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Clemens Fuest über die Post-Brexit-Zeit: „Großbritannien wird keine generelle Steueroase“

Der Chef des Ifo-Instituts spricht über die wirtschaftliche Zukunft seiner alten Heimat Großbritannien und die Konfliktlinien bei den Verhandlungen mit der EU.

Der Chef des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, ist optimistisch, dass die EU und Großbritannien sich auf ein tiefes und weit greifendes Handelsabkommen einigen werden. „Das Freihandelsabkommen ist kein Selbstläufer“, sagte Fuest dem Handelsblatt. „Aber beide Seiten haben ein starkes Interesse daran, sich zu einigen. Ich denke, sie werden sich am Ende zusammenraufen.“ Der Ökonom, der fünf Jahre lang an der Universitität von Oxford unterrichtet hat, hält es für wichtig, dass neben dem Handel auch die politische Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik, bei Forschungskooperationen und in der Klimapolitik eng bleibt.

Fuest glaubt nicht, dass Großbritannien eine generelle Steueroase wird. Doch ein Steuerwettbewerb durch Sonderregelungen, gezielte Anreize, um etwa multinationale Unternehmen anzuziehen, und eine gezielte Umgestaltung der Finanzmarktregulierung, um Aktivität ins Land zu bringen, wären attraktive Optionen für Großbritannien. „Da drohen Konflikte mit der EU, die auf gleiche Wettbewerbsbedingungen drängt.“ Komme es zu keinem Freihandelsabkommen, werde die deutsche Autoindustrie zu den großen Verlierern gehören.

Ein schnelles Freihandelsabkommen der Briten mit den USA erwartet der Chef des ifo-Instituts nicht. „Die US-Administration ist eher protektionistisch eingestellt. Und anders als mit der EU haben Großbritannien und die USA keine gemeinsame Regulierung und keine Nullzölle.“

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Lesen Sie hier das ganze Interview.

Der Ökonom war von 2008 bis 2013 Professor an der Universität Oxford und arbeitet weiterhin für das dortige Zentrum für Unternehmensbesteuerung. Er hofft nach der historischen Zäsur des Brexits auf möglichst tiefe und weitreichende Verbindungen der Briten zur EU.

Herr Professor Fuest, wie hat sich Großbritannien in den vergangenen Brexit-Jahren verändert?
Die Jahre 2008 bis 2013, in denen ich in Oxford war, waren von der Finanzkrise und deren Folgen geprägt. Heute dominiert das Brexit-Thema die Konflikte. Es herrscht tiefes Unverständnis zwischen den Brexit-Gegnern und -Befürwortern. Gleichzeitig erlebt man in letzter Zeit eine große Ermüdung, was das Thema angeht. Die Briten aus beiden Lagern wollen es vom Tisch haben, damit das Land wieder nach vorne schauen kann. Boris Johnson hat diese Ermüdung geschickt genutzt.

Sie haben Oxford einmal als unglaublich globalisierten Ort beschrieben, „wie eine Gesellschaft der Zukunft“. Ist es das dreieinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum immer noch?
Oxford ist in seiner großen Internationalität eine Art Sonderzone in Großbritannien, voll von EU-Befürwortern. Die Atmosphäre im Rest des Landes aber hat sich deutlich gewandelt. Es gibt unter vielen Brexit-Befürwortern schon eine Stimmung gegen Ausländer. Ich habe in den Jahren, in denen ich dort gelebt habe, nie von Ausländerfeindlichkeit gehört. Jetzt schon. Das ist das Ergebnis dieser Polarisierung.

Wie werden Großbritannien und die EU in fünf Jahren zueinander stehen?
Ich halte es für wahrscheinlich, dass der Brexit dann in den Hintergrund getreten ist und die Dinge sich weniger verändern, als viele glauben. Ich denke, dass Großbritannien ganz enge Beziehungen, auch wirtschaftliche, zur EU haben wird.

Im Moment betont die neue britische Regierung aber vor allem, wie wichtig ihr das Recht ist, künftig von EU-Regeln abweichen zu können.
Im Vorfeld der Verhandlungen versucht jeder, seine Position zu markieren. Die EU betont, dass Großbritannien sich nicht durch Deregulierung oder steuerliche Sonderregelungen Vorteile verschaffen soll. Doch Großbritannien ist ja gerade aus der EU ausgetreten, weil man eigenständiger sein wollte. Deshalb betonen die Brexit-Befürworter jetzt noch einmal die Eigenständigkeit. Das Freihandelsabkommen ist kein Selbstläufer. Aber beide Seiten haben ein starkes Interesse daran, sich zu einigen. Ich denke, sie werden sich am Ende zusammenraufen.

Wie könnte dieses neue Verhältnis aussehen? Wie mit der Schweiz? Wie mit Kanada?
Es gibt da kein eindeutiges Vorbild. Die Beziehungen werden tiefer sein als mit Kanada. Weil die Briten ihre Zölle selber setzen wollen, wird es aber keine Zollunion, sondern nur ein Freihandelsabkommen geben. Man wird jedoch wirtschaftliche Fragen hoffentlich mit politischer Zusammenarbeit verbinden, etwa bei Forschungskooperationen. Es wird auch kein Abkommen wie mit der Schweiz sein. Großbritannien ist wirtschaftlich fast ein Fünftel der EU, der Finanzsektor hat eine große Bedeutung. Es wird ein maßgeschneidertes Abkommen für diese spezielle Beziehung geben.

