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Delivery Hero steht vor Dax-Aufstieg – doch das Geschäftsmodell ist unerprobt

Der Lieferdienst gilt als nächster Kandidat für den Leitindex – als Nachfolger von Wirecard. Doch das Geschäftsmodell von Delivery Hero ist noch unerprobt.

Dax-Konzerne sind üblicherweise sehr präsent: Adidas beispielsweise stattet traditionell die Fußballnationalmannschaft aus, Volkswagen definiert die Autostadt Wolfsburg, Henkels Persil steht in fast jedem Supermarkt. Delivery Hero, einer der aussichtsreichsten Kandidaten für einen Aufstieg in den Leitindex Dax, fällt aus der Reihe.

In Berlin-Mitte sitzt der Essenslieferdienst unauffällig im Gebäude des ehemaligen Instituts für Post- und Fernmeldewesen der DDR. Bestellen können die Berliner ebenso wenig wie die übrigen Bewohner Deutschlands bei Delivery Hero. Seit dem Komplettverkauf des Deutschlandgeschäfts vor zwei Jahren für gut eine Milliarde Euro verwaltet die Berliner Zentrale ein global verteiltes Geschäft, das von Schweden über Südosteuropa und den Nahen Osten bis nach Südostasien reicht. Dazu kommen größere Gebiete in Südamerika und - bis vor kurzem - Kanada.

Doch Delivery Hero gilt wegen zweier Krisen als heißer Anwärter für die Neubesetzung des Dax im September: Zum einen haben mehr Essensbestellungen während der Coronazeit den Aktienkurs in diesem Jahr von knapp 70 Euro an Neujahr auf zwischenzeitlich über 100 Euro ansteigen lassen. Zum anderen ist Wirecard wegen der in Asien verschwundenen Milliarden aus dem Index ausgestiegen. Der Finanzdienstleister könnte nun ausgerechnet für ein Unternehmen Platz machen, dessen Geschäftsmodell ebenfalls eine Wette auf die Zukunft ist.

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Denn in harten Zahlen hat Delivery-Hero-Gründer Niklas Östberg bislang noch nicht bewiesen, dass sein Geschäftsmodell nachhaltig Bestand hat. Bei 1,2 Milliarden Euro Umsatz fiel im laufenden Geschäft im vergangenen Jahr ein Vorsteuerverlust von 663 Millionen Euro an.

Das Tempo ist rasant: Gegenüber dem Vorjahr hat Delivery Hero den Umsatz verdoppelt, der Verlust stieg sogar noch stärker. „Bislang hat es noch niemand geschafft, einen Lieferservice mit eigenen Fahrern im großen Stil profitabel zu machen“, sagt Michael Lidl, Chef der Gastronomieberatung Treugast.

Und dennoch ist der 40-jährige hochgewachsene Schwede Östberg das Gesicht eines Unternehmens, auf das viele große Hoffnungen setzen. In Europa will Östberg noch in diesem Jahr profitabel werden, falls Corona nicht noch stärker zuschlägt.

Im Nahen Osten wies er operativ bereits Gewinne aus, bevor dort Corona besonders hart zuschlug. Für das erste Quartal 2020 wies Östberg bereits verdoppelte Lieferzahlen gegenüber dem Vorjahr aus. Zahlen für das gesamte Halbjahr werden am 28. Juli veröffentlicht.

Analysten hoffen auf eine neue Prognose

Delivery Hero habe in Europa von der Krise profitiert, sagt Östberg dem Handelsblatt. In Asien sehe er allerdings keine Effekte, im Nahen Osten eher negative Auswirkungen, die den Konzern im Jahr 2020 rund 50 Millionen Euro kosten könnten. Den Jahresausblick ließ Östberg bislang unverändert: Er will den Umsatz auf 2,4 bis 2,6 Milliarden Euro erhöhen. Der operative Verlust soll – selbst bereinigt um Abschreibungen und Sondereffekte – 14 bis 18 Prozent des Umsatzes ausmachen.

Allerdings hoffen Analysten schon beim Update zum Halbjahr auf eine deutlich höhere Prognose für den Umsatz. „Covid-19 hat nur zeitweise eingeschlagen und wird immer mehr zum Treiber“, meint etwa Deutsche-Bank-Analystin Silvia Cuneo. Das gebe Delivery Hero Spielraum für Investitionen. Bloomberg-Analystin Tatiana Lisitsina erwartet ebenfalls keinen operativen Gewinn vor 2022. Durch die Entscheidung, viel Geld für das Werben um neue Kunden auszugeben, wachse Delivery Hero dafür schneller als viele Konkurrenten.

Gründer Östberg, der in seinem Heimatland Schweden 2007 mit einem Pizzalieferdienst gestartet ist, hat mit seiner vorwärtsblickenden Art schon reihenweise Investoren überzeugt. Anfangs war der russische Technologieinvestor Leonid Boguslavsky dabei, später die Berliner Samwer-Brüder mit Rocket Internet.

