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Die Milliarden-Mentalität: So kommen Start-ups in Israel zur Milliardenbewertung

Israel rühmt sich, ein Start-up-Land zu sein. Das liegt an außergewöhnlichen Denkmustern dort. Davon profitieren derzeit zwei junge Unternehmen für Datenspeicher und Gaming.

Während eines Helikopterflugs entlang der Küste zwischen Tel Aviv-Jaffa und dem nördlich gelegenen Caesarea zeigt uns Moshe Yanai, wie Israel zum Innovationshotspot mit der weltweit höchsten Start-up-Dichte wurde. Mehr als ein Dutzend Einhörner gibt es dort, also junge Firmen mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Es bestehe ein enger Zusammenhang zwischen dem Ausbrechen aus alten Denkmustern und dem technischen Fortschritt, fasst er seine Theorie zusammen.

Um uns das in einer historischen Perspektive vorzuführen, hat er hinter dem Pilotenknüppel Platz genommen und kreist über der alten Hafenstadt Caesarea. Hier habe König Herodes vor 2000 Jahren mit dem Aquädukt, der noch heute deutlich zu erkennen ist, Wasser aus den umliegenden Bergen transportiert und damit den Bürgern einen hohen Lebensstandard ermöglicht: „Die hatten sogar Toiletten mit fließendem Wasser.“

Südlich von Caesarea, über dem 4000 Jahre alten Hafen von Jaffa, beschreibt er die damals aufkommende Seefahrt als Motor für das anschließende Wachstum.

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Sprung in die Gegenwart: In Israel ist eine Hightech-Szene entstanden, die den Vergleich mit dem Silicon Valley nicht zu scheuen braucht. Nirgends gibt es pro Kopf mehr Start-ups, die an der Zukunft des Lebens und der Arbeit forschen. In der ersten Jahreshälfte 2019 sammelten Hightech-Firmen insgesamt 3,9 Milliarden Dollar Venture-Capital ein – Insider sprechen von einem Rekordergebnis.

Seine Hubschrauber-Show sieht Yanai auch als Protest gegen den politischen Einfluss der Ultraorthodoxen im Land, die nichts anderes als die Heilige Schrift im Kopf haben. Deren Absage an die Technologie und ihr Verzicht auf die ständige Suche nach Innovationen hätten einen „verheerenden Einfluss“ auf das Land, schimpft er, während unter uns Segelschiffe und Surfer die Freuden genießen, die das Meer bietet.

Auch wichtigen Kunden führt Yanai seine etwas handgestrickt anmutende Theorie über Triebfedern der Innovation gern auf seinen Rundflügen vor. Die Klientel kommt zu ihm, weil er einen beachtlichen Leistungserfolg beim Umgang mit dem stetig und rasant anschwellenden Datenstrom hat.

Die digitale Transformation verändere die Komplexität und das Ausmaß der Datenspeicherung, sagt der erfahrene Speicher-Guru. Er wolle deshalb helfen, das Wissen der Menschheit zu speichern und neue Formen des Computings möglich zu machen, sagt er. Dazu hat er ein System perfektioniert, an dem er zuvor mehr als 40 Jahre gearbeitet hatte.

In zwei Jahren an die Börse

Israel rühmt sich, ein Start-up-Land zu sein. Die Denkweise der jungen Nation hilft zwei Unternehmen für Datenspeicher und Gaming, die Grenze zur Milliardenbewertung zu durchbrechen. Sein Start-up Infinidat gründete der 70-Jährige vor acht Jahren. Heute wachse es jährlich um über 30 Prozent bei Umsätzen von mehreren Hundert Millionen Dollar.

Mit dem Unternehmen, dessen Wert auf rund 1,6 Milliarden Dollar taxiert wird, will er in zwei Jahren an die Börse. Derzeit hält er eine Kontrollmehrheit von mehr als 50 Prozent. Seine Angestellten besitzen weitere 20 Prozent, den Rest halten Goldman Sachs und TPG Capital.

Yanai arbeitete in den 1970er-Jahren in den USA für IBM, ab 1984 für Nixdorf, bevor er 1987 zu EMC wechselte. Dort war er bei der Entwicklung des Storagesystems Symmetrix beteiligt, das Dell/EMC heute noch als führendes Qualitätsprodukt vermarktet. Damals schon ermöglichte sein System trotz niedrigerer Kosten höhere Leistungen.

Der Absolvent der technischen Hochschule in Haifa, der im Laufe der Jahre 40 Patente gesammelt hat, hatte sich vorübergehend in den Ruhestand zurückgezogen. Aber jetzt sind Petabytes und Racks wieder seine Welt. Er führt uns in den Serverraum, zeigt auf einen Serverschrank und erklärt, ganze Bibliotheken ließen sich in einem dieser Racks speichern, die sich nahtlos aneinanderreihen.

Zehn Petabytes könne man in einem Rack unterbringen – was eine für Laien schier unvorstellbare Datenmenge ist, wie folgende Vergleiche zeigen: Ein Petabyte entspricht der Menge von 745 Millionen Floppy Disks oder 1,5 Millionen CD-ROMs. Auf einem Petabyte hätten zum Beispiel mehr als eine Milliarde Digitalfotos Platz.


Erfolg durch unkonventionelles Denken


Wie schon im Hubschrauber lässt Yanai immer wieder das Wort „Innovation“ fallen. Das rasant wachsende Datenvolumen erfordere unkonventionelles Denken. Yanai setzt Algorithmen ein, um die blinde Masse der Hardware abzulösen. Künstliche Intelligenz übernehme als treibende Kraft die Verantwortung für erhöhte Leistungen der Datenspeicher, was gleichzeitig auch geringere Kosten ermögliche.

