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Corona-Papier bringt Kassenärzte-Chef Gassen in Erklärungsnot – Kritik auch von Ärzte-Kollegen

Die Kassenärzte wollten eine Debatte über die Corona-Maßnahmen beginnen. Stattdessen ist der Bundeschef nun in Erklärungsnot.

Andreas Gassen ist einer der wichtigsten Ärztefunktionäre in Deutschland und für bisweilen undiplomatische Analysen zur Lage des Gesundheitssystems bekannt. Auch in der Pandemie meldete sich der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) immer wieder zu Wort: Er warnte vor Alarmismus, beklagte eine „Regelungswut“ der Politik und forderte eine langfristige Strategie.

Vergangene Woche präsentierte die KBV wenige Stunden vor den Bund-Länder-Beratungen ein Positionspapier, in dem statt eines erneuten Lockdowns ein Kurswechsel gefordert wird. Es war ein politisches Signal, das aber nicht überall in der Ärzteschaft gut ankam.

Gassen hat an diesem Montag nun klargestellt, dass der Kurs der KBV gar nicht so weit von der Bundesregierung entfernt liege. „Das Ziel hat Bundeskanzlerin Angela Merkel klar benannt und wird von uns auch unterstützt: Wir müssen die hohen Infektionszahlen unbedingt und konsequent senken“, erklärte er. Die Hoffnung sei nun, „dass die von Kanzlerin und Ministerpräsidenten beschlossenen und nun geltenden Maßnahmen eines teilweisen Lockdowns auch die erhofften Effekte bringen“.

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Das Mittel harter, staatlich verordneter Einschränkungen des öffentlichen Lebens sieht Gassen aber weiter skeptisch. In dem Positionspapier heißt es, dass die Akzeptanz für wichtige Verhaltensregeln wie Abstand, Hygiene und Maskentragen eher durch Gebote als Verbote und Angst erreicht werden könne. Außerdem müsse sich die Politik stärker auf den Schutz von Risikogruppen konzentrieren.

Die KBV vertritt die bundespolitischen Interessen der über 175.000 Ärzte und Psychotherapeuten in der gesetzlichen Krankenversicherung. Gassen, der als niedergelassener Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Rheumatologie in Düsseldorf arbeitet, steht dem Dachverband seit 2014 vor.

Ärzteorganisationen unterstützen die Positionen

Das Corona-Papier war als Debattenanstoß aus der praktizierenden Ärzteschaft gedacht, die sich auch um gesundheitliche Kollateralschäden einer Lockdown-Politik sorgt. Zahlreiche andere Ärzteorganisationen unterstützen die Positionen.

Eine Debatte über die Vorschläge entstand aber nicht. Was folgte, war eine Kontroverse.

Gassen hatte bei der Vorstellung des Papiers ausdrücklich gesagt, dass das Virus ernst zu nehmen sei. Ihm gehe es um eine Strategieanpassung. Doch schnell stand der Vorwurf der Verharmlosung im Raum, in sozialen Medien braute sich ein Shitstorm zusammen.

Wenig hilfreich für die Kommunikation war, dass in der Unterstützerliste zunächst auch die einzelnen Mitglieder des Spitzenverbands der Fachärzte aufgeführt waren. Der Dachverband hatte das Papier offenbar unterzeichnet, ohne sich mit den Unterverbänden abzustimmen. Einige Mitglieder distanzierten sich – darunter der Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA).

Dessen Chef Götz Geldner sagte, er habe das Papier erst nach der Veröffentlichung gesehen. „Man hätte das Papier ja im Vorfeld mit allen Verbänden diskutieren können“, sagte er. So jedenfalls stelle er sich kein Diskussionspapier vor.

Inhaltlich lehnt Geldner die Vorschläge ab. Das Papier, das stark auf Freiwilligkeit setzt, „kommt viel zu spät und zum falschen Zeitpunkt“. Und ein stärkerer Schutz von Risikogruppen reiche nicht. „Es gibt einfach zu viele Menschen, für die das Virus eine Gefahr darstellt.“

Die KBV hofft nun weiter auf eine inhaltliche Diskussion

Widerspruch ernteten die Kassenärzte auch von der Vereinigung der Intensiv- und Notfallmediziner. Dennoch stehen weiterhin mehr als 20 medizinische Fachverbände hinter dem Papier.

Die KBV hofft nun weiter auf eine inhaltliche Diskussion. Man lade alle Berufsverbände und Fachgesellschaft zu einem „breiten Dialog" über eine „nachhaltige Alltagsgestaltung" in der Pandemie ein, hieß es. Bis Anfang Dezember solle dazu ein Maßnahmenkatalog erarbeitet werden.

Dem Handelsblatt liegt ein Schreiben von Gassen und seinen beiden Stellvertretern an die Kassenärztlichen Vereinigungen in den Ländern und an eine Reihe von Berufsverbänden vor. Auch dort wird noch einmal klargestellt: „Das Ziel von uns als Initiatoren war es, eine Diskussion in der medizinischen-wissenschaftlichen Fachwelt sowie in der ärztlichen Versorgung über die langfristigen Herausforderungen und notwendigen Maßnahmen in der Coronakrise zu beginnen."

Das Virus werde nicht einfach in naher Zukunft wieder verschwinden. „Seit acht Monaten leben wir nun in einer Art Ausnahmezustand und nach den ersten, sehr einschneidenden und sicher weitestgehend unvermeidbaren Reaktionen auf das Infektgeschehen seit März, ist es dringend erforderlich, dass wir andere und zielgerichtete, weniger invasive sowie mit weniger Kollateralschäden behaftetete Konzepte finden."

Den Weg, den die Politik nun mit dem erneuten Teil-Lockdown eingeschlagen habe, werde man aber natürlich „mit aller Kraft" begleiten. „Das haben wir zu keinem Zeitpunkt in Zweifel gestellt und tun das auch in Zukunft nicht."