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So kann die deutsche Windkraft die Wende noch schaffen

Senvion insolvent, Enercon angeschlagen: In der Windindustrie sind bereits tausende Arbeitsplätze verloren gegangen. Die Konzerne müssen sich schnell auf andere Märkte ausrichten.

Während die Nachfrage international boomt, steckt der deutsche Markt in einer Krise.  Foto: dpa
Während die Nachfrage international boomt, steckt der deutsche Markt in einer Krise. Foto: dpa

Die Zeiten, in denen Deutschland der größte Markt für Windkraft in Europa war, sind vorbei. Der einstige Vorreiter in Sachen Energiewende könnte in einer der wichtigsten Branchen zum Nachzügler zu werden. Das ganze Ausmaß der Krise zeigte sich am vergangenen Freitag, als der heimische Marktführer Enercon den größten Stellenabbau in der Geschichte des Unternehmens ankündigte.

3000 Arbeitsplätze streicht der Turbinenhersteller aus Aurich in den nächsten Monaten. Knapp 900 Jobs hatte der ostfriesische Windkonzern bereits im vergangenen Jahr abgebaut. Und dazu schreibt der Branchenprimus zum ersten Mal rote Zahlen: 200 Millionen Euro Miese machte Enercon allein 2018.

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Dieses Jahr rechnet der Turbinenhersteller sogar mit einem noch größeren Verlust. Schuld seien „verfehlte politische Reformen, durch die die Auftragslage für neue Windenergie-Projekte in Deutschland nahezu zum Erliegen gekommen ist“, heißt es von Enercon.

Während das Geschäft mit der Windkraft weltweit boomt, ist der Ausbau in Deutschland nahezu gestoppt. In diesem Jahr wurden gerade mal 167 Anlagen neu aufgestellt, 80 Prozent weniger als im Schnitt der vergangenen vier Jahre. Das von der Bundesregierung vorgegebene Ausbauziel für 2019 wird haushoch verfehlt.

„Die Ausbauziele, die für die Windenergie an Land geplant waren, werden nicht erreicht. Wenn das die nächsten Jahre so weitergeht, wird auch das Ziel 65 Prozent Erneuerbare bis 2030 – und damit die Klimaziele – nicht erreicht“, warnt Experte Dirk Briese von dem Beratungsunternehmen Windresearch. Dabei sollte die Windenergie nach dem Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft eigentlich das Zugpferd der deutschen Energiewende werden.

Die Gründe für den Einbruch sind vielfältig: So wurde 2017 das Ausschreibungssystem für neue Anlagen geändert. So genannte Bürgerenergiegesellschaften konnten ohne die sonst nötigen Genehmigungen an dem Verfahren teilnehmen.

Sie bekamen einen Großteil der Zuschläge, haben aber länger Zeit, um ihre Projekte zu realisieren – und bauen teilweise gar kein Windrad, weil sie die Genehmigung nicht bekommen. Ein Problem, dass zwar mittlerweile behoben ist, aber noch nachwirkt.

1000-Meter-Abstandsregelung wird zum Problem

„Jetzt, wo die Ausschreibungen wieder normal laufen könnten, haben wir einen Genehmigungsstau. Die letzten Ausschreibungen waren allesamt unterzeichnet. Die Delle zieht sich also weiter“, erklärt Tim Koenemann, Experte für die Finanzierung Erneuerbarer-Projekte bei der Commerzbank. Bundesweit werden aktuell mehr als 300 Windräder beklagt.

„Die Probleme der Windenergie an Land sind in Deutschland verschlafen worden. Und das ist jetzt auch nicht mehr so schnell und einfach zu beheben. Vor allem nicht, wenn man zusätzliche Barrieren einbaut, wie eine pauschale Abstandsregelung von 1000 Metern“, sagt Koenemann. Die Koalition hatte im Zuge ihres Klimapakets auch neue Regeln für die Windkraft verabredet.

Neue Windräder sollen demnach einen Mindestabstand von 1000 Metern zu Wohngebieten einhalten. Das sollte die Akzeptanz erhöhen. Dadurch könnten bis zu 40 Prozent der möglichen Windstandorte zur Sperrzone werden – so steht es in einem Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium.

