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Deutsche Konzerne geraten wegen Kohleimporten aus Russland in Erklärungsnot

Die russische Kusbass-Region ist berüchtigt für schlimme Bedingungen, unter denen dort Kohle gefördert wird. Nun geraten deutsche Firmen in die Kritik, weil sie diese importieren.

Eine dicke, schwarze Schicht zieht sich über die Straße. Sie bedeckt Dächer, Bäume und Autos. An manchen Bürgersteigen türmt sie sich zu einem meterhohen Hügel auf. Was aussieht wie schwarzer Schnee, ist in Wahrheit dunkelgrauer Kohlestaub. Im Februar gehen die Bilder aus dem Kusbass in Russland um die Welt. Die Region in Westsibirien liegt mitten im Herzen der heimischen Kohleindustrie. Der „schwarze Schnee“ soll aus einer fehlerhaften Kohlewaschanlage ausgetreten sein und verteilt krebserregende Schwermetalle in der Luft.

Der Quarzstaub ist nicht das einzige Problem für die mehr als zwei Millionen Menschen, die in der Gegend in Sibirien leben. Umweltorganisationen berichten von verheerenden Trinkwasserverschmutzungen und überdurchschnittlich hohen Zahlen an Krebs-, Lungen- und Hauterkrankungen. Von Folgen für die Umwelt ganz zu schweigen. Jetzt kommt auch noch ein vermeintlicher Geldwäscheskandal des größten russischen Kohlelieferanten hinzu, und deutsche Energiekonzerne geraten in Erklärungsnot.

Russland gehört zu den größten Kohleproduzenten der Welt, über 400 Millionen Tonnen wurden im vergangenen Jahr dort aus der Erde geholt. Mehr als die Hälfte davon stammt aus dem Gebiet rund um das Kusnezker Becken. Unter den größten Kunden: RWE, Uniper, EnBW und Co.

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Auch wenn mit der Schließung der letzten Zeche vor knapp einem Jahr das Ende der Steinkohleproduktion hierzulande besiegelt wurde, bleibt Deutschland der größte Kohleimporteur Europas. 44 Millionen Tonnen wurden allein im vergangenen Jahr aus dem Ausland eingekauft. Mehr als 40 Prozent der importierten Steinkohle kommen mittlerweile aus Russland. 2011 waren es gerade mal 28 Prozent.

„Die Energieversorger stehen vor einem Riesenproblem: Russland ist in den letzten Jahren immer nebenhergelaufen, weil sich alles auf Kolumbien konzentriert hat. Jetzt haben sich die Importzahlen aber drastisch gen Russland verschoben“, sagt Sebastian Rötters von der Umweltschutzorganisation Urgewald.

Der schwarze Rohstoff steht schon lange nicht mehr nur wegen seiner CO2-Bilanz in der Kritik. Auch die Bedingungen, unter denen Kohle weltweit abgebaut wird, sorgen regelmäßig für Schlagzeilen. Während in der Vergangenheit allerdings Vertreibungen, gewaltsame Auseinandersetzungen und Umweltfolgen in kolumbianischen Kohleminen im Mittelpunkt standen, lenkt ein haarsträubender Geldwäscheskandal das Augenmerk der Öffentlichkeit jetzt immer mehr auf Russland.

Nur wenige Wochen nachdem die Bilder vom „schwarzen Schnee“ durch die Medien gingen, haben Journalisten des schwedischen Fernsehsenders SVT im Zusammenhang mit dem bislang größten Geldwäscheskandal Europas bei der dänischen Danske Bank eine brisante Entdeckung gemacht. Über zahlreiche finanzielle Transaktionen sollen nun auch die baltischen Swedbank-Filialen in Estland, Lettland und Litauen in den Skandal involviert sein. Aber die Journalisten finden noch mehr in ihren Dokumenten.

Einer der wichtigsten Kunden der Swedbank-Niederlassung in Estland ist Carbo One, einer der größten Kohlelieferanten der Welt. Das in Zypern gemeldete Unternehmen ist gleichzeitig Russlands größter Kohlehändler. 2011 ist Carbo One aus dem Zusammenschluss der russischen KruTrade und des zyprischen Konzerns Alinos entstanden.

