorjahreswert. Ein Grund dafür ist aber, dass die Insolvenzantragspflicht für Unternehmen seit dem 1. März 2020 noch bis Ende September ausgesetzt ist. Im Herbst könnte deshalb eine Insolvenzwelle drohen.

Seit Längerem deuten Konjunkturindikatoren wie der Ifo-Index oder das GfK-Konsumklima aber bereits wieder auf eine konjunkturelle Erholung hin. Das Ifo-Geschäftsklima, das die Konjunkturerwartungen von rund 9000 befragten Unternehmen widerspiegelt, ist im Juli zum dritten Mal in Folge gestiegen.

Auch der GfK-Index, ein Gradmesser für das Verbrauchervertrauen, ist deutlich gestiegen. Die Konsumforscher rechnen sogar mit einer V-förmigen Entwicklung beim privaten Verbrauch, also einer raschen Erholung nach einem tiefen Absturz.

Für Entwarnung ist es allerdings noch zu früh: Zwar verbesserten sich die Stimmungsindikatoren und die realwirtschaftlichen Daten wieder deutlich, sagt Helaba-Ökonom Ralf Umlauf. Dennoch sei mit einem sehr großen Minus bei der Wirtschaftsleistung zu rechnen. „Darüber hinaus schwebt das Damoklesschwert der zweiten Infektionswelle vor allem über der Entwicklung der internationalen Konjunktur“, sagt Umlauf.