Im Laufe seiner Karriere, so Yanai, habe er immer wieder nach Lösungen gesucht, die trotz der Verwendung von kostengünstigem Material Spitzenleistungen ermöglichen. Lediglich fünf Prozent seines Speichersystems bestünden aus teuren Teilen. Er stelle sich damit, sagt er sichtlich stolz, quer zur konventionellen Haltung von Innovatoren.

„Wer ein schnelles Auto von der Qualität eines Porsche entwickeln will, greift in der Regel auf hochpreisige Teile zurück“, fasst er den Irrtum vieler Innovatoren zusammen. In diese Falle tappe er nicht. Dadurch könne er deutlich bessere Leistungen zu einem Bruchteil der Kosten anbieten.

In Deutschland, das er als „strategischen Markt“ bezeichnet, hat seine Firma 50 Petabyte Speicherkapazitäten installiert. Zu seinen Kunden zählen unter anderem Mahle, Kisters, die Deutsche Welle sowie Unternehmen aus den Bereichen Pharma, Auto, Banken oder Consulting.

Über die Erfolgsgründe des israelischen Silicon Wadis sprechen wir auch mit Arnon Harish, dem Mitbegründer des Unicorns Ironsource, eines rasant wachsenden Ad-Tech-Unternehmens. In den vergangenen Jahren, sagt der 42-Jährige, hätten Israels Start-up-Unternehmer einen Reifeprozess durchgemacht. Sie seien nicht mehr bei der erstbesten Gelegenheit zu einem Exit bereit, sondern wollten möglichst lange unabhängig bleiben. Ironsource sei wie Checkpoint oder Nice ein gutes Beispiel für die Fähigkeit israelischer Firmen, eigenständig zu wachsen.

Armee als Antrieb für Innovation

Als weiteren Antrieb für Innovationen nennt Harish die Rolle der Armee. Frauen und Männer, die als 18-Jährige rekrutiert werden, kämen dort früh mit den neuesten Technologien in Berührung, lernten, unter Druck Probleme zu lösen und Verantwortung zu übernehmen. Als wichtiges Element erwähnt Yanai zudem die Chuzpe seiner Landsleute, die keinen Respekt vor Hierarchien haben. Sie seien unverfroren der Überzeugung, alles besser, schneller und kostengünstiger herstellen zu können als andere, einschließlich ihrer Bosse.

Menschen zu den Applikationen zu bringen, sie dort zu behalten und ihre Besuche zu monetarisieren: So fasst der studierte Computerwissenschaftler Harish das Geschäftsmodell von Ironsource zusammen. Das Einhorn aus Tel Aviv entwickelt dazu Technologien, mit denen App-Entwickler, Gerätehersteller und Betreiber die Nutzer analysieren können, vor allem für Games auf mobilen Geräten. Für Spiele, sagt Harish, der auch privat ein begeisterter Gamer ist, sei Ironsource mit monatlich 2,7 Milliarden Usern und mehr als 80.000 Apps „die größte Plattform der Welt“.

Seit dem Gründungsjahr 2010 hat Ironsource ein fulminantes Wachstum hingelegt. 800 Arbeitnehmer zählt die Plattformentwicklerin, davon seien die Hälfte Büros in Städten wie San Francisco, New York, Bangalore, Peking, London, Seoul oder Tokio. In Berlin kümmert sich ein Angestellter um Business-Development. Nach Deutschland zog es Ironsource, weil es das Land der Marken mit riesigen Budgets sei, sagte Ende 2017 der Firmenvertreter in Berlin dem Handelsblatt.

Wachsen will das Start-up künftig, indem es Gerätehersteller und Telekomfirmen vermehrt überzeugt, bei der Inbetriebnahme nur noch diejenigen Applikationen zu laden, die mit Ironsource zusammenarbeiten. Zu den großen Kunden gehören heute unter anderem Big Fish Games, Zynga oder Playrix, als Partner werden Sprint, Symantec, Voodo, WPP sowie Handyproduzenten genannt. Das Einhorn plant in den nächsten Jahren zudem Akquisitionen im Wert von mehreren Hundert Millionen Dollar, um die anderen Anbieter zu übertrumpfen.

Trotz der starken Konkurrenz von Facebook und Google, die den digitalen Werbemarkt dominieren, ist man bei Ironsource zuversichtlich. Das Wachstum der Konkurrenten stagniere, sagt Harishs Kollege Tomer Bar-Zeev, Ironsource aber lege zu. Laut einer Studie von Appsflyer, einer führenden Marketingfirma für das Tracken des Erfolgs mobiler Apps, hat Ironsource seinen Marktanteil beinahe verdoppelt und kontrolliere nun „das viertgrößte Stück des Kuchens“.

Wann das Ad-Tech-Unternehmen, dessen Wert von Marktkennern auf deutlich über eine Milliarde US-Dollar geschätzt wird, an die Börse geht, sei noch offen, meint Bar-Zeev.

Die Serie
Als Einhorn bezeichnet die Gründerszene junge Unternehmen, die mit mindestens einer Milliarde Dollar bewertet worden sind. Weltweit ziehen immer mehr Gründungen Risikokapital an. Die Handelsblatt-Korrespondenten haben Einhörner in ihrem Berichtsgebiet herausgesucht, deren Entwicklung sie besonders beeindruckt. Sie schildern zudem, wie die Bedingungen für aufstrebende Unternehmen und Investoren in ihrem jeweiligen Land sind. Im zweiten Teil der Serie beschreibt Pierre Heumann die Trends in der selbst ernannten Start-up-Nation Israel.

In der kommenden Woche berichtet Korrespondent Thomas Hanke über das Medizin-Start-up Doctolib aus Frankreich.