Von verschiedenen Swedbank-Konten soll das Unternehmen einen Milliardenbetrag an den Oligarchen Iskander Makhmudov überwiesen haben, einen russischen Milliardär, den spanische Behörden offen in Verbindung zum organisierten Verbrechen stellen. Sowohl Carbo One als auch Vertreter Makhmudovs bestreiten die Anschuldigungen. Die Ermittlungen laufen noch.

Fast alle deutschen Kohlekonzerne zählen zu den Kunden des russischen Branchenriesen, sei es direkt oder indirekt über Produzenten wie Kuzbassrazrezugol (Kru), der seine Kohle über Carbo One verkauft. Geäußert hat sich zu dem Fall bislang keiner von ihnen. „Ein Skandal wie der, der sich gerade um das russische Kohlunternehmen Carbo One abspielt, sollte bei den Energieversorgern alle Alarmglocken schrillen lassen. Stattdessen tut sich nichts“, kritisiert Rötters.

Während RWE und Uniper auch auf Nachfrage zu einzelnen Geschäftspartnern nichts sagen wollen, erklärt die baden-württembergische EnBW, den Vorfall selbst geprüft zu haben. „Bislang haben wir keine Informationen, die uns dazu bringen würden, die Geschäftsbeziehungen zu unseren Handelspartnern in Russland abzubrechen“, sagt Lothar Rieth, Nachhaltigkeitsexperte bei EnBW dem Handelsblatt. Das sieht der schwedische Energieversorger Vattenfall anders und zieht Konsequenzen.

„Wir sind uns der Vorwürfe bewusst und haben Carbo One einer verstärkten Überprüfung unterzogen und eine Reihe von kritischen Punkten identifiziert“, heißt es auf Anfrage des Handelsblatts. Solange man selbst die Vorwürfe nicht zurückweisen könne, werde Vattenfall den bestehenden Liefervertrag mit Carbo One nicht erneuern oder verlängern. Es wäre nicht das erste Mal, dass das Unternehmen Kohlelieferanten von seiner Liste streicht. Vor einem Jahr hat Vattenfall seine Geschäftsbeziehung zu dem hochumstrittenen Minenbetreiber Drummond in Kolumbien beendet.

„Diese Entscheidung wurde getroffen, nachdem Drummond zum weiteren direkten Dialog mit uns (über Menschenrechte in Kolumbien und den von uns geforderten Aktionsplan) nicht bereit war“, begründet Vattenfall den Schritt. Und stellt sich damit einer Verantwortung, die europäische Energiekonzerne lange gescheut haben.

Vertreibungen, gewaltsame Enteignungen, schwere Umweltschäden und die Bedrohung Tausender Existenzen in Kolumbien haben die Industrie vor gut acht Jahren erstmals in Bedrängnis gebracht. Kolumbianischen Minenbetreibern werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. So sollen eine Tochter des US-Familienunternehmens Drummond und Prodeco, eine Filiale des Schweizer Rohstoffmultis Glencore, im kolumbianischen Bürgerkrieg Ende der Neunzigerjahre Paramilitärs finanziert haben, die unbequeme Personen für sie liquidiert haben sollen. „Blutkohle“ wird der Rohstoff aus Südamerika auch genannt.

Seitdem habe sich laut Aussage der europäischen Energiekonzerne aber vieles zum Besseren gewendet. „Allein dass Minenbetreiber in Kolumbien oder auch Russland ihre Arbeitsbedingungen offenlegen und mit uns Verbesserungspläne erarbeiten, wäre vor fünf Jahren noch unvorstellbar gewesen“, sagt Gabi Ruéb, Nachhaltigkeitsexpertin bei dem Düsseldorfer Versorger Uniper.

Wo man vor acht Jahren selten oder oft auch noch nie bei Geschäftspartnern vor Ort gewesen sei, reise man heute regelmäßig unter dem Fokus der Nachhaltigkeit in die entsprechenden Gebiete. Auch der größte Energiekonzern Deutschlands, RWE, versucht, sich nach eigener Aussage persönlich von den Abbaubedingungen zu überzeugen und Veränderungen anzustoßen. In etwa 15 bis 20 Prozent der importierten Kohle wissen die Konzerne aber bis heute nicht, wo genau die Ware überhaupt herkommt. Man sehe, „dass nicht alles perfekt ist und die Bemühungen anhalten müssen“, teilt RWE schriftlich mit.