Sie haben längst an den Medienkonzern Naspers aus Südafrika verkauft, größter Aktionär heute ist die schottische Investmentfirma Baillie Gifford. Seit Delivery Hero 2017 eine Milliarde Euro beim Börsengang einnahm, ist das Unternehmen definitiv kein Start-up mehr. Aber eben auch kein wirklich erwachsener Konzern.

Zweifel am Geschäftsmodell säen die großen Konkurrenten – etwa der fast gleich alte Niederländer Jitse Groen, der ebenfalls aus einer kleinen Lieferwebsite ein Weltgeschäft geformt hat. Der Gründer von Takeaway.com hat Östberg vor zwei Jahren das Deutschlandgeschäft abgekauft. Seine These: Das Geschäft mit eigenen Fahrern kann gar nicht profitabel werden.

Stattdessen müssten die großen Online-Lieferdienste vor allem Aufträge an Gastronomen mit eigener Lieferflotte vermitteln – also etwa an klassische Pizzataxis, die keinen erfolgreichen eigenen Onlineshop aufbauen und bewerben können. Eigene Fahrer runden in dem Modell lediglich das Angebot ab, während bei Delivery Hero die eigenen Lieferanten den Kern bilden.

Eine zweite Angriffsfront auf Östbergs Geschäftsmodell eröffnen Unternehmen, die das Liefergeschäft erst spät entdeckt haben. Taxikonkurrenten wie Uber aus den USA und Grab in Südostasien wollen ihre Chauffeure in den Randzeiten besser auslasten, indem sie nebenbei auch Essen liefern. Östbergs Kerngeschäft Mahlzeiten ist für sie nur eine Ergänzung.

Die finanzstarke Konkurrenz setzt Östberg zu. Im Sommer 2017 musste er überraschend eingestehen, dass sein Ziel, bis zum Jahresende operativ profitabel zu werden, in weite Ferne gerutscht war. Stattdessen kündigte er verstärkte Investitionen an – konkret: vor allem mehr Geld für Werbung. Die frisch börsennotierte Aktie brach ein. Seitdem vermeidet es Östberg, ein neues Gewinnziel zu nennen.

Er wolle flexibel bleiben, um Angriffe jederzeit abwehren zu können, sagt er. Zudem investiert er in neue Ideen: In mehreren Ländern liefert Delivery Hero nun auch Supermarktprodukte und Medikamente innerhalb von 30 Minuten. In das Feld fließt einiges an Geld – schließlich eröffnet Östberg dafür sogar eigene kleine Läger. Dafür nimmt er eine längere Verluststrecke in Kauf.

„Es gilt das Prinzip: Last Man Standing“

Auffällig ist jedoch, dass er – anders als Konkurrent Groen – bei den großen Übernahmen der letzten Zeit nicht zum Zuge gekommen ist. Just Eat in Großbritannien und Grubhub in den USA gingen an den Niederländer. Östberg kaufte zuletzt allein in Korea zu, die Zustimmung der Kartellwächter steht noch aus. Östberg erwartet sie noch im laufenden Jahr. Doch die Behörde ist auf Delivery Hero nicht allzu gut zu sprechen, da der Konzern die Gastronomen bei der Preisgestaltung gängeln wollte. Kommt die Erlaubnis zum Kauf von Woowa, wird Delivery Hero wieder zum klaren Weltmarktführer. Das würde die Marge ab 2021 verbessern, erwarten Commerzbank-Analysten.

Mit der sich abzeichnenden Aufteilung der Welt ist Delivery Hero statt in Westeuropa oder den USA immer mehr in vermeintlichen globalen Randlagen aktiv. Die Logik hinter der Aufteilung der Welt unter den Lieferkonzernen ist klar: Wachstum über neue Kunden sei erfolgsentscheidend, meint Berater Lidl. Fahrer können dann mehr Touren machen, die zudem kürzer sind. Das hebt die Effizienz.

Zugleich bedeutet das: In einem Land können kaum mehrere Anbieter zugleich bestehen. So, wie sich in Deutschland Takeaway.com gegen Delivery Hero durchgesetzt hat, dürften die großen Anbieter die Welt weiter unter sich aufteilen. „Sicherlich wird es Überschneidungen geben, aber in vielen Ländern wird nur einer übrig bleiben“, sagt Lidl. „Es gilt das Prinzip: Last Man Standing.“ Offen sei sogar, ob eines Tages Delivery Hero selbst zum Übernahmekandidaten für einen der globalen Riesen werde.

Östberg konnte jedoch gerade erst selbst 1,5 Milliarden Euro über Wandelanleihen einsammeln. Die Analysten empfehlen die Aktie fast einhellig zum Kauf und erwarten weiter steigende Kurse. Das Geschäft mit der Hoffnung floriert. Bald vielleicht auch im Dax.