Strebt Großbritannien in eine Zukunft als weniger reguliertes Niedrigsteuerland?
Großbritannien ist für Unternehmen ja schon heute ein Niedrigsteuerland, das darf man auch als EU-Mitglied. Ich glaube nicht, dass das Land eine generelle Steueroase wird. Es geht eher um einen Steuerwettbewerb durch Sonderregelungen, der für Großbritannien interessant wäre. Das Land könnte gezielte Anreize einführen, um zum Beispiel multinationale Unternehmen anzuziehen. Man könnte außerdem die Finanzmarktregulierung gezielt umgestalten, um Aktivität ins Land zu bringen. Da drohen Konflikte mit der EU, die auf gleiche Wettbewerbsbedingungen drängt und in Irland im Apple-Prozess steuerliche Sonderregelungen ja bereits angreift.

Was raten Sie Brüssel und Berlin für die kommenden Monate?
Berlin und Brüssel sollten anknüpfen an die politische Absichtserklärung, die mit dem Austritt unterzeichnet wurde: Darin ist ein tiefes Abkommen vorgesehen – mit Zöllen von null, wenn auch keine Zollunion, sowie eine enge Zusammenarbeit in Bereichen wie Sicherheitspolitik oder Klimapolitik. Es wäre zum Beispiel wichtig, dass sich Großbritannien am CO2-Preissystem der EU beteiligt. Zentral ist, die Verhandlungen jetzt von der politischen konfrontativen Auseinandersetzung auf eine technische Ebene zu bringen. Das beherrscht Angela Merkel ja sehr gut. Hier sehe ich für sie auch noch einmal eine wichtige Rolle.

Glauben Sie an einen Abschluss zum Jahresende?
Man sollte nutzen, dass wir ja schon angeglichene Regulierungen und keine Zölle haben. Das ist anders als etwa mit Kanada. Wir haben einen hohen Bestand an Gemeinsamkeiten, und auf denen sollte man aufbauen. In der Umsatzbesteuerung kann man etwa so weitermachen wie bisher, das würde auch Grenzkontrollen überflüssig machen. Ich hoffe aber, dass die britische Regierung die Frist doch verlängert, wenn es länger dauern sollte als bis zum Jahresende.

Bisher sind weniger Arbeitsplätze aus Großbritannien abgewandert als anfangs prognostiziert. Haben wir hier den Höhepunkt bereits gesehen?
Ich fand Prognosen, nach denen ein großer Teil der Arbeitsplätze aus der City of London abwandert, nie plausibel. Ein bisschen Aktivität ist durchaus abgewandert. Alle größeren Banken und Versicherungen haben ihre Büros in der EU, insbesondere in Dublin, ausgebaut. Viele Vertragsbeziehungen mit EU-Kunden mussten umstrukturiert werden, oft zu hohen Kosten. Wie es mit den Verlagerungen weitergeht, wird stark von der künftigen Regulierung in der EU für die Finanzbranche abhängen. Die Banken wollen am liebsten ein Büro in der EU, aber die substanziellen Tätigkeiten in London belassen, wo die besten Fachleute mit der nötigen Expertise sitzen. London wird der dominierende Finanzplatz in Europa bleiben. Aber der Wachstumskurs Londons hat sich nicht fortgesetzt. London fällt im globalen Wettbewerb mit Plätzen wie New York oder Hongkong zurück, weil es eben nicht mehr die eindeutige Eintrittstür in die EU ist.

Immerhin 20 Milliarden Euro soll der Brexit Großbritannien jedes Jahr kosten …
Das merken die Menschen aber nicht. Etwas niedrigere Wachstumsraten spüren sie nicht. Das wäre anders gewesen, wenn zum Beispiel die Arbeitslosigkeit zugenommen hätte.

Wer profitiert wirtschaftlich vom Brexit?
Ich kann niemanden finden. Wirtschaftlich gibt es vor allem Verlierer. Ob es große Verlierer werden, das hängt von den weiteren Verhandlungen ab. Gibt es kein Freihandelsabkommen, wird die deutsche Autoindustrie zu den großen Verlierern gehören.

Glauben Sie an ein schnelles Freihandelsabkommen mit den USA?
Das erwarte ich nicht. Die US-Administration ist eher protektionistisch eingestellt. Und anders als mit der EU haben Großbritannien und die USA keine gemeinsame Regulierung und keine Nullzölle.

Was wünschen Sie sich, wie Ihre alte Heimat in fünf Jahren aussehen wird?
Ich würde mir wünschen, dass Großbritannien de facto möglichst breit Teil der europäischen Verträge und Zusammenarbeit bleibt. Es ist sehr wertvoll, dass es nicht zu einem Austritt ohne Austrittsvertrag gekommen ist. Ich würde mir auch wünschen, dass Großbritannien als Land wieder mehr zusammenkommt und den Brexit und die damit verbundene Spaltung hinter sich lässt.

Wenn unsere Kinder einmal auf 2020 zurückschauen, wie historisch einschneidend wird dieses Jahr sein?
Es ist nach mehr als 60 Jahren immer tieferer Integration in Europa ein Wendepunkt. Dass ein großes Land zum ersten Mal austritt, ist eine historische Zäsur. Vielleicht ist es der Punkt, von dem wir später einmal sagen: Da ist endgültig klar geworden, dass die EU kein monolithisches Gebilde ist, sondern die europäische Integration ein komplexes Werk ist von vielen Verträgen und vielen Formen der Zusammenarbeit.