Der Mangel an unabhängigen Informationen erschwert Bedingungen in Russland

Nachdem die unhaltbaren Bedingungen in Kolumbien an die Öffentlichkeit gelangt waren, beteiligten sich auch einige deutsche Energiekonzerne 2012 an der Gründung der internationalen „Better Coal“-Initiative. Das erklärte Ziel: „Die kontinuierliche Verbesserung von Bedingungen, unter denen Steinkohle gefördert und transportiert wird“. Mit verschiedenen Kriterien soll die Arbeit von Produzenten und Lieferanten entlang der Lieferkette transparenter gemacht und verbessert werden.

Aber der Industriezusammenschluss wird immer wieder für seine Arbeitsweise kritisiert. Zu einseitig, zu inkonsequent und unvollständig seien die Berichte. Die Teilnahme der Produzenten an den Überprüfungen ist außerdem freiwillig und zieht bei negativen Bewertungen keinerlei Konsequenzen nach sich. Erst seit Beginn des Jahres sind die Prüfungsberichte überhaupt öffentlich einsehbar. Trotzdem verweisen Energiekonzerne immer wieder auf die Bewertungen von Better Coal.

„Am Ende sind die Unternehmen selbst diejenigen, die eine besondere Sorgfaltspflicht für ihre Lieferkette tragen müssen, und nicht Better Coal“, findet Rütters. Und Kritik kommt sogar aus den eigenen Reihen. „Wenn man Minen zertifizieren will, muss man alle Beteiligten an einen Tisch holen“, sagt Jörg Nierhaus, Nachhaltigkeitsexperte des Energiekonzerns Steag. Better Coal tue das nicht, deswegen mache man sich lieber selbst ein Bild. Das Essener Unternehmen ist selbst kein Mitglied der Industrieinitiative. „Wir haben natürlich eine Verantwortung dafür, wenn am Ende der Lieferkette in Kolumbien oder Russland Menschen unter dem Kohleabbau leiden. Damit muss man offen umgehen“, sagt Nierhaus.

Er selbst sei schon mehrfach in Kolumbiens gewesen, um sich ein Bild von den Produktionsbedingungen zu machen. In Russland gestalte sich das allerdings als schwierig.

Hier könnten die Energieversorger an ihre Grenzen stoßen, gibt auch Urgewald-Aktivist Rötters zu. „Der Überblick in Kolumbien war relativ einfach, dort hatten wir wenige Unternehmen in einem begrenzten Abbaugebiet. In Russland haben wir riesige Gebiete und Dutzende Bergbauunternehmen.“ Russische NGOs wie Eco Defense könnten außerdem nur unter sehr erschwerten Bedingungen dort arbeiten, was die Recherche teilweise sogar ganz verhindere, beklagt er.

Die russische Regierung geht immer vehementer gegen Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen im eigenen Land vor. Seit 2012 müssen sich alle NGOs, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten, als „ausländische Agenten“ registrieren lassen. Seitdem ist die Arbeit für Bürgerrechtsbewegungen immer schwieriger geworden. Für Alexandra Korolewa ist sie sogar so schwierig geworden, dass die Mitgründerin von Eco Defense im Sommer politisches Asyl in Deutschland beantragt hat – ein bislang einmaliger Vorgang. Zuletzt hatte sie gemeinsam mit anderen Umweltgruppen die Einrichtung einer neuen Kohlemine im Kusbass verhindert. Das ist auch für die Unternehmen keine einfache Situation.

„Berichte von NGOs wie Eco Defense sind für uns eine wichtige Informationsquelle. In Russland ist es schwierig, an Informationen von dritter Stelle, also von anderen als Unternehmen oder Behörden, zu kommen“, berichtet Nierhaus. In Russland habe man deswegen noch kein eigenes Netzwerk aufbauen können, wolle aber weiter nach einem Zugang suchen. Bislang weiß allerdings keiner der deutschen Energieversorger wirklich, unter welchen Bedingungen Steinkohle in Russland abgebaut wird.

Auch wenn sich die Einstellung mancher Unternehmen zum Thema Verantwortung in der eigenen Lieferkette zum Besseren gewendet hat, für viele kommt das zu spät. „Hier wird auf Zeit gespielt“, glaubt Rötters. Das Ende der Kohle in Europa ist schließlich absehbar. Seine einzige Hoffnung ist, dass die Bedingungen, unter denen Steinkohle in Russland und Kolumbien abgebaut wird, als warnendes Beispiel für andere Sektoren gelten. Und für das, was in Sachen Umweltschutz und Menschenrechten in der Wirtschaft passieren muss.