„Insgesamt gibt es in der Großen Koalition nicht den uneingeschränkt politischen Willen, den Ausbau der Windenergie in Deutschland zu beschleunigen“, kritisiert Commerzbank-Experte Koenemann. Unter der Flaute auf dem Heimatmarkt leiden Turbinenhersteller, Zulieferer und Projektentwickler gleichermaßen.

Allein die großen deutschen Windkonzerne Siemens Gamesa, Enercon und Nordex haben in den vergangenen zwei Jahren mehrere tausend Stellen abgebaut. Insgesamt spricht die Gewerkschaft IG Metall Küste von 34.000 Arbeitsplätzen, die Bundesregierung von mehr als 25.000. Der Bundesverband Windenergie sprach mit Blick auf Enercon jetzt sogar von einem „letzten Weckruf“.

Harter Wettbewerb auch im Ausland

Aber nicht nur die Zustände auf dem deutschen Markt setzen den Windkonzernen zu. Auch in anderen Ländern wird der Wettbewerb immer härter. Statt fester staatlicher Vergütungen müssen die Hersteller nun oftmals in Ausschreibungen um die Höhe der Fördergelder kämpfen, bei denen nur der Günstigste den Zuschlag bekommt.

Die Schuld allein bei der Politik zu suchen, hält Experte Briese trotzdem für falsch. „Die fehlgeleiteten Ausschreibungen mit den Bürgerenergiegesellschaften waren 2017 – und dass es einen Preiskampf geben würde, weiß die Windbranche auch schon seit mehreren Jahren.“

Ähnlich wie bei dem insolventen Turbinenhersteller Senvion habe Enercon zu spät in weitere ausländische Märkte expandiert und lange mit zu hohen Kosten gearbeitet. Der Traditionskonzern Senvion musste im April Insolvenz anmelden, hatte zusätzlich zu der Flaute auf dem deutschen Markt allerdings auch noch mit strukturellen Problemen und Lieferverzögerungen zu kämpfen.

Enercon trifft die Windkrise als heimischer Marktführer jetzt am härtesten. Fast 70 Prozent seiner Umsätze hat der norddeutsche Hersteller bislang in Deutschland erwirtschaftet. Die Konkurrenz hat deutlich früher reagiert und profitiert jetzt davon.

Während Nordex und Siemens Gamesa zwar auch mit sinkenden Margen kämpfen, verzeichnet Siemens immerhin weiter Gewinne – und Nordex zumindest ein massives Wachstum in neu erschlossenen ausländischen Märkten wie Nordamerika.

„Die Turbinenhersteller müssen sich sehr schnell und konsequent auf andere Märkte ausrichten – und das tun sie ja auch schon“, sagt Briese. Das Wachstum sei da, genauso wie der Zubau. „Jetzt müssen die Konzerne wettbewerbsfähig werden, sonst haben sie keine Chance.“ Aber da sieht er die deutsche Windbranche gut aufgestellt – oder zumindest auf dem Weg dahin.

Das deutsch-spanische Gespann Siemens Gamesa ist mit großem Abstand Weltmarktführer für den Bau von Windanlagen auf See und unter den Top Fünf für Windkraft an Land. Auch Nordex hat sich früh angepasst.

„Deutschland ist als einer unserer produktionsnahen Märkte in Europa natürlich weiterhin von Relevanz, es hat aber nicht mehr die übergeordnete Bedeutung, wie die Jahre vor dem Merger der Nordex und Acciona Windpower 2016“, sagt José Luis Blanco, Chef des Hamburger Konzerns dem Handelsblatt.

Und selbst Enercon kann die Wende dank finanziellen Polstern noch schaffen. Die deutsche Windindustrie könnte die Krise also überstehen. Die Klimaziele werden so aber nicht gerettet.
„Wir treten in Deutschland bei der Energiewende auf der Stelle und sind auf einem Kurs, mit dem wir unsere Klimaziele verfehlen werden", warnt Marc Becker, Deutschlandchef von Siemens Gamesa. Er fordert ein klares Bekenntnis seitens der Politik. Es brauche Rahmenbedingungen, die sich an den Klimazielen orientieren, „sonst haben wir neben dem ökonomischen Schaden bald auch den ökologischen.“